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Full text of "Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin"

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ABHANDLUNGEN 


DER 


KÖNIGLICHEN 


AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
ZU BERLIN. 


1871. 


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ABHANDLUNGEN 


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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 


ZU BERLIN. 


AUS DEM JAHRE 
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BERLIN. 
BUCHDRUCKEREI DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
(G. VOGT 
UNSIVERSITÄTSSTR. 8. 


1872. 


N COMMISSION BEI FERD. DÜMMLER S VERLAGS-BUCHHANDLUNG. 
(HARRWITZ UND GOSSMANN.) 


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Inhalt. 


Elistorische, Binlertung, era er 
Verzeichnils der Mitglieder . . 


WMELmnontz, Gedächtnifsrede auf Masıins 


Physikalische Klasse. 


erg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über das von 
der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 
(Mitn2zRafen) nr 2: £ 

“Rorn: Über die Lehre vom Metamorphismus na die htsteharg has krystallini- 
SCHeDWSChie tere LE: Se a 10,0 

VEHRENBERG: Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmorphärlien: (Mit 1 Tafel) 


Mathematische Klasse. 


“Hasen: Seitendruck der Erde . . . AR SER BR: : 0% 
“HAGEN: Über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des strömenden Wasser. 
mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert 


Philosophisch-historische Klasse. 


“Lersivs: Über einige Aegyptische Kunstformen und ihre Entwiekelung 
vLersıus: Die Metalle in den Aegyptischen Inschriften. (Mit 2 Tafeln) 


Zweite Abtheilung. 


SSCHOTT: Altajische Studien ,. ı: n . . na ee. er er, 

“KIrcHHoFr: Nachträgliche Bemerkungen zu der Abhandlung über die Abfasgange- 

zeit des Herodotischen Geschichtswerkes Or de De 

“WEBER: Über ein zum weissen Yajus gehöriges phonetisches Compendium, das 
pratijnasütra 


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Jahr 1871. 


Al 26. Januar feierte die Akademie der Wissenschaften den 
Jahrestag des grolsen Königs Friedrichs des Zweiten in einer 
öffentlichen Sitzung, welcher Ihre Majestät die Kaiserin und Köni- 
gin und Ihre Kaiserliche und Königliche Hoheit die Kronprinzessin 
beizuwohnen geruhten. Der an diesem Tage vorsitzende Sekretar 
Herr du Bois-Reymond eröffnete die Sitzung mit einer Fest- 
rede, in welcher er ausführte, wie der jetzt von Preulsen über 
Frankreich davongetragene Sieg nicht nur durch die Kriegsthaten 
Friedrichs des Zweiten, sondern ebensolcehe durch seine Civil- 
verwaltung vorbereitet worden sei. Die Rede ist im Monatsbericht 
abgedruckt. 

Der vorsitzende Sekretar trug hierauf den Bericht über die 
seit dem 27. Januar vorigen Jahres, als dem Tage der vorjährigen 
öffentlichen Sitzung zur Gedächtnils-Feier Friedrich’s Il., vorge- 
kommenen Veränderungen im Personalbestande der Akademie vor. 

Sodann las derselbe als Mitglied des Uuratorinms der Hun- 
boldt-Stiftung den Jahresbericht über die Wirksamkeit der Stif- 
tung, besonders über die Fortsetzung der aus den Mitteln der Stit- 
tung wunternommenen, botanischen Reise des Hm. Dr. Georg 
Schweinfurth im den südwestlichen Nilländern vor, welcher Be- 
richt in dem Monatsberichte abgedruckt ist. 

„Zum Beschluss las Herr Haupt eine Abhandlung des 


Herrn Droysen über eine Flugschritt von 1743.“ 


VI 


Am 23. März hielt die Akademie eine öffentliche Sitzung 
zur Feier des Geburtsfestes Seiner Majestät des Kaisers 
und Königs. 

Der an diesem Tage vorsitzende Sekretar, Hr. Haupt, er- 
öffnete die Sitzung mit einer Rede. 

Hierauf berichtete er über die Arbeiten der Akademie wäh- 
rend des abgelaufenen Jahres und trug sodann Folgendes vor. 

Wir gedenken noch einer Königlichen Kabinetsordre, datiert 
aus Versailles vom 2. März 1871. An dem Tage nach dem Frie- 
densschluss unterzeichnet, bekundet sich noch aus dem Hauptquar- 
tiere die Fürsorge für die Friedensarbeit der Wissenschaft. Im 
‚Jahre 1829 gründete, damals noch Kronprinz, der König Friedrich 
Wilhelm der Vierte das archäologische Institut in Rom als einen 
Mittelpunkt der Studien für Kunst und Alterthum auf klassischem 
Boden, sorgte später als König für die Erweiterung und bessere 
Ausstattung der Anstalt und gewährte ihm die Mittel zu archäolo- 
gischen Stipendien für junge Philologen. Das archäologische In- 
stitut, das zwar unter solcher Unterstützung des Staats heranwuchs 
und der deutschen Wissenschaft in Italien einen geachteten Namen 
erwarb, blieb bis dahin eine private Gememschaft. Indessen zur 
Sicherung dieser Pflanzstätte deutscher Wissenschaft an dem Ufer 
der Tiber erschien es unter den wechselnden Ereignissen von Werth, 
das archäologische Institut in aller Form zu einer preussischen 
Staatsanstalt zu machen. Zu dem Ende wurde es durch ein neues 
Statut, nach welchem ein bleibender Bedürfnisszuschuss auf den 
Etat des Staatshaushalts übernommen worden, in die nächste Ver- 
bindung mit der Akademie der Wissenschaften gesetzt, und zwar 
dergestalt, dass die Akademie durch ihre philosophisch-historische 
Klasse die Mitglieder der Centraldireetion, die in Berlin ihren Sitz 


hat, nach Massgabe des Statuts wählt, auf den Vorschlag der Uen- 


IX 


traldireetion die beiden Sekretare, welche die wissenschaftlichen 
Arbeiten in Rom leiten, zur Allerhöchsten Ernennung präsentiert, 
einen Jahresbericht über die Leistungen des Instituts in der öftent- 
lichen Sitzung zur Feier des Geburtstages Sr. Maj. des Kaisers 
und Königs erstattet, und sich geeignetes Falles mit der Central- 
direction zu gemeinsamen Vorschlägen und Anträgen bei dem vor- 
geordneten Königl. Ministerium vereinigt. Dies Statut ist in die- 
sen denkwürdigen Tagen durch die K. Kabinetsordre bestätigt 
worden. So hat Se. Majestät die wichtige wissenschaftliche Grün- 
dung semes königlichen Bruders durch neue Pflege geehrt, ihren 
Bestand gesichert und ihre Wirksamkeit durch bereite Mittel ge- 
fördert. Die Akademie, die dem archäologischen Institute, nament- 
lich in den Arbeiten für das C. I. Lat., zu altem Dank verpflichtet 
ist, wird über ein Jahr den ihr durch das Statut übertragenen 
Jahresbericht zum ersten Male erstatten. 

Zum Beschlufs las Hr. Curtius eine Abhandlung über die 
Münzen der griechischen Colonien in ihren Beziehungen zum Mut- 
terlande. 

Am 6. Juli hielt die Akademie die öffentliche Sitzung zur 
Feier des Leibnizischen Jahrestages. Der an diesem Tage vor- 
sitzende Sekretar Hr. Kummer eröffnete dieselbe durch eine Rede 
in welcher er den national Deutschen Charakter von Leibniz in 
dem politischen Leben wie im wissenschaftlichen Denken desselben 
hervorhob. Die Rede ist im Monatsbericht abgedruckt. 

Hr. Haupt, Sekretar der philosophisch-historischen Klasse, 
trug hierauf folgenden Bericht über die Preisfragen dieser Klasse 
vor: 

Die Akademie hat am 2. Juli 1868 die folgende Preisaut- 
gabe, welche am 3. Juli 1862 gestellt und am 6. Juli 1865 wie- 


derholt war, von Neuem ausgeschrieben. 


„Die Geschichte der neueren Zeiten unterscheidet sich von 
der des Alterthums hmsichtlich ihrer Grundlagen zu ihrem wesent- 
lichen Vortheile. Die Griechen, die Römer und die übrigen Völ- 
ker der früheren Jahrtausende haben so gut als die neueren Cul- 
turvölker unter ihren schriftlichen Aufzeichnungen, welche den 
mannigfaltigen Geschäftsverkehr ihres Lebens vermittelten, Urkun- 
den besessen; aber diese Urkunden sind nur im geringer Anzahl 
auf uns gekommen und sie bieten daher für die antike Geschichts- 
forschung ein Hilfsmittel von verhältnissmässig beschränkter Be- 
deutung. Die Staaten der späteren Zeit hingegen haben von ihrer 
Entstehung an eine so grosse Masse von Urkunden aufgesammelt 
und grossentheils bis auf unsere Tage erhalten, dass sie nebst den 
gleichzeitigen Geschichtsschreibern und den anderen schriftlichen 
Denkmälern, den Gesetzen, den Briefen und den Werken der Lit- 
teratur, mit Recht als die feste Grundlage der Geschichtsforschung 
angesehen werden. Um den umfangreichen in ihnen enthaltenen 
Stoff zu übersehen bedurfte es kurzgefasster und nach der Zeit- 
folge geordneter Auszüge, sogenannter Regesten, auf deren Ausar- 
beitung in unserem Jahrhunderte grosser und erfolgreicher Fleiss 
gewendet worden ist. In ‚Deutschland und für die deutsche Ge- 
schichte, welche das Leben eines durch einheitliche Reichsgewalt 
während eines Jahrtausends verbundenen Volkes zur Aufgabe hat, 
waren das erste Bedürfniss die Regesten der Könige und Kaiser. 
Ihnen schlossen sich die Regesten der einzelnen grossen Reichs- 
lande, der geistlichen und weltlichen Fürsten und Landschaften an. 
Es ist allgemeim anerkannt, welche Verdienste sich zuerst Böhmer 
und Chmel durch ihre Regesten der deutschen Könige und Kaiser 
von Pipin bis Maximilian I. und durch verwandte Arbeiten erwor- 
ben haben. War durch sie die Aufgabe gelöst einen Schatz von 


fünfundzwanzig tausend von deutschen Königen und Kaisern aus- 


XI 


gestellten Urkunden in chronologischer Übersicht festzustellen und 
der allgemeinen Benutzung der Forscher zugänglich zu machen, so 
sollte dann auch ein anderes fühlbares Bedürfniss befriedigt wer- 
den als Jaffe’s Regesta pontifieum Romanorum ans Licht traten. 
Die Geschichte der Päpste greift so tief in die Geschichte nicht 
nur der deutschen, sondern aller christlichen Völker und Staaten 
ein, dass diese ohne sie an wesentlicher Unvollständigkrit leiden 
würde. Jaffe’s Werk ist von den ältesten Zeiten bis auf Inno- 
cenz III. und das Jahr 1198 geführt. Es bricht bei dem Zeit- 
punkte ab, mit dem das Jahrhundert der grössten Höhe des Papst- 
thums beginnt. Es ist der Wunsch der Akademie, dass dieser 
Zeitraum von der Wahl Innocenz des Ill. bis zum Tode Benediets 
XI. im Jahre 1304, nach welchem das avignonsche Exil der Päpste 
eintritt, in ähnlicher Weise behandelt werde. 

Die Akademie stellt demnach aufs Neue als Preisaufgabe 

Die Bearbeitung der Regesten der Päpste von Innocenz I. 
bis mit Benediect XI. 

Es wird dabei verlangt, dass diese Regesten aus sämmtlichen zu- 
gänglichen gedruckten Quellen in derselben Weise gewonnen wer- 
den, wie dies für die vorhergehende Zeit durch Jaffe’s Regesta pon- 
tifieum Romanorum geschehen ist. Als eine besonders dankens- 
werthe Vervollständigung würde die Akademie die Benutzung un- 
gedruckter Quellen ansehen. Bei jedem Papste ist eine kurze 
Nachricht über seinen früheren Lebenslauf voranzuschicken. 

Die Arbeit kann in deutscher, lateinischer, französischer oder 
italiänischer Sprache abgefalst werden. 

Die ausschliessende Frist für die Einsendung der dieser Aut- 
gabe gewidmeten Schriften ist der 1. März 1871. Jede Bewer- 
bungsschrift ist mit einem Motto zu versehen und dieses auf dem 


Aussern des versiegelten Zettels, welcher den Namen des Vertas- 
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XI 


sers enthält, zu wiederholen. Die Ertheilung des Preises von 200 
Ducaten geschieht in der öffentlichen Sitzung am Leibnizischen 
Jahrestage im Monat Juli des Jahres 1871.” 

Auf diese Einladung gieng zur rechten Zeit eine Bewerbungs- 
schrift in zwei starken Foliobänden ein, denen noch ein Schluss- 
band folgte, mit den Worten Böhmer’s als Motto, „Auch in der 
historischen Wissenschaft gilt, verleugne dich selbst.” 

Die Akademie hatte sich nicht verhehlt, welche mühevolle 
gelehrte Arbeit der Umfang der Preisaufgabe erfordere, und sieht 
in den vorliegenden drei Foliobänden eines sorgfältigen Manuscrip- 
tes die ausdauernde Anstrengung neunjähriges Durchforschens, 
Sammelns, Prüfens und ÖOrdnens vor sich. 

Der erste Band behandelt die Regesten Innocenz des Dritten 
vom Tage seiner Wahl, dem 8. Januar 1198, im Lateran bis zu 
seinem Todestage, dem 16. Julius 1216 zu Perugia; der zweite 
Band die Regesten der Durchfechter des Entscheidungskampfes 
mit dem staufischen Kaiserhause, der Päpste Honorius II., Gre- 
gor IX. und Innocenz IV., von 1216 bis zum 7. December 1254; 
der dritte Band die Regesten Alexanders IV., Urbans IV., Clemens 
IV., von 1255 bis 1268, und deren Nachfolger seit Überwältigung 
des Kaiserthums in Deutschland und Italien und die selbstbereitete 
französische Knechtschaft mit Benediets XI. Tode. 

Die einzelnen Bullen und Urkunden sind aus den verlangten 
zugänglichen Drucken mit Sorgfalt gesammelt. Die Angaben sind 
nach ihrem Werthe herbeigezogen, die verschiedenen Zeitbestim- 
mungen sind untersucht, verglichen und ausgerechnet, Fehler und 
Unvollständigkeiten sind ermittelt und angezeigt, die Decretalen, 
soweit sie einschlagen, genau bestimmt, und bei jedem Briefe und 


selbständigem Actenstücke smd die Anfangsworte angegeben; über- 


XII 


dies ist das Citat auch nach der verbreiteten, wenn gleich mangel- 
haften Migneschen Sammlung angeführt. 

Der Verfasser bemerkt, dass die litteraturgeschichtliche Ein- 
leitung der Vitae der einzelnen Päpste vor ihrer Erhebung zum 
Pontificate, die Bezeichnung der Cardinäle unter den einzelnen 
Päpsten, sowie das Verzeichniss der benutzten Werke erst vor der 
Drucklegung beendigt und erst dann geliefert werden können. 
Die Akademie, die in die Preisaufgabe den Wunsch solcher Bei- 
lagen aufnahm, erkennt gem an, dass es kein Mangel ist wenn 
sie jetzt noch fehlen. Was in der umfassenden Arbeit vorliegt, 
verbürgt die künftige Ergänzung durch das noch Zurückgebliebene. 

Hiernach steht die Akademie nicht an, der vorliegenden voll- 
berechtigten Arbeit den ausgesetzten Preis zuzuerkennen; sie fügt 
nur den Wunsch hinzu, dass der Verfasser, der einige der neueren 
ergiebigen Urkundensammlungen noch nicht benutzt hat, vor der 
Veröffentlichung sem Werk aus denselben vervollständigen möge. 

Der hierauf entsiegelte Zettel ergiebt als Verfasser der ge- 
krönten Preisschrift 
Dr. August Pothast, Custos der königl. Bibliothek zu Berlin. 

Am 2. Juli 1868 hatte die Akademie die folgende aus dem 
Legate des Hrn. von Miloszewsky zuerst am 6. Juli 1865 aus- 
geschriebene Preisaufgabe erneuert. 

„Die letzte philosophische Preisfrage der Akademie fasste 
eine Sammlung der aristotelischen Fragmente ins Auge und hatte 
einen erwünschten Erfolg. Indem die Akademie in dieser Rich- 
tung weiter geht, schlägt sie gegenwärtig eine Sammlung der 
Bruchstücke der nächsten auf Aristoteles folgenden Peripatetiker 
vor. In neuerer Zeit haben sich Männer wie Brandis, Zeller, 
Prantl und Andere um die gelehrte und philosophische Kenntniss 


der Lehren derselben verdient gemacht; aber eine vollständige 


XIV 

Sammlung der aus ihren Schriften im Alterthum und namentlich 

bei den Commentatoren des Aristoteles zerstreuten Fragmente ist 

noch nieht vorhanden. Die Akademie stellt hiernach als Preis- 

aufgabe 
die zerstreuten Bruchstücke aus den verlorenen Schriften 
des Theophrast, Eudemus, Aristoxenus, Phanias, Dicae- 
arch, Heraclides, Clearch, Demetrius Phalereus, Strato 
und etwa der noch gleichzeitigen Peripatetiker zu sam- 
meln, kritisch zu behandeln, mit den entsprechenden Stel- 
len des Aristoteles zu vergleichen und danach das Ver- 
hältniss der Lehre dieser Aristoteliker zum Aristoteles 
selbst zu bestimmen. 

Der Schrift ist ein doppeltes Register beizufügen, wovon das 
eine die Schriften und Stellen, aus welchen die Bruchstücke ent- 
nommen sind, genau aufführt, das andere die wichtigern Wörter 
und Gegenstände derselben alphabetisch verzeichnet. Die Arbeit 
kann nach Wahl der Bewerber in deutscher, lateinischer oder fran- 
zösischer Sprache geschrieben werden.” 

Als Frist der Einreichung ward der 1. März bestimmt. 

Es ist keine Bewerbungsschrift eingegangen. Die Akademie 
legt aber auf diese für die Geschichte der alten Philosophie wich- 
tige Aufgabe, welche mit den von ihr in den letzten fünfzig Jah- 
ren angeregten und unterstützten Arbeiten für Aristoteles in engem 
Zusammenhange steht, einen besondern Werth und wünscht daher 
die Aufmerksamkeit der Gelehrten noch einmal auf sie zu lenken. 
Sie wiederholt daher die Aufgabe, indem sie zugleich den Preis 
verdoppelt. 

Die ausschliessende Frist für die Einsendung der dieser Auf- 
sabe gewidmeten Schriften ist der 1. März 1874. Jede Bewer- 


bungsschrift ist mit emem Motto zu versehen und dieses auf dem 


XV 


Äussern des versiegelten Zettels, welcher den Namen des Verfas- 
sers enthält, zu wiederholen. Die Ertheilung des Preises von 200 
Ducaten geschieht in der öffentlichen Sitzung des Leibnizischen 
Jahrestages im Monat Juli des Jahres 1874. 

Hierauf trug Hr. Haupt den Jahresbericht der vorberathen- 
den Commission der Boppstiftung vor. 

Für den 16. Mai d.J. ist die Verwendung des Jahresbe- 
trages der Stiftung nicht als Preis für vorliegende wissenschaft- 
liche Leistungen, sondern als Unterstützung wissenschaftlicher 
Unternehmungen auf dem Gebiete der Sanskritphilologie und der 
vergleichenden Sprachforschung beschlossen worden und es wurde 
dem entsprechend von den beiden zu vergebenden Raten die eine, 
von 300 Thlr., Hm. Dr. Wilhelm Pertsch, Bibliothecar an der 
herzoglichen Bibliothek zu Gotha, zuerkannt, welcher gegenwärtig 
mit Bestimmung und Verzeichnung einer umfangreichen Sammlung 
indischer Münzen beschäftigt ist, die im vorigen Sommer von dem 
Professor Georg Bühler in Bombay dem Münzcabinette der hiesi- 
gen Königl. Museen zum Geschenk gemacht wurde; die zweite 
Rate, im Betrage von 150 Thlr., ward Hrn. Dr. Berthold Del- 
brück, Professor in Jena, zur Förderung seiner Studien auf dem 
Gebiete der Syntax des Sanskrit und der verwandten Sprachen 
überwiesen. 

Sodann hielt Hr. Helmholtz eime Gedächtnissrede auf 
Magnus und Hr. Haupt eine Gedächtnissrede auf Meineke 
und Bekker. 


XVI 


Zu wissenschaftlichen Zwecken hat die Akademie im Jahre 


1871 folgende Summen bewilligt: 


400 Thaler an Herrn Professor Gerhardt in Eisleben zur Heraus- 


400 


200 


350 


200 


200 


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gabe der philosophischen Schriften von Leibniz. 

an Herrn Dr. Vogel m Berlin zur Anschaffung 
physikalischer Instrumente. 

an Herrn Dr. Köhler in Athen für Arbeiten zum 
griechischen Inschriftenwerke. 

an Herrn Professor Weber in Berlin zur Heraus- 
gabe des schwarzen Yayus Veda. 

für literarische Geschenke an die Universität Strass- 
burg. 

an Herrn Professor Rammelsberg in Berlm für 
seme Arbeiten über Tantalverbindungen. 

an Herrn Professor Dittenberger in Rudolstadt für 


Arbeiten am griechischen Inschriftenwerke. 


Personalveränderungen im Jahre 1571. 


Herr Ernst Curtius zum Sekretar der philosophisch -historischen 


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Klasse gewählt, erhielt unter dem 23. August 1571 die König- 


liche Bestätigung. 


Helmholtz, bisher auswärtiges Mitglied, trat als ordentliches 


Mitglied 


der physikalisch- mathematischen Klasse ein am 


1. April 1871. 


XVII 


Gewählt wurden: 
Correspondirende Mitglieder der physikalisch-mathema- 
tischen Klasse: 
Herr Gerhard vom Rath in Bonn am 13. Juli 1871. 
„ William Thomson in Glasgow, am 13. Juli 1871. 
„ Pafnutij Tschebyschew in Petersburg am 13. Juli 1871. 
Correspondent der philosophisch-historischen Klasse: 
„ Emil Heitz in Strassburg, am 20. Juli 1871. 
Gestorben sind: 
Herr Immanuel Bekker, ordentliches Mitglied der philosophisch- 
historischen Klasse, am 6. Juni 1871. 
„ Moritz Pinder, ordentliches Mitglied der philosophisch-histo- 
rischen Klasse am 30. August 1871. 
Auswärtige Mitglieder der physikalisch-mathematischen 
Klasse: 
Sir John Herschel in Hawkhurst, am 12. Mai 1871. 
Herr Wilhelm Haidinger m Wien, am 19. März 1871. 
Sir Roderiek Murchison im London, am 22. October 1871. 
Herr Eduard Weber in Leipzig, am 17. Mai 1871. 
Auswärtige Mitglieder der philosophisch - historischen 
Klasse: 
Herr Georg Gervinus in Heidelberg, am 18. März 1871. 


Sir James Yates ın London, am 17. Mai 1871. 


Verzeiehniss 


der 


Mitglieder der Akademie der Wissenschaften 


am Schlusse des Jahres 1870. 


I. Beständige Sekretare. 


Herr Trendelenburg, Sekr. der philos.-hist. Klasse. 
- Haupt, Sekr. der philos.-hist. Klasse. 
- Kummer, Sekr. der phys.-math. Klasse. 
- du Bois-Reymond, Sekr. der phys.-math. Klasse. 


Il. Ordentliche Mitglieder 


der physikalisch-mathematischen der philosophisch-historischen Datum der Königlichen 
Klasse. Klasse. Bestätigung. 
T— 66,5, 
Herr Bekker, Veteran 1 Mai 3. 
1 Juni 18. 
1 Febr. 13. 
1 Juli 16. 
1 Jan. 4. 
1837 Jan. 4. 
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43 Jan. 2 

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- Trendelenburg 
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- Homeyer . 


- Petermann S50 Mai 18. 


der physikalisch-mathematischen 


Klasse. Klasse. Bestätigung. 
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Herr dw Bois-Reymond 1851 März 5. 
SuRelarsı . El u 1851 März 5 
Herr Pinder 1851 Mai 24. 

- Buschmann . 1851 Mai 24. 

- Riedel . 1851 Mai 24. 

- Braun a 1851 Juli 16. 
- Haupt 1853 Juli 23. 

- Kiepert 1853 Juli 25. 
- Beyrich Ad 1853 Aug. 15. 
- Ewald 1853 Aug. 15. 
-  Rammelsberg 1855 Aug. 15. 
- Kummer . 1855 Dec. 10. 
-  Borchardt 1855 Dec. 10. 
- Weierstrass . ER 1856 Nov. 19. 
- Weber . 1857 Aug. 24. 
- Parthey 1857 Aug. 24. 
- Mommsen 1858 April 27. 

- Reichert NEN Er, 1859 April 4. 
- Ölshausen 1860 März 7. 

- Rudorf 1860 März 7. 

- Kirchhoff » 1860 März 7. 

-  Kronecker 3 1861 Jan. 23. 
- (urtius . 1862 März 3. 

-  Müllenhoff 1864 Febr. 3. 

- Rödiger 1864 Mai 7. 

- Hofmann 1865 Mai 27. 
-  Auwers Er e. 1866 Aug. 18. 
-  Droysen 1867 Febr. 9. 
- Roth en 1867 April 22. 
- Bonitz . 1867 Dec. 27. 
- Pringsheim . 1868 Aug. 17. 


der philosophisch-historischen 


Datum der Königlichen 


XIX 


xXX 


III. Auswärtige Mitelieder 


Datum der Königl. 
der physikalisch-mathematischen Klasse. der philosophisch-historischen Klasse. Bestätigung. 


.r 


Sir John Herschel in Hawkhurst 
in der Grafschaft Kent . . . ae ee. 111839 Blebrr. a4: 
Herr Guizot in Paris 1840 Dechr. 14. 
- Henry Rawlinson in 
London. . . ... 71850>Maı 18. 
Herr 'J. wo: eb 1nAMünchen.. . 2 ner. 6 een eaAmgusty1: 
- , P. Wohklerün |Götlingen ne. ee a sn No RstallD: 
- Franz Neumann in ee 


beroy sn Ra else keresrn 2oR 
- Ernst Heinrich Weber in 

Beipzie . Uap 2 Sarg site en Kae eerle.: 1ES9 FAHREN 
- Karl Ernst v. Baer ın 

Dorpat:. „9... a We Be ee a ee, SLSGEAMarzaalele 


- Robert Wilhelm Bu in 

Heidelberaig. . . 22.020 2 Rasse ee 11662 Märzes: 

- Franz Ritter v. Miklosich 
in Wien. . . . . 1862 März 24. 

- Wilhelm’ Weberun Göttingen „m. wer rn. 18a 
=. Veotor Regnanlisin Parisı. ... woman Ju te e. 1868%Julı 10m 
- Peter AndreasHansen nGotha . - - » 2» 2 2 2 2 .2....1866 März 24. 
- Fr. Wih. August a 


in Bonn 2... De ee 18 0Marzld 
- Gustav Robert Kirchhoff ın 
Heidelberg . . . . er) Inntal 


- Hermann Helmholtz in Hei- 
delberg... ea r...0:, ee ER Oe un ale 


IV. Ehren-Mitelieder. 


Die Herren: Freiherr Anton von Prokesch- Osten in 
Konstantinopel 

Peter Merian in Basel P 
Davoud-Pascha Garabed Artin in Konktantineitel 
Peter von Tschichatschef in Paris ; 
Graf Rudolph von Stillfried-Rattonitz in Berlin 
Edward Sabine ın London . 
Freiherr Helmuth v. Moltke in Berlin 
Don Baldassare Boncompagni in Rom 
August von Bethmann- Hollweg in Berlin 
Johann Jakob Baeyer in Berlin 
Georg Hanssen in Göttingen . 


Datum der Königlichen 


Bestätigung. 


1839 
1845 
1847 
1853 
1854 
1855 
1860 
1862 
1862 
1865 
1869 


März 14. 
März 8. 
Juli 24. 


August 22. 


Juli 22. 


August 15. 


Juni 2. 
Juli 21. 
Juli 21. 
Mai 27. 
April 1. 


XXI 


XXI 


V, Correspondirende Mitglieder, 


Physikalisch-mathematische Klasse. 


Herr Hermann Abich in Tiflis 


Louis Agassiz in Boston 

George Airy in Greenwich 

Anders Jöns Ängström in Upsala 
Antoine Cesar Becquerel in Paris 

P. J. van Beneden in Löwen 

George Bentham in Kew 

Claude Bernard in Paris 

Theodor Ludwig Bischoff in Minöhen 
Jean Baptiste Boussingault in Paris . 


Johann Friedrich Brandt in St. Petersburg . 


‚Adolphe Brongniart in Paris . 

Ernst Brücke in Wien 

Auguste Cahours in Paris 

Arthur Cayley in Cambridge 

Michel Chasles mn Paris . P 

Michel Eugene Chevreul in Paris 

Elvin Bruno Christofel in Berlin 

4A. Ölebsch in Göttingen . 

James Dana in New Haven . 

Charles Darwin in London i 

Ernst Heinrich Karl von Dechen in Bo 
Jean Marie Constant Duhamel in Paris 
Jean Baptiste Dumas in Paris Re 
Jean Baptiste Elie de Beaumont in Paris 
Gustav Theodor Fechner in Leipzig . 
Lowis Hippolyte Fizeau in Paris 

Elias Fries in Upsala 

Heinrich Robert Göppert in Breslau 

Asa Gray in Cambridge, N. Amerika . 
Wilhelm Haidinger in ns 

Christopher Hansteen in Christiania 
Heinrich Eduard Heine in Halle 

Charles Hermite in Paris 


Datum der Wahl. 


1858 Oct. 14. 
1834 März 24. 
1834 Juno: 
18567 Decbr. 19. 
1835 Febr. 19. 
1855 Juli 26. 
1855 Juli 26. 
1860 März 29. 
1854 April 27. 
1856 April 24. 
1839 Dechr. 19 
1835 Mai 7. 
1854 April 27. 
1867 Decbr. 19. 
1866 Juli 26. 
1858 Juli 22 
34. Juni 5: 
1868 April 2. 
1868 April 2. 


1855 Julı 26. 
1863 Febr. 26. 
1842 Febr. 3. 
1847 April 15. 
1l 


834 Juni 5. 
827 Decbr. 13. 
1841 März 25. 
1863 Aug. 6. 
1854 Juni 1. 
1839 Juni 6. 
1855 Juli 26. 
1842 April 7. 
1827 Decbr. 13. 
1863 Juli 16. 
1859 August 11. 


Herr Otto Hesse in München . 


Sir 
Herr 


Joseph Dalton Hooker in Kew 
Thomas Huxley in London 
Joseph Hyrtl! in Wien 

Moritz Jacobi in St. De 
Friedrich Kaiser in Leyden 
Hermann Kopp in Heidelberg 
Urbain Joseph Le Verrier in Paris 
Joseph Liowville in Paris 

Karl Ludwig in Leipzig 

Charles Lyell in London 

Charles Marignaec in a \ 
William Miller in Cambridge 
Henri Milne Edwards in Paris 
Hugo von Mohl in Tübingen 
Arthur Jules Morin ın Paris 
Ludwig Moser in Königsberg 

J. @. Mulder in Bennekom bei ee 


Sir Roderick Impey Murchison ın London . 


Herr 


Karl Friedrich Naumann in Leipzig 
Richard Owen in London 

Frangois Marie de Pambour in Paris 
Christian August Friedrich Peters in Mon 
Joseph Plateau in Gent . 

George de Pontecoulant in Paris 

Friedrich August Quenstedt in Tübingen 
Lambert Adolphe Jacques Quetelet in Brüssel 
Friedrich Julius Richelot in Königsberg 
Auguste de la Rive in Genf . 

Ferdinand Römer in Breslau . 

Georg Rosenhain in Königsberg . 

Henri Sainte-Claire-Deville in Paris 
Hermann Schlegel in Leyden . 

Theodor Schwann in Lüttich . 

Philipp Ludwig Seidel in München 


Karl Theodor Ernst von Siebold in München 


Japetus Steenstrup in Kopenhagen . 
George Gabriel Stokes in Cambridge 


XXIII 


Datum der Wahl. 


1859 
1854 
1865 
1857 
1859 
1869 
1867 
1846 
1839 
1864 
1855 
1865 
1860 
1847 
1847 
1839 
1845 
1845 
1847 
1546 
1836 
1839 
1866 
1569 
1832 
18685 
1832 
1842 
1835 
1869 
1859 
1863 
1865 
1854 
1865 
1841 
1859 
1859 


Juli 21. 
Juni 1. 
Aug. 3. 
Januar 15. 
Apnil 7. 
April 15. 
Dechbr. 19. 
Decbr. 17. 
Decbr. 19. 
Oct. 27 
Juli 26. 
März 30. 
Mai 10. 
April 15. 
April 15. 
Juni 6. 
Febr. 16. 
Januar 23. 
April 15. 
März 19. 
März 24. 
Juni 6. 
März 1. 
April 15. 
Januar 19. 
April 2. 
Januar 19. 
Decbr. 8. 
Febr. 19. 
Juni 3. 
August 11. 
Nov. 19. 
Nov. 23. 
April 27. 
Juli 16. 
März 25. 
Jul 21. 
April 7. 


XXIV 


Herr Otto Struve in Pulkowa . 


Bernhard Studer in Bern 

Karl Sundevall in Stockholm e 
James Joseph Sylvester mn Woolwich . 
Louis Rene Tulasne ın Paris . 
Gustave Thuret ın Antibes 

Edouard de Verneuil in Paris 
Eduard Weber in Leipzig . 

Charles Wheatstone ın London . 
Adolph Würtz in Paris 


Philosophisch-historische Klasse. 


" Theodor Aufrecht in Edinburgh . 


George Bancroft z. Z. in Berlin . 
Theodor Benjey in Göttingen 
Theodor Bergk in Bonn 

Jacob Bernays in Bonn . 

Gottfried Bernhardy ın Halle 
Samuel Birch in London 

Otto Boehtlingk in Jena . 

Hermann Brockhaus in Leipzig . . 
Marie Felicite Brosset in St. Peterabutk 
Heinrich Brunn in München 
Giuseppe Canale in Genua 

Antonio Maria Ceriani ın Mailand 
Charles Purton Cooper in London 
Georg Curtius in Leipzig . 

Leopold Delisle in Paris : 
Lorenz Diefenbach in Frankfurt a. Mm. 
Friedrich Diez in Bonn 

Wilhelm Dindorf in Leipzig . 
Bernhard Dorn in St. Petersburg. 
Hermann Ebel in Schneidemühl 
Emile Egger in Paris . 

Petros Eustratiades in Athen . 
Giuseppe Fiorelli in Neapel . 
Heinrich Lebrecht Fleischer in Leipzig 


Datum der Wahl. 


——— 
1868 April 2. 
1545 Januar 23. 
1862 Febr. 27 
1866 Juli 26. 
1869 April 29. 
1869 April 29. 
1858 Oct. 14. 
1864 Oct. 27. 
1851 Mai 8. 
1859, März 10. 
1864 Febr. 11. 
1845 Febr. 27. 
1860 April 26. 
1845 Febr. 27. 
1865 Janıl9: 
1846 März 19. 
1851 April 10. 
1855 Mai 10. 
1865 Januar 16. 
1866 Febr. 15. 
1866 Juli 26. 
1862 März 13. 
1869 Nov. 4. 
1836 Febr. 18. 
1869 Nor. 4. 
1867 April 11. 
1861 Jan. 31. 
1845 Febr. 27. 
1846 Deecbr. 17. 
1564 Febr. 11 
1869 Nov. 4. 
1867 April 11. 
1870 Nor. 3. 
11865. Jane: 
1851 April 10. 


xXXV 


Datum der Wahl. 


—— — 


Herr Conon von der Gabelentz in Altenburg . . . . 1869 Nov. 4. 
- Karl Immanuel Gerhardt in Eisleben . . . . 1861 Jan. 31. 
- Georg Gottfried Gervinus in Heidelberg . . . 1845 Febr. 27 
- Wilhelm v. Giesebrecht in München . . . . . 1859 Juni 30. 
- Konrad Gislason in Kopenhagen Ah HL S5LNNMArZI 2. 
- Graf Joh. Bapt. Carlo Giuliari in Vernu LET ABLE DI: 
- Carl Ludwig Grotefend in Hannover . . . 1862 März 13. 
- Aureliano Fernandez Guerra y Orbe in Madrid . 1861 Mai 30. 
Se Kanlklolnın, München. „ ... um. eilt Janyıl3: 


- Wilhelm Henzen n Rom . . leiser, Anika 

- Brör Emil Hildebrand in Stockholm, Mes 2u1845A Behr) 2% 
- Willem Jonckbloet im Haag . . » . . . .. .. 1864 Febr. 11. 
- Stanislas Julien in Paris . . . ua TEEN Apr 14: 


- Theodor Georg von Karajan in Wien. N ale un 6: 
- Hermann Koechly in Heidelberg . . . . . . 1861 Jan. 31 


- Ulrich Koehler in Athen . . . „2,1870: WNov.8. 

- Sigismund Wilhelm Koelle in Konsantnoncl . 1855 Mai 10. 

- Stephanos Kumanudes in Athen . . ... .... 1870 Nov. 3. 

- (Christian Lassen m Bonn . . . . 2... ..2...1846 Dechbr. 17. 
- Konrad Leemans in Leyden . . . ........ 1844 Mai 9. 

- Karl Lehrs mn Königsberg . . . » . . .......1845 Febr. 27 
- Adrien de Longperier m Paris . . . . . . .. 1857 Juli 30. 

- Elias Lönnrot in Helsingfors . . . . . ... .. 1850 April 25. 
- Hermann Lotze in Göttingen . . . . 1864 Febr. 11. 


- Joaguim Jose da Costa de Macedo in en 1838 Febr. 15. 
- Johann Nicolas Madvig in Kopenhagen . . . 1836 Juni 23. 


- Henri Martin in Rennes . . . 223.81..01859%. Mar 10: 
- Georg Ludwig von Maurer in Münchei 2.0.25 18549 Juniml5. 
- Giulio Minervini in Neapel . . » . .... .. 1852 Juni 17. 
= Julius Mohlöin -Paris .  .=r...88: 2 W180 Aprıl 25: 
u Ganlor.Morbio in. Mailand... „zu. 5 W860 April“26: 
4 Moa#Müllerin Oxford: .- . .r . .. 20. var 186" Jansmld. 
- L. Müller in Kopenhagen . . . . 2 .2.....1866 Juli 26. 
- John Muir in Edinburgh . . » . ........1870 Nov. 3. 
- August Nauck in St. Petersburg . . . . . . 1861 Mai 30. 
- "Charles Newton m London’: .vırnn 00 25 1861-- Jan: 31. 
-" Julius: Oppert' in Paris: .. .ı .. .. 20.7... 14% 01862 März’ 13. 
=. Franz Palacky in Prag. uw anwew n. n.0n. 1845. Fehr.: 27. 


d 


XXVI 


Sir Thomas Phillipps in Middlehill . 
Herr August Friedrich Pott in Halle . 


Carlo Promis in Turin 

Rizo Rangabe in Athen . 

Felix Ravaisson in Paris 

Adolphe Regnier in Paris 

Ernest Renan in Paris 

Leon Renier ın Paris . 

Alfred von Reumont in Bonn . 

Friedrich Wilhelm Ritschl in Dei 

Georg Rosen in Belgrad . 

Giovanni Battista de Rossi in Rom 

Rudolph Roth in Tübingen re 

Vicomte Emmanuel de Rouge in Paris . 

Joseph Roulez in Gent 

Eugene de Roziere in Paris 

Hermann Sauppe in Göttingen . a En 
Adolph Friedr. Heinr. Schaumann in Hannover 
Anton Schiefner in St. Petersburg 

Georg Friedrich Schömann in Greifswald 
Leonhard Spengel in München 

Friedrich Spiegel in Erlangen . 

Aloys Sprenger ın Bern . 

Christoph Friedrich Stälin in Stakteare 

Adolf Friedrich Stenzler in Breslau 

Heinrich von Sybel in Bonn 

Th. Hersart de la Villemarque in Bar 

Louis Vivien de Saint Martin in Versailles . 
Matthias de Vries in Leyden 

William Waddington in Paris 

Natalis de Wailly in Paris 

Georg Waitz in Göttingen . 

Jean Joseph Marie Antoine de Wiite in Paris 
William Wright in London 

James Yates in Highgate 

K. E. Zachariae von Lingenthal in en 
Eduard Zeller in Heidelberg . oe 


Datum der Wahl. 


1845 
1850 
1869 
1851 
1847 
1867 
1859 
1859 
1854 
1845 
1858 
1853 
1861 
1854 
1855 
1864 
1861 
1861 
1858 
1824 
1842 
1862 
1858 
1846 
1866 
1859 
1851 
1867 
1861 
1866 
1858 
1842 
1845 
1868 
1867 
1866 
1564 


Febr. 27. 
April 25. 
Nov. 11. 
April 10. 
Juni 10. 
Jan: 17. 
Juni 30. 
Juni 30. 
Juni 15. 
Febr. 27 
März 25. 
Juni 16. 
Jan. 31. 
März 2. 
Mai 10. 
Febr. 11. 
Jan. 31. 
Jan. 31. 
März 25. 
Juni 17. 
Decbr. 22. 
März 13. 
März 25. 
Decbr. 17. 
Febr. 15. 
Juni 30. 
April 10. 
April 11. 
Jan. 31. 
Febr. 15. 
März 25. 
April 14. 
Febr. 27. 
Nov. 5. 
Jan. 17. 
Juli 26. 
Febr. 11. 


Gedächtnifsrede 


auf 


GUSTAV MAGNUS 


von 


v 
H". H. HELMHOLTZ. 


[Gehalten in der öffentlichen Sitzung der Akademie der Wissenschaften 
am 6. Juli 1871.] 


E. ist mir der ehrenvolle Auftrag geworden ım Namen dieser Akade- 
mie auszusprechen, was sie an Gustav Magnus verlor, der ihr dreifsig 
Jahre lang angehörte. Als dankbarem Schüler, als Freund, endlich als 
dem Amtsnachfolger des Geschiedenen war es mir eine Freude, wie eine 
Pflicht, einer solehen Aufforderung nachzukommen. Aber ich finde den 
besten Theil meines Werkes bereits gethan durch unseren Collesen Hof- 
mann im Auftrage der Deutschen chemischen Gesellschaft, deren Vor- 
sitzender er ist. Er hat die Aufgabe von Magnus Leben und Wirken 
ein Bild zu geben in eingehendster und liebevollster Weise gelöst. Er 
ist mir nicht nur der Zeit nach zuvorgekommen, sondern er hat zu dem 
Geschiedenen auch in viel engeren und häufigeren persönlichen Beziehun- 
gen gestanden, als ich; anderntheils ist er für ‘eine Hauptseite von Mag- 
nus Thätigkeit, nämlich die chemische, viel mehr als ich berechtigt, ein 
sachverständiges Urtheil abzugeben. 

Dadurch beschränkt sich erheblich das, was für mich zu thun 
noch übrig bleibt. Ich werde kaum noch als Biograph von Magnus re- 
den dürfen, sondern nur noch davon, was Magnus uns war, und davon, 
was er der Wissenschaft war, deren Vertretung die uns zugewiesene Auf- 
sabe ist. 

Auch war in der That sein Leben nicht gerade reich an äufseren 
Ereignissen und Wechselfällen; es war das friedliche Leben eines Mannes, 

1 


2 HELEMHOTLTZE 


der in sorgenfreien äufseren Verhältnissen, erst als Glied, dann als Leiter 
einer geachteten, begabten und liebenswürdigen Familie, seine Befriedi- 
gung in wissenschaftlicher Arbeit, in der Verwerthung wissenschaftlicher 
Ergebnisse zur Lehre und zum Nutzen der Menschen suchte und reichlich 
fand. Am 2ten Mai 1802 wurde Heinrich Gustav Magnus zu Berlin 
geboren, als der vierte von sechs Brüdern, die sich nach mannigfachen 
Richtungen hin durch ihre Fähigkeiten ausgezeichnet haben. Der Vater 
Johann Matthias war der Chef eines wohlhabenden Handlungshauses, 
und suchte seinen Kindern vor Ällem eine freie Entwickelung ihrer indi- 
viduellen Anlagen und Neigungen zu gewähren. Unser geschiedener 
Freund zeigte schon frühe gröfsere Neigung zu mathematischen und na- 
turwissenschaftlichen Studien, als zu sprachlichen. Der Vater regelte sei- 
nen Unterricht dem entsprechend, indem er ihn von dem Werderschen 
Gymnasium wegnahm und an das Cauersche Privat - Institut sendete, 
in welchem den realistischen Fächern mehr Rechnung getragen wurde. 
Später von 1822 bis 1827 widmete sich Magnus an der Berliner Uni- 
versität ganz dem naturwissenschaftlichen Studium. Ehe er seine ur- 
sprüngliche Absicht, sich für Technologie zu habilitiren, ausführte, wen- 
dete er noch zwei Jahre dazu an sich auf Reisen fortzubilden, vorzugs- 
weise bei Berzelius längere Zeit in Stockholm verweilend, dann in Pa- 
vis bei Dulong, Thenard, Gay Lussac. Auf diese Weise ungewöhn- 
lich gut und reich vorbereitet, habilitirte er sich 1831 an der hiesigen 
Universität zunächst für Technologie, später auch für Physik, wurde 1834 
zum aufserordentlichen, 1845 zum ordentlichen Professor ernannt, und 
zeichnete sich durch seine wissenschaftlichen Arbeiten in dieser Zeit so 
aus, dafs er schon neun Jahre nach seiner Habilitation, am 27. Januar 
1840, zum Mitgliede dieser Akademie erwählt wurde. Von 1832 bis 1840 
hat er auch an der Artillerie- und Ingenieurschule Physik gelehrt, von 
1850 bis 1856 an dem Grewerbeinstitut chemische Technologie. Lange 
Zeit hielt er die Vorlesungen im seinem eigenen Hause mit seinen eige- 
nen Instrumenten, die allmählig zu einer der stattlichsten physikalischen 
Sammlungen anwuchsen, wie sie zur Zeit existirten, und die später vom 
Staate für die Universität angekauft wurden. Dann verlegte auch Magnus 
seine Vorlesungen in das Universitätsgebäude, und behielt nur das Labo- 


Gedächtnifsrede auf Gustav Magmıs. 3 


ratorium für seine eigenen und die Arbeiten seiner Schüler im eigenen 
Hause. 

So flols sein Leben in ruhiger aber unablässiger Wirksamkeit für 
seine Wissenschaft ungestört dahin; Reisen bald für wissenschaftliche oder 
technische Studien, mehrere Male auch im Auftrage des Staats unternom- 
men, bald der Erholung bestimmt, unterbrachen von Zeit zu Zeit seine 
hiesige Arbeit. Daneben wurde seine sachverständige Erfahrung und seine 
Geschäftskenntnils vom Staate in mancherlei Commissionen in Anspruch 
genommen; unter diesen ist namentlich seine Theilnahme an den chemi- 


schen Berathungen des Landes-OÖkonomie-Collesiums zu erwähnen, denen 


g 
er grofses Interesse und viel von seiner Zeit widmete, vor Allem in Be- 
zug auf die grofsen praktischen Fragen der Agrieulturchemie. 

Nach 67 Jahren fast ungestörter Gesundheit verfiel er gegen Ende 
des Jahres 1869 in eine schmerzhafte Krankheit!). Bis zum 25ten Fe- 
bruar 1870 hat er noch seine Vorlesungen über Physik fortgesetzt, im 
Laufe des März aber kaum mehr sein Lager verlassen können; am 4ten 
April verschied er. 

Magnus ist eine reich angeleste Natur gewesen, welche unter 
glücklichen äufseren Umständen sich nach ihrer Eigenart entwickeln und 
sich ihre Thätiskeit frei nach eigenem Sinne wählen durfte. Dieser Sinn 
aber war so beherrscht von Besonnenheit und erfüllt, ich möchte sagen, 
von künstlerischer Harmonie, die das Maalslose und Unreine scheute, dafs 
er die Ziele seiner Arbeit weise zu wählen und deshalb auch fast immer 
zu erreichen wulste. Ebendarum stimmt auch die Richtung und die Art 
von Magnus’ Thätigkeit mit seiner geistigen Eigenart so vollkommen 
zusammen, wie das bei nur wenigen Glücklichen unter den Sterblichen 
der Fall zu sein pflegt. Die harmonische Anlage und Ausbildung seines 
(reistes gab sich auch äufserlich in der natürlichen Anmuth seines Betra- 
gens, ın der wohlthuenden Heiterkeit und Sicherheit seines Wesens, in 
der warmen Liebenswürdigkeit seines Verkehrs mit Anderen zu erkennen. 
Es lag in allem diesem viel mehr, als die blofse Erlernung der äufseren 
Formen der Höflichkeit jemals erreichen kann, wo sie nicht von warmer 
Theilnahme und feinem Gefühl für das Schöne durchleuchtet wird. 


1 


Careinoma Recti. 


4 HELMHOoLTZ: 


Von früh her gewöhnt an die geregelte und besonnene Thätigkeit 
des kaufmännischen Hauses, in dem er aufwuchs, behielt er von diesem 
die Gewandtheit in Geschäften, die er so oft in den Verwaltungsangele- 
senheiten dieser Akademie, der philosophischen Facultät und verschiede- 
ner staatlicher Commissionen zu bethätigen hatte. Er behielt von daher 
die saubere Ordnungsliebe, die Richtung auf die Wirklichkeit und das 
Praktisch-Erreichbare, wenn auch das Hauptziel seiner Thätigkeit ein 
ideales wurde. Er hatte begriffen, dafs nicht der behagliche Genuls einer 
sorgenfreien Existenz und des Verkehrs in dem liebenswürdigsten Kreise 
von Angehörigen und Freunden eine dauernde Befriedigung giebt, son- 
dern nur die Arbeit, und zwar nur die uneigennützige Arbeit für ein ıdea- 
les Ziel. So arbeitete er, nicht für die Vermehrung seiner Reichthümer, 
sondern für die Wissenschaft; nicht dilettantisch und launisch, sondern 
nach einem festen Ziel und unermüdlich; nicht in Eitelkeit, nach auffal- 
lenden Entdeckungen haschend, die seinen Namen hätten schnell berühmt 
machen können, sondern er wurde im Gegentheil em Meister der treuen, 
geduldigen und bescheidenen Arbeit, welche ihr Werk immer wieder prüft, 
und nicht eher davon abläfst, als bis sie nichts mehr daran zu bessern weils. 
Solche Arbeit ist es aber auch, die durch die classische Vollendung ihrer 
Methode, durch die Genauigkeit und Zuverlässigkeit ihrer Resultate den 
besten und dauerndsten Ruhm verdient und erringt. Meisterstücke mu- 


stergiltiger Vollendung sind unter den Arbeiten von Magnus nament- 


lich die über die Ausdehnung der Gase durch die Wärme, und über die 
Spannkraft der Dämpfe. Ohne von Magnus zu wissen arbeitete damals 
eleichzeitig mit ihm ein anderer Meister in solcher Arbeit, und zwar der 
erfahrensten und berühmtesten einer, nämlich Regnault in Paris, an den 
gleichen Aufgaben. Die Resultate beider Forscher wurden fast gleichzeitig 
veröffentlicht und zeigten durch ihre aufserordentlich nahe Übereinstim- 
mung, mit welcher Treue und mit welchem Geschick beide gearbeitet 
hatten. Wo aber noch Differenzen sich zeigten, wurden diese schliefslich 
zu Magnus Gunsten entschieden. 

In ganz besonders charakteristischer Weise aber zeigte sich die 
Reinheit und Uneigennützigkeit, mit der Magnus den idealen Zweck sei- 
nes Strebens festhielt, in der Art und Weise, wie er jüngere Männer zu 


wissenschaftlichen Arbeiten heranzog, und sobald er bei ihnen Eifer und 


Gedächtnifsrede auf Gustav Magnus. 5 


Fähigkeit für wissenschaftliche Arbeiten zu entdecken glaubte, ihnen seine 
Instrumente und die Hilfsmittel seines Privatlaboratoriums zur Verfügung 
stellte. Dies war die Art, wie ich selbst einst in nähere Beziehung zu 
ihm getreten bin, als ich mich zur Absolvirung der medicinischen Staats- 


prüfunsen in Berlin befand. Er forderte mich damals auf — ich selbst 
würde nicht gewagt haben, ihn darum zu bitten — meine Versuche über 


Gährung und Fäulnifs noch nach neuen Richtungen hin auszudehnen und 
andere Methoden, die gröfsere Hilfsmittel erforderten, als ein junger von 
seinem Sold lebender Militärarzt sich verschaffen konnte, dazu anzuwen- 
den. Ich habe damals etwa drei Monate bei ihm fast täglich gearbeitet, 
und habe dadurch einen tiefen und bleibenden Eindruck von seiner Güte, 
seiner Uneigennützigkeit, seiner vollkommenen Freiheit von wissenschatft- 
licher Eifersucht gewonnen. Nicht allein, dafs er durch ein solches Ver- 
fahren den äufserlichen Vortheil aufgab, den einem ehrgeizigen Manne 
der Besitz einer der reichsten Instrumentensammlungen vor allen Mitbe- 
werbern gesichert haben würde; er nahm auch mit freundlichem Gleich- 
muth alle die kleinen Ärgerlichkeiten und Belästigungen hin, welche die 
Ungeschicklichkeit und Hastigkeit jugendlicher Experimentatoren beim 
Gebrauche kostbarer und in peinlichster Sauberkeit gehaltener Instrumente 
mit sich bringt. Noch weniger war die Rede davon, dafs er nach der 
Sitte der Gelehrten anderer Nationen die Arbeitskräfte der Jüngeren für 
seine eigenen Zwecke und zur Verherrlichung seines eigenen Namens aus- 
gebeutet hätte. Chemische Laboratorien nach Liebig’s Vorgang fingen 
damals an eingerichtet zu werden; von physikalischen, die übrigens sehr 
viel schwerer zu organisiren sind, bestand meines Wissens damals kein 
einziges. Ihre Gründung ist von Magnus in der That ausgegangen. 

In diesem Verhältnisse besonders zeigt sich ein wesentlicher Theil 
von der inneren Richtung des Mannes, den wir bei der Beurtheilung sei- 
nes Werthes nicht vernachlässigen dürfen; er war nicht nur ein For- 
scher, er war,auch ein Lehrer der Wissenschaft, diesen Begriff im 
höchsten und weitesten Sinne genommen. Er wollte sie nicht in der 
Studirstube und im Hörsaale abgeschlossen wissen, er wollte, dafs sie di- 
rect hinauswirke in alle Verhältnisse des Lebens; in seinem regen Inter- 
esse für die Technologie, in seiner eifrigen Theilnahme an den Arbeiten 
des Landes-Ökonomie-Collegiums spiegelt sich diese Seite seines Strebens 


6 HELMHOLTZ: 


deutlich ab, ebenso in der groflsen Sorgfalt, die er auf die Vorbereitung 
der Vorlesungsversuche verwendete, wie in der sinnreichen Ausbildung 
des instrumentalen Apparats für diese Art von Versuchen. Hierfür ist 
die von ihm gegründete, später in den Besitz der Universität übergegan- 
gene und jetzt mir als seinem Nachfolger zur Benutzung überwiesene 
Sammlung seiner Instrumente der beredteste Zeuge. Alles ist in sauber- 
ster Haltung und im vortreflliichster Leistungsfähigkeit; wo zu dem aus- 
zuführenden Versuche ein seidener Faden, eine Glasröhre oder ein Kork 
nöthig sind, kann man darauf rechnen, sie neben dem Instrumente zu 
finden. Alle von ihm herrührenden Apparate sind gebaut mit den besten 
Mitteln, die dazu herbeigeschafft werden konnten, ohne am Material oder 
an der Arbeit des Mechanikers zu sparen, so dafs der Erfolg des Ver- 
suchs möglichst gesichert wird, und derselbe in nicht zu kleinem Maals- 
stabe und möglichst weithin sichtbar in die Augen fällt. 

Ich weils mich aber auch sehr wohl noch des Erstaunens und der 
Bewunderung zu erinnern, mit der wir, als Studenten, ihn experimentiren 
sahen. Nicht blos, dafs alle Experimente glänzend und vollständig ge- 
langen, sondern sie störten und beschäftigten ihn scheinbar gar nicht in 
seinen Gedanken. Der ruhige und klare Flufs seiner Rede ging ohne 
Unterbrechung vorwärts; jeder Versuch trat an seiner Stelle ein, voll- 
endete sich rasch, ohne Hast und ohne Stocken und wurde wieder 
verlassen. 

Dafs die kostbare Sammlung der Demonstrationsapparate noch 
während seines Lebens in den Besitz der Universität überging, habe ich 
schon erwähnt. Er wollte aber überhaupt nicht, dafs, was er als Hilfs- 
mittel wissenschaftlicher Arbeit gesammelt und construirt hatte, zerstreut 
und dem Zwecke entfremdet würde, dem er sein Leben gewidmet hatte. 
In diesem Sinne hat er denn auch den Rest der Apparate aus seinem 
Laboratorium, die eigentlichen Arbeitsinstrumente, sowie seine sehr reiche 
und werthvolle Bibliothek testamentarisch der Universität vermacht, und so 
einen kostbaren Grund zur weiteren Entwickelung eines öffentlichen phy- 
sikalischen Instituts gelegt. 

Es wird genügen, in diesen. wenigen Zügen die geistige Individua- 
lität des geschiedenen Freundes zurückgerufen zu haben, so weit in ihnen 


die Quellen für die Richtung seiner Thätigkeit zu finden sind. Ein leb- 


I 


Gedächtnifsrede auf Gustav Magnus. 


hatteres Bild wird Ihnen allen, die Sie dreifsig Jahre mit ihm zusammen- 
wirkten, die persönliche Erinnerung gewähren. 

Wenn wir uns nun zur Besprechung der Ergebnisse und Erfolge 
seiner Arbeiten wenden, so genügt es dazu nicht, dafs wir die Reihe sei- 
ner akademischen und wissenschaftlichen Schriften durchgehen und zu 
beurtheilen suchen. Ich habe schon hervorgehoben, dafs ein hervorra- 
sender Theil seiner Wirksamkeit auf die Mitlebenden gerichtet war; und 
dazu kommt, dafs sein Leben in eine Zeitperiode fällt, in welcher die 
Naturwissenschaften einen Entwickelungsprozefs von einer solchen Schnel- 
ligkeit durchgemacht haben, wie ein ähnlicher in der Geschichte der Wis- 
senschaften wohl in keinem anderen Falle vorgekommen ist. Die Män- 
ner aber, welche einer solchen Zeit angehören und an einer solchen Ent- 
wickelung mit gearbeitet haben, erscheinen ihren Nachfolgern, denen sie 
den Platz bereitet, leicht in falscher Perspective, weil der beste Theil 
ihrer Arbeit diesen schon als etwas fast Selbstverständliches erscheint, 
von dem zu sprechen kaum noch der Mühe lohnt. 

Es wird uns jetzt schwer, uns zurückzuversetzen in den Zustand 
der naturwissenschaftlichen Bildung, wie er in den ersten zwanzig Jahren 
dieses Jahrhunderts in Deutschland wenigstens bestand. Magnus wurde 
1802 geboren, ich selbst 19 Jahre später; aber wenn ich auf meine frü- 
hesten Jugenderinnerungen zurückgreife, als ich aus den im Besitze mei- 
nes Vaters, der selbst einst im Cauerschen Institute unterrichtet hatte, 
befindlichen Lehrbüchern anfing Physik zu studiren, so taucht mir noch 
ein dunkles Bild eines Vorstellungskreises auf, der uns jetzt ganz mittel- 
alterlich alehymistisch anmuthen würde. Von Lavoisiers und von H. 
Davy’s umwälzenden Entdeckungen war noch nicht viel in die Schul- 
bücher gedrungen. Obgleich man den Sauerstoff schon kannte, spielte 
daneben doch auch das Phlogiston, der Feuerstoff, seine Rolle. Das 
Chlor war noch die oxygenirte Salzsäure, das Kalı und die Kalkerde wa- 
ren noch Elemente. Die wirbellosen Thiere theilten sich noch in Insec- 
ten und Würmer, und in der Botanik zählte man Staubfäden. 

Es ist seltsam zu sehen, wie spät und zögernd sich die Deutschen 
in unserm Jahrhundert dem Studium der Naturwissenschaften zugewendet 
haben, während sie doch an deren früherer Entwickelung hervorragenden 


s HELMHOLTZ: 


Antheil genommen hatten. Ich brauche nur Copernicus, Kepler, Leib- 
nitz, Stahl zu nennen. 

Wir dürfen uns doch sonst einer leidenschaftlichen, rücksichtslosen 
und uneigennützigen Liebe zur Wahrheit rühmen, die vor keiner Autori- 
tät und vor keinem Scheine Halt macht, kein Opfer und keine Arbeit 
scheut, und sehr genügsam in ihren Ansprüchen auf äufseren Erfolg ist. 
Aber eben deshalb treibt sie uns immer an, vor Allem die primncipiellen 
Fragen bis in ihre tiefsten Gründe zu verfolgen, und uns wenig zu küm- 
mern um das, was mit den letzten Gründen der Dinge keinen deutlichen 
Zusammenhang hat, namentlich auch wenig um die praktischen Conse- 
quenzen und die nützlichen Anwendungen. Dazu kam aber wohl noch 
ein äufserer Grund, nämlich der, dafs die selbständige geistige Entwicke- 
lung der letzten drei Jahrhunderte unter politischen Zuständen begann, 
die das Hauptgewicht auf die theologischen Studien fallen liefsen. Deutsch- 
land hat Europa von der Zwingherrschaft der alten Kirche befreit; aber 
es hat auch einen viel theureren Preis für diese Befreiung zahlen müs- 
sen, als die anderen Nationen. Es blieb nach den Religionskriegen zu- 
rück, verwüstet, verarmt, politisch zerbrochen, an seinen Grenzen be- 
schädigt, wehrlos übermüthig gewordenen Nachbarn preisgegeben. Um 
die Consequenzen der neuen sittlichen Anschauungen zu ziehen, sie wis- 
senschaftlich zu prüfen, in alle Gebiete des Geisteslebens hinein durchzu- 
arbeiten, dazu war während der Stürme des Krieges keine Zeit gewesen; 
da mufste jeder zu seiner Parthei halten, jeder Anfang von Meinungs- 
verschiedenheit erschien als Verrath und erregte bittern Zorn. Das gei- 
stige Leben hatte durch die Reformation seinen alten Halt und seinen 
; verloren, alles mulste in neuem Lichte erscheinen 


alten Zusammenhang 
und neue Fragen aufregen. Mit äufserlicher Uniformität konnte sich der 
deutsche Geist nicht beruhigen; wo er nicht überzeugt und befriedigt war, 
liefs er seine Zweifel nicht schweigen. So war es die Theologie, neben 
ihr die elassische Philologie und die Philosophie, welche theils als Hilfs- 
wissenschaften der Theologie, theils durch das, was sie selbst für die 
Lösung der neu auftauchenden sittlichen, ästhetischen und metaphysischen 
Probleme leisten konnten, das Interesse der wissenschaftlich Gebildeten 
fast ausschliefslich in Anspruch nahmen. Deshalb erklärt es sich wohl, 
dafs die protestantischen Nationen, sowie der Theil der Katholiken, welcher, 


(redächtnifsrede auf Gustav Magnus. B) 


in seinem alten Glauben wankend gemacht, nur äufserlich bei seiner 
Kirche blieb, sich mit verzehrendem Eifer auf die Philosophie stürzten. 
Man hatte ja hauptsächlich ethische und metaphysische Probleme zu lösen ; 
auch die Kritik der Erkenntnifsquellen mufste vorgenommen werden, und 
sie wurde es mit viel tieferem Ernst als früher. Ich brauche an die wirk- 
lichen Resultate, die das vorige Jahrhundert aus dieser Arbeit gewann, 
hier nicht zu erinnern. Sie erregten schwungvolle Hoffnungen, und die 
Metaphysik hat, wie sich nicht leugnen läfst, eine gefährliche Anziehung 
für den Deutschen Geist; er konnte nicht eher von ihr wieder ablassen, 
als bis er alle ihre Schlupfwinkel durchsucht und sich überzeugt hatte, 
dals dort für jetzt nichts mehr zu finden sei. 

Daneben fing in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts das 
verjüngte geistige Leben der Nation an seine künstlerischen Blüthen zu 
treiben, die unbeholfene Sprache bildete sich zu einem der ausdruckvoll- 
sten Werkzeuge des menschlichen Geistes um; aus den meist noch har- 
ten, ärmlichen und unerquicklichen bürgerlichen und politischen Zustän- 
den, den Folgen der Religionskriege, in welche die Gestalt des preufsi- 
schen Heldenkönigs nur eben die erste Hoffnung einer besseren Zukunft ge- 
worfen, denen dann freilich wieder das Elend der Napoleonischen Kriege 
gefolgt war, aus dieser freudlosen Existenz flüchteten sich alle empfind- 
samen Gemüther gern in das Blüthenland, welches die Deutsche Poesie 
mit den Besten aller Zeiten und Völker wetteifernd, aufschlofs, oder in die 
erhabenen Aussichten der Philosophie; man suchte die Wirklichkeit durch 
Vergessen zu überwinden. 

Und die Naturwissenschaften lagen auf der Seite dieser gern über- 
sehenen Wirklichkeit. Nur die Astronomie konnte schon damals grofse 
und erhabene Ausblicke bieten; ın allen andern Zweigen war noch lange 
und geduldige Arbeit nöthig, ehe sie zu grofsen Principien aufsteigen, 
ehe sie mitsprechen konnten in den grofsen Problemen des menschlichen 
Lebens, oder ehe sie das gewaltige Mittel der Herrschaft des Menschen 
über die Naturmächte wurden, welches sie seitdem geworden sind. Die 
Arbeit des Naturforschers erschien eng, niedrig, gleichgiltig neben den 
grofsen Conceptionen der Philosophen und Dichter; höchstens solche Na- 
turforscher, welche, wie Oken, sich in philosophisch - dichterischer An- 
schauungsform bewegten, fanden williges Gehör. 


153) 


10 HrELMHoLTZz: 


Fern sei es von mir in einseitiger Betonung der naturwissenschaft- 
lichen Interessen diese Zeit begeisterten Rausches schelten zu wollen; in 
der That verdanken wir ihr die sittliche Kraft, welche das Napoleonische 
‚Joch brach, wir verdanken ihr die grofsen Dichtungen, welche der edel- 
ste Schatz unserer Nation sind; aber die Wirklichkeit behält ihr Recht 
gegen jeden Schein, auch gegen den schönsten, und Individuen, wie Na- 
tionen, welche zur Mannesreife sich entwickeln wollen, müssen lernen der 
Wirklichkeit in das Gesicht zu schauen, um die Wirklichkeit unter die 
Zwecke des Geistes zu beugen. Sich in eine ideale Welt flüchten, ist 
eine falsche Hilfe von kurzdauerndem Erfolge, sie erleichtert nur den 
Gegnern ihr Spiel; und wenn das Wissen immer nur sich selbst spiegelt. 
so wird es gegenstandslos und leer, oder löst sich in Illusionen und Phra- 
sen auf. 

Die Reaction gegen die Verirrungen einer Geistesrichtung, die an- 
fangs dem natürlichen Schwung eines jugendfrischen Anlaufs entsprach, 
dann aber im Epigonenzeitalter der romantischen Schule und der Identitäts- 
philosophie in sentimentales Haschen nach Erhabenheit und Begeisterung 
verfiel, ist wie wir Alle wissen eingetreten und durchgeführt worden, nicht 
blos im Gebiete der Naturwissenschaften, sondern auch im Kreise der Ge- 
schichte, der Kunstwissenschaft, der Sprachforschung. Auch in den letzt- 
genannten Gebieten, wo man mit Thätigkeitsäufserungen des menschlichen 
Geistes direct zu thun hat, und wo deshalb eine Construction a priori 
aus den psychologischen Gesetzen viel eher möglich erscheint als der 
Natur gegenüber, hat man begriffen, dafs man erst die Thatsachen ken- 
nen muls, ehe man ihre Gesetze aufstellen kann. 

Gustav Magnus Entwickelung fällt in die Zeit dieses Kampfes 
hinein; es lag in der ganzen Richtung seines Geistes, dafs er, so sehr er 
sonst nach seiner milden Art Gegensätze zu versöhnen suchte, entschie- 
den Partei ergriff, und zwar zu Gunsten der reinen Erfahrung gegen die 
Speeulation. Wenn er auch vermied Personen zu verletzen, so muls man 
anerkennen, dals er von dem Princip, was er mit sicherem Taet als das 
richtige erkannt hatte, nicht ein Jota nachliefs; und er kämpfte an ent- 
scheidendster Stelle in doppeltem Sinne; einmal weil es sich in der Phy- 
sik um die Grundlagen der ganzen Naturwissenschaft handelt, und dann, 
weil die zahlreich besuchte Universität Berlin die am längsten gehaltene 


(redächtmifsrede auf Gustav Magnus. 11 


Festung der Speculation war. Er predigte seinen Schülern fortdauernd, 
dafs der Wirklichkeit gegenüber kein Raisonnement, und sähe es noch so 
plausibel aus, dafs vielmehr nur die Beobachtung und der Versuch ent- 
scheidet; und er verlangte stets, dafs jeder ausführbare Versuch, der eine 
thatsächliche Bestätigung oder Widerlegung eines hingestellten Gesetzes 
oder einer Erklärung geben könne, gemacht werde, Er selbst ging hierin 
mit dem besten Beispiele voran. Er beschränkte auch die Anwendbarkeit 
der ächten naturwissenschaftlichen Methode keineswegs auf die Erforschung 
der leblosen Natur, sondern er führte in seiner Arbeit über die Gase des 
Blutes (1837) einen Stofs bis in das Herz der vitalistischen Theorien; er 
führte die Physik bis in den Mittelpunet des organischen Stoffwechsels 
ein, indem er den wissenschaftlichen Grund für die richtige Theorie der 
Athmung legte, einen Grund, auf dem eine grolse Anzahl späterer For- 
scher weiter gearbeitet haben, und auf dem sich eines der wichtigsten 
und folgenreichsten Capitel der Physiologie entwickelt hat. 

Nicht zu wenig Entschiedenheit in der Durchführung seines Prin- 
eips konnte man ihm vorwerfen; wohl aber mufs ich gestehen, dafs ich 
selbst und manche meiner Genossen früher der Meinung waren, dafs 
Magnus sein Milstrauen gegen die Speeulation namentlich in Bezug auf 
die mathematische Physik zu weit triebe. Er hatte sich in mathematisch- 
physikalische Studien wohl niemals sehr vertieft, und das bestärkte uns 
damals in unserem Zweifel. Dennoch, wenn wir uns von dem Stand- 
puncte, den jetzt die Wissenschaft erreicht hat, umsehen, muls man an- 
erkennen, dals auch sein Milstrauen gegen die damalige mathematische 
Physik nicht unbegründet war. Auch in ihr war noch nicht rein ge- 
schieden, was erfahrungsmälsige Thatsache, was blolse Wortdefinition und 
was nur Hypothese war. Das unklare Gemisch aus diesen Elementen, 
welches die Grundlagen der Rechnung bildete, suchte man für Axiome 
von metaphysischer Nothwendigkeit auszugeben und nahm eine ähnliche 
Art der Nothwendigkeit auch für die Folgerungen in Anspruch. Ich brauche 
nur daran zu erinnern, eine wie grofse Rolle in den mathematisch durch- 
geführten Theorien aus der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts die Hypo- 
thesen über den atomistischen Bau der Körper spielten, während man 
von den Atomen noch so gut wie nichts wulste, und zum Beispiel den 
aufserordentlich wichtigen Einfluls, den die Wärmebewegung auf die Mole- 


I* 


12 HELMHOLTZ“ 


eularkräfte hat, noch kaum ahnte. Jetzt wissen wir zum Beispiel, dafs 
das Ausdehnungsstreben der Gase nur auf der Wärmebewegung beruht: 
in jener Periode galt die Wärme noch bei weitem den meisten Physikern 
als ein imponderabler Stoff. Über die Atome in der theoretischen Physik 
sagt Sir W. Thomson sehr bezeichnend, dafs ihre Annahme keine Eigen- 
schaft der Körper erklären kann, die man nicht vorher den Atomen selbst 
beigelegt hat. Ich will mich, indem ich diesem Ausspruch beipflichte, 
hiermit keineswegs gegen die Existenz der Atome erklären, sondern nur 
gegen das Streben aus rein hypothetischen Annahmen über Atombau der 
Naturkörper die Grundlagen der theoretischen Physik herzuleiten. Wir 
wissen jetzt, dafs manche von diesen Hypothesen, die ihrer Zeit viel Bei- 
fall fanden, weit bei der Wahrheit vorbeischossen. Auch die mathema- 
tische Physik hat einen andern Charakter angenommen unter den Händen 
von Gauss, von F. E. Neumann und ihren Schülern unter den Deutschen, 
sowie von denjenigen Mathematikern, die sich in England an Faraday 
anschlossen, Stokes, W. Thomson, Cl. Maxwell. Man hat begriffen, 
dafs auch die mathematische Physik eine reine Erfahrungswissenschaft ist; 
dafs sie keine anderen Prineipien zu befolgen hat, als die experimentelle 
Physik. Unmittelbar in der Erfahrung finden wir nur ausgedehnte man- 
nigfach gestaltete und zusammengesetzte Körper vor uns; nur an solchen 
können wir unsere Beobachtungen und Versuche machen. Deren Wir- 
kungen sind zusammengesetzt aus den Wirkungen, welche alle ihre Theile 
zu der Summe des Ganzen beitragen, und wenn wir also die einfachsten 
und allgemeinsten Wirkungsgesetze der in der Natur vorgefundenen Massen 
und Stoffe auf einander kennen lernen wollen, diese Gesetze namentlich 
befreien wollen von den Zufälligkeiten der Form, der Gröfse und Lage 
der zusammenwirkenden Körper, so müssen wir zurückgehen auf die Wir- 
kungsgesetze der kleinsten Volumtheile, oder wie die Mathematiker es be- 
zeichnen, der Volumelemente. Diese aber sind nicht, wie die Atome dis- 
parat und verschiedenartig, sondern continuirlich und gleichartig. 

Die charakteristischen Eigenschaften der Volumelemente verschiede- 
ner Körper sind auf dem Wege der Erfahrung zu finden, entweder direct, 
wo die Kenntnifs der Summen genügt um die Summanden zu finden, oder 
hypothetisch, wo dann die berechnete Summe der Wirkungen in möglichst 
verschiedenartigen Fällen durch Beobachtung und Versuch mit der Wirk- 


Gedachtnifsrede auf Gustav Magnus. 13 


lichkeit verglichen werden mufs. Somit ist anerkannt, dafs die mathe- 
matische Physik nur die einfachen, von den Zufälligkeiten der Körper- 
form befreiten Wirkungsgesetze der Körperelemente auf rein empirischem 
Wege zu suchen hat und der Controlle der Erfahrung genau ebenso unter- 
worfen ist, wie die sogenannte experimentelle Physik; ja dals beide prin- 
eipiell gar nicht geschieden sind und die erstere nur das Geschäft der 
letzteren fortsetzt, um immer einfachere und allgemeinere Gesetze der 
Erscheinungen zu entdecken. 

Es ist unverkennbar, dafs auch diese analysirende Richtung der 
physikalischen Forschung einen anderen Charakter angenommen hat, dafs 
sie gerade das abgelegt hat, was Magnus zu ihr in einen, wenn auch 
meist nur leise angedeuteten inneren Widerspruch brachte. Er pfleste, 
wenigstens in früheren Jahren, darauf zu bestehen, dafs das Geschäft des 
mathematischen und des experimentellen Physikers ganz von einander zu 
trennen sei; dafs ein junger Mann, der Physik betreiben wolle, sich zwi- 
schen der einen und der andern Richtung zu entscheiden habe. Gegen- 
wärtig scheint es mir, als wenn immer mehr und mit Recht die Über- 
zeugung Boden gewönne, dafs in dem entwickelteren Zustande der Wissen- 
schaft nur derjenige fruchtbar experimentiren könne, der eine eindringende 
Kenntnifs der Theorie hat und ihr gemäfs die rechten Fragen zu stellen 
und zu verfolgen weils; und andererseits dafs nur derjenige fruchtbar 
theoretisiren könne, der eine breite praktische Erfahrung im Experiment 
habe. Die Entdeckung der Spectralanalyse war eines der glänzendsten 
Beispiele einer solchen Durchdringung des theoretischen Verständnisses 
und der Experimentirkunst, was unserer Erinnerung noch ganz nahe liegt. 

Ich weils nicht, ob Magnus in späterer Zeit sich über das Ver- 
hältnifs der experimentellen und mathematischen Physik anders als früher 
geäulsert hat. Jedenfalls müssen auch die, welche seine frühere Abwen- 
dung von der mathematischen Physik als eine etwas zu weit getriebene 
Reaction gegen den Mifsbrauch der Speculation auffassen möchten, an- 
erkennen, dafs ihm die ältere mathematische Physik wohl manchen Grund 
zu einer solchen Abwendung gab, und dals er andrerseits mit der gröfsten 
Freudigkeit aufnahm, was Kirchhoff, W. Thomson und Andere aus 
theoretischen Ausgangspunkten von neuen Thatsachen entwickelt hatten. 
Es sei mir erlaubt, in dieser Beziehung hier mein eigenes persönliches 


14 HELMHOoLTZ: 


Zeugnifs abzulegen. Meine eigenen Arbeiten sind meist auf die Weise 
erwachsen, gegen welche Magnus Verwahrung einzulegen pflegte; dennoch 
habe ich bei ihm nie etwas anderes als die bereitwilligste und freund- 
lichste Anerkennnng gefunden. 

Aber natürlich ıst es, dafs jeder, auf seine eigene Erfahrung ge- 
stützt, den Weg, der seiner eigenen Natur am besten entsprach, auf dem 
er selbst am schnellsten vorwärts gekommen ist, auch Andern als den 
förderlichsten empfiehlt. Und wenn wir nur alle darüber einig sind, dals 
die Wissenschaft zur Aufgabe hat die Gesetze der Thatsachen zu finden, 
so kann man es jedem überlassen, je nach seiner Neigung sich entweder 
frisch in die Thatsachen zu stürzen und zu suchen, wo ihm die Spuren 
noch unbekannter Gesetze aufstolsen mögen, oder aber von den schon 
bekannten Gesetzen her die Punkte aufzusuchen, wo neue Thatsachen zu 
entdecken sein werden. Aber ebenso gut, wie wir alle mit Magnus 
Widerspruch einlegen werden gegen den Theoretiker, der nicht für nöthig 
hält, die Folgerungen aus seinen ihm als Axiome erscheinenden Hypo- 


thesen an der Erfahrung zu prüfen, so würde sich Magnus — das zei- 
gen seine Arbeiten entschieden — mit uns gegen diejenige Art des mo- 


dernsten übertriebenen Empirismus erklären, welche darauf ausgeht, That- 
sachen zu entdecken, die sich unter keine hegel sollen fügen lassen 
und die es auch sorgfältig zu vermeiden pflest, nach einem Gesetze 
oder möglichen Zusammenhange der etwa neu entdeckten Thatsachen zu 
suchen. 

Zu erwähnen ist übrigens, dafs genau in demselben Sinne und mit 
dem gleichen Zwecke in England ein anderer grofser Physiker, Faraday, 
wirkte, mit dem Magnus daher auch in dem herzlichsten Einvernehmen 
verbunden war. Bei Faraday sprach sich der Gegensatz gegen die bis- 
herigen physikalischen Theorien, welche mit Atomen und in die Ferne 
wirkenden Kräften operiren, sogar noch schärfer aus als bei Magnus. 

Wir müssen übrigens anerkennen, dafs Magnus meist mit Erfolg 
auch da gearbeitet hat, wo er zu Aufgaben hingeführt wurde, die an- 
scheinend überwiegend für eine mathematische Behandlung geeignet waren; 
so zum Beispiel in seiner Arbeit über die Abweichung der rotirenden Ge- 
schosse aus gezogenen Läufen; so in seiner Abhandlung über die Form 
der Wasserstrahlen und ihren Zerfall in Tropfen. In der ersteren hat er 


r 


Gedächtnifsrede auf Gustav Magnus. 15 


durch sehr geschickt angelegte Versuche nachgewiesen, wie der von der 
unteren Seite gegen die Kugel wirkende Luftwiderstand sie als rotirenden 
Körper nach einer Seite hin ablenken mufs, — nach welcher, hängt von 
der Richtung der Rotation ab, — und wie in Folge dessen auch die Flug- 
bahn in demselben Sinne abgelenkt wird. In der zweiten Abhandlung 
hat er die verschiedenen Formen der ausfliefsenden Wasserstrahlen unter- 
sucht, wie sie theils durch die Form der Öffnung, aus der sie fliefsen. 
theils durch die Art des Zuflusses zu dieser verändert werden, und wie von 
aulsen hinzukommende Erschütterungen ihr Zerfallen in Tropfen bedingen. 
Dabei hat er zur ruhigen Beobachtung der Erscheinungen eine sehr glück- 
liche Anwendung vom Prineip der stroboskopischen Scheiben gemacht. 
indem er den Strahl durch eine rotirende Scheibe mit schmalen Aus- 
schnitten beobachtete. Mit eigenthümlicher Kunst gruppirt er die äufserst 
mannigfaltigen Erscheinungen, so dafs das Ähnliche in ihnen übersichtlich 
heraustritt und eine die andere erläutert. Und wenn auch das letzte 
mechanische Verständnils nicht immer gewonnen wird, so wird doch der 
Grund für eine grolse Anzahl charakteristischer Züge der einzelnen Er- 
scheinungen deutlich. In dieser Beziehung sind viele seiner Arbeiten — 
ich möchte hier namentlich gerade die über die ausfliefsenden Wasser- 
strahlen rühmen — vortreffliche Muster für das, was Göthe theoretisch 
richtig forderte und in seinen physikalischen Arbeiten zu leisten trachtete, 
aber freilich nur mit theilweisem Erfolge. 

Aber auch wo Magnus sich von seinem Standpunkte aus und mit 
den Kenntnissen seiner Zeit ausgerüstet vergebens abmüht, den Kern der 
Lösung einer schwierigen Frage zu fassen, wird immer eine Fülle neuer 
werthvoller Thatsachen an das Licht gefördert. So in der Arbeit über 
die thermoelektrischen Ketten, wo er richtig sah, dafs eine prineipielle 
Frage zu lösen war, und selbst am Schlusse erklärt: „Als ich die eben 
beschriebenen Versuche begann, hoffte ich zuversichtlich zu finden, dafs 
die thermoelektrischen Ströme von einer Bewegung der Wärme herrühr- 
ten.“ In diesem Sinne prüfte er namentlich die Fälle, wo die thermo- 
elektrische Kette aus einem einzigen Metalle bestand, welches aber ab- 
wechselnd harte und durch Wärme weich gemachte Abtheilungen darbot, 
oder dessen zur Berührung gebrachte Stücke sehr verschiedene Tempe- 


ratur hatten. Er überzeugt sich, dafs weder das Wärme-Ausstrahlungs- 


16 HELMHOLTZ: 


vermögen noch die Leitungsfähigkeit für Wärme (diesen Begriff im ge- 
wöhnlichen Sinne genommen) den thermoelektrischen Strom bedingen, 
und mufs sich schliefslich mit der ihn selbst offenbar nicht befriedigenden 
Erklärung beruhigen, dafs sich zwei ungleich warme Stücke desselben 
Metalls wie zwei ungleichartige Leiter, die nach Art der Flüssigkeiten 
dem galvanischen Spannungsgesetze nicht folgen, zu einander verhalten. 
Erst die beiden allgemeinen Gesetze der mechanischen Wärmetheorie führ- 
ten später zur Lösung. Magnus’ Hoffnung war nicht falsch gewesen; 
W. Thomson erkannte, dafs Änderungen in der Leitungsgeschwindigkeit 
der Wärme, aber solche, dıe durch die elektrischen Ströme selbst erst 
hervorgebracht werden, die Quelle dieser Ströme sind. 

Es liegt in der Natur der wissenschaftlichen Richtung, der Magnus 
in seinen Arbeiten folgte, dals sie viele Steine zu dem grolsen Gebäude 
der Wissenschaft hinzuführt, die ihm immer breitere Stützung und immer 
höheren Wuchs geben, ohne dafs nothwendig dem neu hinzutretenden Be- 
schauer sogleich ein abgesonderter und sich auszeichnender Theil des Ge- 
bäudes als das alleinige Werk dieses oder jenes Forschers nachgewiesen 
werden könnte; und will man im Einzelnen erklären, wie wichtig jeder 
einzelne Stein an seiner Stelle ist, wie schwer er zu beschaffen war, wie 
sinnreich bearbeitet er ist, so mufs man bei dem Hörer entweder die 
Kenntnifs der ganzen Geschichte des Baus voraussetzen, oder sie ihm erst 
auseinandersetzen, wozu mehr Zeit gebraucht wird, als ich heute und hier 
in Anspruch nehmen darf. 

So ist es auch mit den Arbeiten von Magnus. Überall, wo er 
angegriffen hat, hat er eine Fülle neuer und oft überraschender That- 
sachen hervorgeholt, er hat sie sorgfältig und zuverlässig beobachtet und 
in den Zusammenhang des grofsen Baus der Wissenschaft eingefügt. Er 
hat ferner als einen für die Wissenschaft ebenso werthvollen Schatz eine 
srolse Zahl sinnreich erfundener und fein ausgebildeter neuer Methoden 
hinterlassen, als Instrumente, mit denen auch künftige Generationen fort- 
fahren werden, verborgene Adern edlen Metalls ewiger Gesetze in dem 
scheinbar wüsten und wilden Spiele des Zufalls aufzudecken. Magnus 
Namen wird immer mit in erster Linie zu nennen sein, wenn die genannt 
werden, auf deren Arbeit der stolze Bau der Wissenschaft von der Natur 
beruht, dieser Wissenschaft, welche das Leben der modernen Menschheit 


(redächtnifsrede auf Gustav Magnus. 17 


so eingreifend umgestaltet hat, sowohl durch ihren geistigen Einflufs, wie 
durch die Unterwerfung der Naturkräfte unter die Zwecke des Geistes. 

Ich habe nur von Magnus physikalischen Arbeiten geredet, und 
auch von diesen nur diejenigen genannt, welche mir charakteristisch für 
seine Individualität erschienen. Aber die Zahl seiner Arbeiten ist sehr 
grols und sie erstrecken sich über weitere Gebiete, als gegenwärtig noch 
von einem Forscher umfalst werden können. Er fing als Chemiker an, 
bevorzugte aber damals schon Fälle, welche auffallende physikalische Ver- 
hältnisse zeigten, später wurde er ganz Physiker. Daneben her lief ein 
aufserordentlich ausgedehntes Studium der Technologie, wie es für sich 
allein schon ein Menschenleben auszufüllen im Stande wäre. 

Er ist geschieden nach einem reichen Leben und einer reichen 
Thätigkeit. Das alte Gesetz, dafs keines Menschen Leben frei von Schmerz 
sei, wird wohl auch ihn getroffen haben; und doch erscheint sein Leben 
als ein bevorzugt glückliches. Was die Menschen gewöhnlich am meisten 
beneiden, war ihm zugefallen; aber er wulste die äulseren Güter zu adeln, 
indem er sie in den Dienst eines uneigennützigen Zwecks stellte. Was 
dem Gemüthe eines edlen Menschen am theuersten ist, war ihm vergönnt, 
in der Mitte einer liebenswürdigen Familie, in einem Kreise treuer und 
bedeutender Freunde sich zu erwärmen. Als das seltenste Glück aber 
möchte ich es preisen, dafs er in reiner Begeisterung für ein ideales 
Prineip arbeiten durfte und dafs er die Sache, der er diente, siegreich 
wachsen und sich entfalten sah zu ungeahntem Reichthum und zu breit- 
hin wirkendem Seegen. 

Und schliefslich müssen wir hinzufügen: soweit Besonnenheit, Rein- 
heit der Absicht, sittlicher und intelleetueller Tact, Bescheidenheit und 
ächte Humanität die Launen des Glücks und der Menschen beherrschen 
können, so weit war Magnus selbst der Schmied seines Glücks; eine der 
seltenen befriedigenden und in sich befriedigten Naturen, denen die Liebe 
und die Gunst der Menschen entgegenkommt, die mit sicherer Ahnung 
die rechte Stelle für ihre Thätigkeit zu finden wissen, und von denen man 
sagen möchte: der Neid des Schicksals verkümmert ihnen ihre Erfolge 
nicht, weil sie für reine Zwecke und mit reinen Wünschen arbeitend, auch 
ohne äufsere Erfolge ihre Befriedigung finden würden. 


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PHYSIKALISCHE 


ABHANDLUNGEN 


DER 


KÖNIGLICHEN 


AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 


ZU BERUIN. 


AUS DEM JAHRE 
1871. 


>L\TID 
BERLIN. 
BUCHDRUCKEREI DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
(6. VOGT) 
UNIVERSITÄTSSTR. 8. 


1872. 


IN COMMISSION BEI FERD,. DÜMMLER’S VERLAGS-BUCHHANDLUNG. 


(HARRWITZ UND GOSSMANN.) 


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Inhalt. 


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EHRENBERG: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über das von 
der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 
(Mit S 2 afeln)) ur mer 
Roru: Über die Lehre vom Metamorphismus und die Entstehung der krystallini- 
schen Schiefer . . . 151 


EHRENBERG: Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. (Mit 1 Tafel) 233 


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Übersicht 


der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 
das von der Atmosphäre unsichtbar getragene 
reiche organische Leben. 


s Von 


v 
MH” EHRENBERG. 
[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 19. Januar 1871.] 


I. Jetziger Stand der Kenntnisse. 


EN nschließsend an den ausführlichen Vortrag über Passatstaub und Blut- 
regen, welcher im Jahre 1847 (mit Zusätzen bis 1849) publieirt worden 
ist und der den Erfolg der mikroskopisch-analytischen Methode auf jene 
Naturerscheinungen anschaulich zu machen bestimmt war, habe ich seit 
1847, mithin seit mehr als zwanzig Jahren, vielfach die Gelegenheit fest- 
gehalten möglichst frisch und rein solche schnell vorübergehende Erschei- 
nungen genau zu prüfen. Das Resultat dieser sehr vereinzelt in den 
Monatsberichten der Akademie veröffentlichten Untersuchungen mit meh- 
reren neueren Analysen zusammenzufassen ist die Aufgabe dieser Mit- 
theilung. 

is bedarf keiner Wiederholung der Andeutung des Interesses, wel- 
ches nicht nur die leicht zu Aberglauben geneigten Völker, sondern auch 
die ernstesten Denker aller Zeiten stets an diesen Naturerschemungen ge- 
nommen haben. Sowohl in jenem Vortrage von 1847 als in den späte- 
ren Monatsberichten bis zum Jahre 1869 sind zahlreiche Nachrichten über 
Träumereien, religiöse Schwärmereien und über furchtbare Beispiele grau- 
senerregender Justiz mit Hinrichtungen vieler offenbar unschuldiger Men- 
schen gegeben, welche mit verschiedenen sogenamnten Bluterscheinungen 
in Verbindung stehen. Wichtiger als die Geschichte der Verirrungen des 
unzureichend gebildeten Volkes, erweckt und gefördert durch ebenso un- 
zureichend gebildete religiöse Fanatiker ist die wissenschaftlich ernste Ent- 
wicklung und Fortbildung dieser Naturerkenntnisse. 


Phys. Kl. 1871. l 


2 Eurengenc: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


Während noch im vorigen Jahrhundert eine grofse Anerkennung 
organischer, sich den natürlichen Sinnen entziehender Lebensverhältnisse 
in der Natur, sogar im Weltraume, theils die religiösen Gefühle stützte, 
theils manche auffällige Naturerscheinungen zu erläutern bemüht war, hat 
dieses Hinblicken nach geistigen Elementen im Weltraume ın der neue- 
ren Zeit theils ganz aufgehört, theils ist es sehr abgeschwächt und durch 
rein physikalische Kräfte ersetzt worden. 

Da eine vollständige Geschichte der umgewandelten Vorstellungen 
dieser Art meiner Aufgabe fern liegt, so beschränke ich mich auf den 
Hinblick zu den hierher bezüglichen Naturanschauungen des glücklichen 
Reformators der Naturforschung Linne. Während Linne’s so erfolg- 
reiche Nachforschung in allen Richtungen, hauptsächlich in der des orga- 
nischen Lebens, mit bewundernswürdigem Fleilse und ernster Treue all- 
mälisg zu jenem Systema Naturae anwuchs, welches über ein Jahrhundert 
schon auf das glücklichste für weitere Entwicklung förderlich gewesen ist, 
hat derselbe, als Repräsentant der Naturforschung seines Jahrhunderts, 
sich am Schlusse seines Systema Naturae in der zwölften Auflage 1767 
und zugleich an dem 1778 erfolgten Schlusse seines Lebens zu der da- 
mals durch des hannöverschen Barons von Münchhausen sehr ungründ- 
liche Beobachtungen der Pilze und Schwämme erweckten Vorstellung hin- 
reilsen lassen, dafs es eine Welt des unsichtbaren kleinen Lebens gebe, 
die nicht nur die epidemischen und ansteckenden Krankheiten verschie- 
denster Art veranlasse, sondern auch als Trübungen des Äthers erkennbar 
sei. Er falste diese sämmtlichen Naturerscheinungen in ein Thier-Genus 
Chaos zusammen mit Räderthieren, Proteus, Infusorien, den Schimmel- 
und Pilzsamen, den Fäulnilsstoffen, den ansteckenden und hitzigen Fieber- 
stoffen, den spermatischen und siphilidischen Stoffen und hielt auch ein 
Chaos aethereum fest, welches die Durchdringung, Unendlichkeit und Un- 
ergründlichkeit der göttlichen Schöpfung vor Augen stelle. Im Jahre 
1838 wurden diese Resultate der Linn&@’schen Naturanschauung in dem 
Buche „die Infusionsthierchen als vollendete Organismen“ !) bereits ın 
Übersicht gebracht. 


1) Vergl. pag. IX der Einleitung. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 3 


Ganz anders waren Leeuwenhoek’s vorhergegangene Vorstellungen 
bei Entdeckung der unsichtbaren kleinen Thierwelt. Die sichtlich be- 
wegten scheinbaren Atome des Wassers erkannte sein ruhig beobachtendes 
Auge sehr bald für kleine im Wasser lebende Thiere (Animaleula), was 
ihn zu Aufgüssen auf vegetabilische Substanzen führte und von der Vor- 
stellung entfernte, dafs Wolken und Äther mit diesem Leben erfüllt seien. 
obschon das Regenwasser die Entdeckung dargeboten hatte. So haben 
sich auch in den folgenden Zeiten Luft und Äther den verschiedenen 
Schriftstellern und Beobachtern abwechselnd mit Leben erfüllt und ohne 
Leben zu erkennen gegeben. Schon in der dreizehnten Ausgabe von 
Linne’s Systema Naturae von Gmelin 1788 wurden von dem Heraus- 
geber jene Vorstellungen des lebenden C'haos aethereum und der lebenden 
Grundlage der Epidemien wieder entfernt, nur Linne’s angeblich aus 
dem Äther herabfallende Furia infernalis als vermeintliche aber irrthüm- 
liche Ursache der nordischen pestartigen Brandblatter war übrig geblieben. 
Die gründlichen Forschungen, sauberen Zeichnungen und eigenen Kupfer- 
stiche des durch körperliche Unbehültlichkeit auf engere Thätiekeit an- 
gewiesenen Bruders des um die Naturforschung besonders verdienten Otto 
Friedrich Müller in Dänemark läuterten und begrenzten die unsicht- 
bare Lebenswelt Linne’s (mumdus inwisibilis) auf die Gewässer des Fest- 
landes und die Meere der Erde, was durch ©. F. Müller’s leitenden und 
ruhig urtheilenden Commentar der Abbildungen fest begründet wurde. 

Eine neue Bewegung intensivster Art brachte Chladni 1794 in die 
wissenschaftlichen Vorstellungen durch seine zuversichtliche Darstellung 
der Meteorsteine als wirklich aus dem Weltraume herabfallende Massen, 
welche Vorstellung seit 13803 durch Biot auch vom französischen Institut 
bei Gelegenheit des überreichen Meteorsteinfalles von Aigle anerkannt 
wurde. Zwar versuchte Ruhland 1812 in Schweigger’s Journal die 
sämmtlichen Meteorsteine und Atmosphärilien aller Art als terrestrische, 
von Winden in die Höhe gewirbelte Stoffe zu betrachten, allein Chladni's 
Sammelwerk der historischen Feuermeteore von 1819 lenkte von Neuem 
nachdrücklich und entschieden die Aufmerksamkeit auf den Weltraum 
aulserhalb der Erdatmosphäre. 

Einen neuen sehr auffälligen Schwung erhielt die Naturanschauung 
durch die englische Polar-Expedition des Kapitäns John Rofs 1818, auf 

je 


4 Eurengerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


dessen Reise ein rothfarbiger Schnee in so ungeheurer Ausdehnung und 
Mächtigkeit in der Baffins-Bay beobachtet worden war, dafs er die Auf- 
merksamkeit aller Naturforscher, besonders auch der Chemiker auf lange 
Zeit in Anspruch nahm. Ich kann mich jedes Details über diese grofse 
Thätigkeit zur Aufklärung des Phänomens enthalten, da sie im Jahre 1825 
in Robert Browns botanischen vermischten Schriften ım ersten Bande 
von Nees von Esenbeck mit grolsem Eifer und Reichthum zusammen- 
getragen worden sind. 

Hatte noch Chladni in gewissen, aus dem Weltraume mit Licht- 
erscheinung und Feuerkugeln auf die Erde herabfallenden Gallert-, Kohlen- 
stoff- und Firnifsmassen dort vorhandene organische Grundmassen aner- 
kennen zn müssen geglaubt, so theilte sich nun die Vorstellung, beson- 
ders durch die reiche und verdienstvolle chemisch - analytische Arbeit 
des Professor Zimmermann in Gielsen und Nees von Esenbeck’s 
fleifsige und reichhaltige Sammlung der Materialien samt deren erfinderi- 
scher Verbindung in zwei entgegengesetzte Richtungen. Die chemischen 
Resultate des Professor Zimmermann führten zu der Vorstellung, dafs 
es überall in der Atmosphäre und im Weltraume eine von ihm Rothstoff 
(Pyrrhin) genannte Substanz gebe, welche die schön rothen Färbungen 
des Schnees sowohl der Batfins-Bay, als der schon früher von Saussure 
in der Schweiz beobachteten und selbst Aristoteles nicht unbekannten 
rothen Färbungen des liegenden Schnees (der Alpen) bedingen möchte. 
Diese Vorstellung gründete sich auf die röthliche Trübung der salpeter- 
sauren Silberauflösung, wenn diese der Luft ausgesetzt wird. 

Die Zusammenstellung aller bisherigen Beobachtungen durch Nees 
von Esenbeck führte denselben 1825 auf die früheren Vorstellungen 
Linne’s insofern zurück, als er sowohl im Lichtraume der Atmosphäre 
wie auch im Weltraume an die Existenz eines schleimigen Urstoffes zu 
denken sich für berechtigt hielt und sowohl Lichtenberg’s Ausdruck 
der Luft-Zoophyten !) (Moleeules anımes Buffon) benutzte, als auch 
Admiral Wrangel’s Vermuthung theilte, dafs „durch den Einfluls der 
Luft-Eleetrieität geweckt, sich in der Gewitter- Atmosphäre die Luft-In- 
fusorien mit dem sie umhüllenden Schleim bilden und im Gewitteregen 


1) Rob. Browns botanische vermischte Schriften 1825. Bd. 1 p. 551. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 5 


niederfallen.* — Auch damals hatte man schon die Vorstellung, dafs die 
vegetabilischen schön rothen Körperchen des Schnees der Baffins-Bay, 
des Polareises und der Alpen zuweilen eine sandige Natur hätten und 
man dachte an bald organische, bald unorganische Coneretionen röthlich 
gefärbter Urstoffe. Es dauerte auch noch einige Zeit, ehe man die Äufse- 
rung des Priors Biselx in der Schweiz, dafs noch Niemand habe rothen 
Schnee fallen gesehen !), sowie dafs derselbe nur liegend und nur bis zu 
9000 Fufs Höhe auf den Alpen vorkomme, berichtigte. 

Mit Zimmermann’s Rothstoff der Natur (Pyrrhin) haben sich 
zu jener Zeit die damaligen Koryphäen der Chemie, selbst noch Ber- 
zelius, angelegentlichst vielseitig beschäftigt. So stand die Angelegen- 
heit bei meiner Rückkehr aus Afrika. Ich habe im Jahre 1830 bei Ge- 
legenheit meiner Mittheilungen über das mikroskopische Leben in den Ab- 
handlungen der Akademie, sowohl die atmosphärischen Erfüllungen damit, 
als auch die rothen terrestrischen Färbungen mit immer besseren Verstär- 
kungen der Sehkraft sorgsam verfolgt und habe in Possendorffs Annalen 
jenes Jahres (1830) die Ergebnisse meiner Bemühungen mitgetheilt. Das 
Resultat war, dafs zwar im frischen Regenwasser sich öfter vereinzelte 
Formen finden, dafs aber die geschärfte Aufmerksamkeit auf Tausende 
von Regentropfen, Schneeflocken und Thautropfen mir niemals die An- 


oeoeben hatten.  Daoesen war die Vor- 
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schauung lebender Infusorien 
stellung nicht abzuweisen, dafs die farblosen und durchsichtigen feinen 
Eikeime, welche selbst beim Trocknen lange Zeit unbeschädigt bleiben, 
als unsichtbare Atmosphärilien, die schnelles Bevölkern jedes offen ste- 
henden Wassers ermöglichen, vorhanden sind. Dabei wurden die rothen 
blutartigen Färbungen der Gewässer und des feuchten Bodens mannig- 
fach für Europa, Asıen und Afrika von mir weiter erläutert. Es war 
andererseits das Ergebnifs von Cuvier’s Darstellungen im Regne animal 
1850, dals das Thierreich in immer weniger zusammengesetzten und end- 
lich ganz einfachen Lebensformen auslaufend ende. In der Analyse des 
travauz de U’annee 1830 wurde dagegen von ihm der damals hier vor- 
getragene Nachweis einer der Generatio spontanea ungünstigen grolsen 
Organisation des kleinsten Thierlebens als viele Ideen ändernd anerkannt. 


1) Rob. Brown |. e. p. 600. 


6 Enrexpere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


Im Jahre 1836 erschien dann das sehr verdienstvolle Handbuch 
der Meteorologie von Kaemtz, worin das alte und neueste Material mit 
grofser Sorgfalt und ruhiger Beurtheilung für diese Verhältnisse reichlichst 
zusammengefalst ist. Meine Mittheilungen von 1830 haben darin ihre 
Stelle und nützliche Verwendung gefunden. Kaemtz falst die ganze 
Reihe der bezüglichen Naturerschemungen in dem Kapitel !) über die 
„problematischen Erscheinungen“ zusammen, scheidet sie von allen übri- 
gen atmosphärischen Erscheinungen ab, welche die Temperatur, die Wärme- 
Vertheilung, die Bewegung der Gase, den Wasserdampf, die Lichtver- 
änderungen in der Luft betreffen und falst die besondere Abtheilung in 
vier Gruppen auf: Rothe oder gelbe Beimengungen des Wassers, Höhe- 
rauch, Sternschnuppen, Meteorsteine. 

Eine reiche Sammlung historischer Nachrichten über rothe Schnee- 
fälle ist daselbst in bessere Übersicht gebracht, woraus Kaemtz sein Urtheil 
ableitet, dafs die sämmtlichen Nachrichten den Beweis liefern, — „dals 
die rothe Farbe des Schnees im Allgemeinen von (kleinen) Pflanzen her- 
rührt, welche sich entweder auf dem Schnee ursprünglich aus dem Samen 
entwickeln, oder dafs sie von den Felsen (als Staub) dahin geführt werden 
und weiter gedeihen.“ ?) — Da dieser rothe Schnee sich nach Parry°), 
Seoresby und Anderen bis auf die schwimmenden Eisfelder im Nord- 
meere erstreckt, so ist wohl offenbar, dafs auch hier fallende rothe 
Staubnebel und fallender rother Schnee mit rothem liegenden Schnee 
als identisch und als vegetabilisch öfter verwechselt worden sind, wäh- 
rend es wahrschemlich ist, dafs ein häufiges Fallen rothen Luftstaubes 
damit bezeichnet worden ist, welches durch weilsen Schneefall und Wasser- 
dunstnebel öfter verdeckt und im Polarkreis übertüncht werden mag. 

Kaemtz Zusammenfassungen von Schwefelregen und verschiedenen 
Getreideregen haben hier kein weiteres Interesse. Die aus der Luft ge- 
fallenen Thiere wie Pflanzensamen sind nach Munck’s*) Vorgang als 
meist unrichtig aufgefalste oder zufällig durch Wirbelsturm fortgerissene 
Einzelheiten richtig beurtheilt. Eine besondere Sorgfalt ist dann von ihm 


1) Kaemtz, Handbuch der Meteorologie. Bd. III. 

2) Kaemtz l. ce. p. 188. 

3) Parry, 3te Reise. Hooker in Murray’s Eneyelop. of Geogr. p. 1311. 
4) Gehlers physikalisches Wörterbuch. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche orgamsche Leben. 7 


auf die trockenen Nebel und Höherauchverhältnisse verwendet worden, 
wobei jedoch nicht die rothen, sondern die ungefärbten und schwarzen 
Staubniederschläge seine Aufmerksamkeit am meisten erweckt haben. Den 
atmosphärischen Höherauch aus Moor- und Wald-Bränden von einem mög- 
licherweise kosmischen Nebel zu unterscheiden, standen damals keine Mittel 
zu Gebote, und so sprach er sich über Finke’s Zusammenstellungen des 
Moorrauches im nordwestlichen Deutschland dahin aus, dafs er zwar mit 
demselben insofern einverstanden sei den Moorrauch für ein Verbren- 
nungsprodukt vegetabilischer Körper!) anzusehen, dafs er aber die Häu- 
fiekeit des Nordwindes und Anderes zur Zeit seines Erscheinens daraus 
herzuleiten nicht geneigt sei. Die ungeheuren Massen vegetabilischer 
Verbrennungsprodukte, welche bei Waldbränden und durch Schornsteine 
in die Luft geführt werden, hält Kaemtz der Berücksichtigung werth, 
so dals ıhm das Entstehen des Moorrauches samt dem Höherauch als 
terrestrisch, nicht als kosmisch erscheinen. 

Als entschieden kosmische Erscheinungen sieht Kaemtz mit Chladnı 
alle mit Fenerkugeln und Sternschnuppen herabgefallenen Substanzen an 
und schliefst mit der Bemerkung noch grofser, durch fortgesetzte Beob- 
achtungen. besonders der Bahnen der Meteore, allmälıg zu beschränkender 
Unsicherheit dieser Erscheinungen. 

Der hochverdiente Arago in Paris, welcher im Jahre 1853 starb 
und bis zum Jahre 1845 dort populäre Vorträge hielt, hat in den erst 
1857 erschienenen Schriften sein Urtheil über diese Verhältnisse am Schlusse 
seiner Thätigkeit niedergelegt. Den rothen, von der Atmosphäre getra- 
genen Sand und Staub rechnet er, seines Eisengehaltes halber, zu kosmi- 
schen Phänomenen, wie später specieller bemerkt werden wird. 

Im Jahre 1845 erschien das überall Vertrauen erweckende um- 
fangreiche Werk, der Kosmos Alexander von Humboldt’s, welches 
mit ruhiger Klarheit unsere Kenntnifs des Weltalls mustert und sorglich 
bemüht ist, die befestigten Kenntnisse von den unsicheren zu scheiden. 
So wendet sich denn der Blick mit besonderer Spannung auf die dort 
vorhandenen Urtheile. Voraus ist jedoch zu bemerken, dafs der Ver- 
fasser des Kosmos einen Maafsstab für seine Auffassung dieser Gegen- 


1) Kaemtz l.c. p. 215. 


8 Enrexpeng: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


stände in den Worten niederlegt: — „dals die Hypothesen nach 
den ewig wechselnden Schwankungen in der Gedankenwelt 
vielfach neuem Zweifel unterworfen werden“!) — was deutlich 
bezeichnet, dafs er Vieles in dieser Gruppe der Naturerscheinungen für 
noch nicht hinlänglich durch Beobachtung gut begründet hält. Ja es ist 
unzweifelhaft, dafs der Verfasser des Kosmos selbst seine Ansicht in dem 
hier vorliegenden Gegenstande allmälıg umgewandelt hat. Während er 
in der Relation historique 1824 bei Gelegenheit des grolsen Sternschnuppen- 
falles von Cumana eine röthliche trockne, mit dem Hygroskop von ihm 
selbst genau geprüfte Atmosphäre allmälig in höchst durchsichtige, sehr 
hohe Schafwolken übergehen sah, die er dann wohl doch für trockne 
Nebel hielt, und während er bei Bogota, bei Gelegenheit des dort erlebten 
rothen Hagels, seine Mittheilung?) — „Ich habe schon anderwärts be- 
merkt, dals am Paramo bei Guanacos, wo der Weg von Bogota nach 
Popayan in der Höhe von 2300 Toisen fortgeht, man nicht rothen Schnee, 


wohl aber rothen Hagel hat fallen sehen“, — mit den fragenden Worten 
begleitet: — „Schlols dieser dieselben Keime vegetabilischer Orga- 


nisation ein, welche jenseits des Polarkreises beobachtet wor- 
den sind?* —, hatte er offenbar die Vorstellung von möglichen hoch 
schwebenden organisirenden Einflüssen bei dieser Erscheinung (Sphaerella 
nivalıs der Baffıns-Bay). Später, wo er vom Einflufs der hochgehenden 
Schatwölkehen auf die Nordlichterscheinung als deren Substrat eingeht, 
spricht er nicht von trocknen Nebeln, sondern von einer Verbindung der 
Eleetrieität mit feuchten Meteoren ?) und scheidet die kosmischen Nebel 
scharf von den terrestrischen Meteoren. 

In demselben ersten Bande des Kosmos 1845 sind auch die von 
mir seit 1844 der Akademie gemachten Mittheilungen über die Mischun- 
sen des rothen atlantischen Passatstaubes bei den Capverdischen Inseln 
mit zahlreichen Baeillarien als ein thatsächlicher Gegenstand von ihm 
anerkannt worden. Aber obwohl er abweichend von Arago sich vom 
kosmischen Ursprung derselben abwendet, so hat er doch nicht seinen 


1) Kosmos 1850. Bd. 3 p. 220. 
?) Robert Brown, Botanische Schriften 1825 Bd. 1 pag. 573. 
>) Kosmos Bd. 1 p. 201. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 9 


Blick nach Afrika hingewendet, dessen typische Staubwirbel als Ursprung 
der Erscheinung von mir, dem Reisenden in Afrika und Augenzeugen, 
verworfen worden waren. Dagegen ist von Humboldt die Vorstellung 
angenommen und begründet, dals, „wie Fichtenblüthenstaub jährlich aus 
der Atmosphäre herabfällt, auch kleine Infusionsthiere, mit dem Wasser- 
dampf passiv gehoben, eine Zeit lang in den Luftschichten schweben 
können.“ !) 

Was die Beziehungen verwandter kosmischer Erscheinungen an- 
langt, so spricht sich Humboldt darüber folgendermalsen aus: „Ob aus 
den kleinen (nach Humboldt entschieden kosmischen) Sternschnuppen 
wirklich etwas Compactes oder nur ein höherauchartiger, eisen- und nickel- 
haltiger Meteorstaub niederfällt, das Alles ist bis jetzt in grofses Dunkel 
gehüllt.“?). 17 Fälle von sehr auffälligen Verdunklungen der Tageshelle 
sind von Humboldt?) besonders hervorgehoben, welche ihrer langen 
Dauer halber sich nicht auf Sonnenfinsternisse beziehen könnten und bei 
denen er deswegen wohl offenbar eine kosmische, weltstaubartige Ursache 
vermuthet. Nirgends als im Kosmos ist wohl mit so umsichtiger Ab- 
wägung der Verhältnisse die Natur der kosmischen Nebel, deren Verschie- 
denheit in der Gestaltung und Gröfse, sowie deren Umwandlung abgehan- 
delt worden. Als Resultat tritt hervor, dafs eine genetische Entwicklung 
kleiner und immer gröfserer Weltkörper und Gestirne aus feinsten, un- 
zusammenhängenden Materialien, welche im Weltraume schweben, daher 
auch die Bahnen der Himmelskörper verändern und verkürzen, den jetzi- 
gen Erfahrungen entspreche. Als selbstverständlich mufs daraus abge- 
nommen werden, dals die mit Feuerkugeln und Sternschnuppen herab- 
fallenden Gallerten, Erden und Steine als Concretionen jener kosmischen 
Stoffe und Nebel anzusehen sind. 

Aus meinen mündlichen Rücksprachen mit Humboldt liefs sich 
stets entnehmen, dafs er, wie ich selbst, die terrestrischen Mischungen 
meteorischer Staubarten auf kosmische Verhältnisse auszudehnen nicht ge- 
neigt war und dafs er es billigte, solche terrestrische Mischungen als in 


1) Kosmos Bd. 1 p. 373. 
2) Kosmos Bd. 1 p. 123. 
3) Kosmos Bd. 3 1850. p. 415. 

Phys. Kl. 1871. 2 


10 EnrunBerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


der terrestrischen Atmosphäre begrenzt weiter zu erläutern zu suchen. 
Mit sehr bestimmten Worten spricht Humboldt sein Urtheil in der zwei- 
ten Ausgabe seiner „Ansichten der Natur“ !), die von mir 1847 hier 
vorgetragenen Mittheilungen berücksichtigend, nach einigen Bemerkungen 
über in grofsen Höhen über dem Chimborazo gesehenen Vögeln und In- 
sekten folgendermalsen aus: „Zeigt uns schon das unbewaffnete Auge den 
„ganzen Luftkreis belebt, so enthüllt noch gröfsere Wunder das bewaffnete 
„Auge. Räderthiere, Brachionen und eine Schaar mikroskopischer Ge- 
„schöpfe heben die Winde aus den trocknenden Gewässern empor. Un- 
„beweglich und in Scheintod versenkt schweben sie in den Lüften, bis 
„der Thau sie zur nährenden Erde zurückführt, die Hülle löst, die ihren 
„durchsichtigen wirbelnden Körper einschliefst und (wahrscheinlich durch 
„den Lebensstoff, welchen alles Wasser enthält) den Organen neue Erreg- 
„barkeit eimhaucht. Die atlantischen gelben Staubmeteore (Staubnebel), 
„welche von dem Capverdischen Inselmeere von Zeit zu Zeit weit gegen 
„Osten in Nord-Afrika, in Italien und Mittel-Europa eindringen, sind 
„nach Ehrenberg Anhäufungen ?) von kieselschaligen mikroskopischen 
„Organismen. Viele schweben vielleicht lange Jahre in den obersten Luft- 
„schichten und kommen bisweilen durch die oberen Passate oder durch 
„senkrechte Luftströme lebensfähig und in organischer Selbsttheilung be- 
„griffen herab.“ 

Anders verhielt sich, wie schon erwähnt, Arago, dessen nach- 
gelassene Werke mit einer Vorrede Humboldt’s herausgegeben worden 
sind. Seine in diesen Werken befindliche „populäre Astronomie“ 3) enthält 
tolgende Darstellung: „Die aufmerksame Beobachtung der Staubfälle führt 
„zu dem Schlufs, dals sie sich von den gewöhnlichen Meteorsteinfällen 
„nicht wesentlich unterscheiden. Zuweilen sind sie von Steinfällen oder 
„von einem Feuer-Meteor begleitet. Die Staube scheinen fast dieselben 


1) Humboldt, Ansichten der Natur, 2. Aufl. 1849. Bd. 2 p. 4. 

2) Es möge bemerkt sein, dals nicht reine Anhäufungen gemeint sind, da meine bild- 
lichen Darstellungen in den Abhandlungen von 1547 vorlagen, dals mit diesem Ausdruck 
vielmehr, als Mischungstheile, reichhaltig angehäufte organische Formen bezeichnet wer- 
den. Auch sind die Gallerthüllen der schwebenden Körperchen und die generische Form 
der Brachionen zu beachtende Eigenthümlichkeiten der Auffassung. E. 


mem 


3) Arago, populäre Astronomie Bd. 4 1857. p. 206. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 11 


„Bestandtheile zu enthalten wie die Meteor - Steine und keine an- 
„dere Unterscheidung zuzulassen, als die der Schnelligkeit, mit welcher 
„diese Haufen chaotischer, im Universum zerstreuter Massen in unsere 
„Atmosphäre gelangen. Vermuthlich ist in dem rothen und schwarzen 
„Staube das Eisenoxyd die hauptsächlich färbende Substanz. Im schwar- 
„zen Staube findet man auch Kohlenstoff. Man kann die schwarzen und 
„sehr zerreiblichen, zu Alais 1806 gefallenen Steme gewissermalsen als 
a des schwarzen Staubes in gewöhnliche Meteorsteine ansehen. 
„Ich mufs indessen bemerken, dafs man rotben Schnee gesammelt hat, 
„der seine Farbe ganz anderen Ursachen verdankt. So bezeichnet Sir 
„Charles Blagden, dafs rother in der Baffins-Bay gefallener Schnee 
„durch Urinsäure gefärbt wäre, unzweifelhaft von den Auswürfen der 
„Schaaren von Vögeln stammend, welchen man in diesen Gegenden be- 
„gegnet. Die rothen Schneelagen waren allerdings nicht an der Oberfläche, 
„darüber und darunter war der Schnee vollkommen weils. Thomson 
„glaubt, dals die Färbung des Schnees durch eine organisehe Substanz 
„verursacht sein kann, z. B. durch irgend eine Kryptogame.“* So weit 
seine Worte. 

Es folgt nun bei Arago das Verzeichnils von nur 62 Beobachtun- 
gen von Staubfällen verschiedener Art und verschiedener Färbungen. Es 
sind darunter 34 rothfarbige Staub-, Regen- und Schnee-Meteore, von 
denen 7 mit Feuerkugeln, öfter mit Steinfällen begleitet waren. Sämmt- 
liche Fälle sind aus der nachchristlichen Zeit. Die von mir im Jahre 
1847 der Akademie vorgelegten Beobachtungsreihen, welche mithin in 
dem 1845 abgeschlossenen, 1857 publicirten Werke Arago’s nicht auf- 
genommen sind, betrugen 314 Fälle, unter denen 81 rothe Staubfälle 
verzeichnet sind. 

Die zahlreichen historischen Zusammenstellungen von Nees von 
Esenbeck 1825, sowie die von Kaemtz 1836 sind in die Darstellungen 
Arago’s nicht übergegangen. Aus dieser Übersicht ergiebt sich, dafs 
auf den so bedeutenden Physiker und Astronomen nur der kosmische 
Gesichtspunkt, nicht aber die detaillirten Untersuchungen der betreffenden 
speciellen Meteore einen Einfluls anf seine Vorstellung bis zu seinem Tode 
gewonnen haben. In gleicher Weise hat seine Autorität auf die neueren 


französischen Darstellungen erolsentheils eingewirkt und a im vorigen 
9 


12 Euresgenc: Üsersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


Jahre 1870 hat der Pariser Meteorolog Herr Tarry Arago’s, von ıhm 
auch Herrn Quetelet zugeschriebene Vorstellungen zu einer, wie er glaubt, 
neuen Theorie der Staub-Orkane benutzt. 

Die seit 1844 durch Charles Darwin mir zuerst zur Unter- 
suchung gebrachten und 1847 in reichhaltiger historischer Folge erläu- 
terten rothen, oft fälschlich Meteore genannten Erscheinungen, von denen 
mir ein ansehnlicher durch Ruhland und Kaemtz erläuterter Theil da- 
mals nicht zugänglich war, theilte sich schon 1848 in zwei wesentlich 
verschiedene Reihen, deren eine, das Blut auf Broden und Hostien be- 
treffend, in den Monatsberichten jenes Jahres und später erläutert wor- 
den ist, deren hierher gehöriger anderer Theil besonders durch Capitain 
Maury’s Anregung der amerikanischen und deutschen Schiffs -Capitaine 
eine ansehnliche Menge frisch gesammelten Materials zu meiner Analyse 
brachte. Diese neueren Materialien wurden im Jahre 1862 in den Monats- 
berichten mit vielen historischen Nachträgen und mit einem geographi- 
schen Übersichtskärtehen in den gesammten Erdverhältnissen zusammen- 
gefalst. Im Jahre 1863 fand sich der österreichische Commandeur der 
Novara und späterer Admiral von Wüllerstorf-Urbair veranlalst, den 
Gegenstand der österreichischen Marine, zu besonderer Beachtung der 
Schiffs-Offieiere, im österreichischen Marine- Almanach zu empfehlen. 

Da besonders die südeuropäischen Meteorologen auch neuerlich 
immer fortfahren, den rothen Scirocco-Staub, den Blutregen und rothen 
Schnee, der gleichzeitigen Windrichtung und Wärme halber, aus Afrika ab- 
zuleiten, so habe ich mich bemüht im Jahre 1868 in einem Vortrage „über 
die rothen Erden als Speise der Guinea-Neger“ diesen ganzen Welt- 
theil Afrika rücksichtlich der Möglichkeit einer Abstammung der so un- 
geheuren Massen rothen Staubes, welcher periodisch Europa bedeckt, in 
Übersicht zu nehmen. Als Resultat mufste ausgesprochen werden, dals 
es völlig unmöglich sei, so constant gleichfarbige und gleichgemischte 
Staubarten von irgend einem Punkte Afrikas ableiten zu können. Auch 
Herrn Dove’s neuere Betrachtungen der nach den Jahreszeiten ver- 
schiedenen Erwärmung der afrikanischen Flächen durch die Sonne in 
seinen wichtigen Untersuchungen über den Fön schwächte die herr- 
schende Vorstellung von den stets afrikanischen Sciroeco-Winden wesent- 
lich ab. 


6} 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 13 


Seitdem ist es der Beobachtung gelungen, noch mehrere dieser 
Erscheinungen mit gröfserer Genauigkeit zur Analyse und in Übersicht 
zu bringen. Besonders ist es sehr förderlich gewesen, dafs Schweizer 
Gelehrte nun auch mit diesem Gegenstande sich intensiver zu beschäftigen 
angeregt worden sind. Dr. Killias in Chur und Profefsor Cramer in 
Zürich haben mit sehr anerkennenswerthem Eifer und grofser Sorgfalt 
derartige Erscheinungen des rothen Schnees mit früher dort nicht ge- 
kannter Intensität verfolgt, und es ist von Professor Cramer sowie von 
Dr. Killias ein ausführlicher Bericht über die Resultate ihrer Mühe ge- 
geben worden. Diese Nachforschungen dürften um so mehr wissenschaft- 
lichen Werth erlangen, da von Beiden die betreffenden Substanzen zu 
meiner wiederholten vergleichenden Analyse übersandt worden sind, welche 
weiter unten im Detail vorgelegt wird. 

Zu ganz besonderer Erläuterung des Phänomens der trocknen rothen 
Nebel und ihrer Verbindung an anderen Orten gleichzeitig mit Regenwol- 
ken ist durch den Director der Sternwarte zu Athen Professor Julius 
Schmidt 1869 eine bei den Dardanellen, in Dalmatien und Krain gleich- 
zeitig vorgekommene derartige Erscheinung, in ihrem Materiale selbst, 
meiner Analyse zugänglich geworden, die ich in den Monatsberichten jenes 
Jahres alsbald zu weiterer Kenntnils gebracht habe. Diese Erscheinung 
zeichnete sich noch besonders dadurch aus, dafs der sie tragende Sturm 
aus Norden und Nordosten kam und gleichzeitig in Sicilien, nach Professor 
Silvestri’s höchst verdienstlichen Untersuchungen, sowie in Süd- Italien 
mit ungewöhnlichen Verhältnissen in gleicher Richtung abschlofs. Auch 
diese sicilianischen und italiänischen Materialien sind meiner Analyse zu- 
gänglich gemacht, wie jene von Dalmatien und Krain. 

Im Jahre 1869 hat sich noch an diese trocknen Staubfälle und Blut- 
regen ein höchst auffälliger sogenannter Höherauch angeschlossen, dessen 
Beobachtungen eine sehr grofse Theilnahme vieler italiänischer Meteoro- 
logen hervorgerufen hat. Sowohl vorausgegangene als nachfolgende rothe 
Staubfälle sind daher mit grofsem Eifer chemisch analysirt worden. Padre 
Denza in Moncalieri bei Turin und Professor Ragona, Astronom in 
Modena, haben sich besonders ausführlich mit Beobachtung und Darstel- 
lung dieses sogenannten Höherauchs beschäftigt und hauptsächlich hat 
mir Professor Ragona seine umständliche Darstellung der damaligen Er- 


14 Enrengenrc: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


scheinung übersendet. Gleichzeitig mit diesen Erläuterungen hat sich der 
französische Meteorolog Herr Tarry in Paris, welcher sich einige Zeit 
an der afrikanischen Küste aufgehalten hat, mit dem Staubsturme vom 
Jahre 1870 beschäftigt und eine besondere Theorie der eyclischen, von 
Schweden nach Afrika reichenden und rückkehrenden Sturmrichtung auf- 
gestellt, wobei jedoch die so wichtige Farbe und Mischung des von den 
Orkanen getragenen Sandes ohne Berücksichtigung geblieben. 

Diese kurze Übersicht der Vorstellungen von organischer Belebung 
des Weltenraumes und kosmischen Staubnebeln, aus denen sich Weltkörper 
bilden, von physiologischen Vorstellungen des Luftkreises verschiedenster 
Art und von chemischen und physikalischen Processen, im Gegensatz zum 
physiologischen, womit bewährte Autoritäten sich intensiv beschäftigt ha- 
ben, möge es rechtfertigen, wenn ich den von mir seit fast dreifsig Jah- 
ren verfolgten Weg der mikroskopischen Analyse noch einmal in Über- 
sicht nehme. Ich thue dies um so ernster, als es auch den mit dem 
Gegenstande so vielfach beschäftigt gewesenen Chemikern unserer Zeit von 
Vauquelin bis Berzelius nicht gelungen ist einen Abschlufs herbeizu- 
führen. So wie der Verfasser des Kosmos auf das ungemessene Schwan- 
ken der Meinungen hindeutet, so hat auch der allseitig besonnen urthei- 
lende Kaemtz noch vor seinem Tode (1867), wie Professor Ragona 
1869 berichtet, sich 1867 in Modena dahin ausgesprochen, dafs die Er- 
scheinung der rothen Staubnebel ein der weiteren Aufklärung sehr be- 
dürftiger Gegenstand sei, den alle meteorologischen Observatoren ins Auge 
zu fassen hätten. 

So mögen denn hier zuerst die weiteren historischen Angaben zur 
Erleichterung der Übersicht für weitere Forschung zusammengefalst und 


der Stand der Angelegenheit bezeichnet sein. 


II. Nachträge zu dem historischen 1847 gegebenen Verzeich- 
nils der blutfarbigen und verwandten Erscheinungen. 


Die in dem Bande der Abhandlungen von 1847 zusammengestell- 
ten historischen Angaben blutartiger, besonders durch Staubnebel bedingter 
Erscheinungen machten schon damals nicht auf eine Vollständigkeit der 
Aufzählung der historischen Thatsachen Anspruch, sie lieferten vielmehr 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 15 


nur ein weit reichhaltigeres chronologisches Verzeichnifs, als bis dahin 
gegeben war. Es ist auch jetzt noch nicht an eine Vollständigkeit des 
Historischen zu denken, und die überlieferten derartigen Nachrichten 
sind überdies meist so mangelhaft und oberflächlich aufgefalst, dafs 
eine scharfe Beweiskraft aus ihnen selten zu entnehmen ist. Der mir 
vorschwebende Gesichtspunkt läfst sich zwar durch den Ausdruck der 
rothfarbigen Staubmeteore mit und ohne Regen und Schnee scharf be- 
grenzen, allein diese Bezeichnung ist nicht selten für gelbe, bräunliche 
und röthlich graue Staubarten mit gebraucht worden, je nachdem der 
Gegensatz der farbigen Unterlage, besonders des weilsen Schnees oder 
dessen Mangel, diesen oder jenen Reflex begünstigt. 

So mögen denn manche rothe Staubfälle grau, gelb oder braun 
erschienen sein, die recht wohl in diese Kategorie gehören und umgekehrt 
mögen manche als roth bezeichnete durch zu hoch gegriffene Farben- 
angabe irrthümlich in diese Reihe hineingezogen sein. Das alleinige Mittel, 
welches voranssichtlich zur richtigen Beurtheilung führen kann, scheint 
bis jetzt nicht die chemische sondern die mikroskopische Analyse. In 
dem hier folgenden Verzeichnils sind die blutartigen und erdigen Nieder- 
schläge und auch die gallertigen berücksichtigt, aber die Stein- und Eisen- 
Meteore, als dem vorliegenden Zwecke ferner stehend, nicht aufgeführt. 


1154 v. Ohr. in der Provinz Honan in China 10 Tage lang Erdregen. 
Macgowan. (Monatsbericht 1862 p. 210.) 

730 v. Chr. Jesaias erwähnt eines Blutwassers im Moabiter Lande, cap. XVI 
v. 1—9: Dies ist die Last über Moab. Des Nachts kommt Zer- 
störung über Ar in Moab, sie ist dahin. — Die Wasser zu Nim- 
rım versiegen, dals das Heu verdorret und das Gras verwelket und 
wächset kein grünes Kraut. — Geschrei geht um in den Grenzen 
Moabs. — Denn die Wasser zu Dimon sind voll Blut. — Mahnung 
an 910? (Monatsbericht 1850 p. 223.) 

355 v. Chr. Vor Christi Geburt A. 355 ist in einem grolsen Steinfelsen 
ein blutiger Schweils gefunden. Hänfler p. 12 nach Strigentius. 
(Monatsb. 1850 p. 223.) 

83 v. Chr. Gelber Erdregen in China, Tag und Nacht den Himmel ver- 
dunkelnd. Macgowan. (Monatsb. 1862 p. 210.) 


16 Eurengerc: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


330? n. Chr. Unter Constantinus Magnus war Blutregen in England. 
Hänfler p. 7. (Monatsb. 1850 p. 223.) 

451? Unter Valentinian II war Blutregen. Hänfler p. 7. (Monatsb. 
1850 p. 223.) 

451. Nach Bonfinii Chronica Hungarica fielen Blutstropfen vom Himmel 
zur Zeit von Attila (unter Valentinian III). Bei der Nacht hörte 
man etliche Stimmen. Der Himmel ist gesehen worden, als wenn 
er lichterloh brenne. Herlieius de phwuis prodigiosis über den 
Blutregen in Stralsund 1597. Ein Feuermeteor mit Blutregen, 
vielleicht auch Steinfall. (Monatsb. 1850 p. 224.) 

502 fiel in China gelber Sand wie Schnee. Macgowan. (Monatsber. 
1862 p. 211.) 

517? Unter Kaiser Anastasius fiel ein Blutregen, mithin vor 518, wo 
derselbe starb. Hänfler p. 5l. (Monatsb. 1850 p. 224.) 

567. Im Jahre 567 war Blut an der Erden und aus den Wänden ge- 
quollen. Angelus Marchia brand. p. 21. (Monatsb. 1850 p. 224.) 


; (März?) in China. Macgo- 


650. Regen von gelbem Sand im Frühling 


wan. (Monatsb. 1862 p. 211.) 

743. Ein Meteor und Staub in verschiedenen Orten. (Theophanus.) 
(Arago, Astronomie populaire Tome IV p. 209.) 

746? Unter Constantin VI war Blutregen nach Hänfler p. 7. Es ist 
diese Nachricht wohl ein und dasselbe mit dem Befallen der mensch- 
lichen Kleidungen mit Kreutzen in diesem Jahre. (Monatsb. 1850 
p. 224.) 

786. Anno 786 sind etzliche Wasser in der Schlesie umb Liegnitz blut- 
farb geworden, das Blut ist auch aus der Erden und von oben 

gefallen 

und vom Himmel fielen auch schwarze brennend heilse Fewr 


herab geflossen, den Leuten sind Kreutzlein in die Kleider 


Tröpflein auf die Menschen, und wo sie auf die blofse Haut fielen, 
starb er von Stund an, fielen sie aber aufs Kleid, so starb er wohl 
nicht bald, kam aber kaum mit dem Leben davon. Herlieius 
de pluwüs prodigrvosıs. Es sind hier gewils Blutregen, rothes Sumpf- 
wasser und wohl Feuerregen (?) beigemischt, die anderwärts sich 
ereigneten. Vergl. das Jahr 787 der ersten Abhandlung. (Monatsb. 
1850 p. 224.) 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 17 


8500. Anno 800 sind die Quellen zu Syracus 15 Tage lang mit Blut ge- 
flossen. Hänfler p. 10. (Monatsber. 1850 p. 224.) 

800. Anno 800 ist in England Blut geflossen. Hänfler p. 10.— Gehört 
vielleicht zu dem Blutregen von 786. (Monatsb. 1850 p. 224.) 

823. Fiel auf einen grofsen Theil des nördlichen Deutschlands ein grofser 
Feuerregen vom Himmel, welcher ganze Dörfer verbrannte. (Ruh- 
land, Schweigger’s Journal Bd. 6 1812 p. 41.)— Ich würde dies 
für ein starkes Gewitter halten! 

900 (im 10. Jahrh.) gelber Sandregen in China. Macgowan. (Monatsb. 
1862 p. 211.) 

930. Zu Belgrad fiel eine Menge röthlichen fremden Sandes, nachdem 
der Himmel vorher ganz mit Roth bedeckt. (Ruhland I. ce. 1812 
Bd. 6 p. 46.) 

1000 (im 11. Jahrh.) 
1862 p. 211.) 

1005. Anno 1005 sollen Blutstropfen auf der Leute Kleider gefallen sein. 
Hänfler p. 27. (Monatsb. 1850 p. 224.) 

1098. Anno 1098 soll es in Normannia (Normandie) 3 Tage lang Blut- 


wasser gegeben haben. Hänfler p. 9. (Monatsb. 1850 p. 224.) 


selber Sandregen in Chna. Macgowan. (Monatsb. 


oO 


1226. Im Jahre 1226 ist der in Syrien gefallene Schnee zu Blut ge- 
worden, welches auch Zeiler im Sendschreiben bekräftigt. Hänfler 
p- 10. (Monatsb. 1850 p. 224.) 

1226. Im gleichen Jahre hat zu Husum im Holsteinischen das Eis Bluts- 
tropfen gehabt. Hänfler p. 10. (Monatsb. 1850 p. 224.) 

1270. 1270 soll an der Oder und Neifse Blutwasser getlossen sein. Ou- 
raeus in Annal. sıles. p. 83, Hänfler p. 9. — Ist dies wohl von 
dem 1269 beim Dorfe Machelow gefallenen Blutregen verschieden? 
(Monatsb. 1850 p. 225.) 

1346. Anno 1346 regnete es Fewr als Schneeflocken über dem Meer und 
starben viele Menschen darob und ein Galeen war auf dem Meere 
und das Volk verbrandt auch. Zeiler Epistola 50. (Ob Stern- 
schnuppen-Meteor?) 

1508. Juli. In Zara hat es Wasser wie Blut geregnet. Venetianische 
Chronik. Buechich. (Monatsb. 1869 p. 315.) 

Phys. Kl. 1871. 3 


18 EuRrEnBErg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


1542. 


1546. 


1547. 


1553. 


1567. 


1567. 


1570. 


Im Jahre 1542 hat es zu Constantinopel am Tage St. Andreae 
(30. November) eine ganze Stunde Wasser und Blut geregnet. 
Hänfler p. 8. (Monatsb. 1850 p. 225.) 

Im Jahre 1546 stund die Sonne 3 Tage lang wie eine Feuerkugel 
ganz roth am Himmel. Daneben wurden viele Sterne gesehen, welche 
sich zu und von der Sonne begaben und wandten. Angelus 
Marchia brand. p. 339. (Monatsb. 1850 p. 225.) 

Im Jahre 1547 am 23. April, am Tage vor der Gefangennehmung 
des Kurfürsten von Sachsen hat man einen grolsen Stern am Himmel 
fast eine Stunde lang gesehen, welcher darnach herunter gefallen. 
Winzenbergius. Auch ist die Sonne den 22. 23. 24. und 25. April 
blutroth am Himmel gestanden, ist auch dergestalt auf- und unter- 
gegangen. Bluntingius. Angelus Marchia brand. 1598 p. 339. — 
Es scheint sonach, dafs der Höherauch von 1547 eine durch ein 
Licht-Meteor complicirte Erscheinung war. (Monatsb. 1850 p. 225.) 
Im Juni 1553 fand man Blut auf Bäumen und Dächern. Angelus 
Marchia brand. p. 349. Hänfler p. 13. — Blutregen zu Leipzig? 
(Monatsb. 1850 p. 225.) 

Im Jahre 1567 hat es am Pfingsttage an vielen Orten in Brabant 
und sonderlich nicht weit von Löwen schwarz Blut geregnet. Her- 
licius aus Cornelius Gemma. (?) 

Im Jahre 1567 war im September Blutregen bei Leipzig. Aus 
Lehmann’s Hist. Schauplatz der Nat. Merkw. im Meifsn. Ober- 
Erzgeb. p. 422 bei Marcus über die efsbare Erde von Klieken 
p. 16. (Monatsb. 1850 p. 225.) 

Blutregen zu Löwen. (Ruhland Il. ce. 1812 Bd. 6 p. 44. (Ob 
—= 15679 

Im Jahre 1570 war am 2. August Blutregen bei Donawerth in 
Baiern. Um 5 Uhr Abends regnete es + Stunde lang Blut, wel- 
ches auf den Blättern der Bäume und auf den Kleidern mehrerer 
Leute als Blutstropfen erkennbar war, die man im verschiedene 
Orte als Beweis der aufserordentlichen Erscheinung versandte. De 
Thou Ahstorre unwers. IV. p. 285. (Monatsb. 1850 p. 225.) 

Im Jahre 1570 soll ein Teich zu Leipzig zu Blute worden sein. 
Hänfler p. 9. (Monatsb. 1850 p. 226.) 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 19 


1571 fiel zu Frankenberg in Hessen nach heftigem Donnerschlag ein bren- 
nender Regen (zerplatzte Feuerkugel), der ohne Schaden zu thun 
brennend durch die Strafsen lief (phosphorescirend?). Ruhland 
l. e. 1812. Bd. 6 p. 41. 

1572 fiel gelber Sand mehrere Tage lang in der Umgegend von Ningpo 
in China. Maegowan. (Monatsb. 1862 p. 211.) 

1582. 5. Juli fiel zu Rockhausen, nicht weit von Erfurt, eine grofse 
Menge einer faserigen Substanz, Menschenhaaren ähnlich, in Folge 
eines heftigen Sturmes, den Orkanen vergleichbar, welche die Erd- 
beben begleiten. Michel Bapst. (Arago Tome IV. p. 210.) 
(Wiesen - Conferven ?) 

1583. Im Jahre 1583 war im Stadtgraben zu Kitzing (Baiern) Blut. 
Zeiler Epistola p. 40. (Monatsb. 1850 p. 226.) 

1583. Crusius schreibt, dafs auch zu seiner Zeit im Jahre 1583 in dem 
Graben des Städtleins Reihelstein unten aus einem Weidenbaume 
ein Blut, so gestunken, lang geflossen habe. Ibid. Vergl. Boekel- 
heim 1576. (Monatsb. 1850 p. 226.) 

1588. Den 14. Juni 1588 hat es in etlichen Örtern in der Mark Bran- 
denburg Blut geregnet. Angelus in Drev. p. 175, also dafs man’s 
eigentlich auf den Blättern der Bäume und Kräuter hat sehen kön- 
nen. Idem Marchia brand. p. 400. (Monatsb. 1850 p. 226.) 

1591. Zu Orleans, an der Kirche Madelaine, blutartiger Regen. Le- 
maire. (Arago. c. p. 210.) 

1596. Im Brachmonat (Juni) 1596 hats etliche Mal in der newen Mark 
und sonderlich beym Dorffe Drossyn Blut geregnet, wie man da- 
mals glaubwirdig berichtet. Angelus Annales Marchiae brandenb. 
p- 437. (Monatsb. 1850 p. 226.) 

1597. Im Juli dieses 1597. Jahres hat es zu Stralsund, Gryphiswalde, 
Trybusefs und vielen anderen unterschiedenen Örtern, Dörffern, 
Flecken und Steten im Pommerlande Blut vom Himmel geregnet. 
Blut ist aus der Erden geschwizt, Blut auf den Kräutern, Blumen, 
Wassern, Seen, Brunnen, Kleidern u. s. w. gefunden worden. Es 
lasse sich deutsch nicht weiter ausführen, er wolle es in einem latei- 
nischen seripto später thun. Dr. David Herlieius (Dr. Herlich) 
de pluwüs prodigiosis specwlatio physica et historica. Handelt vom 


2% 
[9] 


20 Eurengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


1615. 


1617. 
1618. 


1618. 


1620. 


Blutregen zu Stralsund, Gryphiswald anno 1597. Diese Schift ist 
wegen daraus ersichtlicher grofser Verbreitung des Stralsunder Blut- 
regens und der schnellen autoptischen, wenn auch pedantischen 
Mittheilung bemerkenswerth. Sie befindet sich auf der Königl. 
Bibliothek in einem Fascikel kleiner, Varıa dieses Jahres über- 
schriebener historischer Schriften. (Monatsb. 1850 p. 226.) 

Es waren bei Wien im Jahre 1613 Dunkelheit bringende, so feu- 
rige Wolken, dafs man einen Blutregen fürchtete, der bei Wien 
nicht fiel und von dessen Niederfall keine weiteren Nachrichten 
erfolet sind. Thuanus Hkstoria sul temporis Continuatio L XI. 
p- 862. (Monatsb. 1850 p. 227.) 

Blutregen zu Sens. (Monatsb. 1849 p. 233.) 

In einem Dorfe bei Oleron, Insel an der Mündung der Charente 
in Frankreich (in pago Gewo prope Oleronem) erschien auf dem 
Kirchhof 1618 eine Urne mit Blut bedeckt. Thuanus Hist. s. 
temp. Cont. p. 862. — Kann ein Blutregen, aber auch anderen 
Ursprunges gewesen sein. (Monatsb. 1850 p. 227.) 

In Frankreich (Seoviae) fand man 1618 die Ähren und Garben 
des Getreides mit Blut besprengt. Viele Hüte und Bänder der 
Weiber waren blutig gefärbt. Thuanus ıbid. Diese beiden in 
Zeit und Örtlichkeit sich nahe liegenden Vorfälle beziehen sich viel- 
leicht auf ein und dasselbe weiter verbreitete Phänomen. Ja die 
Befleckung der Weiberhüte und die Zeitverhältnisse könnten auch 
annehmbar machen, dafs dieses Phänomen in das Jahr 1617 ge- 
hört und nur eine unrichtige Erzählung des Blutregens von Sens 
ist. (Monatsb. 1850 p. 227.) 

Auch ein Pflaumenbaum zeigte 1618 in Frankreich (Ganeti) Blut 
an Blättern und Zweigen. Ibid. Vielleicht zu dem vorigen ge- 
höriger Blutregen. (Monatsb. 1850 p. 227.) Vielleicht nur In- 
sekten-Auswurf? 

Umb diese Zeit (1620) haben sich in Polen eines künftigen Un- 
heyls nicht geringe Zeichen vermerken lassen. Denn es hat da- 
selbst Blut geregnet, das auch von den Dächern geflossen. Thea- 
trum europaeum 1 p. 432. (Monatsb. 1850 p. 227.) 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 21 


1622. Im Jahre 1622 fand man Blut an Buchen. Hänfler p. 13. Kann 
Insekten- Auswurf gewesen sein, aber auch Blutregen. (Monatsb. 
1850 p. 227.) 

1623. Im Sommer 1623 hat sich in Böhmen in der Herrschaft Podibrat 
ein Brunn etlich Tag in Blut verwandelt. Theatrum europaeum I 
p- 786. (Monatsb. 1850 p. 227.) 

1623. Im Hessisch Darmstädtischen Gebiet haben 1623 an unterschied- 
lichen Orten und Flecken an Häusern, Steinen, Zeunen Blutzeichen 
sich erregt. Ebenda. (Monatsb. 1850 p. 227.) 

1623. Umb. Mayenfeld in Bündten, wie auch umb Malantz, sind den 
Mäderen ihre Sensen, Rechen und Gefäfs ganz roht, als wenn sie 
in Blut getunkt gewesen, auch einem Weibe als sie in einen Heu- 
haufen gegriffen, zu sehen ob es recht gedörret, die Hand ganz 
blutig worden. Ebenda. — Dies ist ein unverkennbarer Blutregen 
gewesen, nicht Insekten-Auswurf. (Monatsb. 1850 p. 227.) 

1623. Im Würtembergischen Lande hat es den 16. Juli 1623 zu Her- 
brechtingen und Hetmeringen, desgleicheu zu Giengen, Gündel- 
fingen und selbigem Refier soviel Blut geregnet, dafs es den Leuten 
in ihren Arbeiten auf die Händ und Kleider gefallen, auf den Stei- 
nen und an den Früchten gesehen worden. Ebenda. — Deutlicher 
Blutregen. Ob die drei letzten Nachrichten sich auf mehrere Me- 
teore oder auf Verbreitung eines und desselben Meteors beziehen, 
läfst sich vielleicht aus noch anderen Nachrichten allmälis_ fest- 
stellen. (Monatsb. 1850 p. 228.) 

1623. Selbige Zeit hat sich auch der Haarsee zu Andelfingen, denen von 
Zürich zugehörig, roth gefärbt. Ebenda. (Monatsb. 1850 p. 228.) 

1623. Das Meteor von Strafsburg 1623 wird im Theatr. europaeum nicht 
dem 12. Aug., sondern dem 7. Nov. zugetheilt, auch wird einer 
feurigen Kugel dabei erwähnt, viel gröfser als jemalen ein Stern 
erscheint und fast dem vollen Monde gleich. Man habe es in 
Stralsburg, Tübingen, Mummelen, Uttweiler, Ilkirch, Almersweiler, 
Möhringen, Ulm, Speyer, auch in Bayern gesehen. Der Dr. Medic. 
Isaae Habrecht zu Strafsburg und M. Wilh. Schiekhart, Pro- 
fessor in Tübingen, haben Tractäte darüber in Druck gegeben. 


22 


163 


163 


163 


631. 


1632. 


1654. 


Enrengerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


Theatrum europ. 1 p. 786. — Die genannten Schriften sind mir 
nicht zugänglich. (Monatsb. 1850 p. 228.) 
(Im Juni 1631) hat sich zu Freyburg in Thüringen und zu Mörse- 
burg das Wasser in Blut verwandelt. Theatrum europaeum 11 415. 
(Monatsb. 1850 p. 228 
Desgleichen ist zu Halle an der Saal vor dem Steinthor auf der 
linken Seite im Stadtgraben ein Quell von lauterem Wasser ent- 
sprungen und in Mitten des Stadtgrabens hat das Wasser sich all- 
gemach angefangen roth zu fürben. Und als des anderen Tages 
die Quelle wieder versieget, ist der Stadtgraben wie auch das Wasser 
in den Sturmfässern auf dem Markte in Blut verwandelt worden. 
Theatr. europ. ebenda. (Monatsb. 1850 p. 228.) 
Den 21. Juni 1631 hat zu Wittenberg die Sonne den ganzen Nach- 
mittag bleichroth geschienen, welches auch an dem Tage, da Magde- 
burg zerstört, gesehen worden. Ebenda. Diese letztere Nachricht 
stellt es in Zweifel, ob die beiden früheren nicht zum Theil einem 
(nächtlichen?) Blutregen angehört haben; obgleich die Nachricht 
von Halle ganz das Gepräge einer Beobachtung der Euglena san- 
guimnea trägt, deren periodisches Erscheinen und Verschwinden durch 
Senken und Zerstreuen oder Heben und Sammeln an der Ober- 
fläche gewöhnlich ist. (Monatsb. 1850 p. 228.) 
Im November 1631 nahm ein See in Meuschwitz, 4 Meilen von 
Leipzig, eine Blutfarbe an. Hänfler p. 10 aus Abelini CUhron. 
Contin. Kann Oserllatorra, auch Euglena gewesen sein. (Monatsb. 
1850 p. 229.) 
Auf die Verwandlung des Wassers im Stadtgraben zu Lützen in 
Meilsen 1632 ist ein schreckliches Blutbad erfolgt, wo Gustav 
Adolph (6. Nov. 1632) blieb. Hänfler p. 27. Euglena? Wie oft 
mögen sonst dergleichen Dinge auf Armeen und Schlachten directen 
Einfluls gehabt haben? (Monatsb. 1850 p. 229.) 
%in merkliches Wunder hat sich umb diese Zeit, (1634) zugetra- 
gen in einem Kloster, Hammersleben genannt, zwo Meilen von 
Halberstadt, dann ein Brunnen daselbst mit einer Röhre lauffend, 
eine ganze Nacht Blut gelauffen, davon zwo zinnerne Flaschen voll 
naher Halberstadt geschickt und von vornehmen Leuten gesehen 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 23 


1636. 


1640. 


1640. 


1641. 


worden. Theatr. europ. III p. 274. War es rostroth von Gallonella 
ferruginea der Röhren im Sommer? War ein Blutregen da ge- 
fallen, wo die Röhren das Wasser aufnahmen ? (Monatsb. 1850 
p- 229.) 

Damalen (1636) hat sich den 2. Juni in einem Dorf! der Stadt 
Erfurth gehörig, Nura genannt, eine halbe Meyl von Weimar bei 
der alten Kapelle, eine schöne und helle Quelle in recht Blut ver- 
färbt, welches des nächstfolgenden Tages gegen Mittag als gelie- 
fort Blut worden, im Mittag sich verloren, den Abend aber wie- 
derumb Blut sehen lassen und also täglich verändert, welches zum 
Iten Male also geschehen. Da es nun dem Raht zu Erfurth ange- 
zeigt worden, hat selbiger ihren Voigt-Schützen neben 2 Einspänni- 
gen hinaus in gemeldtes Nura geschickt, welche etliche Gläslein zu 
uuterschiedenen Stunden abschöpfen und in die Stadt bringen sollen. 
Als es nun geschehen nnd man damit auf Papier geschrieben, hat 
solches dem rothesten Blut gleich geschienen, darumb denn auch 
Ihre Fürstl. Gnaden von Weimar dahin gefahren, solches in Augen- 
schein zu nehmen. Theatr. europ. 11 660. Vergl. 1631. (Monatsb. 
1850 p. 229.) 

Im Mai 1640 hat es im Kaiserlichen Lager bei Salfeld Blut ge- 
regnet und in Niedersachsen ist Blut gequollen. Theatr. europ. II. 
Vielleicht ist dieser Blutregen nicht ohne Verbindung mit der blu- 
tenden Standarten-Quaste 1639. Spätere Aufzeichnung aus der 
Erinnerung kann die Jahresdifferenz ja auch bewirkt haben. (Mo- 
natsbericht 1850 p. 230.) 

Im Juli 1640 war der Stadtgraben zu Aschersleben im Braun- 
schweigischen blutfarbig. Theatr. europ. IV p. 92. Ja nach Menge- 
ring wurde das Wasser in Sturmfässern und Zubbern zugleich Blut. 
Hänfler p. 10. (Monatsb. 1850 p. 230.) 

Im Junio 1641 hat sieh zwischen der Stadt Erfurt und der Cy- 
riacsburg in einem stehenden Quellwasser Blut schen lassen, des- 
gleichen zur Zeit des Königs zu Schweden Ankunft und als Ge- 
neral Banner die Stadt oceupirt gehabt, am selbigen Orte auch 
gesehen worden. Der damalige Commandant liefs es bis auf den 


Grund ausschöpfen und bewachen, es wurde aber nichts desto weni- 


34 EnrenBeErg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


1641. 


1642. 


1642. 


1643. 


ger anderen Tages in vieler Leute Gegenwart und noch öfters 
hannehero gesehen. Theatr. europ. 661. (Monatsb. 1850 p. 230.) 
Im Jahre 1641 im Hornung (Februar) ist zu Aurich in Ostfries- 
land in dem Schlofsgraben das Eyls und Wasser Blut gewesen. 
Zeiler Epistola 50. Der Jahreszeit halber ist hier schwer an Oseil- 
latorien oder Euglenen zu denken. Vielleicht finden sich noch 
weitere Spuren eines damaligen Blutregens oder Meteor-Falles. 
(Monatsb. 1850 p. 230.) 

Auff den 26. Februarii eben dieses 1642. Jahres hat es zu Altz- 
heim in der unteren Pfalz Nachts Blut geregnet, dafs man ande- 
ren Tages die Tropfen davon auf der Gassen noch gesehen. Theatr. 
europ. IV p. 899. Blutregen mit erdigem Absatz. 

Zu Altzheim sind gleichzeitig vom Gottesacker Gespenster bis 
an die Stadtthore gekommen und haben o wehe! o wehe! geschrieen. 
Ibid. p, 902. (Monatsb. 1850 p. 230.) 

Zu Altzheim hat es am Ende Februarii ein ungewöhnliches Chasma 
(Feuerkluft am Himmel) gegeben und selbige Nacht um 8 Uhren 
Blut geregnet, dafs man davon des folgenden Morgens die Bluts- 
tropfen auf der Gassen noch gesehen. p. 661. Blutregen ist deut- 
lich und die Stimmen in der Luft samt dem Chasma, wenn sie 
gleichzeitig waren, könnten einen Meteorsteinfall bezeichnen. (Mo- 
natsbericht 1850 p. 231.) Diese beiden Nachrichten gehören wohl 
nur einer und derselben Erscheinung an. 

Auff den 19. Novemb. 1642 hat es im Würtenberger Land in der 
Stadt Stuttgard, dero Vorstädte um den Mittag Blut geregnet, dafs 
man es in wässriger Gestalt fliefsen sehen. Ebenda IV p. 899. 
(Monatsb. 1850 p. 231.) 

Zu Laibach fiel 1642 ein Feuerregen. Ebenda IV p. 899. (Monatsb. 
1850 p. 231.) Sternschnuppenregen? 

Das Wasser bei dem Petersthore zu Leipzig und in Teichen dort 
herum hat sich 1643 in Blut verwandelt. Trheatr. europ. IV p. 899. 
Euglena. (Monatsb. 1850 p. 231.) 

Im Jahre 1643 hat es im Januario bei der Stadt Staden, 5 Meilen 
von Hamburg, Blut geregnet. Theatr. europ. IV p. 899. (Monatsb. 
1850 p. 231.) 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 25 


1643. 


1645. 


1648. 


1652. 


1652. 


1652. 


Dergleichen ist den 20. Febr. bei Stuttgard zu Vaiblingen an der 
Enfs 2 Tage nach einander noch einmal geschehen, zu dessen Be- 
weils die Unterthanen des Orts Ihro Fürstl. Gn. den 23. ejusd. 
ein paar Stämmlein Holzes zugebracht, die noch voll mit Bluts- 
tropfen besprenget gewesen. Ebenda. Bei Chladni ist diese Nach- 
richt aus einer handschriftlichen Chronik. (Monatsb. 1850 p. 231.) 
Des Jahres 1645 ist das Wasser zu Leipzig im Stadtgraben, wel- 
chen die Schwedischen am Neuen Markte gemacht, in Blut ver- 
wandelt worden. Zeiler Eprstola 516. (Monatsb. 1850 p. 251.) 
Im Jahre 1645 hat es zu Dublin in Irland einen starken Blut- 
regen gethan. Ebenda. (Monatsb. 1850 p. 231.) 

Umb diese Zeit des anfahenden 1648. Jahres haben sich in un- 
serem Vaterlande nachfolgende Wunderwerke auf einander begeben: 
als erstliche zu Rothenburg am Neckar, da es ein gut Stund lang 
Blut geregnet, desgleichen zu Heilbronn auch etwas verspüret wor- 
den, u.s. w. Theatr. europ. VI p. 633. Daraus in Sauers Städte- 
buch und die späteren Schriften. (Monatsb. 1850 p. 231.) 
Hamburger Briefe de dato 4. 14. März 1648 brachten mit sich, 
an 8. M. Marien- und Niko- 
laus-Kirche grofser Schaden geschehen. — So hätte man nach Ham- 


nachdem zu Lübeck ein grofser Sturm, 


burg Bericht eingebracht, ob habe es zu Malchin in Mechlenburg 
Blut geregnet und sei mit einem Blitz eine rufende Stimme gehört 
worden, welche: Wehe! Wehe! Wehe! seschrieen. Item dals aus 
dem Malchinschen See viel lebendige Fische auf das Land gewichen, 
welche man hernach, grolsen Gestank zu verhüten, mit vielen Wä- 
gen hinwegführen müssen. Theatr. europ. VI p. 632. Diese Nach- 
richt ergänzt das Meteor von Malchin. (Monatsb. 1850 p. 232. 
Ein Teich zu Pirna hat sich 1652 ın Blut verwandelt. Theatr. 
europ. VII p. 315. Euglena? (Monatsb. 1850 p. 232.) 

Ebenso hat sich 1652 ein Teich zu Wurzen blutig gefärbt. Ebenda. 
Euglena? Das von Halle erwähnte bezieht sich wohl auf Früheres, 
1631. (Monatsb. 1850 p. 232. 

Unfern von Berlin fiel ein grofser Hagel, welcher, wenn man ihn 


aufgehoben und betrachtet, zu geronnenem Blut geworden. Theatr. 


Phys. Kl. 1871. 4 


26 EHRENBERG: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


1655. 


1697. 


1661. 


1664. 


1665. ? 


1668. 


europ. VI p. 315. Dies wäre ein dritter Fall rothen Hagels, 1194, 
1652, 1802. Der übelriechende Hagel von 1846 gehört vielleicht 
auch dazu. (Monatsb. 1850 p. 232. 

Aus Poole, einer Stadt in West-England gelegen, kam durch 
Schreiben 1653 Bericht an, dafs allda den letzten Juni N. ©. Mor- 
gens umb 6 Uhr sich über selbiger Stadt eine schwarze Wolke er- 
zeiget, woraus einige Tropfen so rothen Blutes herunter, auch 
etlichen Leuten auf die Hände gefallen, welche bekräftigen dürffen, 
dafs sie warn gewesen und vermeinet die Nase hätte ihnen ge- 
schweist nnd solche Tropfen seien daher gekommen. Insonderheit 
hat man in den Gärten diese Blutstropfen merklich verspüret. Wie 
denn dero Blätter etliche an den Major gedachter Stadt, den Ge- 
neral Cromwell nach London überschickt worden. Theatr. europ. 
VII p. 466. (Monatsb. 1850 p. 232.) 

Anno 1657 im Martio fiel in Churland an unterschiedlichen Orten 
nach der See zu Mehl vom Himmel, welches sehr schön, weils und 
gut war, so dafs viele Leute Kuchen und Brod daraus gebacken. 
Theatr. europ. Blafsgelblicher Meteorstaub? Weifser Meteorstaub? 
Der alte Kreideregen? (Monatsb. 1850 p. 232.) 

Um und bei Güstrow (Meklenburg) fiel zu Eingang des Februarii 
um Mittagszeit ein Schnee, worauf von vielen Menschen hohen und 
niedrigen Stands blutige Kreutze gesehen wurden. Theatr. europ. 
IX p. 308. (Monatsb. 1850 p. 232. 

Im Martio und zwar den 5. und 15. desselbigen 1664. Jahres 
regnete es bei und um Klagenfurth in Kärnthen recht blutiges 
(Getraide, welches wie sonst anderes gesätes wohl speisete und 
Hühner wie auch allerlei anderes Vieh innerhalb wenig Tagen satt 
machte. Theatr. europ. IX p. 1461. Der Blutregen hatte offenbar 
eine eigenthümliche Natur. (Monatsb. 1850 p. 238. 

23. März fiel bei Laucha nicht weit von Naumburg in Sachsen 
eine grolse Menge einer faserigen Substanz, welche blauer Seide 
glich. (Johannes Praetorius.) (Arago l.c. p. 211.) — Con- 
ferven ? 

Zu Marienburg in Preufsen erzeigte sich im Mai 1668 das Wasser 
in dem Graben bei der Rofsmühle wie Blut, welches 24 ganze 


das 


1671. 


1675. 


1675. 


1677. 


von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 27 


Stunden so anhielt und erst des anderen Tages wieder verging. 
Ob nun gleich drauff das Wasser mit Stangen umbgerührt ward, 
zeigte sichs doch nicht so roth, sondern ist kohlschwarz von dem 
innliegenden Gesümpfe anzusehen gewesen. T'heatr. europ. X p. 972. 
— Das Sumpfwasser trug wahrscheinlich Zuglena. 
Im August Monat 1671. hat sich zu Lemberg im Graben hinter 
der ‚Jesuiten Pfort des Morgens um 4 Uhr und des Nachmittags 
um 3 Uhr das Wasser blutroth erzeigt und hatte in der Erde drei 
(Quellen, daraus es runne und roth befunden ward. Einige fingen 
solches in Gläsern auf und befanden hernach dafs zu rothen Sand 
ward. Ebenda p. 611. — Sumpfiges trübes Wasser (mit Euglena?) 
das beim Trocknen trocknem Schlamme gleicht. (Monatsb. 1850 
p- 233. 
Anno 1675 ist zu Anfang des Novembers bis zu Ende des Win- 
ters allhier in der Neumark in einem See bei dem Dorffe Herms- 
dorff das Wasser bei dreilsig Schritt blutig anzusehen gewesen, 
hernach hat das Eis eben die Farbe an sich genommen, doch so 
dals sie an einem Orte als grofse Tropfen, an dem andern als 
Blut, so aus einem kleinen Gefälse gegossen und in dem dritten 
als ewerementa eines, der an der Dysenterie laborirt, angesehen. 
Hänfler p. 10 nach Beemann de prodıgüs sangwiners p. 18. — Ist 
wohl Oseillatoria rubescens gewesen. (Monatsb. 1850 p. 233.) 
Bei dem Kloster Leibus in der Mark Brandenburg hat sich in die- 
sem Monat (1675) ein See in Blut verwandelt und haben sich die 
(respenster bei den schwedischen Schildwachen dort und da stark 
sehen lassen, sie auch oft verjagt. Theatr. europ. X p. 847. — 
Die Genpenster können sich auf Geräusch eines Meteors beziehen. 
(Monatsb. 1850 p. 233.) 
Zu Berlin flofs im Junio vor dem Stralauer Thor alle Tage häufig 
Blut und hielt solches Fliefsen täglich seine gewissen Zeiten und 
Stunden und, welches verwunderlich, so bewegte sich solches sehr 
erschröcklich, wenn man mit einem Stein darein warff. Ebenda 
1143. — Ist wohl unzweifelhaft Euglena sangwinea gewesen, mit 
starker sumpfiger Gasentwicklung und schäumiger Oberfläche, wie 
sie oft erscheint. (Monatsb. 1850 p. 234.) 

A 


28 EurENBERG: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


1677. 


1678 


1686. 


1690. 


Zu Alt Brandenburg sind viele Kugeln aus der Sonne gefahren eine 
Stunde lang; die auf die Erde gefallen sahen wie Blut, wenn man 
sie aufhob sah man sie nicht, wenn man sie niederleste, so war 
es wieder Blut. Ebenda p. 1143. — Soll es heilsen, die dünnen 
Flecke des Blutregens liefsen sich nicht aufnehmen, ohne zerstört 
zu werden? Der Ausdruck in dieser Nachricht ist eigenthümlich. 
Vielleicht erklärt es sich aus gleichzeitigen anderen Berichten. Die 
Erscheinung kann leicht zu den sehr merkwürdigen gehören. Waren 
es schillernde Schaumblasen von Meeresschaum, wie ich im Sep- 
tember 1847 in Ostende beobachtete? Siehe die Abhandlung von 
1847 unter 1808. (Monatsb. 1850 p. 234.) 

fiel im Sachsenhausen der Regen in Gestalt eines brennenden 
Schleims, der noch eine Viertelstunde auf der Erde fortglomm. 
(Ruhland l. cc. Bd. 6 1812 p. 42.) (Phosphorescirend.) 

Am 31. Januar fiel zu Rauden in Kurland und zur selben Zeit in 
Norwegen und Pommern eine schwarze faserige papierartige Masse 
in vielen Stücken, einige von Tisch Gröfse bei Sturm auf den Schnee. 
Sie ist von Grothus nach dessen chemischer Analyse angeblich 
durch Nickelgehalt u. s. w. für eine Meteormasse gehalten worden, 
neuerlich aber nach meinem Berichte in den Abhandl. der Akad. 
18538 p. 43 als verrotteter Confervenfilz mit mehreren anderen ähn- 
lichen erläutert worden. Seine Fortbewegung in der Atmosphäre 
durch den gleichzeitigen Sturm mag immerhin richtig beobachtet 
sein und diesen Fall den schwarzen Schlammregen anschlielsen. 
Iın Mai 1690 ist bei Berlin in einem Dorfe Marwitz das Wasser in 
einem Sumpfe blutroth geworden. Hänfler p. 20. — Wohl un- 
zweifelhaft Zuglena. (Monatsb. 1850 p. 234.) 

Vor zwei Jahren ward ebendiefs (Blutregen) erzählet zu Tucheband. 
Hänfler p. 8 1697. (Monatsb. 1850 p. 234.) 

Von Stockholm ward erst neulich in den Nouvellen gedacht, dals 
eine stehende See bei den Kupferbergen, Nortecke genannt, roth 
angefärbt und als Blut sich sehen lassen, so zwei Tage lang ge- 
währet, wiewohl es in den folgenden nicht eontinuirte. Hänfler 
1697 p. 10. — War die stehende See, wie es scheint, ein Sumpf, 
so gehört es zu Buglena sangumea und vindieirt deren Existenz 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 29 


1697. 


für Schweden, wo jedoch die nördliche Breite auch Astasia haema- 
todes vermuthen lälst; war es ein gröfserer tiefer See, so ist es wahr- 
scheinlicher eine Oscillatorıa (rubescens) gewesen. (Monatsb. 1850 
p. 234.) 
Pastor Bartsch schreibt von Stennwitz, einem Dorfe eine Meile 
von Landsberg an der Warthe, 1697 an den Archidiaconus Gla- 
doen in Cüstrin: „Hiernächst habe auch berichten wollen. dafs 
am Dienstag vor dem 8. Trinitatis (20. Juli) eines von meinen Pfarr- 
kindern bluttriefende Kornähren auf dem Scheunflur gefunden. 
Denn nachdem sie das Korn vorgeschlagen, auch angebreitet und 
zu dreschen angefangen, werden sie mit nicht geringer Bestürzung 
sewahr, dafs unter den angebreiteten sich etzliche Ähren finden, 
die von Blute so milde triefen, dafs, da sie solche durch die Hände 
ziehen, selbige auch blutig werden. Die Bestürzung ist gröfser wor- 
den, da sie gesehen, dals die Ähren, welche sie auf einen Zaun- 
pfahl aufgehangen, beim Trieffen geblieben.“ 8. Hänfler p. 15. 
Hänfler hält die Erscheinung der Ehre Gottes halber für werth, 
dieselbe öffentlich in deutscher Sprache zu besprechen und sie scharf 
kritisch zu beurtheilen, wobei er eine für ihn selbst ehrenvolle grofse 
und ernst mühsame Gelehrsamkeit entwickelt. Nachdem er mit 
dem damaligen Pedantismus umständlich erwogen, ob es natürlich 
oder übernatürlich gewesen, wobei er die Vorstellung, dafs es In- 
sektenauswurf gewesen sein könne, der Umstände und der späten 
Zeit halber zurückweist, ob es, wenn es also übernatürlich, von 
Gott, vom Teufel oder von Engeln gekommen, bleibt er p. 18 aus 
wohl motivirter Überzeugung dabei stehen, dafs es von Gott un- 
mittelbar ausgehe, und ergeht sich schliefslich p. 25 in Betrach- 
tungen darüber, was es bedeuten möge. Er findet p. 31 doch nicht 
wenig bedenklich, dafs gleich an diesem Tage drei Jahre vorher 
auch ein Blutzeichen an eben diesem Orte sich in dem Brode sehen 
lassen, räth zur Bufse und verweist auf Gottes Erbarmen. Der 
Verfasser zeigt sich wenigstens als einen edlen, ächt christlichen, 
gelehrten, aber nicht für Naturbeobachtung geeisneten Theologen. 
Die Erfahrung, dafs die erdigen Niederschläge der Blutregen 
les Passatstaubes die Feuchtigkeit eigenthümlich und lange an sich 


30 Enurengeng: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


1701. 


1704. 


1:05: 


1712. 


halten und daher, wo sie gehäuft sind, eine zeitlang gallertartig 
und fleischartig erscheinen, erklärt vielleicht das fortdauernde, 
Trieffen genannte Feuchtsein dieses Falles. Schade dafs der Pastor 
Bartsch sich so wenig um die Sache gekümmert und sie nicht 
selbst in Augenschein genommen hat, da er sie doch mysteriös 
fand. Es waren also wohl von einem geringen Blutregen in der 
Nacht genäfste Garben eingebracht, was man erst beim Anbreiten 
des neuen, eben eingefahrenen Kornes zum Dreschen erkannte. 
(Monatsb. 1850 p. 235.) 

Am 25. Aug. 1701 entdeckte Leeuwenhoek in der bleiernen Dach- 
rinne seimes Hauses rothes Wasser aus Infusorien gebildet. — Es 
ist wohl die von mir Euglena sangwmea genannte Form gewesen. 
Verel. die weitere ausführliche Geschichte im Infusorienwerk 1838. 
(Monatsb. 1850 p. 236.) 

Am 4. Januar wurde über dem Kirchthurme zu Quesnoy eine Feuer- 
kugel gesehen, welche auf dem umliegenden Platz in Feuerregen 
zerstäubte. (Arago, Astronomie popul. T. IV p. 212.) 

Im Mai(?) 1705 ist zu Colmar im Elsafs ein so giftiger Mehlthau 
gefallen, dals von dem Colmarer Vieh, so auf der Weide gewesen 
und von einem nahe gelesenen Dorffe bei 500 Stück an Pferden, 
Hormvieh und Schafen in 24 Stunden umgefallen, auch von den 
Hirten, so Vater und Sohn war, der letztere gestorben, der erstere 
aber nach angestandenem harten Anstols noch davon gekommen. 
— Erschreckliche Gewitter und Sturmwetter herrschten im August 
in der Bergstrafse u. s. w. Theatr. europ. XV. 1705. — Der 
Name Mehlthau läfst auf ein eigenthümliches, staubiges Meteor 
schlielsen. Man wird aus anderen gleichzeitigen Nachrichten viel- 
leicht späterhin seine wahre Natur feststellen können. Vallis- 
neri’s Beobachtung von 1689 nöthigt diese Erscheinung hier nicht 
zu übergehen. S. Abhandl. über den Blutregen 1847. (Monatsb. 
1550 p. 256.) 

Nahe bei Anklam in Pommern begab sich eine sonderbare Blut- 
geschichte. Denn am Abend des 22. Mai 1712 ist ein Bauersmann 
bei einem kleinen Teich, so bei Spankau, 1 Meile von Anklam ge- 
en, vorbeigegangen und als er aus demselben trinken wollen, 


le 


o 
fe) 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 31 


1714. 


1715. 


1718. 


1721. 


hat er wahrgenommen, dafs das Wasser blutroth gewesen. Fast 
1 Finger dick war geronnen Blut auf dem Teiche. Des Morgens 
hat es sich verzogen, am Abend ist es wieder erschienen, bis zum 
25sten beobachtet. Man nahm Flaschen voll und damit gefärbte 
Tücher nach Anklam. General Allart, sein Priester und sein Se- 
kretär besahen es. Theatr. europ. XIX p. 554. (Monatsb. 1850 
p- 236.) 

Anno 1714 wurde aus Ungarn geschrieben, dals ohnweit Peter- 
wardein bei dem Dorfe Siebothita am letzten Januarüi bei der 
Sonnen Untergang es zwei Finger hoch Mehl geschneyet. Marcus 
über die Mehlberge von Klieken p. 25 1740. Vergl. 1657. — Ob 
solche weilse Staub-Meteore, den schwarzen ähnlich, auch m einer 
directen Verbindung mit den rothen gedacht werden können, ist 
weiterer Entwicklung bedürftig. Manche sind als vulkanisch (Leucit- 
Auswurf) bezeichnet. Frisch untersucht ist noch keiner. (Monatsb. 
1850 p. 236.) 

Untern Pareth im Sachsen - Lauenburgischen sollte das Wasser in 
einer stehenden See sich 1715 in Blut verwandelt haben. wes- 
wegen auch die Fischer selbe nicht befischen können. Wenn man 
von diesem Wasser in ein Glas gethan und in etwas stehen lassen, 
habe es nicht anders als wie geronnen Blut ausgesehen. Theatr. 
europ. XX p. 412. OÖscillatorien? (Monatsb. 1850 p. 237.) 
Wurde am 24. März eine gallertartige, silberschaumartig glänzende 
Masse nach dem Falle und kanonenschufsartigen Knalle einer Feuer- 
kugel auf der Insel Lethy in Indien gefunden. Barchewitz, neu 
verm. ostind. Reisebeschr. Erfurt 1751 p. 427. (Ruhland I. c.) 
Im Jahre 1721 fiel ein brennender Schleim zu Braunschweig, wel- 
cher auf der Erde fortbrennend, weder durch Wasser noch Schlagen 
und Umrühren mit einem Stabe ausgelöscht werden kann. Ruh- 
land |.c. p. 41. 

Fall von Erde, vom Magnet anziehbar auf dem Adriatischen Meere 
zwischen Monopoli und Lissa. Zanichelli, Opuscoli di Calogera 
T.2VE#@&ragol: ep. 212.) 

fill ein rother Sandregen auf dem atlantischen Meere unter 
45° N. Br. 8 bis 9 Stunden entfernt von allem festen Lande, der 


32 


ji 
| 
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1781 


1781 


1796. 


EHRENBERG: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


10 Stunden ohne allen Wind fortdauerte, nachdem ihm ein starkes 
Licht voraufgegangen. (Ruhland |. c. 1812 p. 46.) 

Ein Nebel brachte zu Detroit Regen und Koth mit, färbte Papier 
schwarz und theilte ihm den Geruch von verbranntem Pulver mit, 
verbreitete starken Schwefelgeruch und bedeckte die Flüsse mit 
schwarzem fettigen Schaum. (Ruhland |. ce. p. 47.) 

theilt Silberschlag in seiner Schrift über die grofse Feuerkugel 
am 23. Juli 1762 mehrere Fälle leuchtender gallertiger Massen mit, 
welche sternschnuppenartig herabgefallen sind, deren eine von bräun- 
licher Farbe war. (Galle Schles. Ges. f. vat. Kult. 1 
sah im Dezember ein Edelmann in Vivarais rothe F edler in Shmpfen 


und auf dem Schnee, welche letztere durch Exeremente kleiner 
Vögel, die die Beeren der Phytolacca decandra L. genossen, ent- 
standen sein sollten. Journ. d. Phys. 1774 T. Il p. 128. (Kaemtz 
l.c. p. 181.) Ob ÖOscillatoria rubescens? 

fiel in Sieilien weilser Staub, welcher nicht vulkanisch war. Gio- 
neni, Philos. Trans. T.LXXI. (Arago l. c. p. 213.) 

sah Chladni in Dresden an einem warmen Herbstabend irrlichter- 
artige bewegliche Punkte neben seinem Wagen und überzeugte sich, 
dals dies Gallertklümpchen waren. Andere Irrlichter hält er für 
zuweilen in Blasen luftballonartig aufsteigendes Sumpfgas. (Galle 
l. c. 1869 p. 87.) 

Phosphorescirender Höherauch bei Nacht. Journ. d. Phys. 1784. 
(Ruhland Il. c. 1812 p. 48.) 

tiel am 27. 28. und 29. August ohne Unterbrechung ein aschen- 
artiger Staubregen in der Stadt la Paz im Bolivia. Dieses Phäno- 
men konnte keinem Vulkan zugeschrieben werden. Man hatte Ge- 
töse gehört und der Himmel war ganz klar. Der Staub verursachte 
heftige Kopfschmerzen und bei vielen Personen Fieber. Mercurio 
Peruano T. VI. 1792. (Arago l.c. p. 28) Versl: 1X05%m 
Elsals und 1870 in Italien. 

Am 8. März fand man in der Lausitz nach dem Falle einer Feuer- 
kugel eine klebrige Masse, welche die Festigkeit, Farbe und Geruch 
eines braunen trocknen . hatte. Gilbert’s Annalen Bd. LV. 
(Arago l.c. p. 213.) — Von dieser Masse ist in Chladni’s, an 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 33 
pP getrag I 


ITIT. 


1800. 


1501. 


1803. 


1803. 


1811. 


das Berliner Mineralien-Cabinet übergegangenen Sammlung eine 
Probe noch jetzt vorhanden und wurde 1838 von mir mikrosko- 
pisch analysirt. (Abh. 1838 p. 47 u. 48.) Es erscheint als eine 
zersetzte harzige Masse, mit vielen gröberen Pflanzenresten, die 
terpentinartig mit heller Flamme brennt. 

Am 13. Decemb. zu Kesmark (in Ungarn) rauchartiger Nebel. 
(Ruhland I. ce. p. 47.) 

Benzenberg theilt mit (Gilbert’s Ann. T. VI p. 232. 1800) dafs 
ein Herr Bergmann in Süchteln eine feurige Kugel auf einem 
Felde niederfallen sah und an der Stelle alsbald eine Kindskopf- 
srofse Gallertkugel fand. Im Fallen war sie allmälig langsamer 
und heller geworden. (Galle, l. e. p. 82.) 

Feuerkugel im Depart. Aix, nach deren Platzen unmittelbar Fin- 
sternils eintrat. (Ruhland, ]. ec. p. 48.) 

Aörolith zu Mauerkirch, nach dessen Zerplatzen Finsternils ein- 
trat. (Ruhland, ]. c. p. 48.) Ob einerlei mit vorigem? 

Am 13. Novemb. 1805 sah der Astronom Schwabe in Dessau 
Abends eime grolse Feuerkugel über das Haus seines Vaters weg- 
fliegen. Eine ungefärbte gallertartige Masse war auf das Dach des 
Herzoslichen Palais gefallen und wurde ihm überbracht. (Galle, 
l. ce. 1869 p. 78.) 

Im Juli fiel zu Heidelberg eine gallertige Masse in Folge des 
Zerplatzens eines leuchtenden Meteors. Gilb. Ann. T. LXVI. 
(Anago; ler p:7213:) 

Apotheker Martin Scherb sah im Juli 1811 Abends 10 Uhr 
eine prächtige Feuermasse in der Grölse einer kleinen Bombe sich 
sehr schnell aufwärts bewegen, dann platzen und in Form einer 
Feuersäule herabfallen. Am anderen Morgen fand er an der von 
ihm bezeichneten Stelle eine schaumige, mit Strafßsenstaub verun- 
reinigte zerrissene Masse. Ein ihm bekannter Mann hatte dasselbe 
Phänomen gesehen und, wie er sagte, den Schaum mit dem Stocke 
auseinander geschlagen. Gilb. Ann. T. LXVI p. 309. 1820. (Galle 
l. e. p. 78.) Ob Kunstfeuer? 


Phys. Kl. 1871. 5 


34 EuRreEnBerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


1812. 


1812. 


1814. 


1S15. 


1819. 


1819. 


1819. 


Starke Finsternifls zu England, so dafs man den ganzen Tag ge- 
nöthigt war die Zimmer zu erleuchten und nicht lesen konnte. 
(Ruhland I. e. p. 48.) Ob London fog? 

Fiel im März zu Ulm nach einem Gewitter ein sogenannter 
Schleimregen, der sich allmälig in gemeinen Regen auflöste. 
(Galle 1. e. 1869 p. 77. Ruhland |. c. p. 42.) 

Regen von Asche oder einer ins Graue spielenden, erdigen, 
äufserst feinen Substanz, welche sich hauptsächlich an die Früchte 
anheftete, haben in unseren (piemontesischen) Alpen stattgefunden, 
ohne dafs sich irgend ein etwas merkwürdiges Phänomen am Bo- 
den oder in der Atmosphäre gezeigt hätte. Der Staubregen vom 
28. Octob. 1814 war äulserst sonderbar dadurch, dafs er gleich- 
zeitig verschiedene (getrennte) Punkte der Gegend traf. Aüsso Hıst. 
nat. d. U’ Europe merid. Paris 1826 I p. 297. Bisher war ein Regen 
vom 28. Oetob. 1814 nur aus dem Thale von Oneglia bei Genua als 
ziegelrother Erdregen bekannt. Hiernach scheint er eime weitere 
Verbreitung bis Nizza gehabt zu haben, deren Grenzen leider un- 
bekannt geblieben. (Monatsb. 1850 p. 237.) 

Erzählt Remigius Doettler (Elementa phys. T. II p. 405 Wien 
1815) dafs eine entgegenkommende Feuerkugel zwei im offenen 
Wagen sitzende Reisende selbst getroffen und mit Schleim über- 
deekt habe. Zwei sehr vertrauenswerthe Männer haben ihm das 
mitgetheilt. (Galle ]. e. p. 82.) 

Am 13. August fiel zu Amherst m Massachusettes eine gallertartige 
stinkende Masse in Folge eines leuchtenden Meteors. Silliman’s 
Journal II p. 355. (Arago, Astron. popul. IV p. 214.) 

Am 5. Septemb. regnete es in Studein m Mähren, in der Rich- 
tung nach Teltsch zu zwischen 11 u. 12 Uhr Mittags bei klarem, 
ruhigem Himmel kleine Stücke Erde, welche aus einer kleinen ein- 
samen sehr hellen Wolke fielen. Hesperus, Novemb. 1819 und 
Gilberts Annal. Bd. LXVII. (Arago, Astron. popul. IV p. 214.) 
Im November fiel zu Montreal und in dem südlichen Theil der 
Vereinigten Staaten Regen und schwarzer Schnee, begleitet von 
einer aulsergewöhnlichen Verdunklung des Himmels, Erdbeben arti- 


gen Erschütterungen, Artilleriefeuer ähnlichem Getöse und Lichter- 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 35 


scheinungen, welche man für starke Blitze gehalten. (Anmnal. d. 
chimie T. XV.) Einige Leute haben dieses Phänomen einem 
Waldbrande zugeschrieben, aber das Geräusch, die Erschütterun- 
gen und alle Umstände dieser Erscheinung beweisen, dafs es ein 
wirkliches Meteor war, wie die von 472, 1637. 1792 und vom 
Juli 1814. Es scheint, dals dıe schwarzen und zerreibliehen, 1803 
in Alais gefallenen Steine beinahe dieselbe Substanz waren in 
einem Zustande grölserer Verdichtung. (Arago, Astronom. popul. 
IV p. 215.) Vergl. Abhandl. d. Akadem. 1847 p. 114. 

1824. Am 13. August fiel zu Mendoza in der Republik Buenos- Aires 
Staub aus einer schwarzen Wolke. In einer Entfernung von 40 
Meilen entlud sich die Wolke noch einmal. (Gazette de Buenos 
Aires 1. Novemb. 1824.) Arago, Astronom. popul. IV p. 215. 

1824. Am 17. Decemb. Fall einer brennenden Masse in Neuhausen in 
Böhmen. (Poggend. Annalen Bd. VI. Arago, Astronom. popul. 
IV p. 316.) 

1829. Im Jahre 1829 wurde von mir rothe Färbung eines Sees der 
Platowskischen Steppe in Sibirien beobachtet, erzeugt durch Astasıa 
haematodes, eine damals neue Polygastern-Form. S. Infusorien- 
werk 1838 bei Zuglena, Astasıa und p. 118. 

1855. In der Nacht vom 12. zum 13. November sind in Newhaven und 
an anderen Orten Nord-Amerikas mehrere Leuchtkugeln beobach- 
tet worden, welche beim Herabfallen sich als Gallerten zu erken- 


nen gaben. Diese in Poggend. Annal. 1834 Bd. XXXIII p. 204 


oo 


ausführlieh mitgetheilten Beobachtungen haben Poggendorff 


selbst zu der Äufserung veranlalst, dafs ihre Übereinstimmung mit 
den ın Europa öfter gemachten Erfahrungen eimen Grund für ihre 
Glaubwürdigkeit abgebe. (Galle l. c. p. 83.) 

1554. Am 30. October 1834 fiel an der russisch-chinesischen Grenze am 
Arsun-Flusse im Gouvernement Irkutzk ein dunkelbrauner Meteor- 
staub, dessen Proben durch Dr. Weisse 1851 an mich gesendet 
und von ihm und mir analysırt worden sind. Die näheren Details 
sind im Monatsbericht von 1851 p. 317 angeführt und dabei ist 
besonders auf die Farben-Eigenthümlichkeiten des wahren Passat- 
staubes hingewiesen worden. Die organische Mischung dieses 


5: 


36 Enrengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


1547. 


1548. 


1848. 


1849. 


1849. 


Staubes hat sich als auffallend übereinstimmend mit den Scirocco- 
Stauben und ohne sibirische Characterformen gezeigt, obwohl die 
Farbe von den Passatstaubverhältnissen abweichend zu wenig roth 
erscheint. Die Masse enthält atmosphärische Kalk-Morpholithe. 
Fiel am 31. März gleichzeitig mit dem rothen Schnee im Puster- 
thale auch ein rother Staubregen im Gasteiner-Thale bei Salzburg. 
(Monatsb. 1848 p. 65 und Abhandl. 1847 Nachtrag p. 130.) 
Wurde von den DDr. Schlagintweit eine erdige Streifung des 
Oberen Lys Gletschers, 10888 Fufs hoch, mitgebracht, welche durch 
die mikroskopische Analyse sich als wohl ältere Ablagerung des 
vothen Passatstaubes zu erkennen gab. (Monatsb. 1853 p. 328.) 
Apotheker Oswald in Oels berichtet (Verh. d. Schles. Gesellsch. 
1848 p. 43) dafs ein Herr von Sydow am 18. October eine 
leuchtende Masse zu Mauschwitz herabfallen sah, dieselbe sogleich 
aufnahm und als gallertige Masse erkannte, welche getrocknet zu- 
sammenschrumpfte, im Wasser wieder aufquoll und stickstofffrei 
warsulG alle: "e. iB4,82,) 

Meteorstaubfall in Schlesien am 31. Januar nach heftigem Südwind 
auf Schnee, gleichzeitig zu Alt-Rauden bei Glogau, Hirschberg, 
Nieder-Kummernik und Ober-Wangten, Liegnitz, Muhrau und 
Niesky in Schlesien und auch bei Prefsburg, Wien und wohl 
Salzburg (Monatsb. 1848 p. 107, 195 und Abh. 1847. p. 133.) 
Diese sehr ausgebreitete Luftstaubbewegung in dichten Wolken ist 
offenbar durch Mischung mit vielem Lokalstaube nur vorsichtig 
‚len Passatstaubverhältnissen theilweis anzuschlielsen. 

Am 28. März 1849 regnete es in Catania in Sieilien unter starkem 
Südwinde einen feinen blutrothen Sand. In der Beilage zur Augsb. 
Allg. Zeitung vom 18. April ist zu dieser Nachricht, dem alten Vorur- 
theil gemäls, bemerkt. dafs der Sand wahrscheinlich von der afrikani- 
schen Küste herübergetrieben worden. (Abhandl. 1847 p. 151.) 
14. April ist in Irland ein schwarzer tintenartiger Regen über 400, 
nach neueren Nachriehten über 700 englische Quadratmeilen ge- 
fallen, worüber Prof. Barker in Dublin einen Bericht an die 
Dubliner Societät der Wissenschaften erstattet hat. (Abhandl. 
1847 p. 419.) Die mikroskopische Analyse hat ergeben, dafs sehr 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 37 


1849. 


1849. 


viele organische Elemente im verrotteten Zustande die schlammige, 
nicht rufsartige Substanz erfüllten und die nach zwei Monaten 
vorgenommene Specialprüfung zeigte sogar in den verschlossen 
gehaltenen Gläschen sehr zahlreich lebende mikroskopische Thiere. 
sowohl schalenlose Polygastern als zuletzt auch Räderthiere. 
Philodina roseola und Bursaria arborum der Polygastern, freilich 
sehr spät beobachtet. (Monatsb. 1849 p. 201 u. 301.) Es ist bemer- 
kenswerth, dafs sich diese Substanz an das von der Atmosphäre 
getragene kohlschwarze Meteorpapier von 1686 anschliefst, dessen 
Gehalt an Desmidiaceen und Conferven mit weichen Körpererfül- 
lungen jede Vorstellung eines Verbrennungsproduktes abweist. 
Bemerkte man am 29. und 30. April im Charkow’schen und 
Poltaw’schen Gouvernement bei klarem Himmel eine entstehende 
sehr merkwürdige Lufttrübung, welche die Tageshelle sehr verän- 
derte, zwei Tage anhielt und veranlafste, dafs die Sonne als 
ein rein weilser matter Kreis erschien. Ein gelblich grauer un- 
fühlbarer Staub lagerte sich auf allen Gegenständen und Kräu- 
tern ab. Die mir von Professor Eiehwald aus Petersburg zu- 
gesandte Probe ist im Monatsb. 1850 p. 9 mikroskopisch von mir 
analysırt und enthielt 43 organische Formen und zwar 24 Poly- 
gastern, 15 Phytolitharien, 1 Polyeystine und 3 weiche Pflanzen- 
theile. Der Mangel an den characteristischen Passatstaubformen 
und die fast weilsgraue Farbe lassen den Zusammenhang mit 
dem Passatstaub zweifelhaft. Jedenfalls hat sich erkennen lassen. 
dals es kein Weltstaub und keine vulkanische Asche war. 

Den 23. Februar hatten wir in Ludhiana in Indien (am Sedledsch) 
in der Station, welche die Baraken heifst, in der Nacht und am 
Morgen einen solchen Staubsturm, dafs wir um 10 Uhr bei Lam- 
penlicht frühstückten, und um uns einigermafsen gegen den Staub 
zu schützen das Haupt bedeckt behalten mufsten. Der Garten. 
welcher noch wenige Stunden vorher voll der schönsten Blumen 
prangte, zeigt keine Spur mehr von seiner Pracht, sie ist entweder 
vom Sturm zerknickt oder so mit Staub bedeckt worden, dafs 
jedwedes Naturleben vernichtet ist. Wenn wir ins Freie blickten, 
so war es als sähe man durch ein gelbgefärbtes Glas, dann zeigte 


38 Ennensperg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


1549. 


1549. 


1550. 


1S»0. 


IS>0. 


sieh die Luft röthlich und endlich ganz dunkelbraun. Ein solcher 
Staubsturm ist von einem aufserordentlich feierlichen Eindruck; 
die Sonne erscheint in blutrother Farbe und die in voller Üppig- 
keit prangende Pflanzenwelt ist plötzlich wie in ein Grab gesenkt. 
Augsb. Allgem. Zeit. Beilage zu Nr. 68. 9. März 1850. Anonym. 
(Monatsb. 1850 p. 258.) 

"all von rothem Regen. Kürzlich (1. August) fiel beim Dorfe 
Bonvilstone em Regenguls so roth wie Blut und er verbreitete 
sich von da in westlicher Richtung über Lantrithyd, Flemingston 
u. s. w. gegen Landwit-Major. Er war so deutlich, dafs er die 
Erdschollen färbte. von denen manche wie Röthel aussahen. Mehre- 
res Landvolk, welches davon Kenntnifs erhielt, war in ängstlicher 
Aufresung, weil man sich vorstellte, es sei eine Anzeige eines 
nahen Unglücks, und einige die es nicht fallen gesehen, kamen im 
Laufe des Tages herbei, um den verfärbten Boden zu betrachten. 
Oambrien, The Athenaeum 4. August 1849 p. 796. (Monatsb. 
1850 p. 238.) 

Über den oft blutfarbig rothen liegenden alten Gletscherschnee 
der Schweiz, im Gegensatz des frisch fallenden rothen Schnees, 
sind in dem Monatsbericht 1849 p. 287 ausführliche Mittheilungen 
gemacht. 

Anfangs Februar 1850 schwarzer Schneestaub zu Oesterholz bei 
Detmold. Vergl. die Nachricht und Analyse in dem Monatsbericht 
1850 p. 123. 

In der Nacht vom 16. zum 17. Februar rother Schneefall auf den 
St. Gotthards-Alpen, welcher die höchsten Spitzen bedeckt. Aus- 
führliche Nachricht und Analyse findet sich in dem Monatsbericht 
IS50 p. 169, 1851 p. 158. 

Staubregen am 26. März 1850 aus Ningpo in China, dessen 1851 
in den Monatsberichten veröffentlichte Analyse die sehr grofse Fre- 
yuenz gelber Staubfälle in China aufser Zweifel stellt und nicht 
wenige dem Passatstaube zugehörige Elemente darbietet. Unter 
38 beigemischten organischen Formen war keine das Land characte- 
nisivrende neue, auch keine Characterform eines anderen Landes. 


Es sind weit verbreitete Arten. Keine gehört dem Meere an, 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 59 


1851. 


1851. 


1853. 


1854. 


keine zeigt eine Mischung mit fossilen Erden. (Monatsb. 1851 
p- 26, 1862 p. 209.) 

Analyse eines rothen Schneefalles aus Graubündten am Bernhardin- 
Passe vom 4. Februar 1851 mit Nachweis der Passatstaub-Elemente. 
auch einiger amerikanischer Formen: Desmogonium gwanense?! 
IHrmantidium Papilio. (Monatsb. 1851 p. 158, 1862 p. 209.) Hier- 
bei ist nachträglich zu bemerken, dafs von Herrn Prof. Brunner 
in Schweizer Zeitschriften desselben Jahres eine höchst verdienst- 
liche genaue Nachricht über die grofse Verbreitung des Phänomens 
in den Hochgebirgen gegeben worden ist. 

Analyse eines 1851 auf ein Schiff im Stillen Ocean gefallenen 
grauen Meteorstaubes, welcher sich als ein reiner Bimsteinstaub 
ergab und dem Mangel des zimmetfarbenen Staubes im Stillen 
Ocean nicht abhalf. (Monatsb. 1851 p. 739, 1862 p. 210.) 
Analyse zweier grauer Meteorstaub-Arten aus Ninepo im China 
vom März 1853, welche dem 1851 analysirten dortigen Orkan- 
staub an Farbe und vielfach an beigemischten Lebensformen «lei- 
chen, wobei auch wieder, aber vereinzelt, Characterformen des 
Passatstaubes befindlich. Vom Einsender Herın Dr. Macgowan 
(Maeegaun) m Ningpo wurden damals noch verschiedene histo- 
rische Verhältnisse des gelben Staubes in China an den Vortra- 
senden gemeldet, die m den betreffenden Jahren eingeschaltet 
snd. Wenn das häufige Fallen des gelben Staubes in China 
reichlich ist, bemerkt Dr. Macgowan, erwartet man ein frucht- 
bares Jahr. Er schliefst selbst, dafs dort ungeheure Staubmengen 
fallen müssen. (Monatsb. 1853 p. 514, 1862 p. 210.) 

Am 15. Februar wurde in Breslau durch die Herrn Prof. Göppert 
und Cohn ein ın Schlesien sehr weit verbreiteter Stauborkan mit 
Süd- und Südwestwind beobachtet. Der Staub kam mit gelben Hauf- 
wolken und hin und wieder mit Schneefall (Camenz, Brieg, Glogau. 
Strehlen) oder er lagerte sich auf weilsen Schneeflächen (Gleiwitz). 
Unbegrenzte Nebelmassen liefsen zuweilen die ganze Gegend gell 


T 


erscheinen. Die von Prof. Cohn gemachte mikroskopische Ana- 


Iyse ergab dieselben Resultate, wie die des Staubfalles vom 


22. Januar 1864 in Schlesien (vergl. 42. Jahresbericht der Schle- 


40 Eurenperg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


lS5». 


1ISD6. 


sischen Gesellsch. für vaterländ. Kultur 1864 p. 49.) Der Staub- 
fall wurde gleichzeitig in folgenden Orten beobachtet: Gleiwitz, 
Neisse, Glatz, Lampersdorf und Camenz bei Frankenstein, Reichen- 
bach, Schweidnitz, Grottkau, Münsterberg, Wansen, Strehlen, Brieg, 
Markt-Bohrau, Breslau, Stephansdorf bei Neumarkt, Parchwitz, 
Zedlitz bei Lüben, Liegnitz, Glogau und Öttendorf bei Sprottau. 
Es bleibt zu beurtheilen ob die angeblich gelbe Färbung dieses 
Staubes ıhm wirklich zukomme oder ob sie nur ein Reflex der 
weilsen Schneeverhältnisse ist, auf welchen sich die Farben leicht 
erhöhen. Die Bestandtheile ergaben nicht die Charactere des 
Passatstaubes. 

Kin im Canton Zürich in der Schweiz gefallener Rothweinartiger 
Regen am 14. und 20. November 1855 wurde im December ana- 
Iysirt, dem vor 100 Jahren in Ulm gefallenen gleich gefunden und 
in ihm das wässerige farbige Extract eines Passatstaubnebels ver- 
muthet, dessen im Herumziehen mit Wasserdunstwolken ausgezo- 
gener Staub irgendwo anders abgelagert worden sein möge, als 
das Wasser. „Jedenfalls weiche diese Art rother Regen vom Blut- 
vegen des Passatstaubes in der Mischung völlig ab, da die Färbung 
nichts Feuerbeständiges, aber dem Sülsholz-Extract ähnlich, feine 
Kügelchen enthalte. (Monatsb. 1855 p. 774, 777. Vergl. den 1861 
bei Siena gefallenen Regen. Monatsb. 1862 p. 211.) 

Fiel am 1. Mai zu Shangai m China eine die Sonne verfinsternde 
Meteorsubstanz, welche die Analyse nur als eine reine Pappel- 
samenwolle angiebt, von der ein, wie es vom Einsender bemerkt 
ist, beigemischter Schmutz abgesondert worden war. Dieser so- 
genannte Schmutz mag vielmehr eine den Meteorstauben vergleich- 
bare Erde gewesen sein, welche weit mehr Interesse hatte, als die 
(dieselbe verunremigende Pappelwolle. (Monatsb. 1856 p. 393.) 
Über einen aufserordentlich merkwürdigen intensiv rothen Staub- 
nebel, welcher durch den Flotten-Arzt Dr. Georg Clymer auf 
der Kriegs-Sloop Jamestown ım Februar 1856 aus der Breite von 
Sierra Leone im hohen Atlantischen Ocean an Kapitain Maury 
berichtet worden, sagt Letzterer in den Sailing Direetions 1859 II 


p. 377: „Was die Staubnebel (dust fogs) anlangt, welche im Früh- 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 41 


ling und Herbst in der Gegend der Capverdischen Inseln vorkom- 
men sollen, so haben wir nur einmal dergleichen gesehen, obwohl 
die Atmosphäre dort von trocknem staubigem Dunst (dry 
dusty haze) oft trübe ist. Den rothen Staubnebel, welchen wir 
sahen, durehschifften wir auf der Rückkehr von St. Paul de Loanda 
nach Porto Praya im Februar 1856. Es war in der Zone der 
äquatorialen Windstillen, in welche wir aus dem Südwest-Passat 
am 1. Febr. im zweiten Grade nördl. Breite und zwischen 12 u. 
13 Grad W. L. übergingen. Wir waren sechs Tage in diesen 
Staubnebel eingehüllt, in welchen wir in der Nacht des 9. Febr. 
plötzlich in 7° 30’ N. Br. 15° W. L. eintraten und aus dem wir 
am 15. desselben Monats (gleichzeitig mit dem Übergange von der 
Gegend der Windstillen in die des Nordost-Passats) unter 9° N. 
Br. und 19° W. L. wieder heraustraten, Der rothe Staub hing 
dick an den Segeln, Tauen, Planken und Verdecksgeräthen, von 
denen er sich leicht sammeln liefs. Es war ein unfühlbares Pul- 
ver von Ziegelstaub- und Zimmet-Farbe. Die Atmosphäre war so 
dunkel, dafs man am Mittag in der Entfernung von 4 Meile ein 
Schiff nieht hätte erkennen können. — * 

Wie viel Masse mag wohl allein in jenen sechs Tagen des 
Schiffes Jamestown im Februar 1856 sichtbar getragen und wirk- 
lich ins Meer gefallen sein? Wie lange mag solcher Staubfall an- 
halten können? In welchen Perioden mag er so massenhaft er- 
scheinen? Nach Horsburghs India Directory p. 49 giebt es 
ebenda Fälle von 15 bis 16 Tagen Dauer, und die Erscheinung 
findet 3 bis 4 mal in jedem Frühling und Herbst statt. Grund 
genug für den Ausdruck Dunkelmeer und die Nichtumschiffung 
Afrika’s in früher Zeit. 

Auf Schiffen ist noch niemals eine Messung der Menge des 
sich in bestimmter Zeit oder in der Dauer der Erscheinung ablagern- 
den Staubes versucht worden. Auch hierin wird man ohne grofse 
Schwierigkeit künftig eine Erläuterung dadurch herbeiführen, dafs 
man das auf 1 oder 3 oder mehr Quadratfuls oder Meter abgela- 
serte in bestimmter Zeit oder der Dauer in der oben angegebenen 
Weise gesondert abnimmt und zur späteren Wägung gesondert 


Phys. Kl. 1871. 6 


42 EHRENBERG: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


1856. 


1859. 


1860. 


1860. 


1860. 


aufbewahrt, welche durch Trocknen bei 100° C. einzuleiten ist, 
annähernd aber auch mit gewöhnlicher Apothekerwaage und ge- 
wöhnlicher Trockenheit des Niederschlages nutzbar erlangt werden 
kann. (Monatsb. 1862 p. 533.) 

Am 4. Novemb. fiel im hohen Süd-Ocean auf ein amerikanisches 
Schiff ein, hohlen feinen Vogelschrotkörnern ähnlicher, Eisenstaub, 
welcher, von Kapitain Maury eingesandt, beweist, dafs verschie- 
denartige merkwürdige Meteore in Weltgegenden existiren, wo sich 
kein Passatstaub bemerklich gemacht hat. (Monatsb. 1858 p. 1.) 
Fiel am 24. und 25. Januar bei den Capverden auf das amerika- 
nische Schiff Derby ein zimmetfarbener Passatstaub nach den ein- 
gesandten Proben des Kapitain Hutchinson und des Kapitain 
Maury. Der Staub enthält nach mikroskopischer Analyse 40 or- 
ganische Formenarten genau in demselben Mischungsverhältnils, 
wie in allen analysirten Passatstaubproben. (Monatsb. 1860 p. 203, 
1848 p. 440.) 

Am 10. März fiel bei Scirocco über ganz Griechenland ein gelber 
und zum Theil zimmetfarbner Staub, der bestimmt nicht Blüthen- 
staub war. Jul. Schmidt. (Monatsb. 1869 p. 308.) 

In einer schönen Octobernacht gegen 4 Uhr Morgens beobachtete 
Herr Joseph Chartier, Municipalrath aus Montaigu, zwischen 
Vervins und La Bouteille ein wie eine Rakete über ihm aufleuch- 
tendes Meteor, dessen Trümmer um ihn herumfielen. Die auf der 
Erde zusammengeraffte kalte Materie leuchtete sehr stark fort wie 
electrisches Licht. Später zeigte die aufgenommene Erde nichts 
Eigenthümliches. (Galle l.c. 1869 p. 86.) Ob es der Rest eines 
künstlichen Leuchtfeuers war läfst sich nicht entscheidend beur- 
theilen. 

Am 8. u. 9. Februar 1860 fiel zu Jerusalem ein Orkanstaub, der 
durch Consul Dr. Rosen eingesandt worden. Es ist dem Ver- 
zeichnifs der 75 ihn mit zusammensetzenden Formen zufolge un- 
zweifelhaft, dafs dieser Staub sich an den eigentlichen Passatstaub 
anschliefst und somit erläutert derselbe die uralten Blutmeteore 
von Moses, des Propheten Elisa und von Alexanders des Grolsen 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 43 


1859. 


1860. 


1861. 


1861. 


1861. 


Zeit, welche in nahe liegenden Gegenden stattgefunden. (Monats- 
bericht 1860 p. 148. 156.) 
Fiel am 21. Decemb. in Westphalen und den Rheinlanden ein 
Staubsturm mit angeblich rothem Schneefall, dessen Analyse erge- 
ben hat, dafs derselbe kein wahrer Passatstaub gewesen und seine 
mögliche Mischung mit dergleichen nur als höchst untergeordnet 
erscheine. Die 74 Formen sind weit verbreitete des deutschen 
Bodens. Ebenda p. 137. 
Am 28. und 31. Decemb. 1860 und am 1. Januar 1861 fiel zu 
Siena in Italien ein rother Regen, welchen die Herren Professoren 
Dr. Campani und S. Gabrielli daselbst in sehr verdienstlicher 
Weise umständlich chemisch analysirt und beschrieben haben. (Sıulla 
Pioggia d’acqua rossa caduta ın Siena ete. studi chemici e micros- 
copiei dei Dottori G. Campani e S. Gabrielli. Siena 1861.) 
Dieser Regen schliefst sich zunächst an den in Zürich 1855 am 
14. November gefallenen an, (vergl. Monatsb. 1855 p. 764, 1862 
p- 215) und ist in nur zweifelhafter Beziehung zum Passatstaub, 
so dafs er möglicher Weise als ein meteorischer Extract 1862 
p. 215 von mir bezeichnet wurde. 
Am Morgen des 29. October 1861 bemerkte der Kapitain Gutkese 
auf der Reise von Ostindien nach England, zwischen dem 24. und 
25. Grad n. Br. und dem 35. und 36. Grad westl. L. von Green- 
wich, bei Ost und Nord Nord-Ost-Wind, dafs sämmtliche Segel des 
Schiffes mit einem rothen Staube bedeckt waren, der aber so 
äufserst zart war, dafs vermittelst einer Bürste mit darunter ge- 
haltenem Papier nichts dem Auge Sichtbares gesammelt werden 
konnte. An verschiedenen Segeln angehängte Schaaffelle hatten 
mehr von dem Staube in sich aufgenommen. 40 Analysen des 
rothen Staubes ergaben 47 organische Formen-Arten. (Monats- 
bericht 1862 p. 215.) 
Im Monat Juni und Juli wurden ansehnliche rothe Staubfälle in 
Lyon auf Leinwandflächen bemerkt, nach Dr. Lortet (vergl. 
Monatsb. 1862 p. 524.) 
Wird von Herrn Buechich in Dalmatien ein trockner Nebel bei 
Nordwind angezeigt (vergl. Öster. met. Nachr. IV p. 305.) 

6* 


44 Enrenpenrg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


1861. 


1802. 


1502. 


In der Nacht zum 17. Februar 1861 fiel im Thal von Vegezza 
nahe bei Domodossola nach einem heftigen Wirbelwind mit Don- 
ner, Blitz und Hagel ein rother gelblicher Schnee, welcher am 
Morgen sich schichtenweis im Thale abgelagert zeigte. Die ge- 
fürbte aufgesammelte Masse wurde von Professor Lavini unter- 
sucht. (Bullet. meteor. d. Osserv. d. Coll. Carlo Alberto in Mon- 
calieri Vol. V N. 2. 28. Febr. 1870.) 

In der Sylvesternacht fiel in Breslau und in dem übrigen Schle- 
sien von Neumarkt bis Ratibor und Kosel ein Staubfall mit Süd- 
sturm, welchen die Herrn Cohn und Göppert mit den in der 
Schweiz im Engadin sich damals zuerst anzeigenden Seirocco Süd- 
winden in Verbindung bringen. Man sah tiefsehende gelbliche 
Wolken und fand den auf dem Schnee liegenden gelblichen Staub 
dem der aufgewühlten Sturzäcker in der Richtung des Sturmes 
gleich. In der Mischung glich er einem späteren von 1864, wel- 
cher nachzusehen ist. (Cohn 42. Jahresb. d. Schles. Gesellsch. 
t. vat. Kult. 1864 p. 50.) 

Am 5. und 6., genauer wohl am 7. Februar 1862 ist, wie am 
31. März 1847, ein rother Schnee gefallen, welcher sich weithin 
über das salzburgische Gebirgsland bemerkbar machte nach einem 
Bericht vom Bergverwalter Reifsacher in Böckstem. Der rothe 
Schnee wurde südlich von der Wetterwand bei Mitterberg, an den 
Radstätter Tauern, in Gastein und Rauris und längs der ganzen 
Centralkette zwischen Salzburg und Kärnthen durch das Pinzgau 
gefunden. In Gastein und Rauris machte sich die Röthung der 
etwa 1 Zoll diek gefärbten Schneeschicht vorzugsweise an den 
westlich gelegenen und gegen Osten abdachenden Gehängen durch 
Intensität der Farbe bemerkbar, was auf eine Windrichtung aus 
Ost und Nordost schliefsen lälst. Nach Herrn Reifsachers Nach- 
richten erstreckte sich der rothe Schneefall über die ganze Tauern- 
kette aus Ost in West circa 15 Meilen und aus Nord in Süd eirea 
7 Meilen, so dals diese Beobachtung des rothen Schneefalls sich 
auf eine Fläche von mindestens 100 Quadratmeilen vertheilt. 40 
Analysen sind durch 52 organische Formen-Arten charaeterisirt 
(vergl. Monatsb. 1862 p. 521.) 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 45 


1862. 


18062. 


18638. 


1863. 


1564. 


Am 27. März 1862 fing es nach Dr. Lortet in Lyon um 74, Uhr 
Morgens bei ruhiger Luft und ganz leichtem Westwinde im grolsen 
Tropfen zu regnen an. Diese Tropfen hinterliefsen einen rothen 
Staub, welchen ein Fabrikant wasserdichter Leinwand, von der 
immer einige 1000 mötres ausgespannt liegen, beobachtet hat. Eine 
von ihm auf Papier aufgefangene Probe wurde mir zugesandt und 
analysirt. 40 Analysen ergaben 48 verschiedene organische For- 
men-Arten (vergl. Monatsb. 1862 p. 526.) 
Herr v. Khanıkoff berichtet von erschreekenden Staubstürmen in 
Khorassan und Afghanistan, Kaubar (Caligo) genannt, deren Farbe 
er aber stets als grau und gelb bezeichnet (vergl. Abhandl. der 
Akad. 1868 p. 38.) 
Am 1. Mai 1863 war die Ebene bei Perpignan und an andren 
Orten der östlichen Pyrenäen Frankreichs nach einem heftigen 
Sturm hier und da mit röthlichem Pulver bedeckt und die nahen 
Berge sah man mit rothem Schnee bedeckt. Derselbe Staubfall 
wurde an verschiedenen Punkten des Mittelmeeres, in besonderer 
Menge im unteren Gatalonien bei Figueras und Gerona und in 
Aragona zu Mora am Ebro beobachtet. Chemisch analysirt wurde 
der Staub von Bouis. (Bullet. meteor. dell. Osserv. in Moncaltert. 
Vol. V No. 2. 28. Febr. 1870.) 
Am 7. Februar 1863 fiel ein rother Staub bei den Oanarischen 
Inseln der den Pie von Teneriffa roth färbte: „Una pioggia di 
sabbia ascrutta e quası impalpabile cadde nello Isole Canarie, la 
quale ricopri e tinse in rosso \l pieco di Teneriffa, non che le nawr 
ancorate davantı Teneriffa, Palma e U Isola del Ferro.“ — Analysirt 
wurde der Staub von Daubrde. (Bullet. meteor. d. Osserv. del 
Coll. Carlo Alberto in Moncalieri. Vol. V No. 2. 28. Febr. 1870.) 
Eine Staubprobe dieses Passatstaubes sandte Dr. Fritsch aus 
Zürich zu meiner Analyse sowohl von der Insel Ferro als von 
der Insel Palma, welche im folgenden Abschnitt näher bezeichnet 
werden. 
Erschien eine reichhaltige Zusammenstellung über rothen Polar- 


schnee im Anhange des vierten Bandes der Reise des Herrm 


46 EHRENBERG: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


1864. 


1864. 


von Middendorff, aus welcher hervorgeht, dafs diese Erschei- 
nung dort bedeutende Ausdehnungen hat und verschiedenartig ist. 
Am 22. Januar 1864 wurde in preulsisch und österreichisch 
Schlesien ein Stauborkan beobachtet, der die ganze unter weilsen 
Schnee liegende Gegend mit braunem Staube bedeckte. In der 
Stadt Breslau hatte sich am Morgen der Schnee mit einer gelb- 
grauen Staubschicht bedeckt, nachdem in vorhergehender Nacht 
Südwind geweht hatte. Nach Berechnung des Apotheker Thamm 
in Ratibor, welcher von 12 Quadratfuls den Schnee sammelte, 
blieben beim gelinden Trocknen 84 Loth Staub zurück, was als 
mittlere Werthbestimmung für Ratibor auf die Quadratmeile (—576 
Millionen Quadrat-Fufs) 130,000 Centner niedergefallenen Staub 
ergeben würde. Herr Renowitzki in Grofs-Strehlen gewann von 
223 Quadrat-Zoll Schneefläche 43 Loth Staub, was 240,000 Cent- 
ner auf die Quadratmeile geben würde. Der überaus feine, aller- 
orts gleichartige Staub war nach Cohn ohne gröbere Sandmischung 
mit nur wenig mikroskopischen organischen Formen gemischt. 
(Cohn 42. Jahresb. d. Schles. Gesellsch. f. vaterl. Cult. 1864 p. 45.) 
Weder die Farbe noch die angegebene Mischung dieses grofsen 
Staubsturmes schliefsen sich mit Sicherheit an den wahren Passat- 
staub an und lassen vielmehr vermuthen, dafs der eigentliche 
Character durch überwiegende Lokalverhältnisse schon in der 
Ferne verdunkelt worden. (Abhandl. d. Akad. 1868 p. 41.) Die 
von mir gemachte Analyse sowohl des Staubes von Ratibor als 
von Troppau ist im folgenden Abschnitt zu vergleichen. 

Am 21. Februar 1864 fiel bei Reifnitz in Krain um 11 Uhr Vor- 
mittags bei südöstlichem Wolkenzug ein äulserst feiner, aus sehr 
kleinen Gräupchen bestehender Schneefall, welcher während einer 
Stunde die ganze Gegend mit gelblichrother Schicht bedeckte, 
zwischen isabellgelb und ziegelroth, am meisten ähnlich dem Zie- 
gelmehl von alten Backsteinen. Die gefärbte Schneeschicht war 
1 Zoll mächtig durchgehends von gleicher Beschaffenheit. Der 
vothe Schneefall erstreckte sich auch auf Cernembl, Strug, Dür- 
renkrain und auf die Oblaker Hochebene. Die Reifnitzer Land- 
leute erinnern sich sehr wohl, dafs zur Zeit der französischen 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 47 


1864. 


1864. 


1865. 


1866. 


1866. 


Occupation ein ähnliches Phänomen stattgefunden habe, nur soll 
der Schnee damals eine mehr intensive, fast blutrothe Färbung 
gehabt haben. Diese Beobachtung von Deschmann hat Prof. 
Jelinek mitgetheilt in d. Sitzungsber. d. Wiener Akad. 1864 II 
p- 337. 

Am 20. u. 21. Februar fiel gleichzeitig zu Rom und in der gan- 
zen Romagna ein ähnlicher Niederschlag von Staub bei wüthendem 
Südwind und starkem Regen. Die Menge des gelbröthlichen, dem 
Ziegelmehl ähnlichen, äufserst feinen, unfühlbaren Staubes liefs sich 
in seiner Schicht bis 4 Millim. schätzen. Der Staub bot angeblich, 
nach Jelineks Mittheilung, keine Spur vollständiger organischer 
Substanzen mit Ausnahme einiger wenigen eiförmigen Körper von 
ungewisser Beschaffenheit. (Secechi Bullettins meteorol. d. Osserv. 
d. Coll. Rom. Vol. Il p. 18. Jelinek, Sitzungsber. der Wiener 
Akad. 1866 II p. 556.) Die mir von Pad. Secchi übersandte 
Probe dieses Staubes, zeigte nach meiner angezeigten Methode des 
Analysirens doch eine ansehnliche Menge der organischen Bestand- 
theile des wirklichen Passatstaubes. (S. Monatsb. 1869 p. 318.) 
Am 28. und 30. März 1864 wurde von Herrn Calzavara zu 
Valona in Albanien ein Schlammregen (proggia fangosa) zwischen 
3 und 5 Uhr Nachmittags beobachtet bei heftigem Südsturm. 
(Jelinek, Sitzungsb. d. Wiener Akad. 1866 p. 557.) 

Am 15. März 1865 wurde zu Tunis ein Staubfall beobachtet auf 
der dort stationirten italienischen Dampfcorvette Etna, und gleich- 
zeitig auch zu Rom durch Secechi. (Bullet. met. d. Osserv. Coll. 
Rom. Vol. IV p. 41.) Jelinek, Sitzungsber. der Wiener Akad. 
1866 p. 557. 

Am 28. Februar 1866 berichtet der Fabriks- Director Johann 
Prettner aus Klagenfurt von einem braunen Staube, der den bei 
Gewitter herabfallenden Schnee oberflächlich bedeckte, während 
der tiefer darunter liegende Schnee schön weifs blieb. In einer 
Schneemenge die 20 Mafs Wasser gab, waren 83 Wiener Gran 
solchen Staubes enthalten. 

Fiel in der Nacht vom 28. Februar zum 1. März in Rom ein 
schwacher Regen, der an den Fenstern des Observatoriums einen 


48 EHRENBERG: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


1567. 


sehr feinen röthlichen Niederschlag zurückliefs. Der diesen Fall 
beobachtende Padre Seechi liefs die Glastafel behutsam aus 
dem Fensterrahmen herausnehmen und eine neue an deren Stelle 
setzen. Als aber der Beobachter Marchetti am Morgen des 
3. März die meteorologischen Beobachtungen anstellen wollte, be- 
merkte er einen röthlichen Überzug auf der neuen Tafel und 
glaubte, es sei die alte wieder an ihre Stelle gebracht worden. 
Es hatte somit ein neuer mit Regen gemischter Staubfall stattge- 
funden. Ein merkwürdiger Umstand war eine gewisse Trübung 
des Himmels, welche bewirkte, dafs man die Sonne, welche hoch 
am Himmel stand, ungescheut betrachten konnte. (Jelinek, 
Sitzungsber. der Wiener Akad. 1866 p. 558.) 

Fiel am 15. Januar vermuthlich in den frühesten Morgenstunden 
ein röthlich grauer Schnee durch den ganzen Canton Graubündten 
bei einer heftigen Süd-West Strömung der Luft und wurde auch 
auf dem Splügen und Bernhardin wie anderwärts abgelagert. 
(Vergl. Killias IV. Jahrg. der Schweiz. Meteor. Verhandlungen 
1867.) Die Staubproben von Churwalden, Klosters, Andeer und 
Chur sind durch Herrn Killias für meine hier mitzutheilende 
Analyse zugänglich geworden. 

Am 15. Novemb. 1867 wurde durch den Sohn des Dr. Nicati 
zu St. Denis du Sig, Provinz Oran, Algier, ein grobkörniger dun- 
kel braun gefärbter Staub bei heftigem Seirocco-Sturm gesammelt. 
(Vergl. Cramer, Band V der Schweiz. Meteorl. Beob. 1868.) 
Nach Cramers Analyse fanden sich viele Polythalamıen nnd nur 
wenige Pflanzentheile verschiedener Art, die auf ein lokales Ver- 
hältnifs hindeuten. In meiner später speciell verzeichneten Ana- 
Iyse sind auch eine ansehnliche Zahl von Baetllarien und Phyto- 
hitharien daraus hervorgetreten. 

In der Nacht zum 14. Januar 1867 fiel nach heftigem Südwind 
auf der ganzen nördlichen Seite der Seealpen mit Inbegriff von 
Cuneo und den Bergen von Garessio oberhalb Albenga ein Zoll 
hoch rother Schnee, welcher von einem feinen Staube herrührte 
mit dem der Schnee erfüllt war. (Bullet. meteor. dell. Osserv. in 
Moncaliert Vol. V No. 2 1870 p. 14.) 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 49 


1867. 


1867. 


1568. 


1868. 


1569. 


1869. 


1569. 


Am 20. März 1867 wurde ein neuer (rother?) Staubfall über Ga- 
lizien verbreitet mit heftigem Nord-Nord-West Sturm. (Bullet. 
meteor. dell. Osserv. in Moncalieri Vol. V No. 2. 1870 p. 14, vergl. 
Vol. II p:2: 

War im August zu Modena nach Professor Ragona (la caligine 
atmosph. in Luglıo 1869 p. 12) ein trockner Nebel gleich dem 
vom Juli 1869, den Professor Kaemtz für Höherauch erklärte. 
Ist die reichhaltige historische Zusammenstellung der sternschnup- 
penartigen Gallert-Meteore vom Astronomen Prof. Galle und von 
Prof. Cohn in Breslau in den Schlesischen Schriften erfolgt, welche 
besonders die vom Grafen Pfeil angeregten mit vielfach erweiter- 
ten ähnlichen Beobachtungen zusammenfafst. Die vielen Beobach- 
tungen von Froschresten in manchen dieser Gallerten sind dabei 
nicht aufser Acht gelassen. Was meine experimentellen Untersu- 
chungen dieser Art vom Jahre 1836 anlanst, so würden dieselben 
sich dadurch characterisiren lassen, dafs sie das Fortwachsen der 
aufquellenden Froschtheile, als auf ihnen sich entwickelnde faserige 
und gallertige Pflanzengebilde, aufser Zweifel gestellt haben. 

Im Juni rother sehr reichlicher Staubfall in Apulien, durch einen 
Professor zu Canosa gesammelt und durch Professor Palmieri 
in Neapel an mich übersandt. 

Am 10. März rother Passatstaubfall in Subiaco und Isola di Sora 
bei Neapel. (Bullet. meteor. dell. Osserv. Rom. Vol. VII.) 

Am 24. März fiel nach Herrn Galvert zu Tschanäk-Kalessi bei 
Nord-Ost-Sturm ein rother Passatstaub in den Dardanellen. Glei- 
cher Staub ist nach Herrn Jelinek am gleichen Tage in Lesina 
bei Dalmatien, bei Weixelstein unweit Steinbrück und bei Cilli, 
zwischen Grätz und Laibach, in Krain gefallen und es sind mir 
die Proben desselben zugekommen. In den Dardanellen war die 
Menge des gefallenen Staubes in der ungeheuren Masse von 15 
Tons auf eine englische Quadratmeile berechnet. Am gleichen Tage 
fiel ein rother Staub in Neapel. (Oesterr. meteor. Nachrichten 
Bd. IV p. 203, vergl. Monatsb. 1869 p. 307.) 

Am 23. u. 24. März 1869 fiel in Sicilien und Calabrien bei heftigem 
Nord-Ost-Sturm und dunklen gelblichen Wolken unter Blitzen ein 


Phys. Kl. 1871. 7 


50 Ennenpeng: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


Regen, der die Farbe der Wolken hatte und einen gelben erdigen 
Bodensatz zurückliels, der sich nach Prof. Silvestri’s specieller 
hier angezeigten Beobachtungen in Catania im Feuer, wie Letten, 
voth fürbte. Die von Silvestri zuerst und dann von mir analysirte 
Probe enthält die Elemente des Passatstaubes in reichlicher Zahl. 

1869. Im Juli beobachtete der Director der Sternwarte zu Neapel Gas- 
peris, dals der damalige Höherauch einen sehr feinen reichlichen 
Staub zu erkennen gab (Ragona, la caligine atmospherica Luglio 
1569 p. 8). Ragona selbst zeigt an, dafs ein Honigthau 
ähnlicher Schlammüberzug von gelber Farbe auf den Blättern der 
Gewächse in den Bergthälern bei Arad gleichzeitig beobachtet 
worden sei, den man Mellume nannte, 1. e. p. 15. 

. U . x . 

1869. Am 6. und 13. Juni 1869 sah man im Salzburg einen trocknen 
Nebel (ob roth?), der nirgends anderwärts beobachtet wurde. 
(Ragona |. c. p. 17.) 

1870. Vom 13. und 14. Februar 1870 1) meldet Padre Denza (Bullettino 
meteorologieo dell’ Osservatorio del Colleg. Carlo Alberto ın Mon- 
calveri Vol. V No. 2. 28. Febbrajo 1870) nach folgender wörtlicher 

!) Im Bullettino meteorologico dell’ Osservatorio del Collegio Romano. No. 2. Vol. IX. 

Roma 23. Febbrajo 1870 p. 14 heilst es so: 

Den 13. Februar 1570 wurde in Rom, in Subiaco und an der ganzen Ligurischen 
Küste das Fallen rothen Sandes (sabbia) beobachtet. In Rom und in Subiaco wurde der- 
selbe bei Gelegenheit eines schwachen, in den Nachmittagsstunden fallenden Regens ge- 
sammelt; in Ligurien und in Piemont wurde er in der Nacht vom 13. zum 14. mit star- 
kem Schneefall gesammelt. Der Wind war in Rom und in Subiaco ein heftiger und war- 
mer Südost-Wind; in Subiaco zeigte das im Norden aufgestellte Thermometer 16°, nach 
dem der Sternwarte 15°, 

31. Marzo 1870 p. 19. — Der Sturm hat überall schlechtes Wetter verursacht und 
am 8. und 10, Februar hat es an verschiedenen Orten geschneit. Wir hatten ihn in der 
Stadt in zwei Nächten am 9. und 10. und in der ganzen Campagna hat er mehrere Tage 
angehalten. Noch war dieser erste starke Sturm nicht vorüber, als schon am 11. ein 
zweiter aus Süden von Spanien her einfiel, welcher bei dem Barometerstande von 743” bis 
zum 14. andaunerte. Diese Depression im Nordwesten unserer Station brachte einen 
wüthenden Sturmwind am 13. aus Südost und damit eine jener Erscheinungen, die bei 
uns nicht so selten sind, nämlich die Herbeiführung von Sand aus den afrikanischen 
Wüsten in unsere Gegend. Dieser Fall von röthlichem Sande wurde um 2 Uhr Nach- 
mittags beobachtet, begleitet von wenigen Regentropfen. Herr Alvarez beobachtete dies 
gleichzeitig in Subiaco und gab in einem Telegramme davon Nachricht, Padre Ciampi 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 51 


Übersetzung aus dem Italienischen, dafs nach dem 10. Febr. ein 
starker Nordsturm ganz Europa, von Schweden und England bis 
nach den äufsersten Punkten der Iberischen Halbinsel, Italien und 
Griechenland durchströmte, der von starker Kälte und reichlichem 
Schneefall begleitet war. 

„So ist eine Bewegung der Atmosphäre entstanden, welche, wie 
gewöhnlich, in den Äquatorial-Gegenden eine nicht weniger starke 
Bewegung hervorrief, die in kurzer Zeit überall, besonders im 
Süden und Westen des Continentes, die Temperatur erhöhte. Sie 
betrat unsere Halbinsel zwischen dem 12. und 14. und ein 
wüthender Südost-Wind wandte sich dann den westlichen Gegen- 
den zu, besonders den Küsten des Mittelländischen Meeres, wie 
auch vielen Punkten von Sicilien, Civita veeehia und besonders der 
ganzen Ligurischen Küste. Der eintretende Regen fiel mehr oder 
weniger reichlich in diesen Gegenden und verwandelte sich in 
Schnee, als er die nördlichen Appeninen erreichte.“ 

„Damals fand sich an verschiedenen Orten sowohl der Regen als 
der Schnee gemischt mit sehr feinem Sand.“ 

„Im Süden wurde dies in geringer Menge vom Professor Minä- 
Palumbo aus Castelbuono im nördlichen Sicilien bei Oefalu be- 
obachtet, sowie auch in Rom, Subiaco, Tivoli und Mondragone 
bei Frascati, wo der Staub durch die Trübung der Atmosphäre und 
die rothgelbe Färbung der Regentropfen angekündigt wurde; in 
Sicilien bemerkte man ihn am Abend des 13. und am Morgen des 
14., in den römischen Stationen am Nachmittage des 13. Im Nor- 
den fiel der Staub mit Regen am reichlichsten zu Genua und an 
anderen Punkten der Ligurischen Küste in der Nacht vom 15. zum 
14. In Genua wurde er durch Prof. Boccardo gesammelt, Prä- 
sident des dortigen technischen Institutes, zu 8. Francesco 


in Tivoli und Padre Lavaggi in Mondragone über Frascati. Padre Denza sammelte 
ihn in Moncalieri von dem in der Nacht vom 13. zum 14. gefallenen Schnee. Mit dem 
Luftstrome aus Südost wurde die Temperatur der Luft bis zum Morgen sehr erhöht; das 
Thermometer in Rom zeigte 15°, in Palermo 17°. in Neapel 14°, in Ancona 16°; am 
Schwarzen Meere, in Deutschland und in Süd-Frankreich hatten alle meteorologischen 
Stationen in gleichen Graden unter Null Grad. Das Barometer war während der Luft- 
bewegung aus Südost in fortwährendem Steigen und Fallen. 


7 % 


52 Eurengenrg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


d’Albaro bei derselben Stadt durch Sign. Gatta, welcher mir 
folgendermalsen darüber schrieb: „Fast in der ganzen Nacht vom 
12. bis 13. wehte in S. Francesco d’Albaro ein heftiger Nordsturm, 
welcher am Morgen in Seirocco überging, ohne in seiner Stärke 
nachzulassen. Das eisige Schneetreiben, welches mit dem ersten 
Winde verbunden war, ging in Regen über und in der Nacht vom 
Sonntag zum Montag (13. bis 14.) fand sich das Wasser mit dem 
von mir gesammelten Pulver vermischt. — Dafs dasselbe in gröfse- 
rer Menge gefallen sei, ging daraus hervor, dafs an den Orten, 
in welchen der Regen durch die Heftiskeit des Wirbelwindes an 
die Fenster gepeitscht war, derselbe m die Zimmer eindrang, 
Streifen an den Wänden und auf dem Fufsboden hinterliefs, wo- 
durch ich mich von der Gegenwart des begleitenden Staubes 
überzeugte. — * 

„In Piemont wurde derselbe Staub in unserer Station zu Mon- 
ealieri und zu Mondovi gesammelt; er war mit Schnee gemischt 
oecen 3 Uhr Nachmittags am 


o2°5 ke) 


und fiel nur eine halbe Stunde lang 
13. Die Atmosphäre hatte während dieser Zeit eine gelbliche 
Farbe, die sich auch an den Gebäuden refleetirte, und der zuerst 
fallende Schnee war von derselben (röthlichen?) Farbe, während 
der später fallende von gewöhnlich weilser Farbe war. Der zu 
Moncalieri gefallene Schnee vom 13. bis 14. hatte eine Höhe von 
9 Centimeter und der zu Mondovi 10 Centimeter, aber die gelben 
Streifen dazwischen waren sehr viel feiner.“ 

„Es ist wichtig zu bemerken, dafs der Deelimations-Apparat in 
Moncalieri während des 13. unruhig blieb, wie m Rom und an- 
derwärts. Das Electrometer gab Anzeichen emer starken elec- 
trischen Spannung in der Atmosphäre. Zu Mondovi sah Professor 
Bruno zur Zeit des gelben Schneefalles einen Blitz und hörte 
in der Höhe eimen Donner, was in dieser Jahreszeit dort unge- 
wöhnlieh ist.“ 

„Der gelbe Schnee, welcher in Moncalieri und Mondovi gesammelt 
und in einer Vorlage geschmolzen wurde, gab ein trübes 
Wasser, welches aber nach kurzer Ruhe ein röthliches Pulver zu 
Boden fallen liefs. Nach einer doppelten Filtration wurde dies 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 53 


1870. 


1870. 


1870. 


Wasser klar und das rückbleibende, von mir untersuchte Pulver 
zeigte sich in seinen äufseren Charaeteren ganz gleichartig mit 
dem überall in Ligurien gesammelten, das mir durch memen Cor- 
respondenten aus Ivrea, Herrn Gatta, und durch seinen Sohn 
L. Gatta, übergeben worden war.“ 

„Da ich keine Mittel hatte eine genaue Prüfung dieses Staubes 
vorzunehmen, wandte ich mich an meinen Collesen Borsarelli, 
Professor der pharmaceutischen Chemie an der Universität zu 
Turin, welcher sich gütigst der Übernahme unterzog. Sobald mir 
die Resultate der chemischen und mikroskopischen Analyse zugegan- 
gen sein werden, werde ich mich bemühen sie zu veröffentlichen.“ 

„Der in Genua gesammelte Staub wurde, nach Bericht des Prof. 
Boccardo, von Dr. Castellueci, Professor der Chemie am dor- 
tigen technischen Institut, chemisch analysirt. Er fand ihn zusam- 
inengesetzt aus erdigen und organischen thierischen Elementen.“ 

„Diese Regen von rothem Staub oder rothe Schneefälle, wurden 
eine Zeitlang Blutregen genannt und sind keine neuen Thatsachen. 
Um nicht zu weitläufig zu werden und nicht die vielen von Arago, 
Kaemtz, Ehrenberg und Anderen gesammelten Beispiele, noch 
auch die alten Nachrichten von solchen Regen in unseren Gegen- 
den zu wiederholen, reicht es hin nur zu bemerken, dafs derglei- 
chen seit 1860 fast in allen Jahren vorgekommen sind. — * 

Am 13. April 1870 erfolste zu Janina in Albanien ein rother 
Staubniederschlag mit Regen vor Sonnenaufgang, dessen Analyse 


fo} 


hier gegeben ist. 
Am 3. Mai wurde m Ispahan in Persien eine reichliche Staub- 
probe von röthlicher Farbe gesammelt, deren Charactere in einem 
späteren Abschnitt gegeben werden. 

Am 11. October 1870 um 104 Uhr Morgens trübte sich die Luft 
bei leichtem Winde in Ura-tübe zwischen Chodjend und Samarkand 
und ging um 2 Uhr Nachmittags in eine so starke Dunkelheit über, 
dafs man bei Licht speiste. Die Luft war tief orangefarben. Die 
nächsten Gegenstände sah man auf einem orangefarbenen Fond. 
Die Usbeken nennen diese Erscheinung Ajun, die Sarten Topal- 
jang. Die Muhamedaner wurden in die Moscheen zum Gebet ge- 


54 Enrenbere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


rufen, da man den Untergang der Welt hereinbrechen glaubte. 
Nach 3 Uhr fing es an zu regnen und zu schneien. Auf 3 Meilen 
(25 Werst) im Umkreis wurde dieselbe Erscheinung wahrgenom- 
men. Herr Antipin hat, nach einer brieflichen Mittheilung des 
Herrn Baron Osten Sacken, diese Nachricht, ohne Staubprobe, an 
lie geographische Gesellschaft zu Petersburg gelangen lassen. 


Tabellarısehe Übersicht des neuen Historischen. 


Erklärung der Zeichen. 


—- Blutregen + A heilser Blutregen. 


“= —? Staubregen, nicht vulkanischer Art, 


nicht roth. 
* —! other Staubfall. 


“w rothe Flüssigkeiten, Flüsse. 
6) > 
o o rother Inseceten-Auswurf. 

= 5 . ee 
& Blitz und Donner gleichzeitig. 


A Nebel, Wolken staubtragender Art. 


X übelriechender oder ätzender Regen. 


ZI rother frischer Schneefall. 


HH-! rother Hagel FHX stinkender Hagel. 


®  Gleichzeitiges Feuermeteor. 
® Gileichzeitiger Meteorsteinfall. 
& heiterer Himmel gleichzeitig. 


Y Blutige Ähren im Felde (=Sommer). 


— ? fragliche Masse, (?) fragliche Zeit. 


Vor Christus. 


©* 743? 


TTT Kreuze auf den Kleidern der Leute. 
—-*+ verglichene Stellen der Geschichts- 


"1154? + 746(2)+ 
mm 730% ( £ 
En om hl 756+ 
* 95! am 800+ 
—+-? 300+ 
Naeh Christus. ? 393 
—+ 330(?)+ eo 
—+ 451()+ * 950! 
+0 #1* "oo! 
TER —+1005+ 
—+ 517(9)+ „m1098+ 
+? 567+ T1226+ 
orig +-1226+ 


Quellen. 
*®  directe eigene Analyse der Local- 
Erscheinung. 
®  Feuerregen. 
[] Mehlregen. 
& gallertige Schaumblasen u. Gallerten. 
©  Eisenregen. 
O©  phosphoreseirend. 
m1270+ Asa! 
bO1346+ 1582? 
—-1508 m 1583+ 
—-1542+ mm]dS3+ 
N1546+ —-1588+ 
NO1547+ —-1591 
—-1555+ —-1596* 
—-1567+ —-1597+ 
-+1567+ NE 
—-1568 —+-1617') 
—+-1570+ o 0:1618+ 
or 1570+ Yı61s+ 
EOF571 (So: )1618* 


1) 1617 ist 1847 erwähnt und später vervollständigt. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 


-+1620+ 
6°621622+ 
m 1623+ 

& ep23* 
—+-1623+ 
—+-1623+ 
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##1869 + 
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A1369 
I-+1570+ 
—-*#1870+ 
**1870 l+ 
*1870,+ 


') Die Blutregen-Nachricht von 1623 ist 1847 erwähnt und später vervollständigt. 


or 
6 


56 Eurenpeng: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


Monats- 
der sämmtlichen Passatstaube 
mit Einschlufs 


Januar. Februar. März. April. Maı. Juni. 


Vor Christus. 
—+ 169?) 

Nach Christus. 
+ 359)  —+1349 “6301 —+ 541 —+-1006 + 990 
I s60()  —+1446 —+-1009 —+ 583 1117 —+1017 
I s64(?)  -+1557 -+1120 —+1334 —+-1554 —+-1113 
I1056 -—+1642 —+1551 —+1416 +1556() 1114 
I1226 1643 —+1647(?) —+1551 —+-1567 —+-1163 
—+-1349 Z1661 —-1648 —+1568 —-1571 —+1416 
—+1446 —+-1691 —+-1664(?) —+1809 —+1640 —+-1552 


—-1532 leur —+-1669 *1g10! —-?1705 —-1553 
—-1551 "18331 I1678 I*1816! —+1711(9)  —+1553 
—-1557 ®1837! —+-1721 *1816! "1817! —-1555 
—+-1559 "sel IH" ct ®1g17! ®1891! —-1588 
—+-1643 *18391! =] Ian3® —+-1819(?) "1830! —-1596 
—-1643 "1841! ZI1s08 *1836! *1534! —+-1617 
—+-1645 "1849! Es! 21837 ®jg37! —+1653 
—+1648 ZI1s50 Real zo "1s40! ee! 
—-1741 ZIıs51 "1821! I*1s63! "71829 
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*1sı7! "1860! ®18371! *1861! 
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*1s53! 
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—-1362 
—-1366 


"1569! 
*1369! 


—+.*1869 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche orgamische Leben. 57 


Tabelle 


und sogenannten Blutregen 


der von 1847. 


Juli. 


—+-1508 
—-1550 
—+-1553? 
—-1597 
—+1608? 
—-1623 
—-1646 
sn! 
#837! 
"1861! 
—+1869 


August. 


+ 217() . 


—-1147 
—+1163 
—-1165 
—+1435 
—+1548 
—+1570 
—-1615 
—+1623 
*1g15! 
on! 
*1817! 
—-1549 


Phys. Kl. 1871. 


September. 


Vor Christus. 


Nach Christus. 
—+-1567 —-1539 
1-16 —+-1646 
—+-1759 I1755 

Eh z/! —+-1755 
31837! —+-1763 
—+-1763 

I*1s14! 

sn! 

—*1330! 

*1834! 

%1g837 1 

"1346! 

*1g61! 

”1870! 


October. 


November. 


—4+1542 
—+-1548 
—+1623 
—+-1642 
-+1755 
* 1765! 
FISı1z! 
—+1319? 
"1937! 
Z1343 
*1g867! 


December. 


—+ 184(?) 
(+ 169) 


21999 
—+1269 
—+1549 
—+-1556 
—-1560 

ns! 

%1g37! 


58 Enrenpera: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


Geographische Übersicht 
der seit 1847 hinzugekommenen historischen Nachriehten, nach den Ländern. 


(Die *° bedeuten eigene Analysen. Die ? bezweifeln die Passatstaubnatur.) 


Europa. 
1. Italien mit den naheliegenden Inseln. 
451? 1773 1561 1865 1867 ke 
1860 "#964 a ETTN het wel 
Sieilien. 
800 1781 1849 "1869 “1369 1870 


2. Deutschland. 


Allgemein. Anhalt. Braunschweig. Hannover. Niederlande. 
a. ©. 355 1805 1640 1641 
p. C. 823 1721 1643 @. Belgien. 
1005 1567 
1583 Baden. Böhmen 1568 
& & Hessen. ; 
1622 1s1l und Mähren. E3- 
1762 1623 a 5. Holland. 
1783 1819 De 1701 
1s1l Baiern. 1824 1678 
1570 Würtemberg. 
1583 Elsals. Mecklenburg. 1623 1643 
1642 1623 1648 1642 1648 
1705 1661 1815 
Österreich. Preulsen. Sachsen. Schweiz. 
1508 “347 567 1632 1697 1547 1623 
1613 1561 786 1634 1712 1567 Ss 
1642 „ 1226 1636 **1796? 1570 a 
1664 11862 1270 1641 1500 1631 "*l1s50 
167). 1546 1652 **1848? 1651 x) 
1737 1864 1553 1665 **1550? 1632 |. 
1803 1866 1582 1668 1854 16400 j1eal 
IS15 1867 1588 1675 a 1643 a 
= 1596 1675 **1 1859 1645 "*11855 
"*1869 1597 LoRR = 1652 “| 
u 1631 1690 1862 1715 al 
1631 1695 "1564? ws ©1867 
| 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche orgamische Leben. 59 


3. Frankreich. 4. Piemont. 7. Europ. Türkei. 10. Polen. 


1098 1814 517? 1542 1620 
1591 1870 746 1564 
1617 950  **1869 
b “x 1% and. 
nut 5. Ungarn. 18570 ei ind 
En 451 8. England. H ee 
n, 1714 330° 1653 Me 
RR 1797 800  **1849? 
x 1645 1849 
1561 1862 
**1869 6. Griechenland. = 12. Sibirien. 
1563 1560 9. Schweden. *319997 
1697 #934 
Afrika. 
(Atlantischer Westocean) 
Algier. Dunkelmeer. Capverden. Canarien. 
365 9 *#1859 Fr 
an Mn „1863 
"1867 1856 | 
#861 
Asıen. 

Palästina Persien. Turan. Indien. China. Indischer 
und Syrien. 1362 1870 1718 a. 0.1154 1000? Ocean. 
a.0. 730 #870 1849 83 1572 _**1856? 
p- ©. 1226 p. C. 502  **1850 

xx > rc RX 
1560 630 2 
900? ..! 1593 
"*1856? 
Amerika. 
Süd-Amerika. Nord- Amerika. Stiller Ocean. 
1792 1762 1819 **1851? 
1324 1519 1833 


gr 


60 EHRENBERG: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


II. Neue Beobachtungen. 


1. Seiroeco-Staub vom 23. bis 24. März 1569 in Süd-Europa. 

Wenn ich von der chronologischen Folge der hier abzuhandelnden 
Erscheinungen abweiche, so geschieht es des einflufsreichen Meteorstaub- 
falles wegen, welcher am 23. u. 24. März 1869 stattgefunden hat. Der 
in den Monatsberichten des Jahres 18691) von mir erläuterte rothe Pas- 
satstaub der Dardanellen vom 24. März 1869, so wie seme Verbreitung 
über ganz Griechenland, Dalmatien und Krain, dessen Proben mir durch 
den Director der Sternwarte zu Athen J. Schmidt und durch den Direc- 
tor des meteorologischen Institutes in Wien Professor Jelinek zugäng- 
lich geworden, hat, nach weiteren Nachrichten, am gleichen Tage eine 
noch viel gröfsere Verbreitung bis über Süd-Ifälien und Sieilien gehabt, 
worüber Professor Silvestri in Catania mir directe ausführliche Nach- 
vichten gegeben und Staubproben übersandt hat. Sowohl in Griechen- 
land wie in Italien ist die Richtung des Sturmes während des Staubfalles 
als aus Nordost, also nicht aus der Richtung von Afrika kommend, be- 
zeichnet, sondern entgegengesetzt, wobei jedoch nicht aufser Acht zu 
lassen sein wird, dals der Sturm in rascher Folge aus sehr verschiedenen 
Richtungen eimgetreten ist, die eine eyclische Bewegung desselben anzei- 
sen. Das Fallen solchen Staubes mit Nordsturm ist jedoch auch ander- 
wärts mehrfach angezeigt worden. 

Über den am 24. März 1869 bei den Dardanellen gefallenen, von 
Nordost-Sturm getragenen Meteorstaub ist nöthig hier Folgendes aus dem 
Monatsberichte von 1869 abgekürzt in Erinnerung zu bringen. Nach 
Prof. Julius Sehmidt’s Mittheilung gab es in den genannten Tagen in 
Athen und im östlichen Mittelmeere starke Orkanstürme von 8.-O., S., 
S.-W.. und W. Am 24. März wehte in den Dardanellen ein starker 
Nordost-Sturm, welcher eine überraschende Menge eines rothen Staubes 
bei Tschanäk-KRalessi ablagerte, wo Herr Calvert sich der Beobachtung 
und Einsammlung einer Probe umsichtig angenommen hat. Diese an 
Herrn Prof. J. Schmidt in Athen gelangte Probe samt den Nachrichten 


1) ]. c. p. 308. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche orgamısche Leben. 61 


über die Nebenumstände konnten von mir schon am 8. April 1869 der 
Akademie vorgelegt werden. Über den gleichzeitigen Barometerstand hat 
Prof. Schmidt reichhaltige Auskunft gegeben und auf meinen Wunsch 
noch weitere Nachforschungen über das Phänomen angestellt. Das un- 
geheure Massenverhältnifs des gefallenen Staubes bei den Dardanellen 
betrug, nach Herrn Calverts ungefährer Schätzung, 15 tons auf die 
englische Quadrat-Meile. 

Gleichzeitig wurde vom Director des meteorologischen Instituts in 
Wien Prof. Jelinek die Nachricht gegeben, dafs sowohl in Lesina bei 
Dalmatien, als in Krain (Weixelstein, Cilli) am gleichen Tage (24. März) 
und aus gleicher Windrichtung sich rothe Staubfälle unter Sturm ge- 
zeigt haben, deren Proben mir ebenfalls von Prof. Jelinek zur Verfü- 
gung gestellt worden sind. Die verschiedenen Staubproben haben im 
Äufseren eine völlige Übereinstimmung der Substanzen erkennen lassen 
und die mikroskopische Analyse von 1869 wird jetzt ansehnlich erweitert 
vorgelegt. 

Das damals gegebene Formen-Verzeichnils vom Staube der Dar- 
danellen ist in den 10 Analysen jetzt auf 54 organische Beimischungen 
erhöht, worunter 21 Polygastern, 29 Phytolitharien, darunter 4 Spongo- 
lithen, 1 Kalk-Polythalamie und 3 weiche Pflanzentheile. 

Die 5 Analysen der Staubprobe von Lesina haben bei weiterer 
Prüfung 28 organische Beimischungen ergeben und zwar 14 Polygastern. 
11 Phytolitharien, keinen Spongolith und 3 weiche Pflanzentheile. 

Die 10 Analysen der Staubprobe von Cilli haben bei weiterer 
Prüfung 20 organische Formen gezeigt, nämlich 11 Polygastern, 9 Phy- 
tolitharien, darunter 3 Spongolithen. 

Die 5 Analysen der Staubprobe von Weixelstein haben bei weite- 
rer Prüfung 14 organische Formen ergeben, 6 Polygastern (5 Gallio- 
nellen) 8 Phytolitharien, darunter 1 Spongolith. 

Von diesen 4 Lokalitäten ist das Verhalten beim Glühen, gegen 
Salzsäure und mit polarisirtem Lichte in dem Monatsberiehte von 1869 
bereits angezeigt. 

Durch Professor Silvestri ist in Sicilien eine so intensive viel- 
seitige Beobachtung sowohl des Orkans vom gleichen Tage (24. März). 
als der von ihm getragenen atmosphärischen Substanzen ausgeführt 


62 Euresgerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


worden, dafs dieselbe eine der hervorragendsten Stellen in der Reihe der- 
artiger Beobachtungen einnimmt. Höchst auffällig und merkwürdig ist 
seine Beobachtung lebender mikroskopischer Organismen und ihrer ver- 
schiedenartigen Bewegungen in dem aufgefangenen Regenwasser. Der 
Wortlaut der Beobachtungen Silvestri’s ist aus der Gazetta della Pro- 
vincra di Catania!) von mir übersetzt folgender: — 

„Am 23. März erwarteten wir des Morgens den Eintritt eines jener, 
„von der neueren Meteorologie vorhergesagten, schweren Ereignisse. Mit 
„dem zunehmenden Wüthen eines wachsenden Sturmes war das Meer 
„von Sieilien durch dessen Gewalt zu ungeheurer Wildheit und Toben auf- 
„gerest. Der Sturm blies heftig aus Osten und liefs das Barometer auf 
„744””, 58 fallen bei einer Standhöhe über dem Meere von 31,23 Meter. 
„Die Atmosphäre verdunkelte sich durch dicke Gewitterwolken, welche, 
„wie man es hier in Catania erblickte, dem Himmel einen eigenthümlichen 
„Anblick gaben. Die Luft war durch eine braungelbe Dunkelheit ver- 
„finstert, die von Zeit zu Zeit von einigen seltenen electrischen Blitzen 
„durchleuchtet wurde. — Diese Erschemung war von dem Umstande 
„begleitet, dals beim Beginn des Regens derselbe die Farbe der Wolken 
„hatte und gelbe Flecken hervorbrachte. 

„Im chemischen Laboratorium der Universität zu Catania wurden 
„Versuche mit diesem Wasser gemacht, welche folgendes Resultat ergaben: 
„Eine Menge des vom Himmel gefallenen, durch eine schwebende erdige 
„gelbe Materie milchartig getrübten Regens lieferte in der Ruhe einen 
„gelben Bodensatz. Es blieb aber immer eine leichte Trübung zurück, 
„selbst nach Absonderung des Bodensatzes und Filtration. Nur erst nach 
„2, oder besser 3 aufemander folgenden Filtrationen konnte man das 
„Wasser klar und farblos erhalten. Die niedergeschlagene und durch 
„Filtration abgesonderte Masse war eine gelbe Substanz, die sich wie 
„Thon kneten liefs. Das Wasser reagirte schwach sauer und zeigte bei 
„einer Temperatur von 12° Ö©. ein specifisches Gewicht von 1,0012 ver- 
„glichen mit dem reinen Wasser — 1. 

„Das mehrmals filtrirte und also klare Wasser ergab beim Ab- 
„dampfen einen sehr geringen Rückstand, welcher bei starker Hitze erst 


{) 1. ce. Anno III 1869 Giovedi 1. Aprile No. 38 p. 3. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 65 


„schwarz und dann weils wurde. Die schwarze Farbe erschien als eine 
„Spur organischer verkohlbarer Materie, verbrannt und verkohlt war der 
„weilse Rückstand als Seesalz zu 0,021 zu 0,0 zu bestimmen.“ 
„Die gelbe im Wasser schwebende und dasselbe trübende Substanz 
„steht zur Masse in einem Verhältnifs wie 0,23 zu 0,0. Sie färbt sich 
„durch Hitze schwarz, hat dabei einen Geruch von verbrannter Wolle 
„und nimmt dann das Äufsere, die Zähigkeit und die rothe Farbe des 
„gebrannten Thons an. Bei der Erhitzung verringert sich das Gewicht 
„der Substanz zu 23,28 bei 0,0 was die verbrennbare Materie darstellt 
„und nachweist, dafs sie einen organischen stickstoffhaltigen Antheil hat.“ 
„Nach den Resultaten der chemischen Analyse ergiebt ein Liter 
„Regenwasser, welches 1001,2 Gr. wiegt, folgende Bestandtheile: 
Wasserk. Mn a2 ‚uGr.19IE8372 
!khonerdeier mal, 0,910 
Kalksand (kohlens. Kalk) 0,289 
Kieselerdiser Sand (Kiesel) 0,121 


Peroxydhydrat v. Eisen 0,252 
Chlor-Soda . . . . 0,216 


Spuren von Schwefelstoffen 0,000 
organ. stickstoffh. Materie 0,540 
Ein Liter Regenwasser 1001,2 Gr. 
„Höchst wichtig ist dieser Regen auch rücksichtlich der mikro- 


„skopischen Analyse. Bei 500 maliger Vergröfserung im Durchmesser 
„fand sich, dals die organische stickstoffhaltige Materie, welche durch die 
„chemische Analyse aufgeschlossen wurde, ganz aus organischen verschie- 
„denartigen Formen besteht. Es giebt darin Keime und Pollen von 
„phanerogamischen Pflanzen, zellige Algen, wahrscheinlich vom Genus 
„Protococeus, Algen von zusammengesetzterer Structur, Sporen derselben 
„zwischen verwickelten Fäden, oder in Fruchthüllen verschiedener Form 
„und Aussehen, von gelber, gelblich grüner, grüner und auch von schön 
„granatrother Farbe. Aufser diesen Formen sieht man noch überaus viele 
„lebende Infusorien mit schnellen, unruhigen, kriechenden oder auch 
„geradlinigen Bewegungen. Einige dieser Infusorien gehören vielleicht dem 
„ersten Stadium der Algensamen an, welche ihre Entwicklung mit anıma- 


„lischen Bewegungen beginnen, sie sind mit Bewegungsorganen in der 


64 EurenBerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


„Gestalt von langen Wimpern versehen. Andere sind wirkliche mikro- 
„skopische Thiere des Genus Monas, welche sich in süfsen, mit organi- 
„schen Stoffen erfüllten Gewässern schnell zu entwickeln pflegen.“ 

„Auf der Sternwarte zu Neapel wurde ebenfalls beobachtet, dafs 
„am 14. März mit Scirocco Wind die Luft stark höherauchartig getrübt 
„wurde, das Barometer sank bis auf 637"" und es fiel ein Regen ebenfalls 
„von gelber Farbe. Eine Nachforschung, ob dieser gelbe Staub nicht aus 
„dem Vesuv gekommen sei, ist unterblieben. In unserem Falle können 
„wir bestimmt versichern, dafs der Staub nicht aus dem Ätna gekommen 
„ist, statt dessen glauben wir, dafs er aus der asiatischen Türkei oder 
„aus der Nähe des griechischen Archipels, vielleicht auch aus noch fer- 
„neren Gegenden des Orkan-Ursprungs hergeführt sein möge. Es scheint 
„auch, dafs man annehmen kann, dafs die Infusorien sich in der Luft 
„erzeugt und entwickelt haben. Diese Vermuthung stützt sich darauf, 
„dals das aufgefangene Regenwasser nach der Filtration ganz dem ge- 
glich, nur mit der Ausnahme seines geringen 


= 


„wöhnlichen Regenwasser 
„Gehaltes an Meeressalz oder Chlorsodium, welches aus dem Schaume 
„des sehr aufgeregten Meeres in die Wolken getragen sein konnte. Die 
„gefundene Proportion des Chlorsodium von 0,021 zu 0,0 ist sehr gering 
„im Verhältnils zu 3,775 zu 0,0 des Salzgehaltes unseres Meerwassers. 
„Dieser geringe Stoffgehalt, welcher darin aufgelöst ist, schliefst auch 
„seinen Ursprung aus stagnirenden Gewässern irgend eines Sumpf- 
„bassins aus.“ 

„Das Wasser, welches während des Sturmes in Catanıa, Sıcilien, 
„und in Calabrien gefallen ist, zeigt also keinen anderen Ursprung als 
„den gewöhnlicher Verdunstungsprocesse. Das würde nicht der Fall 
„sein, wenn man die uns beschäftigende Erscheinung sich mit einem 
„Wirbelwind hätte in Verbindung denken wollen. Der Wind hat sicher- 
„lich seine Mitwirkung gehabt, aber nur im Heben und Tragen des 
„Staubes der Erdoberfläche bis zu grolser Höhe, wo die Luftwellen, 
„welche die fortwährenden Schwankungen des Barometers hervorgebracht, 
„ihn weiter geführt haben.“ — So weit Silvestri. 

Eine günstige Fügung hat es mir möglich gemacht, an den von 
Professor Silvestri gesammelten Proben vergleichende Beobachtungen 
mit den von mir früher analysirten Substanzen selbst anzustellen. Die 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 65 


sämmtlichen Elemente des von mir in drei Proben analysirten, theils in 
Neapel, theils in Palermo und Catania am 23. und 24. März mit einem 
und demselben Orkan gefallenen rothgelben Staubes betragen an Zahl 79 
verschiedene mit besonderen Namen zu belegende Formen, welche in der 
beigehenden Tabelle in leicht vergleichbare Übersicht gebracht worden 
sind. Diese von mir selbst und unter meiner Leitung mit Sorgfalt auf- 
gefalsten und in Zeichnungen festgehaltenen, nach fixirten Präparaten 
dargestellten Elemente bestehen aus 27 kieselschaligen Polygastern, 47 
kieselerdigen Phytolitharien, 2 kalkschaligen Polythalamien, 3 weichen 
Pflanzentheilen und unorganischen Bestandtheilen. 

Die einzelnen zur Analyse gekommenen Proben dieses Staubtalles 
bestehen in zwei hier zu betrachtenden kleinen Mengen, welche Professor 
Scaechi in Neapel mir zur Untersuchung zuzusenden die Güte gehabt 
und der von Professor Silvestri mir zugänglich gemachten. 

1. Neapel. Diese Probe ist von Professor Scacchi mit der Be- 
merkung begleitet: „Masse, welche von dem in der Nacht vom 23. bis 
24. März in Neapel gefallenen Regen nach 24 Stunden auf der Terrasse 
meines Hauses gesammelt worden ist.“ — 

Die Substanz ist ein röthlich gelber sehr feiner Staub, welcher 
geglüht erst schwarz und dann röther wurde, mit Säure berührt nicht 
brauste. Von diesem Staube wurden fünf Präparate 4 Cubiklinie grofser 
Theilchen nach der gewöhnlichen Weise gemacht. Die mikroskopische 
Analyse ergab in einem sehr feinen, thonigen Mulm mit selten eingestreu- 
ten doppeltlichtbrechenden feinen Trümmersandtheilchen 12 organische 
nennbare Formen, darunter 7 kieselschalige Polygastern-Arten, 4 Arten 
Phytolitharien. Die Mehrzahl der organischen Formen bilden dieselben 
(rallionellen, welche überall die ım Passatstaub vorherrschenden Formen 
sind. Nur ein Fragment eines Üoscinodiscus, vergleichbar den in den 
Abhandlungen von 1847 gegebenen Abbildungen, könnte möglicherweise 
einer Meeresform angehören, alle übrigen Formen sind Sülswassergebilde. 
Unter den Phytolitharien ist zwar ein Spongolith, der aber auch keinen 
Character einer Meeresbildung besitzt. Zu bemerken ist noch, dafs in 
jedem der fünf analysirten Theilchen mehrere organische Formen erkenn- 
bar wurden. 


Phys. Kl. 1871. 9 


66 Enrengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


2. „Staubprobe in Palermo in der Nacht vom 23. bis 24. März 
gefallen.“ — Von Professor Seacchi übersandt. 

Die Substanz ist ein sehr feiner, ebenfalls röthlich gelber Staub, 
welcher geglüht erst schwarz, dann röther wird, mit Salzsäure berührt 
wenig braust. In 20 Analysen von 4 Cubiklinie der Masse ergab die 
mikroskopische Untersuchung in einem feinen Eisenthon-Mulm mit reich- 
licher Beimischung von Trümmersand 53 darin eingestreute organische 
Formen-Arten und zwar 18 kieselschalige Polygastern, 30 kieselerdige 
Phytolitharien, 2 kalkschalige Polythalamien und 2 weiche Pflanzentheile. 
Grüne pyroxenartige Crystalle waren noch in die unorganische Masse 
eingestreut. Unter den 18 Polygastern-Arten sind 17 Süfswasser- 
formen und wieder am meisten vorherrschend die Gallonellen, welche 
charaetergebend für den Passatstaub sind, samt Campylodiscus Fragmen- 
ten. Entschiedene Meeresformen könnten die nur sehr selten gesehenen 
Coscinodiscus Fragmente sein. Unter den 30 Phytolitharien sind 7 Spon- 
golithen, die ebenfalls keinen entschiedenen Character von Meeresbildun- 
gen, wohl aber den von Sülswassergebilden haben und von den übrigen 
Phytolitharien ist nur zu bemerken, dafs sie sämmtlich terrestrischen Ur- 
sprungs sein müssen und dafs keines von ihnen eine ausgezeichnete neue 
Form darstellt. Es ist noch anzudeuten, dafs die hier und in den an- 
deren Meteorstaubarten vereinzelt vorgekommenen Assula-Arten auf den 
Hochgebirgen Asiens!) im Himalaya als zahlreich zusammenhängende 
Platten vorgekommen sind. Die beiden Polythalamien mögen vielleicht 
anzeigen, dafs sie aus irgend einer kreideartigen Oberflächenbildung mit 
fortgerissen sind, da die Schalen sich ohne organischen Inhalt zeigten. 

Hieran schliefst sich nun die von Professor Silvestri übersandte 
Probe jenes von ihm selbst so sorgfältig und frisch geprüften Nieder- 
schlages vom 23. und 24. März zu Catania. 

Die Substanz ist ebenfalls ein röthlicher, etwas mehr ins Graue 
übergehender feiner Staub, welcher beim Glühen erst schwarz, dann röther 
wird und bei Berührung mit Salzsäure wenig braust. Die mikroskopische 
Analyse von 20 4 Cubiklinie grofsen Theilchen der Masse ergab die Summe 
von einzeln eingestreuten 59 organischen Formen, nämlich 20 kiesel- 


1) Abhandl. d. Akad. 1358, Taf. III. (Difflugia?) 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 67 


schaligen Polygastern-Arten, 34 kieselerdigen Phytolitharien-Arten, 2 Po- 
Iythalamien-Arten und 3 weichen Pflanzentheilen. Die Hauptmasse zeigte 
sich aus quarzigem Trümmersand und Eisenthon-Mulm bestehend, ohne 
deutliche Spuren vulkanischer Elemente, aufser grünen pyroxenartigen 
Orystallen. Unter den 20 Polygastern gehören 19 den terrestrischen 
Sülswasserformen an und unter ihnen sind die Gallionellen wieder in 
solchem Maafse vorherrschend, dafs sie in jedem untersuchten Präparat 
mehrfach vorhanden waren. 

Unter den 34 Phytolitharien sind 9 Spongolithe, sämmtlich den 
Sillswasserformen angehörend, nur mit Ausnahme von Sp. septata, welche 
als Meeresform anzuerkennen sein mag. Sp. Rectangulum n. sp. ist eine 
unansehnliche kleine Form, welche wohl auch zu den Süfswasserformen 
gezählt werden mag. Die 2 Lithasterisken könnten allerdings Theile von 
Meeresschwämmen, (eodien, sein. Unter den übrigen Phytolitharien, 
welche sämmtlich terrestrischen Grasbildungen anzugehören scheinen, sind 
nur einige sich unwesentlich auszeichnende Formen, die meisten gehören 
den weit verbreiteten Arten an. Von den 2 Polythalamien ist nur aus- 
zusagen, dals keine ganz deutlich aufzufassen war, aber auch die beiden 
nur einmal vorgekommenen ganzen Formen als leere Schaalen erkannt 
worden sind. Auch sie mögen einem Kreidegebilde der Mittelmeer-Umge- 
bung angehören. Unter den weichen Pflanzentheilen zeichnet sich das 
sternförmige Pflanzenhaar aus, welches einer unbekannten Gestaltung an- 
gehört, sich aber zunächst in Gröfse und Form an die Sternhaare von 
Elaeagnus anschlielst. Aufserdem wurde ein Fragment eimer Holzfaser 
beobachtet, welches eine Reihe grofser Zellen erkennen läfst, die an jene 
des Fichtenholzes sich anreihen. 

Die sämmtlichen sieben sehr verschiedenen Lokalverhältnisse des 
Meteorstaubes eimes und desselben Orkans (von den Dardanellen über 
Lesina und Krain bis Sicilien) zeigen wieder nicht nur den auffälligen 
Character einer Übereinstimmung der grofsen Mehrzahl ihrer Formele- 
mente, sondern auch das Vorherrschen derselben Galhonella-Arten in 
solcher Menge, dafs in jeder kleinen Analyse von, 4 Oubiklinie der Sub- 
stanz mehrere, oft viele Specimina erkennbar wurden. In keinem der 
vorgekommenen, wohl erhaltenen, vielleicht nicht leeren, nur farblosen 
Exemplare haben sich farbige Erfüllungen des lebenden Körpers erkennen 

o= 


68 Enurenpere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


lassen. Ebenso ist zu bemerken, dals fast alle beobachteten Formen 
schon bekannte, weit verbreitete Arten sind. 

Die Gesammtzahl der in den 7 analysirten Proben des Passat- 
staubes vom 24. März 1869 beobachteten Formen beträgt im Ganzen 107 
organische Elemente, und zwar 40 Polygastern, 54 Phytolitharien, 5 Poly- 
thalamien und 8 weiche Pflanzentheile. 


2. Meteorstaub von 10. März 1869 in Italien. 

Da mir mit jenen Meteorstaubproben vom 24. März noch zwei 
Proben vom 10. März aus Neapel von Herrn Professor Scacchi über- 
sendet worden sind, so wird es angemessen sein auch die Resultate von 
deren Analyse hier anzuschliefsen. Eine dieser Proben ist aus Neapel 
selbst, ist aber leider so klein, dafs die Gesammtmasse kaum 4 Cubiklinie 
gleicht, wie sie bei jeder der übrigen Analysen zu Grunde gelest worden, 
und die davon gemachten zwei Präparate haben keine deutlichen Resul- 
tate an die Hand gegeben. 

Die andere Probe ist von der /sola di Sora, vermuthlich der 
Flufsinsel bei der Stadt Sora. Die feine Masse ist wieder von der röth- 
lich selben Farbe des feinen Passatstaubes. Die Versuche des Glühens 
und der Berührung mit Salzsäure mufsten der geringen Substanzmenge 
halber unterlassen bleiben. 

Die mikroskopische Analyse der 20 gleichartigen Präparate ergab 
in emem feinen Eisenthon-Mulm 51 organische Formen und zwar 24 kie- 
selschalige Polygastern-Arten, 24 kieselerdige Phytolitharien-Arten und 3 
weiche Pflanzentheile. Alle Polygastern-Arten sind wieder Sülswasser- 
formen, doch ist bemerkenswerth, dafs die hier beobachtete Namenla 
undosa bis jetzt eine characteristische Gestaltung für Amerika ist, und 
dafs die hier ebenfalls beobachtete Synedra Entomon auch früher zu 
diesen amerikanischen Characterformen gehörte, später aber eine grölsere 
Verbreitung gezeigt hat. Alle übrigen Formen gehören den weit ver- 
breiteten Arten an und nur einige fragmentarische lassen über die Über- 
einstimmung mit bekannten Arten ım Zweifel. 

Was die Phytolitharien anlangt, so sind die beiden Spongolthrs 
und Amphrdiscus truncatus Sülswasserbildungen und alle übrigen nur 
terrestrische Grastheile, alle gehören bekannten Formen an. Kleine 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 69 


Fichtenholz-Fragmente und ein einfaches Pflanzenhaar bilden die erkann- 
ten weichen Mischungstheile von Pflanzen. 

Aus dieser Analyse ergiebt sich, dafs die Atmosphäre um Neapel 
auch vor dem grofsen Sturm vom 24. März schon mit den ganz gleich- 
artigen Staubverhältnissen, wie mit emem trocknen Nebel erfüllt gewesen. 


3. Staubfall vom 6. und 7. Februar 1563 auf den Canarischen Inseln. 

Durch ein besonders günstiges Verhältnifs hat Herr Dr. v. Fritsch, 
Verfasser des neuen wichtigen Werkes über die Geologie der Canarischen 
Inseln, Gelegenheit gehabt, bei seinem Aufenthalte auf den Canarischen 
Inseln Augenzeuge des überaus mächtigen, rothen Staubnebels zu sein, 
welcher am 6. und 7. Februar, auch den Nachrichten des Padre Denza 
zufolge, den Pie von Teneriffa bedeckte und sich auf den Schiffen in den 
Häfen, sowie auf Palma und Ferro ablagerte. 

Dr. v. Fritsch giebt in Petermann’s geographischen Mitthei- 
lungen 1866, in seinem Aufsatz über die Canarischen Inseln p. 222 tol- 
sende gewichtige Nachrichten darüber. 

Nach einem 7 Tage ununterbrochen wehenden Passat, als er für 
wenige Stunden in Ost-Süd-Ost Wind umschlug, führte der Wind aus 
dieser Richtung einen Regengufs und eine Menge gelben Sandes herbei, 
der als Staub auf den 5 Inseln in verschiedener Menge verstreut wurde, 
am meisten auf Palma. Auffällig war, dafs der Wind aus bedeutender 
Höhe herabkam, so dafs der Schnee an den Gehängen des Tyde deutlich 
gelb gefärbt erschien. Ebenso merkwürdig war, dafs nach ganz bestimm- 
ten Nachrichten die beiden östlichen Inseln Lancarote und Fuerteventura 
gar nicht berührt wurden. Am meisten befremdend war die Kälte, welche 
der Wind aus den oberen Theilen der Atmosphäre herabbrachte, so dals 
in Valverde noch früh um 7 Uhr eine fingerdicke Firnschicht lag und die 
Temperatur von 9,5° im Mittel auf 5,5° herabsank. Die Windrichtung 
aus O-S-O ist Herr v. Fritsch geneigt, für eine Ablenkung des Anti- 
passates durch den entgegen wehenden Passat zu halten. Der heifse 
Wind seı auf den Canaren eine seltene Erscheinung und habe nicht ein- 
mal einen eigenen Namen. So wäre denn aber also erfahrungsgemäls 
der rothe Staub des Dunkelmeers nicht ein aufwärts gewirbelter. sondern 


ein sich aus grolser Höhe herabsenkender Nebel. 


70 Enrungenrg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


Durch Dr. v. Fritsch habe ich zwei Proben dieses Dunkelmeer- 
staubes selbst von Palma und Ferro erhalten. Die Substanz von Palma 
ist ein unfühlbar feiner Staub von weilslich hellröthlicher Farbe, welcher 
geglüht dunkler roth wird. Mit Salzsäure berührt erfolgt starkes Brau- 
sen. Da nur ein undeutliches Polythalamien-Fragment sichtbar gewor- 
den ist, so muls der kohlensaure Kalk eine mulmartige Beimischung bil- 
den, deren kleine eubische Crystalle weiter bezeichnend sind. Mit pola- 
risirtem Lichte zeigt sich der Mulm vielfach und in den vereinzelten 
kleinen deutlichen Crystallen doppelt lichtbrechend. Weder glasartiger 
noch zelliger Bimsteinstaub wurde erkennbar. 

Die mikroskopische Prüfung ergab in 20 Analysen 48 organische 
Formenarten, nämlich 20 Polygastern, 27 Phytolitharien, darunter 3 
Spongolithe und 1 Kalk Polythalamien-Fragment. Die vorherrschenden 
Formen sind Gallionellen und Lithostylidien, deren Zahl ungefähr 40 bis 
50 auf jedem Präparat von 4 Cubiklinie Masse beträgt. Die Mehrzahl 
dieser Formen sind weiter verbreitete, schon genannte Formen, ohne be- 
sondere Hinweisung auf ihren Ursprung. Nur eine Rhaphoneis scheint 
eine neue, noch aus keiner Erdoberfläche hervorgetretene Form zu sein. 
Die Hauptmasse bildet ein unorganischer, feiner Mulm mit feinem quar- 
zıgen Trümmersand, in welchem feine weilse eubische Crystalle verein- 
zelt vorkommen. 

Die Substanz von Ferro ist in sehr geringer Menge gesammelt, 
von Farbe braun rostroth und nicht ganz so fein, als der Staub von 
Palma. Beim Glühen wird die Substanz zuerst schwarz und dann dunk- 
ler roth. Mit Salzsäure erfolgt kein Brausen. Bei polarisirtem Lichte 
erscheinen die gröberen Theile oft doppelt lichtbrechend mit Mulm und 
Sandklümpehen. Die mikroskopische Analyse ergab in nur 10 Präpara- 
ten 17 organische Formenarten, nämlich 5 Polygastern, 12 Phytolitharien, 
darunter 2 Spongolithe. Besondere Gestaltungen lielsen sich nicht un- 
terscheiden. Von einer gleichzeitigen vulkanischen Thätigkeit auf den 


Inseln ıst und kann hiernach nicht die Rede sein. 


4. Staubprobe vom 22. Januar 1864 aus Troppau und Ratibor. 
Von dem von Prof. Cohn sehr umständlich erläuterten Meteor- 
staubfalle im Schlesien (42. Jahresb. d. Schles. Ges. 1864. p. 30) sind 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche orgamische Leben. TI 


mir Proben von Troppau und Ratibor zugekommen, deren Analyse hier 
mitgetheilt wird. Die Probe von Troppau ist von grauer Farbe, ohne 
röthliche Reflexe. Beim Glühen wird der Staub erst schwarz und dann 
gelblicher grau. Kein Brausen mit Salzsäure. Die mikroskopische Ana- 
Iyse von 10 üblichen Präparaten ergab in einem feinen Mulm mit Quarz- 
trümmersand eine reichliche Mischung von gröfseren Lithostylidien mit 
nur wenig Bacillarien (Synedra?, Eunota amphioays, Pinnularia boreahs?. 
Fragrlaria?). Unter 22 Phytolitharien-Arten ist keine unbekannte Form 
und als Spongolith nur Sp. acieularıs. 

Die Probe von Ratibor ist ebenfalls von grauer Farbe und wird 
durch Glühen erst schwärzlich und dann nicht roth, sondern gelblich- 
grau. Sie ergab mit Säure kein Brausen, enthielt m 10 Analysen 
21 weit verbreitete Phytolitharien-Arten und als Polygaster Punoha am- 
phiowys. Unter den Phytolitharien ist Amphrdiseus? und ein Spongolithen 
Fragment. 

Aus diesen Mischungsverhältnissen, welche nur Charactere der 
nächsten Oberflächen enthalten, läfst sich auf eine Betheilisung des Passat- 
staubes in keiner Weise schliefsen, weshalb auch in den Verzeichnissen 


ihrer nicht weiter gedacht wird. 


5.  Passatstaubfall in Rom 1564 und 1366. 

Zu dem im Jahre 1868 in dem Vortrage über die rothen Guinea 
Erden (Abhandl. d. Ak. p. 39. und 42.) bereits angezeigten Passatstaub- 
fällen m Rom vom Jahre 1864 und 1866, deren mikroskopische Analyse 
theilweis in den Monatsberichten 1869 p. 320 veröffentlicht worden, gebe 
ich hier noch folgende Erläuterungen und Zusätze. 

Die mir von Hrn. Seechi zugesandten, von ihm im Bullettino 
meteor. dell Osservat. Romano 1866 Marzo 51 ausführlich erläuterten 
Proben dieser Staubarten sind ein sehr feines Pulver von rother Passat- 
staubfarbe. Die mikroskopische Analyse der Staubprobe von 1864 ergab 
einen vorherrschenden feinen Trümmersand und Mulm mit reichlicher 
organischer Mischung, der Sand wurde bei polarisirtem Lichte farbig. 
Die organische Mischung bestand in 10 4 Oubiklinie grofsen Mengen der 
Substanz aus 35 Formenarten nämlich 14 Polygastern, 19 Phytolitharien, 
darunter 3 Spongolithen, 1 Polythalamien - Fragment und 1 weichen 


72 Enrenseunrg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


PHlanzentheil. Die vorherrschenden Formen sind die Gallionellen, von 
denen wohl 20 in jedem Präparate gesehen wurden. 

Die Staubprobe von 1866 zeigt bei mikroskopischer Analyse feinen 
doppelt lichtbrechenden Trümmersand, mit vereinzelten eubischen Cry- 
stallen und Mulm, als organische Bestandtheile 40 Formenarten in 10 Ana- 
sen, nämlich 18 Polygastern, 21 Phytolitharien, darunter 3 Spongolithe 
und 1 weichen Pflanzentheil. Gallionellen, sammt Zunotia amphioxys 
mit Lithostylidien waren in jedem Präparat reichlich vorhanden. 

Die Erschemungen dieser Jahre werden von Secchi als an- 
dauernde Lufttrübungen in grolsem Maafsstabe bezeichnet, italiänisch 
„ealigine“, in Spanien „caline* genannt, der Gegengründe ungeachtet, 
wieder aus Afrika anstatt aus dem Dunkelmeere abgeleitet und als auf 
das Sonnenspeetrum eigenthümlich einwirkende Luftverhältnisse bezeich- 
net, in denen das Hygrometer meist keine Feuchtigkeit zu erkennen gab 
und deren Staub bei eintretendem Regen sich mit diesem mischte und an 
den Fenstern bemerkbar wurde. Die geringen Mengen erlaubten keine 


Prüfung mit Säure und Glühen. 


6. Über einige neuere röthliche Staubfälle in der Schweiz 1367. 

Im Jahre 1850 habe ich in der Schweiz gefallene Scirocco Staub- 
arten analysirt und in den Monatsb. mitgetheilt. Professor Brunner jun. 
hat bald darauf in einer Schweizer Zeitschrift sehr verdienstliche Ergän- 
zungen derselben Ereignisse bekannt gemacht. 

Zuletzt habe ich im Jahre 1867 in einer Abhandlung „über die 
vothen Erden als Speise der Guinea-Neger“* und wieder im April 
1869 in den Monatsberichten der Verbindungen des Föhn mit rothem Staube 
als einer nur periodischen Erscheinung gedacht, die keinen inneren Zu- 
sammenhang habe. Neuerlich sind zwei Beobachter in der Schweiz für 
weitere Entwieklung dieser Kenntnisse hinzugetreten. Zuerst ist die Er- 
scheinung eines sehr verbreiteten, massenhaften, grau rothen Schneefalles 
in Graubündten vom 15. Januar 1867 durch Herrn Dr. Killias aus 
vielen Nachrichten und eigenen Beobachtungen zusammengefalst und in 
den Schweizerischen Meteorologischen Beobachtungen von Zürich Jahr- 


sang 1867 veröffentlicht worden. Aus diesen ausführlichen gedruckten 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 73 


Mittheilungen hebe ich nur folgendes characteristische Bild dieser Er- 
scheinung hervor. 

Am 15. ‚Januar 1867 erschien in Graubündten zu Chur, Churwal- 
den, Oberhalbstein, Bergün und Albula zu Mitternacht, oder früh Vormittags, 
ein sogenannter rother Schneefall, welcher sich vom Mittag zum Abend 


bis nach dem ÖOberengadin und Poschiavo fortsetzte und abwechselnd 
mit weilsen Schneelagen überdeckt wurde. Die Erscheinung war im Zu- 
sammenhange mit einer grolsen südwestlichen, in den oberen Alpengegen- 
den als Föhn- und Scirocco-Sturm auftretenden, Luftbewegung, die sich 
bis Rom und Neapel als stürmisches Wetter bemerkbar gemacht hat, 
während in den Graubündtner Distrieten unterhalb Nord- und Nord-Ost 
Sturm aufgezeichnet worden ist. Die mit dem Schnee gleichzeitig am 
meisten bemerkbar gewordene, an vielen anderen Orten aber wahrschein- 
lich durch Regen verdeckte Staub-Ablagerung, welche mit gelblich ge- 
färbten Gewitterwolken, Blitz und Donner und auch mit Hagel begleitet 
'eworden 


(0) 
oO 


war, ist nur in den mit Schnee bedeckten Gegenden auffällig 
und ist in einer Mächtigkeit von 2 bis 12°" und mehr melsbar gewesen. 
Die Farbe, des Staubes wird von den verschiedenen Orten und Beob- 


oelb- 


achtern als gelbroth, ziegelroth, grauröthlich, zimmtfarbig oder & 


g 
lich angegeben, offenbar nach der verschiedenen Dichtigskeit des abge- 
lagerten Stoffes. 

Direete Untersuchungen dieser rothen Substanz, die bei Abschmel- 
zen des späteren Schnees wieder zum Vorschein kam, hat Hr. Dr. Killias 
mit Proben von Chur, Churwalden, Alveneu, Klosters, Castasegna, Mi- 
socco, Andeer und Zizers angestellt und die mikroskopischen Bestandtheile 


des Meteorstaubes, „abgesehen von verschiedenartigen zufällig mit präci- 
pitirten organischen Partikelehen“, als durchaus in allen identisch erkannt 
Was das Massenverhältnifs anlangt, so hat Killias sehr verdienstlicher 
Weise directe Messung angestellt, die zwar kein ganz sicheres, aber 
doch ein annähernd mittleres Verhältnifs der damals aus der Atmosphäre 
gefallenen Masse zu erkennen gab. Ein Quadratmeter des rothen 
Schnees gab geschmolzen einen getrockneten Niederschlag von 0,270 
Gramm. Gewicht. Es ergiebt dies, wie er selbst ausspricht, etwa 300 
Gentner auf die Quadratmeile oder über 30,000 Centner für die Oberfläche 
des Cantons. Da sehr wahrscheinlich die Erscheinung nicht auf den Uan- 


Phys. Kl. 1871. 10 


74 Ennenpeng: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


ton allein beschränkt war, übrigens aber sich der Beobachtung entzogen 
hat. so kann das Massenverhältnils auch wohl um das Doppelte grölser 
gewesen sein. 

Killias bemerkt weiter wörtlich: 

„Über die Untersuchung des röthlichen Niederschlages hatte Dr. 
Husemann in der Naturforschenden Gesellschaft zu Chur schon früher 
Folgendes berichtet: 

„Die Gewichtszunahme des Filters mit rothem Schnee aus Chur 
„betrug 0,135 Gramm. Das Filter hinterliefs im Ganzen 0,127 Gramm. 
„Asche, wovon 0,020 Gramm als Filterasche in Abzug gebracht wer- 
„den müssen. Demnach lieferten obige 0,155 Gramm der bei 110° ge- 
„trockneten rothen Substanz 0,107 Gramm Glührückstand: es ist also 
„die Zusammensetzung: 

79,2 feuerbeständige Bestandtheile 

20,8 organische Bestandtheile 

100,0 
„Beim Glühen des Rückstandes nahm man deutlich ein teines Glimmen 
„wahr. Die rothfärbende Substanz vom Oberhalbsteiner rothen Schnee 
„erlitt beim Glühen, nach vorausgegangenem sorgfältigem Trocknen, emen 
„Verlust von 242. Der Glührückstand löste sich mindestens zur Hälfte 
„unter Entwicklung von einigen Kohlensäurebläschen in heilser verdünnter 
„Salzsäure. Die Lösung enthielt ziemlich viel Eisenoxyd, ferner Thon- 
„erde, Kalk, Spuren von Magnesia und Schwefelsäure. Der in Salzsäure 
„unlösliche Rückstand wurde durch Schmelzen mit kohlensaurem Kalı und 
„Natron aufgeschlossen. Er enthielt reichlich Kieselsäure, ferner T'hon- 
„erde, Eisenoxyd und wenig Kalk.* — 

Die chemische Analyse der sich nicht ablagernden Trübung des, 
dem Gletscherwasser ähnlichen, Schneewassers über dem rothen Nieder- 
schlag ergab nach Dr. Husemann in Chur und Dr. Vincenz Wartha 
in Zürich, unabhängig von einander, in einem Liter: 

Schwefelsauren Kalk 0,05010 Gramm. 
— — — Magnesia 0,00755 „ ,„ 
zusammen 0,03745 Rückstand. 

Die mikroskopische Analyse wird in dem Aufsatz von Killias nur 
nebenbei behandelt und auf die später zu publieirenden sorgfältigen mi- 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 75 


kroskopischen Analysen der Doctoren Brügger und Cramer in Zürich 
hingewiesen. Es wird als Resultat im Allgemeinen bemerkt, dafs zweier- 
leı Hauptbestandtheile, ein „organischer, staubartiger, amorpher Detritus 
und ein Zusatz eines zum Theil deutlich braunroth gefärbten Mineral- 
staubes,“ vorhanden sind, welche sich von vulkanischen Aschenverhält- 
nissen wesentlich unterscheiden. Es wird bemerkt, dafs die Untersuchun- 
gen Ehrenbergs, so wie die beigefügten Darstellungen sehr gleichartige 
Staubarten vielfach analysirt haben, dafs aber wohl näher liegende Ge- 
genden, namentlich die Sahara von Afrika, die Materialien geliefert haben 
mögen. Dies wird auch direct zu begründen gesucht durch einen aus 
der Nähe von Üairo mitgebrachten Staub und durch die Angabe von 
gelblichen Wüsten-Oberflächen der Herrn Palgrave, Desor, Heuglin, 
d’Escayrae u. A., so wie durch die Vorstellung, dafs die afrikanischen 
Wirbelstürme ja sichtlich den Staub in die Höhe wirbelten und, mit 
trocknem Staub und Wärme beladen, leicht als Scirocco denkbar seien. 
(Geringe organische Beimischungen der beiden untersuchten Staubarten, 
samt Gypsgehalt, bilden die Grundlage der schliefslichen Vorstellung, 
dafs die Sahara der Grund und Boden der Erscheinung auch für die 
Schweizer Verhältnisse sei. 

Diese umsichtige, einerseits verdienstvolle Darstellung hat der 
langen Reihe meiner vorgetragenen Erfahrungen und Analysen zwar im 
Allgemeinen Rechnung getragen, allein ich darf nicht verschweigen, dafs 
mehrere Hauptpunkte ungenügend abweichen und andere unberücksichtigt 
geblieben sind. Meine sechsjährigen eigenen Anschauungen der dortigen 
Wüstenverhältnisse können unmöglich aufgehoben werden durch kleine zu- 
sammenhanglos von dort mitgebrachte Lokalproben. Die überall röthli- 
chen und gelblichen Lichtreflexe im Sonnenschein der Sahara, welche ver- 
schiedene Reisende, wie ich selbst, gesehen haben, können unmöglich mit 
den wirklich zimmet- und ziegelfarbenen Blutregen und Schneestauben, 
welche in der Schweiz bis zu 30,000 Centnern an emem Tage gefallen 
sein sollen, vergleichbar sein, zumal bei den Arabern in der Sahara nir- 
gends von Blutregen Nachricht gegeben wird. Völlig unbeachtet ist auch 
die Quelle des rothen Staubes aus dem Dunkelmeer des Atlantischen 
Ocean geblieben, die so leicht durch die Windströmungen des Mittelmee- 
res ab — und nach Italien und der Schweiz gelenkt wird. Am wichtig- 

10 * 


76 Eurengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


sten aber ist die sehr viel reichere Mischung an immer denselben, an 
keinem Punkte der Erde, der wechselnden Jahreszeiten halber, am wenig- 
sten aber in der Sahara möglichen organischen Süfswassergebilden, als sie 
dieser neuesten Untersuchung zufolge angegeben ist, während Gyps und 
Kreidekalk, Polythalamien mit vielen anderen Dingen freilich aus Algier, 
Malta und der nächsten Nähe der überall Kalk- und Gypshaltigen Wüsten- 
gebirge, selbst von den Gypsbrennereien der Schweiz, stammen können. 

Professor Cramer in Zürich hat zuletzt sich mit grofsem Eifer 
der Analyse der schweizerischen Schneestaubarten angenommen und auch 
besonders die von Killias beobachtete grofse Meteorstaub-Ablagerung zum 
Gegenstande seiner intensiven Studien gemacht. 15 Proben von Wüsten- 
sand aus der Nähe von Algier zwischen Biskra und Tuggurt hat Prof. 
Escher von der Linth auf seiner Küstenreise daselbst eigenhändig auf- 
genommen und ihm zur Untersuchung übergeben. Überdiefs sind von 
Cramer 8 Proben verschiedener Localitäten des Meteorstaubfalles vom 
15. Januar 1867 im Canton Graubündten analysirt worden, nämlich aus 
Chur, Churwalden, Mühlen, Klosters, Samnaun, Alveneu, St. Bernhardin 
mit Val Mesocco und Zuoz, so wie auch eine Probe des 1850 m der 
Nacht vom 16. zum 17. Februar in den Centralalpen der Schweiz gefal- 
lenen röthlich braunen Staubes. Auch eine Probe des Meteorstaubfalles 


» in der Provinz Oran, welche Dr. Nicati dort 


>) 


von St. Denis du Sie 
am 15. Novemb. 1867 bei Gelegenheit eines grolsen Staubsturmes ge- 
sammelt, den auch Dr. du Plessis in Orbe dieser Nachricht zufolge 
als dem schweizerischen gleichartig bezeichnet hatte, ist gleichzeitig ana- 
lysırt. (Nicatı, Bullet. Soc. vaud. Sciences natur. T. X. p. 69.) 

Aus den Analysen der von Escher von der Linth mitgebrachten 
Sand- und lockeren Steinproben, deren einige stark roth gefärbt sind, 
hat sich ergeben, dafs sie reichliche Beimischungen von wohl erhaltenen 
Polythalamien enthalten, andere organische Beimischungen waren äufserst 
selten. Verschiedene Formen von Gypserystallen und unregelmälsigen, 
oft intensiv rothfarbigen oder roth gefleckten Sandtheilen waren auffällige 
Elemente. Die selten darin erkannten Bacillarien-Arten beschränkten sich 
auf einen Splitter von Campylodiscus Olypeus, Eunotia (Epithemia) Zebra, 
E. (Epith.) manipulifera Cramer, Synedra laevis(?) und Navieula? Über- 
diefs wurden verschiedene unnennbare Fragmente von Vegetabilien, Woll- 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 77 


haare als thierische Haare erkannt, auch ein Fragment von Spongo- 
hithis robusta? 

Der von Nicati in Algier gesammelte Meteorstaub bestand nach 
Öramer’s Analyse aus ziemlich groben buntfarbigen Sandkörnern, ohne 
Beimischung von Mulm und enthielt zahlreiche wohlerhaltene Polythala- 
mien (Ztotalia, Planulina, Grammostomum-Arten) aber nur zwei Arten von 
Spongolithen (Spongohthis robusta und Amphndıseus Rotella) und gar keine 
Bacillarien, während eine dabei vorgekommene Eunotia amphioxys un- 
sicher blieb, ob sie nicht zufällig fremde Beimischung sei. Mit diesen 
afrikanischen Sand- und Staubarten vergleicht Cramer den schweizeri- 
schen Alpenstaub und giebt dabei die Abbildungen der sämmtlichen von 
ihm gesehenen Elemente, wobei nur weniger günstig für die Vergleichung 
ist, dafs die Vergröfserungen nicht alle auf 300mal im Durchmesser re- 
dueirt sind. Die öfter angewendete 250 malige Vergröfserung kommt aber 
doch so nahe, dafs die Beurtheilung weniger beeinträchtigt ist. 

Das vollständige Verzeichnils der im Schneestaub beobachteten 
Formen ist eine sehr glückliche, diese Forschungen fördernde Beihülfe. 
Ich beschränke mich hier auf Beurtheilung der auf den Tafeln gegebenen 
Abbildungen und finde die in der Mehrzahl übereinstimmende Ansicht dem 
sonst oft hervortretenden Übelstande gegenüber, dafs das Mikroskop wegen 
ungleicher Beobachtungsmethoden selten Übereinstimmung giebt, erfreulich. 
Es brauchen nun nicht viele gleich eifrige Beobachter mehr hinzuzutreten, 
um die Vollgültigkeit der objeetiven Thatsachen von aller subjeetiven 
Meinung abzulösen. 

Die Abbildungen des Herrn Cramer erlauben folgende Übersicht 
der schweizerischen Staubelemente: 


Tafel ]. 
Cramer. Ehrenberg. 
Fig. 1. Gallionella distans. Gall. distans. 
Fig. 2. Gall. granulata. 2. a.d.f.g.t. Gall. procera. 
2.b.c.e.l.k. Gall, granulata. 
2. h.m. Gall. decussata. 


| 


Fig. 3. 4. Pinnularıa cocconeoides. = Üocconeis finnica Ju. 
Fig. 5. 6. Discoplea atmosphaerica.—= Discoplea atmosphaerica. 


78 Ennengerc: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


Cramer. Ehrenberg. 
Fig. 7. 8. 9. Cosemodıseus flaw- 
cans (?) 
Fig. 10. 11. Discoplea atlantica 
Fig. 12. Diatomaceen Fragment. 
Fig. 15-18. Eunotia amphioays. 
Fig. 19. Navieula Bacıllum. 
Fig. 20. 24. Pinnularia borealıs. 


Coseinodiscus flavicans. 
Discopl. atlantiea. 
Bacillarien Fragment. 
Eunotia amphroxys. 
Nawrieula Bacıllum. 
20-22. Cocconeis? 

23. 24. Pinnul. borealıs? 
Nawvieula emarginata. 
Navicula Semen. 


I I A 


| 


Fig. 25. Nawieula emarginata. 
Fig. 26. Navieula Semen. 


Fragtlaria Bacillum? Mierog. Oran 
und Nord-Amerika. 
Cocconema (Uymbella) Fusidium? 


Fis. 27. Fragdlarıa capucina? 


Fie. 28. Uymbella Ehrenbergu 


| 


Fig. 29. Fragtlaria capueina? Fragllaria Bacıllum? 

Die Tat. I. Fig. 65 Synedra Ulna genannte Form ist von mir als 
Fragilaria amphreephala in der Mierogeologie 1854. Taf. XXXVN. ı1. Fig. 5. 
aus Oregon verzeichnet, und Epithemia manrpulifera Cramer Taf. U. 
Fig. 22. scheint identisch zu sein mit der ebenfalls von mir in der Micro- 
zeologie genannten und 1870 in der Abhandlung über die californischen 
Bacillarien-Felsen abgebildeten Zumotia Mosis Arabiens. Unter den von 
Uramer abgebildeten 47 weichen Pilanzentheilen befinden sich 12 erypto- 
gamische Sporenschläuche, 18 verschiedenartige Pflanzen- und Pappus- 
haare, Pilzfäden und Pollen, von denen mehrere in den Passatstaub-Ana- 
Ivsen schon öfter vorgekommen sind. Von Lithostylidien ist Z. Amphio- 
don und L. Olepsammidium genannt und abgebildet und von Spongolithen 
Amphidiseus truncatus. Von den 85 organischen Formen sind 15 selbst- 
ständige Bacillarien, alles Übrige sind unselbstständige Theile oder Frag- 
mente, die einer Fortptlanzung in der Atmosphäre nicht fähig sind. Auch 
die selbstständigen Formen sind sämmtlich ohne organischen Inhalt dar- 
gestellt und lassen also nicht erkennen, dals sie zu Lebensfunetionen ge- 
eignet sind. Die beigemischten gefärbten thierischen Haare gehören wohl 


der Schweizer Landschaft an. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 79 


Ich gehe nun zu meinen eigenen Analysen derselben Substanzen 
über. Die mir von Herrn Dr. Killias in Chur zugekommenen Proben sind 
aus 3 der am 15. Januar 1867 durch den Stauborkan betroffenen Ört- 
lichkeiten, nämlich von Andeer, Klosters und Churwalden, eine vierte. 
dureh Glühen veränderte Probe aus Chur habe ich einer Analyse zu unter- 
ziehen nicht für rathsam gehalten. 

Die kleine Staubprobe von Andeer ist ein unfühlbar feines Pulver. 
mit vielen organischen Fasern, von röthlich grauer Farbe, das beim Glü- 
hen erst schwarz und dann sich dunkler roth färbte, Salzsäure gab kein 
Brausen. Die mikroskopische Analyse ergab in 11 4 Cubiklinie grofsen 
Stoffmengen 21 organische Formen, nämlich 9 Polygastern, 18 Phytolitha- 
rien, darunter kein Spongolith und zwei weiche Pflanzentheile. Die un- 
organische Masse besteht aus einem feinen, bei polarisirtem Lichte nicht 
farbig werdenden Mulm mit doppeltlichtbrechenden feinen Trümmersand- 
theilen. Im Allgemeinen überwiegt der unorganische Theil den organi- 
schen bedeutend, so dafs letzterer etwa -; des Volumens ausmacht. 
Unter den organischen Formen sind am zahlreichsten punktirte, unregel- 
mälsig rundliche, Körperchen, welche bei polarisirtem Lichte buntfarbig 
werden und unförmlich gewordenen kleinen Pollenkörperchen ähnlich er- 
scheinen. Nächst dem sind die Gallionellen an Zahl überwiegend. so 
dafs sie in keinem der Präparate fehlen. Das einmal beobachtete gröfsere 
Fragment der Discoplea atmosphaerica ist mit charaktergebend. Kleine 
weilse eubische Crystalle sind hier und da vereinzelt zu erkennen. 

Die ebenfalls röthlich grau gefärbte feine Staubprobe von Klosters 
wird beim Glühen erst schwarz und dann dunkler grau, mit Salzsäure 
berührt kein Brausen. Die mikroskopische Analyse ergab in 10 üblichen 
Präparaten 29 organische Formen und zwar 12 Polygastern, 15 Phytoli- 
tharien, darunter 3 Spongolithe und 3 weiche Pflanzentheile, die rund- 
lichen Körperchen (ob Pollen?) des Vorigen fehlen, sind also lokale 
Beimischungen. Die unorganische Masse besteht aus feinem Mulm und 
Trümmersandtheilchen. Das Verhältnifs des Organischen zum Unorgani- 
schen ist nach Abschätzung dem vorigen ähnlich. 

Die Staubprobe von Churwalden ist den beiden voranstehenden sehr 
ähnlich von röthlich grauer Farbe und verhält sich bei Glühen und Säure 


genau wie die von Klosters. Die mikroskopische Analyse ergab in 5 üblichen 


S0 Enrenperg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


Präparaten 34 organische Formenarten, und zwar 13 Polygastern, 16 Phy- 
tolitharien, darunter 3 Spongolithe und 5 weiche Pflanzentheile. Die 
überwiegend unorganische Masse besteht ebenfalls aus einfach lichtbrechen- 
dem feinen Mulm und doppelt lichtbrechendem Trümmersand. 

Die hier vorgelegte Analyse der drei zu einem und demselben 
Meteor gehörigen Staubarten umfalst im Ganzen 50 organische Formen 
und erlaubt somit eine Vergleichung mit meinen früheren Passatstaub- 
Analysen. Unter den 20 von mir verzeichneten Polygastern Arten finden 
sich 6 und unter den 23 Phytolitharien Arten 3 mit denen von Öramer 
übereinstimmend. Auch von den 7 weichen, meist sehr unbestimmten 
Pflanzentheilen sind einige vergleichbar, während die Mehrzahl von ihnen 
mir nicht vorgekommen sind. Am interessantesten ist die von ÖOramer 
Synedra Ulma genannte Form, welche als Fraglarıa amphicephala der 
Microgeologie aus Oregon zu den amerikanischen Characterformen gehört. 
Von Cramer und von mir sind übereinstimmend keine vulkanıschen 
Elemente wahrnehmbar geworden, weder glasartige Obsidiansplitter, noch 
zellige Bimsteinfragmente, noch irgend welche Mengen vulkanischer Cry- 
stall-Gestalten, und der Eisengehalt ist hier wie dort als ein mulmiges 
Eisenoxyd-Hydrat in seiner Beimischung erkennbar geworden, welcher sich 
durch Glühen in eine höhere Oxydationsstufe versetzen läfst. Das Schwarz- 
bleiben einiger Schweizerstaube beim Glühen zeigt vielleicht das Vor- 
handensein schwer zu verflüchtigender zelliger Pflanzenkohle an. 

Cramer hat in den von ihm untersuchten Föhnstaub-Arten der 
Schweiz, ebenso wie ich, nirgends eine Polythalamie angetroffen, welche 
in den von ihm untersuchten Wüstensandproben der Sahara zahlreich 
und schön enthalten waren. Die von mir gegebenen Mittheilungen über 
Beimischungen von Polythalamien in einigen Scirocco- und Passatstaub- 
Arten haben ihn, wie es scheint, zu der Vorstellung veranlafst, dafs diese 
sröberen Theile, wenn der Staub der von mir eingeführten früheren Vor- 
stellung gemäls aus Amerika stammen sollte, im Staube des Atlantischen 
Oceans nach Amerika hin immer zahlreicher sein mülsen, was nicht der 
Fall sei. So sei es denn ein Beweis, dafs Afrıka das Mutterland aller 
dieser gröberen Formen sei, weil diese an den Küstenpunkten des Mittel- 


ländischen Meeres und Lybiens selbst am zahlreichsten vorkommen. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 81 


Ich sehe mich veranlafst diesen, die zufälligen Lokalformen mit 
den Normalformen vermischenden Gesichtspunkt als einen meinen Dar- 
stellungen ganz fremden abzulehnen. Ich habe stets darauf aufmerksam 
gemacht, dafs der Passatstaub, aus welcher Richtung er auch kommen 
möge, stets zwei Charactere sehr fest halte. Einer derselben ist die Bei- 
mischung vieler Oberflächen-Verhältnisse der nächsten Umgebung des 
Ortes, an dem er die Oberfläche mit Sturm erreicht und niederfällt (das 
sind Lokalformen). So sind die Kreidegebirge und Polythalamienkalke 
bei Algier, Malta, Sicilien und hier und da wohl in den Appenninen sehr 
geeignet, solchen Staubstürmen ihren Polythalamienstaub, zuweilen viel- 
leicht überwiegend, mitzutheilen. Solche Polythalamienmischung ist nur 
zuweilen, vereinzelt und selten bei den Capverdischen Inseln oder sonst 
im Dunkelmeer in dem auf Schiffe gefallenen Staube erkannt, weshalb 
man sie wohl umsonst in grölserer Nähe von Süd-Amerika suchen wird. 

Auffallend genug ist es zweitens, dafs der Passatstaub mit überaus 
vielen Bacillarien erfüllt ist, die als Wasserbildungen auf den grofsen 
Wüstenflächen der Sahara, die so völlig wasserlos sind, undenkbar er- 
scheinen. Diese überall immer denselben Formen vorherrschend angehö- 
renden selbstständigen Organismen sind durch Cramers sehr sorgfältige 
Nachforschungen in dem Schweizer rothen Staube auf das Glücklichste 
ebenfalls entwickelt worden. So kann man denn die meisten Pflanzen- 
theile und alle Polythalamien vollständig als zufällige lokale Bei- 
mischungen ignoriren und dennoch den wichtigen Character der Überein- 
stimmung aller rothen Staubmeteore, sowohl in der rothen Eisen-Farbe als 
in der wesentlichen Mischung der organischen Elemente, seit 68 Jahren 
direeter Beobachtung (von 1803 an) anerkennen. 

Was im Allgemeinen die Polythalamien-Verhältnisse der Sahara 
und auch den Gypsgehalt der afrikanischen Wüsten anlangt, so lassen 
sich freilich noch viele Nachforschungen mit mancherlei Resultaten für 
diese Aufgabe denken, allein die in der Microgeologie gegebenen Analysen 
der grolsen Kalkgebirgsmassen bei den Pyramiden und von Öber-Ägypten 
darf ich wohl den betreffenden Forschern empfehlen, da sie als Vorberei- 
tung zur gründlichen Kenntnils ein nicht ganz wnansehnliches Material 
von nahe an hundert Polythalamien-Arten darstellen. Rechnet man hierzu 
noch die Polythalamien-Kalkgebirge des Sinai und Antilibanon, welche 


Phys. Kl. 1871. 11 


82 EurenBere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


ebenda bereits abgebildet sind, so möchte dem nächsten Bedürfnils zu 
einer Vergleichung schon mancher Vorschub geleistet sein. 

Sehr wichtig ist es aber nicht blos jene die Oberflächen der Erde 
abfegenden Luftströmungen überall in diesen Verhältnissen zu beachten. 
Aus den bisherigen Beobachtungen hat sich bereits mannigfach festge- 
stellt, dafs keine der bekannten Oberflächen der Erde, auch nicht Ame- 
rika’s, zur Erläuterung der organischen Beimischungen der rothen Staub- 
meteore für sich allein hinreichend sei. Immer nachdrücklicher hat sich 
vielmehr die Vorstellung festgestellt, dafs in sehr hohen Regionen der 
Atmosphäre seit unberechenbarer Zeit unberechenbare Massen feinster, 
mehr oder weniger dichter, stets auffallend durchsichtiger, trockner Nebel 
durch die Rotation des Erdkörpers dauernd schwebend gehalten werden 
mögen, welche bei zufällig gröfserer lokaler Anhäufung, wie es bei vul- 
kanischen Aschen öfter schon nachweislich geworden, sich herabsenken 
und vielleicht direet Veranlassung zu Wirbelstürmen werden, die ohne 
eine solche Senkung nicht erschienen wären. Andererseits ist das Atlan- 
tische Dunkelmeer bei Westafrika, von welchem aus zumeist Staub-Ablen- 
kungen als Höherauch, die öfter ohne Wirbelsturm über Europa geführt 
werden und die europäischen rothen Staubfälle, Blutregen und rothen Schnee 
bedingen, am meisten geeignet, diese räthselhaften meteorischen Erscheinun- 
gen, welche in den Nordpolargegenden nicht fehlen, zu erläu- 
tern. Dafs die zuweilen sandartige rothe Schneemischung in der Nord- 
polarzone aus Afrika stamme, dürfte wohl schwerlich Vertheidigung finden. 


7. Staubfall in St. Denis du Sig den 15. November 1867. 

Unter den von Herrn Killias gesandten Proben ist auch die von 
Dr. Nicati in Algier gesammelte und von Professor Cramer ausführlich 
besprochene Staubprobe aus St. Denis du Sig. Es ist ein nicht unfühl- 
bar feiner, körniger Luftstaub von grau-rother Farbe, welcher mit Säure 
stark braust und beim Glühen erst schwarz und dann schwarz-grau mit 
rothen Flecken erscheint. Die mikroskopische Analyse zeigte zahlreiche 
Polythalamien und deren Fragmente, so wie auch einzeln eingestreute 
Polygastern und Phytolitharien. In 10 Präparaten fanden sich 14 orga- 
nische Formenarten und zwar 5 Polygastern-Arten, 5 Phytolitharien- 
Arten, unter denen ein Spongolith und 4 Polythalamien-Arten. Aulser 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 83 


den Kalkfragmenten zeigte der Staub, nach Auslaugen durch Salzsäure, 
doppelt lichtbrechenden Trümmersand und einfach lichtbrechenden Mulm. 
Als Kalktheilchen erschienen zum Theil feine weifse cubische Crystalle. 

In der Analyse des Herrn Cramer ist nur Zumotia amphioays als 
einzige unsichere Bacillarien-Form angezeigt, während meine Unter- 
suchungsmethode die verzeichneten Baeillarien-Formen, darunter auch die 
verbreitetsten Passatstaub-Formen, Discoplea und Gallionella, zur An- 
schauung gebracht hat. Es dürfte daher kein Zweifel bleiben, dafs dieser 
Orkanstaub von röthlich brauner Farbe in seinen feineren Theilen mit 
(fremdem) Passatstaub gemischt ist, während die gröberen Polythalamien 
und die Gypstheile von der nächsten Umgebung der afrikanischen Küste 
durch den Sturm beigemischt sein mögen. 


8. Staubfall in Apulien im Jahre 1868. 

Durch die Güte des Herrn Professor Palmieri ist mir eime 
Probe des Staubfalles aus Canosa in Apulien übersandt, welche ein 
dortiger Professor gesammelt hat. Die näheren Umstände sind mir nicht 
mitgetheilt. Vielleicht ist derselbe in einem interessanten Zusammenhange 
mit der aus Athen in gleichem Jahre am 16. und 19. August mitgetheilten 
Nachricht des folgenden Abschnitts. Die Masse ist eine lehmartig locker 
zusammenhängende, blafs röthlich-graue Substanz, die beim Glühen erst 
dunkler grau und dann ansehnlich röther wird. Bei Berühren mit Salz- 
säure wird kein Brausen deutlich, bei polarisirtem Lichte zeichnen sich 
dennoch sehr feine cubische Crystalle aus, welche wahrscheinlich doch 
geringe Spuren von kohlensaurem Kalk sind. Die mikroskopische Ana- 
Iyse ergab in 10 Präparaten 42 organische Formen: 15 Polygastern, 25 
Phytolitharien, darunter 4 Spongolithe und 2 weiche Pflanzentheile. Fei- 
ner quarziger Trümmersand und feiner röthlicher Mulm, samt selten ein- 
gestreuten kleinen eubischen und weifsen säulenförmigen Orystallen bilden 
die unorganische Haupt-Mischung, in welche jene Formen eingestreut 
sind. Die Gallionellen und Bunotia amphioxys samt Campylodiseus und 
Discoplea geben auch dieser Substanz den ansprechenden Character eines 
zugleich eisenhaltigen Passatstaubes. (Siehe die Tabelle.) 


L1* 


S4 Eurexgerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


9. Höherauch oder trockner Nebel im Juli 1369. 

In vielen Zeitschriften, besonders aber in dem meteorologischen 
Bullettino des Jahres 1869 ist von einem überaus starken Höherauch 
mit grolser Dürre und grofser Abschwächung des Sonnenlichtes in den 
italienischen Ländern berichtet worden, und auch aus Griechenland mel- 
dete mir Professor Jul. Schmidt, dafs die Erscheinung gleichzeitig und 
in gleicher Art dort stattgefunden, in folgenden Worten von 16. Juli 1869: 

„Ein neuer Staubfall veranlafst mich — Ihnen den beobachteten 
„Hergang der Erscheinung mitzutheilen und eme Probe des gesammelten 
„Staubes zu übersenden. Diesmal handelt es sich nieht um den Scirocco, 
„sondern, wie bei dem aulserordentlichen Phänomen vom 16. bis 19. August 
„1868, um eine höherauchartige dreitägige Verfinsterung des wolkenlosen 
„Himmels in der heifsen Jahreszeit und unter dem Wehen der Nordost- 
„Etesien. Nachdem viele Tage der SW. bei klarer Luft geherrscht hatte 
„(wobei es oft Nachts im Norden blitzte), begann (1869) Juli 6. der NO. 
„bei z. Th. wolkigem Himmel und einer kaum merklichen Regenspur. 
„Juli 9. 10. dauerte der NO. auch die Nacht über. Juli 10. war der 
„ganze Horizont dunstig und gelbbraun und die Sonne ging roth und 
„strahlenlos unter. Die Trübung der Luft war sehr gleichförmig und es 
„fehlten durchaus die violetbraunen, wellenförmigen Streifen am Himmel, 
„die den fernen Waldbrand verrathen. Juli 11. war jener Dunst überaus 
„dieht, geruchlos, doch lange nicht so stark als August 17. und 18. 1868. 
„Juli 12. nahm der Dunst ab und Nachts blitzte es viel in NW., W. und 
„NO. Juli 13. 14. 15. klar bei wenig Gewölk und variabler Windrichtung. 
„Juli 16. noch eine Spur jenes Dunstes.“ 

„Am 10. 11. 12. Juli ward ein Staub abgelagert, den ich wegen 
„der Heftigkeit der Etesien im Freien nicht auffangen konnte. Er drang 
„in die Zimmer, und hatte, wo er weilses Papier bedeckte, ein ungewöhn- 
„liches braunes Colorit, dunkler als der Athener Strafsenstaub. Ich habe 
„einen Theil des Staubes mit einem trocknen, noch ungebrauchten Pinsel 
„zusammengekehrt und als Probe diesem Briefe beigegeben. Die Unter- 
„suchung wird Ihnen nun vielleicht zeigen, dafs es sich gar nicht um 
„jenen Staub handelt, über welchen Ihre Arbeiten so vieles Licht ver- 
„breiten. Ich denke aber, dafs allen noch dunklen Phänomenen gegenüber 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 85 


„Nichts im Voraus für unwichtig angesehen werden darf, sondern dals 
„die Erscheinung nach allen Seiten umfassend gewürdigt werden müsse. 
„Wenn sie diesmal keine der Formen vom 24. März 1869 entdecken, 
„so wissen wir, dafs diesmals im Juli 1869 die Etesien etwas anderes 
„herabbrachten. Aber es war kein gewöhnlicher Staub, wie wir solchen 
„zu Athen 8 oder 9 Monate hindurch zu beobachten haben und deshalb 
„glaubte ich diese Mittheilung nicht unterlassen zu sollen.“ — 

Die kleine beigefügte Probe zeigte nach sogleich vorgenommener 
mikroskopischer Analyse keinerlei Beziehung zu den rothen Passatstaub- 
meteoren. Der nicht rothe, sondern bräunlich graue Staub enthielt nur 
feinen Trümmersand mit sehr vielen weifsen Leinwand- und buntfarbigen 
Wollfasern, anscheinend von gefärbter Schaafwolle, gemischt, welche wohl 
anzeigten, dals der gesammelte Staub durch die nächsten Umgebungen 
des Hauses übermälsig gemischt war. 

Mit grofser Ausführlichkeit hat der Astronom Professor Ragona 
zu Modena diesen ganz Ober-Italien bedeckenden Höherauch in verschie- 
denen Aufsätzen sorgfältig beschrieben und auf die Wiener meteorologi- 
schen Berichte hingewiesen, welche 16 Örtlichkeiten seiner Verbreitung 
angeben, so wie auf die französiche meteorologische Zeitschrift, welche 
die Erscheinung einen trocknen Nebel nennt. Ich nehme aus seiner 
kleinen mir zugesandten Schrift, welche seine Mittheilungen übersichtlich 
unter dem Titel „La caligine atmospherica Luglio 1869* zusammenfalst, 
folgende kurze Characteristik dieser Erschemung auszugsweise heraus: 

Die Höhe des Nebels überragte die hohen Bergspitzen der euro- 
päischen Hochgebirge, namentlich den Montblane und war über Frank- 
reich, Deutschland und Italien gleichartig verbreitet. Padre Denza beob- 
achtete sie in Piemont und auf den toskanischen Bergen und Professor 
Gasparis in Neapel meldet, dafs dort ein unfühlbar feiner Staub (pul- 
escolo impalpabile) die Luft erfülle, wie auch von Professor Palmieri die 
Nachricht eintraf, dafs in den neapolitanischen Provinzen um diese Zeit 
ein feiner Staub gefallen se. Nach Ragona!) fanden sich im Gebirge von 
Arad die Pflanzen mit einem Honisthau ähnlichen (mellume), reichlichen 
Überzug bedeckt, welcher durch eine Mischung von Wasser mit atmo- 


r 


1) Ragano ]. c. p. 15. 


86 Eurengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


sphärischem Staube entstanden zu sein schien und der sich auch durch 
eine gelbröthliche Farbe bemerklich gemacht zu haben scheint. Das Vor- 
kommen des trocknen Nebels sowohl in sehr trocknen wie in sehr feuch- 
ten Gegenden wurde von Ragona gleichartig wahrgenommen und durch 
Gründe gegen die allgemeine Feuchtigkeit des Nebels darauf zurückgeführt, 
dafs der Nebel nicht, wie feuchte Wolken es in heifsen Tagen thun, mit 
der Hitze sich zertheilte und verschwand, sondern verstärkte und stehen 
blieb. Bei grofser Hitze erschien die Sonne so matt wie der Mond, so 
dafs sie mit blofsem Auge angesehen werden konnte, ein Hof aber, den 
die Wasserdünste zu machen pflegen, entstand nicht. 

Ragona schliefst, dafs die grofse Höhe und die grofse Verbrei- 
tung des Nebels auf einen gemeinsamen Ursprung hindeute und dafs dessen 
Ursache von den Zuständen der meteorologischen Beobachtungsstation 
unabhängig sel. Kaemtz erklärte ihm in Modena den ganz ähnlichen 
Nebel von 1867 für Höherauch. Ein Augenzeuge berichtet den schäd- 
lichen Einflufs dieses Nebels von 1869 auf die in den Bergen von Verona 
weidenden Thiere, die erkrankten und starben. Das von Ragona an- 
geführte Urtheil eines beim Suez-Canal beschäftigten Italieners über die 
Gleichartigkeit der ägyptischen Nebel mit diesen italienischen ist, da es 
nicht auf speciellen Untersuchungen beruht, ohne Gewicht. 

Ferner sagt Ragona in seiner kleinen Schrift pag. 21.: „Wir 
„wissen genau, dafs am 29. Juni 1861 die Erde von dem Schweif eines 
„grolsen Cometen durchzogen wurde. Am Abend des 30. Juni hat der 
„Astronom Hind in London mit andern Beobachtern am Himmel eine 
„Art gelblicher Phosphorescenz beobachtet. Zu Barbacena in Brasilien 
„zeigte der Himmel am 20. und 30. Juni eine constante röthliche Fär- 
„bung. Es scheint, dafs man damals nirgends auf der Erde selbst trock- 
„nen Nebel beobachtet habe. Es darf jedoch nicht verschwiegen werden, 
„dals bei dieser Gelegenheit das Zusammentreffen nicht in der Richtung 
„der Axe des Schweifes geschah, sondern seitlich und gegen die Spitze 
„desselben.“ — Die hier erwähnten astronomischen Beobachtungen mögen 
der weiteren Pflege der betreffenden Beobachter überlassen bleiben. 

Zuletzt erwähnt Ragona die grolsen Sandstürme von Afrika, wel- 
che der neuesten Theorie des Pariser Meteorologen Herrn Tarry (In- 
specteur des finances) zum Grunde liegen. Tarry hat sich bemüht die 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 87 


schon seit langer Zeit in Europa gekannten periodischen Nord- und Süd- 
Stürme als eonstante Oyelone darzustellen, welche seiner eigenen Erfah- 
rung nach in Afrika Sand genug aufwühlen, um denselben über Europa 
zu verbreiten. Freilich ist seit Cambyses und den Kämpfen der Nasa- 
monen mit ihrem davon fliegenden Lande vielfach vom Sande der Sahara 
Meldung geschehen und die himmelhohen Staubwirbel der afrikanischen 
Wüsten haben grofse Berühmtheit erlangt, sind auch von mir selbst 6 
Jahre lang oft beobachtet worden. Tarry’s Hypothese berührt zwar 
den grauen und weilsen afrikanischen Sand, erläutert aber in keiner 
Weise die allein nur Interesse gewährenden rothen Färbungen und orga- 
nischen reichen constanten Mischungen der hier in Betracht kommenden 
Nebel- und Staubarten. So ist denn der im vorigen Abschnitt beschrie- 
bene Staub von Apulien mit seinen characteristischen Passatstaubformen 
vielleicht direet erläuternd für diesen sogenannten Höherauch. 


10. Staubfall vom 13. und 14. Februar 1870, 

Dieser Meteorstaubfall an den ligurischen Küsten ist von italieni- 
schen Beobachtern in so ansehnlicher Ausdehnung verzeichnet worden, 
dafs es mir angemessen erscheint seiner zu erwähnen, ungeachtet es mir 
nicht gelungen ist, Proben zu seiner Analyse zu erhalten. Im histori- 
schen Abschnitt habe ich die mir zugekommenen Nachrichten hierüber 
aus den italienischen Quellen und brieflichen Mittheilungen zusammenge- 
stellt. Nur ist hier zu bemerken, dafs er, wie es öfter der Fall war, 
theils als trockner Staub und Höherauch, theils als mit Feuchtigkeit ge- 
mischter sogenannter Blutregen und als rother Schnee niedergefallen ist. 
Die reichlichen Einsammlungen dieses Staubes, welche den Berichten zu- 
folge stattgefunden haben, sind, wie es scheint, durch die chemischen 
Analysen überall gröfstentheils aufgezehrt worden, ohne dafs kosmische 
Charactere erlangt worden wären. Auch die in Italien gemachten mikro- 
skopischen Analysen haben bisher kein entsprechendes Resultat ergeben. 


ll. Staubfall bei Janina am 13. April 1870. 
Ich schliefse hieran die Analyse der Probe eines Staubfalles von 
Janina in Albanien, welche der Director der Sternwarte von Athen Prof. 


88 Eurengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


Julius Schmidt mir am 27. Mai 1870 mit folgenden erläuternden Wor- 
ten zugesandt hat: 

„Am 22. Mai brachte mir Seine Excellenz der englische Gesandte 
„Herr E. W. Erskine einliegende Staubprobe, welche derselbe vor eini- 
„ger Zeit von Herrn Major R. Stuart aus Janina erhalten hatte. Herr 
„Stuart, englischer Consul in Janina, ist ein sehr kenntnifsreicher und 
„höchst zuverlässiger Beobachter, dem ich seit 1866 eine grolse Zahl 
„meteorologischer Angaben in bester Form verdanke.* 

„Der Staubniederschlag erfolgte mit Regen am 13. April 1870 vor 
„Sonnenaufgang. Ich kann Ihnen später auch die meteorologischen Da- 
„ten jener Zeit für Epirus und Attika!) mittheilen, Janina hat etwa 1600 
„englische Fufs Seehöhe und vom Meere eine Distanz von 39 englischen 
„Meilen.“ — 

Die Probe besteht aus einem unfühlbar feinen, röthlich grauen 
Pulver, das beim Glühen erst dunkler grau und dann entschiedener röth- 
lich grau wird, mit Säure berührt starkes Brausen zeigt. 

Die mikroskopische Analyse von 10 üblichen, etwa + Cubiklinie 
grofsen Mengen, ergab 33 organische Formenarten in einem feinen Mulm 
und doppelt lichtbrechendem Trümmersand, nämlich 17 Polygastern und 
16 Phytolitharien, ohne Spur von Polythalamien oder anderen organi- 
schen Kalktheilen. Unter den gewöhnlichen allverbreiteten Passatstaub- 
formen, welche die Mehrzahl an Individuen bilden, finden sich auch die 
amerikanische Navieula undosa (cfr. Navicula nivalıs Monte-Rosa) mit 
der zweifelhaft characteristischen Synedra Entomon und Stauroneıs con- 
strieta aus Chile und Neuholland. Unter den Phytolitharien sind 4 Spon- 
golithe, welche sämmtlich den gewöhnlichen Sülswasserbildungen anzu- 
gehören scheinen. Die zahlreichen Phytolitharien zeigen keine eigen- 
thümliche Form und schliefsen sich an die bekannten weit verbreiteten 
Grastheile (Poolithe) an. Das Verzeichnifs der Formen ist in der Tabelle 


zu vergleichen. 


12. Ispahan den 3. Mai 1870. 
Herr Dr. Werner Siemens, der um die Telegraphenverbreitung 
so verdienstvolle technische Physiker, übersandte mir im Herbst des Jah- 


1) Diese Daten sind mir noch nicht zugekommen. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 89 


res 1870 eine ansehnliche Probe eimes röthlich grauen feinen Orkan- 
Staubes, welcher am 3. Mai d. J. zu Ispahan auf der südlichen und öst- 
lichen Seite des Wohnhauses von Herrn Hoeltzer gesammelt worden. 
Die besonderen Umstände des Windes und der Ablagerung sind nieht an- 
gezeigt. Herr Dr. Siemens macht darauf aufmerksam, dafs dieser persi- 
sche röthliche Wüstenstaub vielleicht mit dem von Beludschistan identisch 
sei. Jedenfalls wird er mit zur Erläuterung der fremden Erde dienen, 
welche in West Central-Asien so viel Theilnahme erweckt hat. Der Staub 
ist fast unfühlbar fein, jedoch lassen sich ausser den feinsten Theilchen, 
welche das Mikroskop zeigt, schon im Gefühl gröbere Beimischungen unter- 
scheiden. Mit Salzsäure in Berührung gebracht, zeigt der Staub ein 
starkes Aufbrausen und verringert sich ungefähr bis zur Hälfte seines 
Volumens. Er enthält mithin einen sehr starken Antheil an kohlensau- 
rem Kalk, dieser scheint auch die weniger feinen Theile darzustellen. Das 
Übrigbleibende ist ein überaus feiner, thoniger Mulm. Dieser ansehnliche 
Mulm wird beim Glühen zuerst schwarz, dann röther und enthält in 40 
Analysen die in der Tabelle verzeichneten, sehr vereinzelt eingestreuten 
46 organischen Formenarten, samt weilsen und grünen feinen Orystall- 
prismen. Unter den 46 Formen sind 14 polygastrische Baeillarien-Arten, 
29 Phytolitharien-Arten und 3 weiche Pflanzentheile. Die Gallionellen 
sind dieselben Arten des Passatstaubes, aber nur selten eingestreut. 

Ob der Eisenmulm aus sehr feinen Gliedern der Gallionella ferru- 
ginea besteht, war nicht zu ermitteln, da Kettenbildungen derselben nicht 
zu erkennen waren. Besondere Arten dieser Bacillarien wurden nicht 
beobachtet. Unter den an Arten zahlreichen Phytolitharien sind beson- 
ders viele der Gattung Lithomesites verwandte Formen, aber auch diese 
haben besondere Characterformen zu verzeichnen keinen Anlafs segeben. 
Der Spongolith ist die allverbreitete Sülswasserform Spongohthis acieula- 
rıs. Somit ist der Gesammt-Character dieses Staubes durchaus eine 
Süfswasser- und Festlandbildung. (Siehe Tafel I.) 

Was die Beziehung zu dem Wüstenstaube von Beludschistan an- 
langt, so hat weder der Staub die lebhaft ziegelrothe Farbe des Wüsten- 
staubes nach H. Pottinger, noch ist Ispahan nahe genug an jenen Wüsten 
und die Ablagerung an der Süd- und West-Seite des Hauses scheint 
nicht genau in der Richtung von Beludschistan nach Kaschgar zu liegen. 


Phys. Kl. 1871. 12 


'90 Eurengeng: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


In weleher Art die starke Kalkmischung sich erläutern lassen wird, müs- 
sen lokale Nachrichten einst in’s Auge fassen, da sich keine Polythalamien- 
Spuren auffinden liefsen, ebenso wenig wie Morpholithe. 

Dafs die grolsen, Kaubar genannten, Staub-Trübungen und er- 
schreckenden Stürme in Khorassan und Afghanistan von Herrn von 
Khanikoff 1862 geschildert sind, aber den Character fremder Erde 
nieht erkennen liefsen, ist bereits ausführlich in den Abhandl. 1868 mit- 
vetheilt worden. Da auch vom ungarischen Reisenden Vambery be- 
richtet wird, dafs 1863 zwischen Chiva und Bochara eine Karavane bei 
heilsem Seiroceo, Tebbad genannt, zwei Zoll hoch mit feinstem Staube 
bedeckt wurde, die Farbe dieses Staubes!) aber nicht als roth angezeigt 
ist. so läfst sich auch diese Nachricht dem Staube von Beludschistan 
nicht direet vergleichen, obwohl auch sie durch überreiche Mischungen 
mit Lokalstaub entfremdet sein kann. Es war also keine fremde Erde 
oder die Macht der Erscheinung entzog beiden Beobachtern deren Cha- 
raeter. Auch das neueste vorn angezeigte schreckhafte Ereignils von 
1870 bei Samarkand erlaubt noch keine speciellere Vergleichung mit 


dem Passatstaub. 


13. Über röthlichen vulkanischen Staub des Ätna. 

Unter den interessevollen Materialien zur Erläuterung des Passat- 
staubes, welche ich der Güte des Herrn Professor Silvestrı verdanke, 
befindet sich auch eine Probe eines röthlichen, vulkanischen, aschenartigen 
Auswurfstoffes des Ätna. Zwar ist schon sehr oft von rothen Auswurfs- 
stoffen der Vulkane berichtet worden, allein es ist noch niemals eme 
wirklich rothe Asche zur mikroskopischen Untersuchung gekommen und 
die von Vallisneri erwähnte venetianische Staubart von 1689 dürfte 
wohl mit gröfserer Wahrscheinlichkeit zu den Passatstaubarten gehört 
haben. Die Mehrzahl solcher oft sehr auffallend rother Erscheinungen bei 
Vulkanen, besonders am Kraterrande, beziehen sich auf Metallsalze und 
Schwefelverbindungen, sind zwar sehr auffällig, aber ganz lokal und sind 
noch niemals als Luftstaub beglaubist worden. Der Ausdruck: lacte et 
sangume plut vom Milch- und Blutregen der alten Römer läfst im letzte- 


!) Allgem. Augsb. Zeitung 1364 Beilage No. 339 p. 5510. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 91 


ren Falle mit mehr Wahrscheinlichkeit einen rothen unvulkanischen Pas- 
satstaub annehmen, als einen Aschenregen ohne gleichzeitige Nachricht 
von vulkanischer Thätigkeit, wobei denn zugleich bemerkt sein mag, dafs 
der preufsische Gesandte von Bunsen bei Frascati im Albanergebirge 
bei Rom im April 1830!) von einem, gleich Schnee, auf die Dächer ge- 
fallenen Staube während der Thätigkeit des Ätna spricht. Ob die Be- 
zeichnung, wie Schnee, sich auf die Farbe oder auf die lockere dichte 
Bedeckung bezieht, bleibt auch hier im Zweifel. Ich habe bereits im 
Jahre 1851 in den Monatsberichten sowohl über einen bestimmten Fall 
des vulkanischen Vesuvstaubes als auch über die bei den Schweizer Ge- 
lehrten damals häufig vorhandenen Vorstellungen von vulkanischer Asche 
als Sciroceo-Staub Erläuterungen gegeben, wonach aller Vulkanstaub des 
Vesuvs, welcher in neapolitanischen Sammlungen zu meiner Ansicht ge- 
kommen ist, stets schwarz, einem mehr oder weniger groben Schiels- 
pulver ähnlich, erschienen war. Aus den Mittheilungen der Schweizer 
Gelehrten 1851 ergab sich mir die Vorstellung, dafs der verwitterte und 
getrocknete, rothe Schneestaub, nicht seiner rothen, sondern seiner dann 
angenommenen schwarzen Farbe halber, den vulkanischen Aschen ähnlich 
gefunden worden war, ohne dafs gleichzeitig vulkanische Eruptionen und 
innere Charactere diese Annahme berechtigten. 

Auch ist es nöthig bei Betrachtung der vulkanischen Aschen den Ge- 
sıchtspunkt zu erweitern. So wurden bereits 1844 die Tuffe der Vulkane 
der Eifel und ihre Rapillen und biolithischen weilsen Kieselmehle in Betracht 
gezogen (Monatsb. 1844). Gleichzeitig und 1856 (Monatsb.) sind grofse 
Tuifmassen der Vulkane in Süd- und Mittel-Amerika von gelblich grauer 
Farbe zu meiner Analyse gekommen. Die schwarz-graue Moya von Pe- 
Iileo ist 1841 erläutert worden. Directe Auswurfsstoffe der Vulkane von 
(Quito und Island wurden 1846 hinzugefügt. Das wichtigste Ereignils, 
welches für alle Zeiten einen erläuternden Einflufs ausübt, ist der Aus- 
bruch des Vulkans von St. Vincent, der 1812 am 1. Mai seine unberechen- 
baren Massenverhältnisse bis in den oberen Passatstrom in die Höhe 
schleuderte, das Tageslicht in volle Finsternifs verwandelte und mit ver- 
heerender Massenhaftigkeit sehr entfernte Inseln und Land bedeckte. Von 


!) Bunsen’s Leben aus seinen Briefen. Deutsche Übersetzung. Bd.I. p. 364. 
12* 


99 Eurengerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


ihm hat ein günstiger Zufall die auf ein englisches Schiff im Ocean gefallene 
Probe, spät aber gesichert, aus der Privat-Sammlung der Frau Professor 
Buekland in London 1847 zur Analyse in meine Hände gebracht, wie 
es ausführlich in der Mierogeologie p. 359. mitgetheilt ist. In ähnlicher 
Weise wurden mir durch Dr. Waitz 1850 die grauen Schlammauswürfe 
der Java-Vulkane vom Merapi zur Erläuterung übergeben und in der 
Microgeologie analysırt. 

In allen diesen von mir zahlreich direet untersuchten Fällen ist 
niemals von einer rothen Farbe der vulkanischen Aschen die Rede ge- 
wesen. Es waren kohlschwarze, graue oder weilsliche Substanzen, welche 
mit jenen meist lebhaft roth und gelb gefärbten Auskleidungen der Krater- 
gründe und der Fumarolen nicht vergleichbar sind, deren Substanzen, 
Schwefel- und Metall-Salze verschiedener Art, nur lokale Überzüge bilden, 
während die lebhaft rothen Eisenfärbungen erst durch längeres Liegen 
an der Atmosphäre zu solchen Eisenoxyd-Hydraten verändert werden. 

Was nun die röthliche vulkanische Asche des Ätna selbst anlangt, 
so ist ihre Farbe keineswegs den zimmet- und ziegelfarbenen Dunkelmeer- 
staubarten in ihrem normalen Verhältnifs vergleichbar. Die Farbe ist 
vielmehr eine rötlich violetgraue. Mit Salzsäure erhitzt wird diese Farbe 
ausgezogen und färbt die Säure gelbgrün, während das Pulver weilsgrau 
wird. Bei polarisirtem Lichte zeigt die Masse doppeltlichtbrechende kleine 
unregelmäfsige Körnchen und Packete, auch seltener glatte, zuweilen 
doppeltlichtbrechende, zuweilen einfachlichtbrechende Stäbchen, auch grö- 
bere Trümmersandtheile, meist (quarzigen ?) Kieselsand. Amorphe oder glas- 
se Theile fehlten. Organische 


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artige gröbere, so wie bimsteinartig zelli 
Beimischungen wurden nicht erkannt. So besteht denn dieser vulkanische 
Sand aus fein zertheilter Schlackenmasse mit einigem Eisengehalt, ohne 
Kohlenbeimischungen und unterscheidet sich, so weit die Beobachtung 
fortgesetzt wurde, von den Passatstaubarten durch Mangel an Spuren von 
organischer Beimischung. 

Auf Tafel I. sind viele Abbildungen der in diesem Kapitel ver- 
zeichneten Passatstaub-Formen zur Ansicht und Vergleichung gebracht. 


aub- Analysen. 


0 sehon beschriebene Arten. 


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rgleichung der 43 neueren Pas aub- Analysen. 


Theil I. 


schon beschriebene Arten. 


Übersicht heran i verzeichneten Staubfälle und Analysen. 
ee ee betreffenden Formen mit den an en von 1847 an. Die gesperrt gedruckten Namen bezeichnen neue, zum Theil in den Monatsberichten 


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1866 


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Copverden 24. 25. Januar 185% 


Conarische Inseln 
7. Fehronr 1863 


Gäterslohe 


F [Rom 20. 21. Februnr 1804 


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TIspalan 3. Mai 1870 


Wentafrikan. Ocean 29,0ct. 1861 


Grevenburg Höxter 


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Triceros .|.1|. 


Tridens 2 ae seen Wr 


Summa [29 


F F+FF HH 


10 115 Ir 


| 


Weiche Pflanzentheile. 49) 
Sphaerella nivalis ll: 
Laubmooszweig 
Pilzsamenschlauch 
zweigliedrig ale e 
dreigliedrig Eu 5a EI 
viergliedrig Eier 
vielkammrig « 
Einfaches glattes Planzenhaar [+ 
gezuhntes 
raules 


+ 


Am Ende verdicktes 


Vogelschnabelartiges 


4444 4 +++ + 


| Gegliedertes 


++ 


Conisches glattes 
rauhes 


Borstenförmig gluttes 


Ästiges 

+) Sternförmiges 
| Fichtenholz Sl 
+ Dreieckig.Blüthenstaub (ooryiu)| , | , 
= 


Glatter kleiner Fichtenblüthenstau| _ | , |. |. 


großer 
Pflanzenparenohym rundzellig ge 
töpielt 


lungzellig getüpfelt 

+ Blüthenstaubkörner 

+. Pflanzenzellgewebe, besondere 
\ Weicher Pflanzentheil, besond. 

+ Epidermisstücke 


++ 


2 


= 


| Bastfaser Fragmente 
| + Pflanzenfüse 


knotig N 


“+ | Farblose Leinwandfaser elalalkal 


+| Netzfaser 

Spindelfaser 
Farrnsaamen 

Kleiner Saame, besond, 


+ 


Dreieckigor kleiner Saame 


Nierenförmig glatter Saame |+ 


_ rauher Saame BL. 
Runder Saame aaer |", 
Blattfrogment grün Be li. l. 
| Extractivstofl-Körperchen Fi N Dee el 
Amylum 
Holztheile 


Thierische Theile. 9 | | 
| Mäuschaar 

Branchiopodenfufs 
Anguillula 
Unentfaltetes Räderthier = AR 
| Räderthier- Ki 
| Acarus 


+, Schmetterlingsschüppchen 
| Weiße Thierhaare 


Gefärbte (Woll-)Haare ü ? F E \ 


i . 123190 io 162 
Summe des Organischen. [57 60 [43 | 


50 147 
Unorganischen. 23 
Rother (gelblicher) Eisenmulm [+ 18 
Thon?-Mulm (Kiesel?) alle. 
Kalk-Mulm 
Quarziger Trümmersand r p # 
Kalksand | | | 
Crystallfragmente blaugrin |" | | | 
Orysuall-Rhomben welfs (Walzen- I 1} 
kora) 
Crystall-Cuben 
Sterndruse 3— 6strahlig Er on I 
Crystallprismen weils I.#l. 
grün 
rauchfarben 
Grüne Crystallsplitter 
| — Orystalle, rundlich facettirt 
Sechmeitige Tafelcrystallo 
| Gubelförmige Gypserpstalle 
| Hochgelbe Crystallsplitter ee 
Glimmer | 
Hyacinthrothe Glassplitter 
Farblose 
Porphyrartige Splitter 
| Kalk -Morpholithe (Scheiben- | | " 
plättchen) | , | _ | 
= — (wasige Scheibehen) [4 .+- 2 | 


Summe (aller Arten: 837) [01 /64 [51 |52 [61 22 34 [33 [51 151 [ho 32 Ja 16 


+ 


+ 


> 
En 


+ 
+ 


+++ # 


+ 


++ i+l+ 
| | | 


Ar A|" II 
| 
| 


+ 


| 
PFEDRPE |. 


© laı ja3 /54 \40 [74 54 [25 33 28 [60 [51 |20 [a2 44 [22 4 \37 [18 j46 


+ ++++F7 


| 
| | 


| 506 [na 33 124 /18 63 [06 [16 [36 


Anne 


ee © 
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7 


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72 ar 4 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 93 


IV. Tabellarische Übersicht aller organischen Formen des 
rothen, seit 1847 (1849) analysirten Staubes. 


7u den 1847 vorgelegten 27 Analysen des Passatstaubes, aus wel- 
chen 310 nennbare organische Formen entwickelt wurden, nämlich 137 
Polygastern, 91 Phytolitharien, 19 Polythalamien, 51 weiche Pflanzentheile 
und 7 Insectenfragmente, ist es seit jener Zeit gelungen aus den im zwei- 
ten Kapitel dieser Abhandlung verzeichneten reichen historischen Angaben 
noch 43 neue Lokalfälle dieser Art nach vorliegenden Materialien zu ana- 
Iysiren. In den Monatsberichten der Jahre 1849 bis 1869 sind bereits 
30 davon im Detail publieirt worden. 

Die Zahl der beobachteten organischen Formen in diesen neuesten 
43 Analysen beträgt 313 und zwar 127 Polygastern, 120 Phytolitharien, 
13 Polythalamien, 43 weiche Pflanzentheile, ein unsicheres Polycystinen- 
Fragment und 9 andere Thiertheile. Übereinstimmend mit den 310 Formen 
des Passatstaubes von 1847 sind von den neueren 313 Formen nur 163 
und zwar darunter 70 Polygastern und 66 Phytolitharien, so dafs als or- 
ganische Lebenserfüllung des gesammten analysirten Passatstaubes 460 
Formen zu nennen sind und zwar von den sich selbstständig erhaltenden, 
fortpflanzungsfähigen Polygastern 194 Formen und von den nicht selbst- 
ständig sich erhaltenden, nicht fortpflanzungsfähigen Phytolitharien 145 
Formen, unter denen 36 Spongolithen verzeichnet sind, während die übri- 
gen Formen, aufser den 25 kalkschaligen Polythalamien, bei Weitem vor- 
herrschend kieselerdige Grastheile, Poolitharien, darstellen. Unter den 
127 Arten der hier verzeichneten Polygastern sind die Bacillarien die bei 
Weitem überwiegenden Formen, ihnen zugesellt sind nur 6 Arcellen und 
4 Difflusien als Arcellinen, und 1 Uryptomonas und 2 Trachelomonas als 
Uryptomonadinen. 

In der hier folgenden Tabelle ist eine Übersicht der gesammten 
directen Analysen seit 1849 zu Stande gebracht. Diese Formenverzeich- 
nisse haben den eigenthümlichen Character, dafs sie nicht zusammen ge- 
tragene, verschieden beurtheilte Gegenstände betreffen, sondern von einem 
und demselben Beobachter unter ganz gleichen Verhältnissen und Beob- 
achtungsmethoden mit früheren Verzeichnissen vergleichbar aufgefafst 
wurden. Die sämmtlichen 43 Analysen sind absichtlich von einander ge- 


94 Eurexgerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchun gen über 


trennt gehalten, um die constanten Formen der reinen rothen Staubarten 
von den zufälligen der durch die Stürme aufgewühlten Oberflächen und 
dadurch in ihrer ursprünglichen Farbe abgeschwächten, weniger rothen 
Staubarten, leichter zu unterscheiden und, wo es nöthig ist, diese zu- 
fälligen Formen von weiteren Berechnungen ausschliefsen zu können. 

Bei dieser Anordnung ist, wie in den früheren Tabellen, mit Leichtig- 
keit zu erkennen, welche Elemente sämmtlichen Meteoren gemeinsam sind 
und welche vereinzelt in verschiedenen derselben vorkommen. Im Grofsen 
und Ganzen tritt hervor, dafs die rothen, vom gewöhnlichen Oberflächen- 
staube sowohl Afrika’s wie Europa’s, Amerika’s und Asien’s durch beson- 
dere Characterformen abweichenden, Staubarten untereinander einen festen 
eigenthümlichen Character nach mehreren Richtungen hin bewahren. Die 
eime Richtung giebt das sich immer gleichbleibende Massenverhältnifs ver- 
wandter Lebensformen und deren Überreste in dem rothen Passatstaub 
an, die sich als Polygastern und Phytolitharien bei Weitem überwiegend 
zu erkennen geben. Die zweite Richtung weist den überall durchgehenden 
Character nach, dals das bei Weitem grölste Massenverhältnifs dieser or- 
ganıschen Formen nicht den Meeres- sondern den Sülswassergebilden an- 
gehört, und dafs die meist zweifelhaften Meeresgebilde den zufälligen Bei- 
mischungen jener stabilen Hauptmasse anzugehören scheinen, welche schon 
aus dem 1686 gefallenen Meteorpapier von Rauden entwickelt werden 
konnte. Wesentlich ist es auch, dafs die kieselschaligen und kieselerdigen 
Elemente die kalkigen und gallertigen (weichen) in der Mischung so be- 
deutend überwiegen, die gallertigen vielleicht deshalb, weil diese oft durch 
Contraetilität veränderlich sind. Eine dritte Richtung ist die Überein- 
stimmung durch den beträchtlichen, die characteristische rothe Farbe 
gebenden Eisengehalt und auch durch den überwiegenden Kieselerdegehalt. 
Es ıst nicht ohne Wahrscheinlichkeit, dafs der häufige feine Eisenstaub aus 
hohlen eisenhaltigen feinen Kieselzellen besteht und dafs dieses Eisenoxyd 
von Gallionella ferruginea stammt, welche jedoch, da sie nicht in Ketten- 
torm oder hohlen Zellchen* aufser Zweifel zu stellen war, meist nicht mit 
aufgeführt ist. Eine solche Vorstellung wird mehr noch begünstigt durch 
die unzweifelhaften schwarzen, dem Magnete folgenden Eisenbläschen des 
1858 mitgetheilten Meteorstaubes, worüber hier auf Taf. I. eine weitere 
Anschauung vergleichbar gemacht ist. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche orgamasche Leben. 95 


Was die wichtigen schalenlosen kleinen atmosphärischen Organismen 
anlangt, welche hier nicht zahlreich aufgeführt sind, so ist Abschnitt V. 
darüber zu vergleichen. Rücksichtlich der Phytolitharien ist zu bemerken. 
dafs ihre scharfe Characteristik wegen ihrer so selten typisch überein- 
stimmenden Gestaltung erschwert ist und ohne Vorsicht leieht zu einer 
unabsehbaren Menge unnützer Namen führt. Dennoch war es nöthig die 
Gestalten nach ihren gröfsten Verwandtschaften zusammenzufassen und 
diese mit Namen zu versehen, um sie zu einer Übersicht verzeichnen zu 
können. 

Die in den tabellarischen Verzeichnissen enthaltenen Namen be- 
ruhen überdies nicht auf vorübergehenden Anschauungen, sondern stützen 
sich objectiv auf in Präparaten fixirte Individuen, welche beim Fort- 
schreiten der Structur- und Entwicklungs-Studien dem Anpassen an diese 
fort und fort zugänglich sind. 

Was den geographischen Ursprung sämmtlicher hier verzeichneten 
Formen anlangt, so darf nicht unbemerkt bleiben, dafs die srofse Mehr- 
zahl derselben, meinen mitgetheilten Erfahrungen nach, über alle Theile 
der Erde verbreitete Gestaltungen sind, dafs weder afrikanische noch 
australische Characterformen, wohl aber mehrere amerikanische !) 
wieder darunter wie 1847 (p. 319 und 434) beobachtet worden sind. Es 
hat überhaupt jetzt der Ursprung der einzelnen Organismen aus be- 
stimmten Oberflächenverhältnissen der Erde seine Wichtiskeit da- 
durch verloren, dafs eine Vermischung aller Oberflächen verhältnisse 
in einer schwebenden Passatstaubzone der oberen Atmosphäre sich wach- 
sende Geltung verschafft hat. 

Die in den früheren Tabellen von 1847 verzeichneten und in den 
neueren 43 Analysen nicht wieder beobachteten 62 Polygastern, fragliche 
Fragmente nicht mitgerechnet, sind folgende: 


!) Für die Verbindung mit den amerikanischen Oberflächenverhältnissen waren die 
höchst schreekhaften Stürme erläuternd, welche in Rob. Schomburgk’s Werk über Bar- 
bados 1848 p. 689 in Übersicht gebracht und in der Mierogeologie 1854 p. 362 angedeutet 
sind. Die afrikanischen und asiatischen Typhone mit ihren wandelnden Staubwirbeln, 
samt den von Humboldt beobachteten ähnlichen Staubwirbeln der Steppen Amerikas. 
bilden jetzt die Basis für das Zusammenwirken der Erdoberflächen auf diese Erscheinung 
der oberen Atmosphäre. 


96 Eurkspenrg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


Arcella constricta. 
Arcella? costata. 
Chaetoglena volvoeina. 
Chaetotyphla? retieulata. 
Chaetotyphla saxipara. 
Olosterium? 

Cocconeis atmosphaerica. 
Ooeconeis finnica. 
Difflugia cellulosa. 
Eunotia Arcus. 

Eunotia Camelus. 
Eunotia? laevıs. 

Eumotia Prleus. 

Bunotia quaternaria. 
Eunotia tridentula. 
Fragilaria amphioxys. 
Fragtlaria? (Biblarium). 
Fragilaria constrieta. 
Fragilaria diophthalma. 
Fragilaria? Synedra. 
Galhionella laminanıs. 
Gomphonema elavatum. 
Gomphonema longteolle. 
Gomphonema rotundatum. 
Gomphonema Vibrio. 
Himantıdium gracile. 
Himantıdium Zygodon. 


Meridion vernale. 


Monas viridis. 
Nawieula amphioxys. 
Naweula dubra. 
Nawieula emarginata. 
Naweula lneolata. 
Nawieula Scalprum. 
Nameula? 

Pinnularia nobils. 
Pinnularia taentata. 
Pinnularia Termes. 
Pinnularia®? (Amphora?) 
Spirillum Undula. 
Stauroneis drlatata. 
Stauroneis Legumen. 
Stauroneis Iinearis. 
Stauroneis Phoenicenteron. 
Stauroptera cardinalıs. 
Stauroptera parva. 
Staurosira construens. 
Surirella? Entomon. 
Surirella? paradowa. 
Surirella peruana. 
Surirella undulata. 
Synedra capıtata. 
Synedra? 

Tabellaria? 
Tabellaria® 


Zu diesen 55 Sülswasserformen sind noch folgende 7: 


Biddulphia? 

Coseinodisceus radiatus. 
Coscemodiscus? (minor). 
Gontothecium cerenatum. 


als seltene Meeresformen hinzuzufügen. 
sind auf der Übersichtstabelle selbst an 


Grammatophora oceanica. 
Grammatophora parallela. 
Pywidieula® (Coseinodiscus?) 


Die übereinstimmenden Formen 
gezeigt. 


oO 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 97 


Wer die gekörnten Gallionellen des Passatstaubes, die auch in Calı- 
fornien Amerika’s mächtige Gebirgsschichten bilden, in weniger Arten zu- 
sammenziehen will, wird nur den bleibenden Arten eine grölsere Verbreitung 
geben. Ebenso ist es mit Discoplea und Eunotia. Da Eunotia amphioxys in 
39, Gallionella tenerrima in 32, G. granulata in 30, @G. distans in 29, Dis- 
coplea atmosphaerica in 25, Pinnularia borealis in 18, von den Litho- 
stylidien L. Olepsammidium in 31 und von Spongolithen Sp. acicularis in 
34 der 43 Analysen vorgekommen sind, so werden diese und ähnliche 
Combinationen die weitere Characteristik festzustellen geeignet sein. Die 
geringe Menge der untersuchten Substanzen wird wahrscheinlich später 
noch viele einzelne Formen in denselben und in ähnlichen Stauben er- 
kennen lassen, aber schwerlich in dem Massenhaften des hier Verzeich- 
neten viel Wesentliches abändern. 


V. Über den beobachteten Gehalt des wirklichen, unsicht- 
baren, selbstständigen Lebens der Atmosphäre. 

Hat sich auch die Vorstellung der denkenden Beobachtung frühe- 
rer Zeit von einer, die Atmosphäre und sogar den Äther des Weltraumes 
durchdringenden, unsichtbaren, organischen Lebensfülle durch Prüfung 
vieler Tausende einzelner Regen- und Thautropfen, mit dem Mikroskop 
nicht direct bestätigen lassen, und das aufgefangene Regenwasser stets zu 
unsichere Resultate dargeboten, so hat doch die fortgesetzte Nachforschung 
auf anderen Wegen und in annehmbarerer Weise ein grofses Reich die- 
ses wichtigen Lebensverhältnisses aufgeschlossen. Die Vorstellung von 
unvollkommenen, durch Electrieität in schleimiger, sei es rother, Pyrrhin 
genannter, sei es farbloser Luftfeuchtigkeit überall stets neu zu erwecken- 
den Gestaltungen ist unhaltbar geworden. Die betreffenden, nur der künst- 
lich verstärkten Sehkraft zugänglichen, Organismen sind als in der Art 
vollendete organische Wesen scharf erwiesen worden, dafs sie zu ihrer 
Selbsterhaltung und Vermehrung eine völlig ausreichende Summe von so- 
gar grolser Organisation besitzen und somit selbstständig sind. Anderer- 
seits hat sich mit Sicherheit feststellen lassen, dafs solche kleinste Le- 
bensformen zwar nicht stets, aber in den massenhaftesten Mengen, von 


Phys. Kl. 1871. 13 


98 EurenBerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


den Bewegungen der Atmosphäre durch Wind und Wärme umher und 
in grofse Höhe getragen werden. 

Was die directe Beobachtung solcher Erscheinungen anlangt, die 
unzweifelhaft zu den gewöhnlichen atmosphärischen Verhältnissen gehö- 
ren, so waren die schweren Cholera-Epidemien die Veranlassung, dafs ich 
im Jahre 1848 der Akademie tiefere Studien dieses Gegenstandes vor- 
legte, welche sowohl Erläuterungen der wahren Elemente des Luftstaubes, 
als auch besonders die etwa giftige Beschaffenheit einiger derselben ins 
Auge fassen sollten. Linne’s aus dem Äther herabfallende höllische Furie 
(Furia infernalis) der schwedischen und sibirischen Brandblatter, samt sei- 
nem Ühaos aethereum, waren nur Bilder einer bewesten Phantasie ohne 
Realität, weshalb sie auch bald wieder verschwunden sind. Leeuwen- 
hoeks Dachrinnen- und Dachmoosthierchen liefsen sich noch aus zufällig 
durch Sturm in die Höhe gespritzten Sumpfwassern ableiten. Nach Nees 
von Esenbeck!) sahen Meyer und Stoop am vierten Tage nach dem 
Falle eines Regens mikroskopisch lebende Thierchen im Regenwasser 
schwimmen. Im Meteorstaube zu Wien vom 31. Januar 1848 hat Herr 
Dr. Wedl?), unter einigen gröberen organischen Fragmenten, vertrocknete 
panzerlose Infusorien vom Ansehen der Bursaria, Colpoda oder Parame- 
cium gesehen. Auf diese Namen lälst sich deshalb wenig Gewicht legen, 
weil vertrocknete weiche Infusorien, die nicht von Neuem im Wasser le- 
bensthätig gesehen werden, nicht wohl als solche erweisbar sind. 

Die durch Epidemien erweckten Vorstellungen vergifteter Luft 
verlangten directe Nachforschung. Deshalb wurden von mir 1848 hier 
in Berlin nicht nur alle Luftstaubverhältnisse in Häusern, Schränken und 
Thürmen, in Museen und Bibliotheken, in mit schweren Cholerakranken 
erfüllten Lazarethen, in Moosen auf den Bäumen der Stadtgärten und 
des Thiergartens bei 300 maliger Vergröfserung mikroskopisch geprüft, 
sondern es wurden in jener Zeit diese Untersuchungen auf den Harz bis 
zum Brocken, auf die oberen Kirchenräume von Dresden und Wismar, 
auf einige kleinere Berge der Schweiz bei Zürich und auf das damals 
ebenfalls einer starken Cholera-Epidemie ausgesetzte Ägypten mit seinem 


1) Rob. Brown’s botanische Schriften Bd. I. p. 621. Anmerk. 1845. 
2) Abhandl. 1547 p. 136. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 99 


frisch zugesendeten Luftstaube ausgedehnt. Alle diese einzelnen Verhält- 
nisse sind in den Monatsb. 1848 p. 325 und 370 im Detail publicirt. 
Es ergaben sich aus den Untersuchungen über 200, im Luftstaube von 
der Atmosphäre getragene, organische Formen. 

Die fortgesetzten Untersuchungen der aus dem Urwalde von Ve- 
nezuela!) von hoch an den Baumstämmen gesammelten, durch Dr. Kar- 
sten mitgebrachten, Farn- und Moospolstern, so wie die in Asien an den 
Cedern des Libanon ebenfalls hoch am Stamme von mir selbst entnom- 
menen Moose, samt den im Jahre 1829 auf der Prochodnoi-Alp?2) des 
Altai auf der sibirischen Reise mit A. v. Humboldt von mir gesammel- 
ten Materialien, sowie meine eigenen Beobachtungen am Gletschereise der 
Berner Alpen und des Rhonegletschers®) erlaubten weitere Fernsichten 
des nothwendig von der Luft getragenen Staubes. Ja im Jahre 1853 #) 
sind grofse Verzeichnisse von den Materialien des Glockner und anderer 
hoher Alpen bis zur Monte-Rosa-Gruppe, welche von den Herrn von 
Schlagintweit gesammelt worden, von mir gegeben. Andere Materia- 
lien aus den bairischen Alpen wurden gleichzeitig in eine reiche Über- 
sicht gebracht, wozu noch 1858 ein Beitrag aus den oberen Schneeflächen 
des Montblanc), sowie durch die Gebrüder Schlagintweit dem ober- 
sten Himalaya bis zu 20,000 Fufs Erhebung entnommene Materialien hin- 
zukamen. Eine Abbildung des höchsten Alpenlebens der Schweiz ist in der 
Microgeologie auf Taf. XXXV. B. gegeben. Die Kenntnils der ansehnlichen 
Zahl kleinster, auf dem Himalaya, diesem höchsten Beobachtungspunkte, 
abgelagerter Lebensformen ist in den Abhandlungen 1858 p. 429 publieirt 
worden. Im Jahre 1855°) sind aus den 1851 gesammelten Proben des 
Alpenstaubes vom Monte-Rosa, nach vierjährigem völligen Trockenliegen, 
eine grofse Menge von Räderthieren und Tardigraden in destillirtem Wasser 
aus dem Scheintod wieder aufselebt. 


1) Monatsbericht 1548 p. 213. 
?) Monatsbericht 1549 p. 290. 
3) Monatsbericht 1849 p. 294. 
*) Monatsbericht 1853 p. 319. 
°) Monatsbericht 1858 p. 775, nach Dr. Pitschner’s Materialien. 
%) Monatsbericht 1855 p. 225. 


13* 


100 Eurengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


Alle diese Luftstaubverhältnisse haben in gröfstem Maafsstabe zu 
erkennen gegeben, dafs das unsichtbare organische Leben des Luftkreises 
nicht mehr eine Hypothese ist, sondern den sicheren Erkenntnissen der 
Naturforschung angehört. Es giebt sowohl im Wipfel der Bäume von 50 
bis 60 Fufs Höhe, auch bei Berlin, sowie auf den Dächern und Ballustra- 
den der hohen Gebäude, sowohl in der alten als in der neuen Welt und 
in deren Urwäldern, nicht wenige, generisch und specifisch eigenthümliche, 
Lokalformen aus sehr verschiedenen Abtheilungen der Polygastern, der 
Räderthiere, der Tardigraden und der Anguillulae. Sehr oft haben sich 
nach jahrelangem Trockenliegen aus den gesammelten Staubarten durch 
aufgegossenes destillirtes Wasser, zuweilen sogar in reichlicher Menge, 
derartige Thiere vom Scheintode wieder zu einem kräftigen Leben bis zur 
neuen Eibildung der Räderthiere erwecken lassen. Ja es konnte bereits im 
Jahre 18491) durch eine neue Beobachtungsmethode eine ansehnliche Reihe 
schalenloser weicher Polygastern zu neuer Lebensthätigkeit gebracht 
werden, wie denn ganz neuerlich im Jahre 1869?) aus von der deutschen 
Nordpol-Expedition von Spitzbergen mitgebrachten Moosen, durch das 
gleiche Verfahren, in wenig Stunden schon die in den Blattachseln einge- 
schrumpften unsichtbaren Thierchen sich neu belebten, und es ist beson- 
ders bemerkenswerth, dafs eine der Vorticella micerostoma gleichende Form 
sich so schnell kräftig entwickelt und thätig zeigte. 

Die sämmtlichen so beobachteten Formen sind auch nicht nur dem 
Thierreich angehörige, entwicklungsfähige Einzelwesen, sondern es haben 
sich vielfach Sporidien und Sporangien von Pilzen, sowie allerlei erypto- 
samische Pflanzensamen gezeigt, welche auch das Pflanzenreich, wiewohl 


[o) 


stets weniger zahlreich, in der Atmosphäre als vertreten erkennen liefsen. 


1) Monatsbericht 1849 p. 97. 

Während im Jahre 1530 nur 5 Formen, als wirklich lebend von der Luft getra- 
gen, namhaft gemacht werden konnten, ist die Zahl der wirklich lebenden und aus dem 
eingetrockneten Zustande durch kurzes Befeuchten wieder kräftig thätigen Formen schon 
sehr ansehnlich geworden, wie folgendes Verzeichnils bereits 1849 mitgetheilt wurde: 
Bodo saltans, Bursaria arborum n. sp., B. triquetra n. sp., Colpoda’ Cucullus?, Cyelidium 
arborum n. sp., C. Glaucoma, Monas Guttula (M. Termo von Schultze), Monas viridis?, 
Ozxytricha Pellionella, O. Pullaster, Stylonychia pustulata, Trachelius dendrophilus n. sp., 
Vibrio Lineola. Prof. Pouchet’s spätere Untersuchungen in Frankreich sind zu vergleichen. 

2) Monatsbericht 1569 p. 260. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 101 


Zu diesem grofsen Formenreichthum ist nun noch der sehr ansehn- 
„liche hinzugetreten, welchen ich seit 1844 als Mischung des rothen Dun- 
kelmeerstaubes und als Bestandtheil der vielbesprochenen Blutregen der 
Akademie vorlegen konnte, dessen erweiterte Kenntnifs auch der Haupt- 
gegenstand der gegenwärtigen Mittheilung ist. Aus dem gewöhnlichen, 
nicht rothen, meist grauen Luftstaube waren bis 18481) weit über 200 
organische Formen zu verzeichnen gewesen, von denen diejenigen, welche 
wirkliche Lebensthätigkeit zu erkennen gaben, in den Monatsberichten ver- 
merkt sind. Eine besonders reiche Anschauung von wirklich thätigem 
Leben ergab auch der durch Kohlenstaub schwarze Tintenregen von Irland 
im Jahre 1849, dessen weiter entwickelte Räderthiere (Phrlodina roseola) 
mit Dursaria arborum 1849?) angezeigt worden sind. Dieser ganze Tin- 
tenregen hat insofern keine volle Sicherheit für seine atmosphärischen 
Lebensberechtigungen, weil das Einsammeln und Aufbewahren nicht gleich 
Anfangs überwacht gewesen zu sein scheint und die Flüssigkeit mir erst 
nach sechs Wochen zur Untersuchung zugekommen ist. 

Die von 1847 bis 1869 gegebenen Erläuterungen des rothen atlan- 
tischen Dunkelmeer- und Passatstaubes sind in dem vorhergehenden Ab- 
schnitt speciell verzeichnet und es ist hier nur zu bemerken, dafs auch 
unter den so zahlreichen Lebensformen ihrer Mischung, durch ihre inneren 
wohl erhaltenen Weichtheile als lebenskräftig anzuerkennende, selbststän- 
dige Individuen zuweilen zahlreich vorhanden waren. Bereits in der 1847 
gedruckten Übersicht des Passatstaubes und Blutregens wurde p- 319 auf 
das möglicherweise und zuweilen sogar wirklich fortbestehende thätige 
Leben der in der Luft als Wolken getragenen festen Bestandtheile mit 
folgenden Worten aufmerksam gemacht: „Beachtenswerth ist, dafs in dem 
„Meteorstaube (1813 in Calabrien gefallen) aus Chladni’s Sammlung sehr 
„viele lebend getrocknete Exemplare der Bunotia amphroxys und Synedra 
„Entomon®) sehr oft in Selbsttheilung begriffen vorkommen und ebenso 
„auch einige aber wenige in dem Staube von 1803. Nur in dem Meteor- 


1) Monatsbericht 1348 p. 339. 

2) Monatsbericht 1849 p. 301. 

3) Symedra Entomon ist seitdem so häufig in anderen Oberflächenverhältnissen der 
Erde vorgekommen, dafs sie als Characterform Amerika’s zweifelhaft geworden. 


102 Eurevgere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


- 


„staube von Lyon 1846!) waren dergleichen bisher (Bunotia amphrowys 
„mit grünem Inhalt) vorgekommen. — * 

Seitdem sind auch in dem am 30. October 1834 gefallenen Meteor- 
staube vom Argun-Flusse, an der russisch chinesischen Grenze, noch 1851 
bei der mikroskopischen Analyse mehrere Eunotia amphioays und Pinnu- 
laria borealis mit grünem Inhalt und in Selbsttheilung begriffen beobach- 
tet worden, wie schon Dr. Weisse in Petersburg in seiner Analyse 
bereits vorher angezeigt hatte (Monatsb. 1851 p. 318.) Auch in der vul- 
kanischen Auswurfsasche des Imbaburu-Vulkans in Quito (natürlich der 
verstäubten Oberflächenverhältnisse) ist 1844 eine Bunotia amphroxys mit 
grünem Inhalt angezeigt (Monatsb. 1846 p. 191, 1848 p. 336.) 

Der Meteorstaub von Schlesien und Nieder-Österreich vom 31. Ja- 
nuar 1848 enthält ebenfalls viele lebensfähige, das heilst mit grünlichem 
Inhalt versehene Polygastern, namentlich Zunota amphioxys, Synedra En- 
tomon und Pinnularia borealis. Der Mangel weiterer wichtiger Charac- 
tere des Passatstaubes macht aber diesen Fall als solchen zweifelhaft. 
(Abhandl. d. Akad. 1847. p. 141). In dem 1847 am 31. März im Gastei- 
ner Thale gefallenen Passatstaub ist wieder Hunotia amphioxys mit grünem 
Inhalt beobachtet (Abhandl. d. Akad. 1847 p. 132). 1851 wurde im rothen 
Schneefall von Graubündten vom 3. zum 4. Februar dieselbe Eunotia am- 
phioxys mit ihrem weichen grünen Inhalt, mithin lebensfähig, beobachtet. 
(Monatsb. 1851 p. 165.) 

Für alle diese Fälle ist nur anzudeuten, dafs der grünfarbige In- 
halt keineswegs deshalb auf Abgestorbensein zu beziehen ist, weil die im 
Wasser lebenden jüngeren Formen oft gelbliche und braune Färbung ihrer 
Weichtheile zeigen. Schon 1838 sind im Infusorienwerke Formen in Selbst- 
theilung auf Taf. XIV. abgebildet, deren eine Hälfte braun, die andere 
grün ist, und auf Taf. XXI. sind Surirellen dargestellt, welche in der Mitte 
grün, an den Seiten braunfarbige Weichtheile führen. Im Gegentheil hat 
Stauronöis Phoenicenteron ihren alten Namen von der beim Absterben nicht 
grünen sondern röthlichen dieser, von mir Ovarien genannten, Weichtheile, 
aus denen beim Einschrumpfen bewegte Körner hervortreten. Die leben- 
den Desmidiaceen sind gewöhnlich nur grün. 


1) Monatsbericht 1846 p. 326. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 103 


Ganz neuerlich hat Professor Silvestri in Catania bei dem be- 
sonders merkwürdigen rothen Staubfall vom März 1869 viele lebende, 
schwimmende Infusorien direet und im frischen Regenwasser erkannt. Da 
die Mittheilungen Silvestri’s ein besonderes Vertrauen erwecken, so sind 
seine Angaben über die lebendig bewegten Bewohner des Meteorwassers 
vorzüglich berücksichtigungswerth. Eine Scene der im Wasser befindlichen 
organischen Bestandtheile ist von demselben mit Hilfe der Camera lueida 
aufgenommen worden, wodurch einige der von ihm genannten Formen der 
Beurtheilung zugänglich sind. Da er jedoch bemerkt, dafs verschieden- 
artig bewegte kleine Formen, die er gesehen, auch den bewesten Algen- 
samen angehören könnten und sie weiter mit Namen zu belegen selbst 
Bedenken getragen hat, so ist doch nur eine Form eigentlich mit Sicher- 
heit aufzunehmen. Diese Form ist der Vorticella Convallaria oder V. mi- 
crostoma der sülsen Gewässer überaus ähnlich, welche letztere ich aus den 
von Spitzbergen mitgebrachten Moosen 1869 (Monatsb. p. 260) sich unter 
destillirtem Wasser in sehr kurzer Zeit entfalten sah. Auch bedarf es 
einer Berücksichtigung, dals die Vorstellung, als seien die 1869 beob- 
achteten Formen aus den Spritzwellen des sehr aufgeregten Meeres in die 
Wolken übergegangen, dadurch behindert ist, dafs keine dieser Formen 
als characteristische Meeresbildung namhaft zu machen ist, während man 
vorherrschend solche erwarten mülste. 

Im Allgemeinen ist noch zu bemerken, wie schon 18481) ange- 
deutet wurde, dals Eunotia amphroxys und Pinnularia borealis, welche 
Formen am zahlreichsten als lebensfähig unter den Atmosphärilien bisher 
beobachtet sind und im Luftstaube von Berlin die vorherrschenden, zum 
Theil nie fehlenden sind, in den Gewässern von Berlin nur selten und 
einzeln vorkommen. Es entstand mithin die Frage, warum sich von nahe 
400 kieselschaligen Polygastern-Arten, welche bei Berlin leben, gerade nur 
zwei und die beiden Passatstaubthierchen (vom Staube des Atlantischen 
Oceans) lebend und auffallend zahlreich im gewöhnlichen Luft- 
staube befinden, während diese am Boden selten sind. 

Schliefslich fasse ich in dieses Bild des Luftlebens noch jene For- 


men ein, welche ich im Jahre 1838?) aus dem sogenannten Meteorpapier 


1) Monatsbericht 1848 p. 342. 
?) Abhandlungen 1833 p. 45. 


104 Eunrengerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


von Rauden, das 1686 in bis tischgrofsen Platten aus der Luft gefallen 
ist und vom Chemiker Grotthuss bei Mitau, als mit den Characteren einer 
kosmischen Substanz versehen, mit chemischer Analyse geschildert worden 
ist, entwiekeln konnte. Grotthuss selbst hat, durch Berzelius veran- 
lafst, die wesentlichen Meteorbestandtheile als eine Beirrung durch Schwe- 
feleisen widerrufen. Die mikroskopische Analyse hat mit der gröfsten 
Klarheit aufser Zweifel gestellt, dafs die schwarze Masse aus einem ver- 
rotteten Confervenfilz von Conferva erispata und aus 30 sehr ausgezeich- 
neten Bacillarien, Desmidiaceen, Closterinen, Pandorinen, Peridinien, Rä- 
derthieren und einer Daphnienschaale bestand, wodurch die chemischen 
Elemente, welche Grotthuss fand, hinreichend erläutert werden. Mehrere 
der Bacillarien, Desmidiaceen und die Conferve hatten noch weichen, grün- 
farbigen Inhalt und mögen mithin, wenn sie in der Luft getragen worden 
sind, bis zum Herabfallen wenigstens lebensfähig gewesen sein, und dafs 
sie nach 152 Jahren ihrer Aufbewahrung noch ihre natürliche Farbe der 
stens bemerkenswerth sein. Es konnte 


Weichtheile zeigen, dürfte wenig 
damals ausgesprochen werden, dafs diese Formen nicht nur Knochenresten 
oder Schaalen, sondern auch ganzen Mumien vergleichbar sind). 


1) Noch ist ein Blick auf die individuelle Intensität der unsichtbaren Organismen zu 
richten, deren Nichtbeachtung die Vorstellung einer generatio spontanea derselben sehr be- 
günstigt hat. Im Jahre 1530 wurde zuerst den Räderthieren, einem früheren Theile der 
Animalcula Infusoria O.F. Müller’s, eine in allen fünf Systemen den grölseren Thieren 
und Menschen möglicherweise vergleichbare Organisation zuerkannt und in den übrigen 
wikroskopischen Formen eine grolse Analogie nachgewiesen, was bis 1838 in so vielen 
Abtheilungen und Einzelformen ausgeführt wurde, dafs es eine vielseitige Anregung zu 
geben nicht verfehlt hat. Nicht nur sind alle damals angezeigten und in ihren Functionen 
zu deuten versuchten Organe von vielen Forschern bestätigt, sondern auch erweitert wor- 
den. Nur über die Funetionen hat man sich später abweichenden Behauptungen hinge- 
geben und, wie zu Platner’s Zeit die Physiologie des Menschen nur eine probabilis dis- 
putatio de usu partium war, so wird auch jetzt Manches berechtigt oder unberechtigt be- 
stritten und behauptet. Wichtige Erweiterungen dieser Kenntnisse führten in England 
Thwaites 1847 durch die Cysten-Umwandlungen der Bacillarien und Brightwell und 
Goflse 1549 durch Nachweis eines zuweilen getrennten Geschlechts bei Räderthieren herbei. 
Die Lehre von einem Scheinfleische (Sarcode) und von Scheinzellen (Vacuoles) haben den 
weichen Formen, samt den Schlagwörtern Protoplasma, Protosoa, Protococcus und ähnli- 
chen Ausdrücken manche Unsicherheit zugefügt, allein auch in den zoologischen Hand- 
büchern haben die Systematiker bereits breiten Besitz von den Erfolgen der mikroskopi- 


schen Forschung genommen, so dals vom Einfachen dieser Lebensformen nicht mehr die 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 105 


VI. Schädliche organische Atmosphärilien. 


Seit alter Zeit ist bei allen grofsen Krankheits-Epidemien die Vor- 
stellung lebendig geworden, dafs diese von schädlichen Luft-Zoophyten 


Rede ist, vielmehr sich herausstellt, dafs jede neuere kräftige Forschung neue Gründe für 
die Ansicht liefert, dafs das unsichtbar kleine organische Leben in einer, den grolsen 
Organismen gleichen, Lebens-Idee organisirt ist. 

In der Botanik haben die Algologen zwar auch neuerlich fortgefahren, die Ba- 
eillarien als Pflanzenzellen zu betrachten und ihre farbigen Erfüllungen (die von mir, we- 
gen periodischer Veränderung und Umgebung mit bewegten Körperchen, Ovarien ge- 
nannten Theile) als Endochrom-Platten zu bezeichnen, während Rabenhorst (Campylo- 
discus Hedwigia No. 9), hauptsächlich aber Focke (Phys. Stud.) sich 1854 entschieden 
für die thierische Natur solcher Formen ausgesprochen haben, Ersterer aber 1864 in der 
Flora europaea Algarum alle Formen wieder pflanzlich abgehandelt hat. Sogar das dop- 
pelte Geschlecht wurde neuerlich von Greef auch bei Vorticellen angedeutet, während 
Balbiani in Frankreich über die geschlechtlichen Organisationen der Infusoria_ ciliata 
und Cohn und Kölliker in Deutschland über die Gewebslehre des unsichtbaren Lebens 
mancherlei Betrachtungen zugeführt haben. Da aufser der Kleinheit auch die Durchsich- 
tigkeit viel Schwierigkeiten für richtige Auffassung birgt, so ist besonders Herrn Rei- 
chert’s neueste intensive Betrachtung und Erweiterung der Kenntnils des so durchsichti- 
gen grolsen Zoobotryon, sowie seine Einführung in die neuere Vorstellungsweise wichtig. 
Ob die contractilen Blasen der Paramecien nach aufsen und die Zitterorgane der Räder- 
thiere nach innen sich münden und viele ähnliche Behauptungen über die Sexualdrüse der 
Polygastern werden noch lange die streitlustigen Kräfte bewegen und besser als Autoritäts- 
Dietate weitere Kenntnisse vorbereiten. Nur die ungleichen Beobachtungs-Methoden und 
der ungleiche Maafsstab sind schwere Hemmnisse schneller Übereinstimmung. 

Wunderlicherweise macht man es mir neuerlich fast überall zum Vorwurf, dafs 
ich die Räderthiere zu den Infusorien gestellt habe, während ich mir es gern als einen 
kleinen Gewinn anrechne, sie zuerst mit physiologischer Schärfe von den alten Infu- 
sorien Müller’s getrennt zu haben. Nur der Mangel an Neuerungssucht der Namen und 
der Wunsch verständlich zu sein, haben mich 1838 bewogen, beide, seit ältester Zeit ver- 
schmolzene Formenreihen des Mikroskopes, mit Müller’s Namen verbunden zu lassen, 
während ich ja schon 1835 in der, in den Abhandlungen gedruckten Übersicht des 
gesammten Thiertypus im Naturreiche des Menschen sie weit auseinander hielt 
und nie anders gedacht habe. Auch in Carus und Gerstaecker’s Handbuch der 
Zoologie ist dieser Vorwurf aufgenommen und Viele schrieben ihn weiter ab. Gerade 
dieses fleifsige reichhaltige Handbuch ist aber geeignet die Fülle und Vollkommenheit der 
organischen Zusammensetzung anschaulich zu machen und festzuwurzeln, wenn man nur 
von dem darin befolgten Prineip sich fern hält, dafs diese Organisationen da bereits 
hinreichend entwickelt wären, wo die Kenntnifs der Beobachter bisher aufhört, oder 
uneinig wird. 


Phys. Kl. 1871. 14 


106 Eurengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


oder Luft-Insekten und Würmern erzeugt würden. Linne, der ruhige 
Forscher, wurde, wie im Eingang bemerkt ist, zu seiner Zeit zu solchem 
Enthusiasmus für diese Ansicht hingerissen, dafs er das Schädliche als be- 
sondere Organismen mit Namen in das Thierreich aufnahm. Im Jahre 
1848 ist bei Gelegenheit der starken Choleraseuche diesem Gegenstande 
von mir viele Aufmerksamkeit geschenkt worden, und ich habe damals 
mein Urtheil dahin ausgesprochen: — „Wenn es periodisch giftige Eigen- 
„schaften des Luftstaubes giebt und die Luft nachweislich mit mehreren 
„Hunderten erkennbarer, organischer und unorganischer, unsichtbar 
„kleiner Formen (in einem Tage periodisch zu 100,000 Centnern) er- 
„füllt ist, so fragt man wohl, welche dieser Formen sind unverdächtig 
„und welche sind etwa verdächtig, zumal im August 1848 zu Berlin?“ — 
Es ist damals das Verhältnifs der organischen Formen speciell in Über- 
sicht genommen worden und zum Schlusse bemerkt: — „Zu einem wirk- 
„samen Gifte bei Epidemien reichen einzelne Formen so nicht aus, es 
„mufs an massenhaftes, neues, selten Boden findendes Gift gedacht wer- 
„den, das in kurzer Zeit wirkt. Daher mülste bei fleifsiger Benutzung 
„der optischen Kräfte das Massenhafte der Untersuchung schnell zu 
„Hilfe kommen, was nicht der Fall ist. Etwas bemerkenswerth ist das 
„Verhältnifs der milbenartigen lebenden Bärenthierchen, Tardigarden, 
„doch sind sie im frisch fallenden Staube noch nicht beobachtet 
„worden. — * 

So konnte 1848 etwas auffallend Ungewöhnliches durch Überwiegen 
irgend einer besonderen Form jener Atmosphärilien, auch der Pilzsporen, 
nicht aufgefunden werden und es hat sich seitdem die Vorstellung von 
giftiger Beschaffenheit gewisser Lebensbedingungen mehr auf die Gewässer 
zurückgezogen, zumal die Epidemien in sumpfigen, dem Geruchssinn sich 
oft als unrein bezeichnenden Gegenden den vorherrschenden Heerd ihrer 
Entwicklung zu erkennen geben. 

Wenn ich fortfahre, ungeachtet vieler sehr wichtiger, neu entdeckter, organischer 
Structur-Verhältnisse im Pflanzenbau, die Bacillarien von den Pflanzenzellen auszuschlies- 
sen, so berechtigt mich dazu ihre Aufnahme fester Nahrung in innere Zellen und ihre, 


dies möglich machenden, von einer Zellenwand sehr verschiedenen, offenen Spalten der 
vieltheiligen Schaale mit noch anderen schon mannigfach besprochenen Characteren. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 107 


Dennoch hat man auch neuerlich die in der Luft schwebenden 
organischen Pilzsamen zu einem der einflufsreichsten Gegenstände erhoben 
zumal die Vorstellung sich fester gestaltet, dafs selbst der blaue Himmel, je 
intensiver er ist, desto erfüllter mit Trübungen sei. 

Ich muls hier auf eine Zusammenfassung der neuesten Bestrebungen, 
die Kenntnisse der Atmosphäre in dieser Beziehung zu erweitern, weil 
sie zu umfangreich sind, verzichten. Dennoch scheint es nicht nur an- 
gemessen, sondern mir eine Pflicht zu sein, einige Andeutungen davon 
vorzutragen. Die Untersuchungen haben sich neuerlich in mehreren Rich- 
tungen lebhaft bewegt. Die von mir 1848 gewonnenen Resultate haben 
10 Jahre später neue Versuche in derselben Richtung erweckt, welche 
den Reichthum an unsichtbaren organischen Mischungen der Luft bestä- 
tigten und besonders in Frankreich neue Aufschlüsse zur Folge hatten. 
Professor Pouchet benutzte seine Ergebnisse zur erneuten Feststellung 
der generatio spontanea in der Atmosphäre, welchen Ansichten jedoch 
die Pariser Akademie nicht beitrat. Die sorgfältigen Analysen des Herrn 
Pasteur bestätigten jedoch durch chemisches Verfahren die reichen orga- 
nischen Mischungen der Luft von Paris. 

Seitdem ist wieder eine neue Übersicht ähnlicher Bestrebungen 
in England 1870 veröffentlicht worden, welche zwar ganz verschiedene, 
von den meinigen und auch von den französischen abweichende, Resultate 
aus Manchester und London zur Kenntnils bringt, aber zugleich den 
grolsen Eifer erkennen läfst, mit welchem der Gegenstand, als ein viel- 
seitig wichtiger, dort neuerlich aufgefalst worden ist. Der verdiente Phy- 
siker Herr Tyndall selbst hat in London (Fraser’s Magazine March 1870 
„On dust and disease by J. Tyndall) sinnreiche neue Experimente mit der 
von den Menschen dort einzuathmenden Luft gemacht und das Resultat 
gewonnen, dafs der sogenannte Sonnenstaub, welcher überall die Luft 
erfüllt, so ganz verbrennbar ist, dafs er unter sichtbarem Rauch ver- 
schwindet. In geeigneten Röhren liefs sich die mit Sonnenstaub erfüllte 
Luft ganz reinigen. Das Verfahren ist l. c. mitgetheilt. 

Derselbe giebt auch Nachricht, dafs die mikroskopische Analyse 
in England überaus fruchtbar geworden sei, namentlich hat Herr Angus 
Smith mit einer, der von mir 1848 (Monatsb. p. 440) angewendeten 
ähnlichen Methode eine gemessene Luftmenge durch Schütteln mit 

14* 


108 EurenBere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


Wasser gemischt und dann einem mit dem Mikroskop geübten Beobachter 
Herrn Optiker Dancer, zur Prüfung übergeben, welcher in einem Raume 
von „45 Zoll 100 Pilzsporen liegen sah, so dafs auf jeden der von ihm 
untersuchten Wassertropfen nach seiner Angabe (l. ce. p. 10) ungefähr 
250,000 Pilzsporen kamen. Aus diesen Versuchen wird in England eine 
wichtige Theorie für die Heilkunde abgeleitet, diese Pilzsporen werden mit 
der Hefe in Verbindung gebracht und als Ferment für beginnende Lungen- 
krankheiten und alle offenen Wunden, so wie für Fäulnifs betrachtet. Ja 
man will sogar zur Eiter-Ausleerung offene Wunden vermeiden. Zugleich 
wird der Nutzen von, die atmosphärischen Pilzsamen wegfangenden, Baum- 
wollbedeckungen, besonders auch das Tragen von, die Athmungsorgane 
schützenden, Respiratoren anempfohlen, und die epidemischen Ausschlags- 
Krankheiten werden, wie zu Linne’s Zeit, von Neuem mit unsichtbaren 
Luftorganismen in direeten Zusammenhang gebracht. 

Es möge mir noch die Bemerkung erlaubt sein, dafs, wenn wirk- 
lich Pilzsporen hier und da in dichter Menge sichtbar würden, die Nach- 
forschung nach ihrer Stammpflanze durch Entwicklungsbeobachtung noth- 
wendig würde, dafs aber die so vielen von mir vorgenommenen Unter- 
suchungen auch bei Ausschlagskrankheiten und Wunden keine entsprechen- 
den Mycelium-Fasern eines Schimmels oder Pilzes haben erkennen lassen, 
obschon bei vernachlässigten Verbänden und Ausschlagskrusten Fasern 
und sogar Blätterpilze richtig beobachtet wurden. Die Schimmelkrankheit 
der Raupen und anderer Insekten wird man damit nicht verwechseln 
dürfen. Pemieillium glaucum als unschuldiger Weltbürger unter den Schim- 
meln dürfte am meisten in Vergleichung zu ziehen sein, wo wirklich solche 
Erscheinungen hervortreten. 

Ich sehe es nicht für meine Aufgabe an, diesen lebhaften Bestre- 
bungen mein Urtheil beizufügen. Was die Pilzsporen des Herrn Dancer 
anlangt, so kann ich, ohne die Richtigkeit der lokalen Erscheinung an 
sich in Zweifel zu ziehen, das Bedenken nicht unterdrücken, dals mir 
selbst bei so vielen Staubuntersuchungen feinster Art zwar oft vereinzelte 
Pilzsporen, aber niemals reine Haufen derselben in so grofser Masse vor- 
gekommen sind. Da sehr wahrscheinlich Herr Dancer eine sehr starke 
Vergröfserung angewendet hat, so könnte wohl der amorphe Kohlenstaub, 
als Rufs, welcher in Englands Städten die Luft bekanntlich stark erfüllt, 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 109 


solche Kügelchen zur Anschauung gebracht haben, zumal andere organische 
Kohlentheilchen von ihm nicht gefunden worden, auch weder Sand noch 
Bacillarien, die bei mir nie fehlten, als Mischungstheile genannt sind (siehe 
den Tintenregen von Irland 1849). Dieselben Rufstheilchen in so grofser 
Menge könnten auch bei Tyndall’s sinnreichen Experimenten die Reini- 
gung der Luft durch weiteres Verbrennen des Russes bis zur Gasbildung 
vermittelt haben. Indem ich auf die Monatsberichte der Akademie von 
1848 und 1849 weiter verweise, sind hier die den Passatstaub und ihm 
ähnliche Meteore betreffenden Schädlichkeiten in Betracht zu ziehen. 

Es fehlt nicht an historischen Nachrichten, dafs auch die rothen 
Staubarten von schädlichen Einwirkungen der sie tragenden Luft be- 
gleitet waren. So wird schon 786 von einem Blutregen aus Schlesien 
von Herlicius berichtet, welcher Krankheiten und Tod zur Folge hatte. 
1346 berichtet Zeiler, Epıstola, vom Sterben vieler Menschen durch 
einen feurigen Regen. 1557 zeigte de Lery an, dafs er auf dem Schiffe 
Ende Januars unter der Linie im Atlantischen Ocean einen höchst übel- 
riechenden ätzenden Regen hatte, der die Kleider befleckte und auf der 
Haut Pusteln und grofse Blasen bildete. (Abhandl. 1847. p. 97). 

Im Jahre 1689 beobachtete Vallisneri einen rothen Staubregen 
in und bei Venedig, welcher beim Genusse nicht wohl davon gereinigter 
Gemüse Durchfall und Übelkeiten verursachte. Er hielt es für rothe vul- 
kanische Asche des Vesuv !). Es ist ebenso und mehr wahrscheinlich, dafs 
dieser rothe Staub Seirocco-Staub gewesen und mithin in seiner Mischung 
dem von mir analysirten, in eben jener Gegend 18053 und 1813 gefalle- 
nen, berühmten Staube gleich war. (Monatsb. 1848. p. 343). 

Im Mai des Jahres 1705 fiel zu Colmar im Elsafs ein so giftiger 
Mehlthau, dafs von dem auf der Weide befindlichen Vieh 500 Stück an 
Pferden, Hornvieh und Schaafen in 24 Stunden umfielen und auch von 
den Hirten, Vater und Sohn, der letztere gestorben und der erstere nach 
hartem Anstofs davon gekommen ist. (Monatsb. 1850. p. 236). 

Im Jahre 1792 fiel zu la Paz in Bolivia ein aschenartiger Staub- 
regen, der bei vielen Personen heftige Kopfschmerzen und Fieber ver- 
ursachte ?). Mercurio Peruano Tom. VI. 1792. 

1) Monatsbericht 1847. p. 347. 
2) Arago, 1. c. p. 213. 


110 EnurEngBenrg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten U: ntersuchungen über 


Im Juli des Jahres 1869 starb oder erkrankte zu Verona alles 
auf den dortigen Bergen weidende Vieh, das den trocknen Nebel ein- 
athmete. (Ragona l.c. p. 13). 

Durch diese Nachrichten sind wenigstens zwei Fälle als schädliche 
Einwirkungen rother Staubnebel zur Kenntnifs gelangt, die fünf anderen 
aber lassen Zweifel, ob sie zu den rothfarbigen Meteorstaubarten gehören. 
Das eigentlich schädliche Element ist in keinem dieser Fälle durch Be- 
sonderheit oder überwiegendes Vorhandensein den Zeitgenossen nachweis- 
bar geworden und könnte wohl ebenso in gasartigen und sauren Bei- 
mischungen der Luft und des Wassers liegen. 


VI. Sonderung der Atmosphärilien in schärfere Gruppen. 

Eine ansehnliche Schwierigkeit für die schnellere Einsicht und Ent- 
wicklung der atmosphärischen Mischungen mit fremden Stoffen ist durch 
nicht hinreichende Sonderung derartiger Erscheinungen veranlalst worden. 
Lufttrübungen hat man als Orkanstaub am häufigsten nicht intensiver Be- 
trachtung werth gehalten und nur den blutigrothen Ablagerungen lange 
Zeit mit Schrecken phantastische Theilnahme geschenkt, ohne ihre sehr 
verschiedenen Veranlassungen zu unterscheiden. Die meteorisch fallen- 
den wurden schon frühzeitig mit den Meteorsteinen als unmittelbare 
Zeichen oder Warnungen der Götter, oder als Baetylien für den Menschen 
göttlich zugewiesene Heil- und Scehutzmittel betrachtet. Über die medi- 
einischen Baetylien habe ich 1849 einige Mittheilungen gemacht. 

Erst allmälig ist es zur Erkenntnifs gekommen, dafs nicht alle Blut- 
erscheinungen meteorisch gefallene Substanzen, vielmehr einige am feuch- 
ten Boden wachsende, blutfleekenähnliche Algen und Pilze, oder in Ge- 
wässern sich entwickelnde Algen und kleine Thierchen sind. Das viel 
gefürchtete Blut in Broden ist als Monas prodigiosa 1848 und 1849 aus- 
führlich bezeichnet worden. Die gröfste Ausdehnung solcher Erscheinungen 
ist durch das Trichodesmium erythraeum des rothen Meeres und vieler 
anderer oceanischer, bald rother, bald grüner Färbungen in den Sitzungs- 
berichten der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin 1866 p. 5 
angezeigt und neuerlich weiter behandelt worden. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 111 


Diese oft höchst ausgedehnten oceanischen Wasserfärbungen ge- 
hören sehr verschiedenen organischen Verhältnissen an, oft kleinen Crusta- 
ceen, zuweilen kleinen medusenartigen Thieren von Noctiluca und einigen, 
als Wallfischspeise bezeichneten, unklaren Thiergestalten. Die gröfste ocea- 
nische Verbreitung hat den von mir a. a. O. gegebenen Erläuterungen 
gemäls das Trichodesmium erythraeum, dessen unberechenbare Verbreitung 
den Namen des rothen Meeres bei Arabien und der Zinober-See bei Cali- 
fornien veranlalst hat, während es im australischen Meere im Zustande 
der grünen Färbung jene Sägespähne artigen Erfüllungen und Streifungen 
breiter oceanischer Flächen erzeugt, welche von den Seefahrern ange- 
führt werden. Die von dem dänischen Schiff Galathea mitgebrachten 
Nachrichten der rothen Meeresfärbungen an der Chilenischen Küste, und 
die von Pöppig 1835 aus der Nähe von Valdivia angezeigten höchst 
ausgedehnten Meeresfärbungen durch bewegte runde Körperchen (Noct- 
luca?) in bis 6 Fufls tiefem Wasser lassen sich nicht weiter beurtheilen. 
Die mir besonders reichhaltig durch Prof. Hochstetter von der „Novara* 
übergebenen gelben und grünen Meeresfärbungen aus den Gewässern des 
Süd-Oceans in der Nähe der Nieobaren-Inseln und aus dem Chinesischen- 
Meere, so wie die von Dr. Kersten und Dr. Jagor mir neuerlich über- 
gebenen reichen Materialien aus dem Indisehen- und Atlantischen-Meere 
sind samt den Erfahrungen des Dr. von Martens 1866 1. ec. in Übersicht 
gebracht. Färbungen des Meerwassers durch rothe Staubfälle sind noch 
niemals beobachtet. Den von mir gegebenen ältesten Namen Trichodes- 
mium erythraeum hat Hr. Dr. Montagne in Trichodesmium Ehrenbergii 
für das rothe Meer und Tr. Hindsi der Zinober-See bei Californien ge- 
spalten (Annales d. Sc. nat. 1844. Ser. II. T. II. Zoologie), dessen Be- 
rechtigung ich für jetzt nicht entscheiden kann. 

Der den Blutregen und rothen Schnee hervorbringende rothe Luft- 
staub wurde Anfangs für vulkanische Asche gehalten (Vallisneri), ist aber 
seit 1844 als von rother vulkanischer Asche sehr verschiedener Dunkel- 
meerstaub zu vielfacher genauer Kenntnils und Analyse gebracht worden 
und erst heute gelingt es, auch einem vulkanischen rothen Staube seinen 
Charakter anzuweisen. 

Noch immer sind die Trübungen der Atmosphäre mit dem Staub 
ablagernden Passatwinde keineswegs abgeschlossen. Es scheint vielmehr 


112 Eursngerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


sehr nöthig jene rothen Luftfärbungen, welche keinen Staub ablagern, 
durch die immer schärferen analytischen Methoden, sei es der Spectralana- 
Iyse, sei es durch Auffangen in grofser Höhe auf Bergen, günstige Momente 
zu erfassen, welche die Erläuterung fordern. Eine grofse Quelle der Unsicher- 
heit und des Irrthums hat bisher die Verwechslung der drei mächtigen 
Trübungsmittel der Atmosphäre herbeigeführt, welche der Höherauch, der 
Moorrauch und die vulkanischen Aschenauswürfe veranlassen. Dafs die 
vulkanischen Aschen Tage in Nacht verwandeln, das Sonnenlicht nicht 
nur schwächen, sondern ganz abschneiden können, ist schon öfter seit dem 
Untergange von Pompeji in Erfahrung gebracht und der höchst schreck- 
hafte Ausbruch auf der Insel St. Vincent am 1. Mai 1812 sowohl als die 
Hekla-Ausbrüche, haben die Thatsache hinreichend bestätigt. Von den 
Finsternifs bewirkenden ungeheuren Auswurfsstoffen des St. Vincent Vul- 
kans habe ich durch den günstigen Umstand des am Tage selbst auf ein 
Schiff gefallenen und aufbewahrten Staubes eine direete Analyse machen 
können, welche jene grofse Finsternifs erläuterte. Bei dem grolsen vul- 
kanischen Ausbruch auf Island 17831) bedeckte die Lava einen Raum 
von 60 Quadratmeilen in einer Dicke von 100 Toisen. Die dabei ver- 
kohlte und als Rauch verflüchtiste Pflanzendecke war geeignet weit ver- 
breitete trockne Nebel zu verursachen. Früher noch als in Island soll 
damals in Grönland ein Erdbrand ausgebrochen sein „und bei Nordwind 
wurde eine Menge Asche und Schwefeldunst den nördlichen Küsten von 
Island zugeführt, was den ganzen Sommer über fortdauerte.* Es war 
nichts weniger als wunderbar, wenn dabei erkennbare und namentlich zu 
verzeichnende organische Substanzen als Asche niedergefallen wären und 
nur ein unbegreifliches Mifsverständnils hat die Vorstellung erweckt, als 
ob solche entschieden vulkanische Auswürflinge der Oberflächen, als aus 
dem tiefen Feuerheerde der Vulkane stammend, von irgend Jemand ge- 
dacht worden seien. 

Eudiometrische Versuche ergaben kein Resultat einer Luftverände- 
rung, nur hat zuweilen der auffallende Geruch nach Schwefel eine Be- 
sonderheit der Atmosphäre verrathen, so dafs durch die sauren Dämpfe 
gedruckte Zeuge in der Farbe verändert wurden ?). 


oO 


1) Kaemtz l.c. p. 214. 2) Kaemtz 1. c. p. 204. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 113 


Was den Moorrauch anlangt, so ist dieser stets scharf vom Höhe- 
rauch zu scheiden. Man weils jetzt hinreichend genau, dafs der wahre 
Moorrauch ein Verbrennungsproduct grolser Haide- und Grasflächen 
ist, die der Kultur halber abgebrannt werden. Das jährliche Quantum 
solcher abgebrannten Flächen beträgt nach Finke!) im nordöstlichen 
Deutschland 59,460 Morgen und die Menge verbrannter Producte des sich 
in die Atmosphäre erhebenden Vegetabilischen 1800 Millionen Pfund. 
Von solchem Moorrauch können niemals rothe Ablagerungen abgeleitet 
werden, da seine Farbe vielmehr vorherrschend kohlenstoffig, daher 
schwarz sein mufs. Als auffällig darf bemerkt werden, dafs solche 
kohlenstoffige schwarze Bestandtheile der Atmosphäre bisher sehr selten 
bei den vielen Untersuchungen trockner und feuchter Staubfälle wahr- 
genommen worden sind. 

In gleiche Categorie mit dem Moorrauch gehören die Verbrennungs- 
producte der Schornsteine grofser Städte und Fabriköfen. In der Olaus- 
thaler Hütte werden jährlich nach Egen?) 294,000 Centner an Holz und 
Mineralien zur Schmelzung der Erze verwendet, von welchen nach Be- 
endigung der Arbeit 79,200 Centner an festen Materien übrig bleiben, so 
dafs 214,800 Oentner als Dämpfe fortgehen, welche aus Wasser, Blei, Eisen, 
Zink, Schwefel, Spiefsglanz und Arsenik bestehen. 

Auch letztere Quelle der atmosphärischen Trübung hat bisher nur 
beschränkte Wirkung in den sich ablagernden Staubarten erkennen lassen. 
Nur 4 schwarze für dergleichen sprechende Meteorstaubarten sind zu 
meiner Analyse gekommen: 1) der Tintenregen von Irland, 2) der schwarze 
Meteorstaub von Westphalen, 3) der schwarze Meteorstaubfall in Wien, 
4) der schwarze Staubfall in Tyrol. Das schwarze Meteorpapier von 
Rauden ist entschieden kein Verbrennungs- sondern ein Moder-Product. 
Die Analysen sind in den Monatsberichten mitgetheilt. 

Die dritte Trübungsquelle der Atmosphäre ist der wahre Höherauch, 
welcher mit dem Moorrauch verwechselt und auch „calgo“ genannt zu wer- 
den pflegt. Solche wahre caligines, welche sowohl vom rothen Seiroccostaube 
als vom grauen Moorrauche verschieden, sind noch räthselhafte Zustände 


1) Kaemtz 1. c. p. 209. 
2) Kaemtz ].c. p. 321. 


Phys. Kl. 1871. 15 


114 Eurkngerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


der Atmosphäre, sie scheinen nur dadurch characterisirt, dafs keine Stott- 
ablagerungen bei ihnen stattfinden, während sie doch die Luft trüben und 
das Sonnenlicht schwächen. Während die beiden früheren Categorien, 
die vulkanischen Aschen und der Moorrauch, als rein terrestrischer Natur 
erscheinen, sind die wahren calıgines auch von den stimmberechtigten 
Beobachtern oft für entschieden kosmische Nebel erklärt worden. Man 
hat in ihnen jene Weltwolken erkannt, die schon Keppler betrachtete 
und die periodisch von der Erdbahn durchschnitten werden, oder solche 
Staubnebel, die durch Sternschnuppen über die Erde ausgeschüttet wer- 
den, oder endlich solche, die als Kometenschweife über die Erde hinweg- 
ziehen. Ob chemische oder physikalische Coneretionen der feuchten 
atmosphärischen Dünste und Dämpfe noch andere Erscheinungen dieser 
Art darbieten, mufs dahin gestellt bleiben. „Jedenfalls verlangen aber jene 
drei Arten des sogenannten Höherauchs besondere Beachtung und Unter- 
scheidung. Sind ihre stofflichen Elemente durch die Sehkraft nicht direet 
erreichbar, so wird man dieselben indireet durch Spectral-Analysen u. A. zu 
erläutern und zu erkennen und besonders ihre wahre kosmische Natur 
festzustellen suchen müssen, wobei der Eintritt und Austritt zuweilen 
mehr als der irdische Eindruck belehrend sein mag. 

Zur Characteristik der kosmischen calıgines wird folgendes dienen: 
Eine Weltwolke wird nicht nur Italien oder England einhüllen, sondern 
die ganze Erdoberfläche gleichmäfsig influenziren müssen. Ein Kometen- 
schweif wird, central oder lateral einfallend, partiell oder überall die Erde 
fegen, allein er setzt auch voraus, dafs ein Komet sichtbar ist, der diesen 
Einflufs haben kann und die Beachtung von dessen Bewegung. Was end- 
lich den Sternschnuppen- oder Feuerkugel-Staub anlangt, so wird auch 
von diesem nur dann zu sprechen sein, wenn ein angemessenes Feuer- 
meteor oder Meteorsteinfall wahrgenommen worden ist. Alle älteren Beob- 
achtungen von die Erde verdunkelnden Nebeln leiden an der zu lokalen, 
nicht hinreichend verallgemeinerten Auffassung. Sternwarten und meteo- 
rologische Observatorien werden zusammenwirkend über dieses kosmische 
Verhalten allein mit einiger Sicherheit Auskunft zu geben im Stande sein. 
Bei grofsen Schwärmen der Sternschnuppen und bei allen Feuerkugeln 
sind die Elemente der gleichzeitigen Lufttrübungen ein jetzt mehr als die 
Meteorsteine wichtiger Gegenstand der Beachtung. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 115 


VII. Über morpholitische Scheinorganismen der Atmosphäre. 


Nachdem ich im ‚Jahre 1828 in der zu meiner und Hemprich’s 
Reise gehörigen Karte auf die bei Dendera in Ober-Ägypten im Polytha- 
lamien-Kalkstein vorkommenden Morpholithbänke von Kugel- Augen- und 
Brillensteinen aufmerksam gemacht hatte, habe ich 1840 in den Mo- 
natsberichten der Akademie diesen Gegenstand einer speciellen Übersicht 
unterworfen und in der Microgeologie 1854 viele darauf bezügliche Ab- 
bildungen auf der letzten Tafel mitgetheilt. Solche regelmälsig geformte, 
nicht den Crystallen gleich von geraden Flächen begrenzte, mathematisch 
genauen Gesetzen nicht unterworfene Gestaltungen, welche vielmehr, den 
organischen Bildungen ähnlich, stets in abgerundeten Linien und freier 
geschwungenen, oft rundlichen, scheiben- und walzenförmigen Begrenzun- 
gen erscheinen, haben bei immer weiterer Nachforschung ein immer grös- 
seres Interesse in Anspruch genommen, treten aber jetzt als Quelle ein- 
flufsreicher Verirrungen bei mikroskopischen Verhältnissen für diese Mit- 
theilungen in den Vordergrund. Während man sie in früheren Zeiten 
als gröfsere, leicht sichtbare zufällige Naturspiele, höchstens als Thon- 
und Mergelnieren oder kugelige Klappersteine, mit wenig Theilnahme be- 
zeichnete, sind dieselben in der neueren Zeit ein Gegenstand immer grös- 
seren Interesses geworden. 

Schon im Jahre 1840 fand der Staatsrath G. F. Parrot in Pe- 
tersburg die finnländischen Imatra-Steine, welche zu diesen Formen ge- 
hören und die als kalkhaltige Mergelnieren gröberer Thon- und Sand- 
schichten auftreten, in ihrer Gestaltung so eigenthümlich, dafs er sie 
unter dem Namen „/matra“ als eine neue schaalenlose fossile Mollusken- 
Familie!) verzeichnete. Die mir von Herrn Wilander aus Tunaberg in 


!) Die durch ihre vielen Abbildungen verdienstliche Darstellung Parrot’s in den 
Mem. d. l’Acad. Imp. d. Se. d. St. Petersburg VI. Serie. Sc. Math. phys. et nat. Tome V. 
1540 läfst erkennen, dafs die /matra-Morpholithe aus einem kalkigen Thonmergel von 
weit gröberem Korn gebildet sind, als die in der Mierogeologie von mir zahlreich abge- 
bildeten schwedischen, wodurch auch die feineren Formverhältnisse der letzteren bedingt 
sind. Parrot sagt p. 119: „Les pierres d’Imatra sont des mollusques petrifiees, sans 
coquilles* — und p. 130: „Je me permettrai — de nommer cette famille Imatra*. — 


19 - 


116 EuRrENBERG: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


Schweden 1840 freundlichst übersandte grofse Menge sehr scharf gestal- 
teter ähnlicher Nierensteine, die sich in einem ebenfalls kalkhaltigen fei- 
nen blauen Thonlager entwickelt haben und die gefällige Mittheilung 
einer noch gröfseren Menge gleicher Bildungen von dort durch den Hrn. 
Banquier Dr. Thamnau in Berlin zu meiner Auswahl hat mich in den 
Stand gesetzt die Natur jener /matra-Steine weiter zu erläutern (Monats- 
bericht 1840 p. 136.). Auf der letzten Tafel der Mierogeologie 1854 habe 
ich eine Reihenfolge solcher Bildungen dargestellt, welche die allmälige 
Entwicklung und Umgestaltung derselben vor Augen legen, obschon sie 
nicht mikroskopische, sondern zuweilen fulsgrofse, auch nicht organische 
sondern unorganische Naturkörper betreffen. 

Ich gehe hier nicht auf die specielleren Gesichtspunkte ein, die 
ich im Jahre 1840 bereits angedeutet habe, bemerke nur, dafs damals 
schon diese Erscheinung in drei der wichtigsten Elementen des Erdfesten, 
der Kalkerde, der Thonerde und des Eisens, vielleicht auch im Golde!) 
nachgewiesen werden konnte und auf jenen Tafeln abgebildet worden ist. 

Wie grofs das Feld dieser Erscheinungen ist habe ich öfter nicht 
ohne Verwunderung bemerkt. Dafs es melonenartige kopfgrolse Kugelbil- 
dungen in geschichteten Gebirgen giebt ist eine schon viel gekannte 
Thatsache, ob aber nicht unter dem Namen der schaalenartigen Ablösun- 
gen sich weit grofsartigere Morpholithbildungen verbergen ist noch un- 
erledigt. Die höchst auffällige Ablösung der einzelnen Ringe bei Brillen- 
steinen von einander ist von mir an den ägyptischen durch mitgebrachte 
Exemplare unzweifelhaft erkannt und es mag wohl bei Beurtheilung der 
neuerlich so viel Aufsehen erregenden Feuersteingeräthe der Steinzeit von 
Wichtigkeit sein, im Gedächtnifs zu behalten, dafs es viele Hornstein- und 
Feuerstein-Morpholithe giebt, welche in concentrische, mit scharfen Rän- 


!) Ich unterlasse nicht hierbei rücksichtlich des in dieser Beziehung noch unsiche- 
ren Goldes zu bemerken, dals ich in einer Sammlung von gröfseren Goldproben aus 
Australien ein sehr auflälliges, mehrere Zoll grolses, blattartiges Stück sah, welches die 
wunderliche Form eines Adlers hatte, das aber der fremde Besitzer als Curiosität selbst 
hoch hielt. Mir schien dasselbe wohl eine, jener auf Taf. XXXX in der Mierogeologie 
vergleichbare vogelartige Bildung zu sein, die doch nun wohl durch Einschmelzen zer- 
stört worden ist, bei weiterer Aufmerksamkeit aber wohl anderwärts wieder ähnlich zur 


Anschauung kommen wird. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 117 


dern versehene Schaalen zu zerfallen geeignet sind. Die bei Theben mas- 
menhaft gefundenen, von Herrn Lepsius 1870 beschriebenen Feuerstein- 
geräthe verlangen wegen des schon 1828 von mir nachgewiesenen Vor- 
kommens grofser Schichten morpholitischer Hornsteine im dortigen Po- 
Iythalamien-Kalke eine darauf bezügliche Nachforschung. Dafs in diesen 
Morpholithbildungen gewisse, die Substanz, in welcher sie sich entwickeln, 
nicht atomistisch sondern auch in gröberen Theilen ordnende, gesetz- 
mäfsige Kraft vorhanden ist, wurde 1840 angezeist und ihre Wirkung 
mit Abwechslung rechtwinkliger Achsenbildung und concentrischer Um- 
schliefsung in der Microgeologie auch bildlich dargestellt. 

Den zierlichen Thongebilden von Tunaberg ähnlich bewahre ich 
auch einen von mir selbst gefundenen Feuerstein der Insel Pöhl bei Wis- 
mar von etwa 64 Zoll Gröfse auf, dessen Sphinx-artige, auf Taf. II abgebil- 
dete Gestalt ebenso auffällig und offenbar eine gesetzliche Bildung, kein 
blofses Naturspiel ist. Dafs solche Morpholithe kettenartig sich wieder- 
holen hat schon Parrot bemerkt und im den Formen, welche man Löss- 
Püppchen oder Löss-Männchen zu nennen pflegt, ist die Wiederholung 
und mehr oder weniger regelmäfsige Fortbildung augenartiger Gestalten 
die Ursache der wunderlichen Form. Parrot nennt dieselben Monotypen 
und Polytypen. 

Für das mikroskopische Leben haben alle diese Verhältnisse in 
sofern eine wichtige Beziehung als der Mangel ihrer Berücksichtigung zu 
grofsen Irrthümern führt. Obwohl schon seit langer Zeit 1836 die fein- 
sten Theilchen der Schreibkreide als sehr feine gekörnte elliptische Schei- 
ben festgestellt worden waren, die als morpholithische Elemente des Krei- 
dekalks angesprochen wurden, so sind doch in der neuesten Zeit auch 
diese Körperchen unter dem Namen Coccolithes von vielen Naturforschern 
unter die Thiere gestellt worden, obschon Niemand bisher einen Hohl- 
raum in denselben oder in ihren Theilen nachgewiesen, worin ein Thier 
wohnen könnte und auch Niemand zwei dieser Schaalen als zusammenge- 
hörige Thierwohnung gefunden hat. Es scheint sogar dafs bei dem 
Namen Bathybius wieder dieselben Dinge zu neuem Aufsehen gelangt sind. 

Was nun aber am meisten bei diesem Vortrage zur Geltung zu 
bringen ist, das ist die höchst auffällige Erscheinung atmosphärisch ge- 
tragener sehr grolser Mengen solcher unsichtbar kleiner Morpholithe, 


11S Eurengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


deren terrestrischer Ursprung noch nirgends nachweisbar ist. In dem als 
Passatstaub verzeichneten, 1834 bei Jrkutzk als die Tageshelle verdun- 
kelnd, ohne Sturm gefallenen Meteorstaube hat Staatsrath Dr. Weisse 
in Petersburg zuerst viele Körperchen erkannt, die er für Bruchstücke 
von zelligen Polythalamien erklärt und Rotalia globulosa und R. senaria 
nennt. (Bullet. phys. math. d. St. Petersbourg T. IX. Taf. IM. Diese 
scheinbaren Polythalamien sind von mir schon 1851 aus demselben Staube 
in den Monatsberichten als Morpholithe verzeichnet. Ich habe deshalb 
für nützlich und nöthig gehalten auf Taf. II dieses mögliche Passatstaub- 
verhältnifs abzubilden und hier umständlich zu erläutern. Vielleicht ver- 
hütet die Anschauung auch manches im Entstehen begriffene Eozoon. 
Neben den meteorischen Kalk-Morpholithen von Jrkutzk sind noch 
die schwarzen, meteorisch getragenen Eisenbläschen!) unzweifelhaft doch 
Meteorolithen, welche in den Monatsberichten 1858 von mir erläutert 
wurden. Diese hatten eine mannigfach morpholithische Gestaltung und 
wurden vom Magneten lebhaft angezogen. Beide Erscheinungen bilden 
jetzt das erfahrungsmäfsige Bereich der meteorischen Morpholithe. In 
wie weit die von Schreibers erkannte pyramidale ?), einem Kugelseg- 
ment ähnliche Gestaltung wahrer Metoriten durch Zerplatzen einer ur- 
sprünglichen Kugelform bedingt ist, bleibt unerledigt. An eine von Dr. 
v. Braun in Gotha 18643) erläuterte Erbsen- und Rogenstein- ähnliche 
Kalk-Bildung mit strahliger und eoncentrischer Struetur ist dabei weder im 
heifsen noch im kalten bewegten Wasser zu denken (vgl. Monatsb. 1843 p. 105). 
Wenn hiermit die Frage über die Möglichkeit von Morpholith- 
Bildungen in der Atmosphäre eine bejahende Antwort erhält und auch 
die Hagel- und Graupelbildung ein analoges Beispiel darstellt, so ist für 
den möglicherweise morpholithischen Drachenstein von Luzern, der den 
alt griechischen runden Baetylien (arab. Aben dir) der frühesten Heilkunde 


1) Reichenbach’s, des phantasiereichen Erfinders des Od, in Poggendorff's 
Annalen gegebene Erläuterung der meteorischen Eisenbläschen durch Zerstieben von glü- 
henden Meteorsteinen erklärt die Morpholith-Eisenbildung nicht. Die Darstellung auf 
Taf. I. ist dazu bestimmt, weitere Vergleichungspunkte morpholithischer Gestaltungen 
verschiedener Mineralsubstanzen zu vermitteln. 

2) Humboldt, Kosmos Bd. I. 1845. p. 125. 

3) Beitr. z. Kenntn. d. sphäroid. Concretionen des kohlens. Kalkes v. Dr. W. E. 
v. Braun. Halle 1864. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 119 


gemäls benutzt worden ist, ein Anhalt gewonnen. Rücksichtlich dieses 
Drachensteins sind meine 1849 ausgesprochenen Wünsche durch Schwei- 
zer Gelehrte mehrfach in Erfüllung gegangen, indem Dr. Feierabend 
in Luzern 1862 in einer dortigen schweizerischen Naturforscher Gesell- 
schaft und Dr. v. Fritsch die in Luzern vorhandenen Dokumente von 
Neuem umständlicher geprüft und in der Züricher Zeitschrift 1864 aus- 
führlich besprochen hat. Eine Durchsägung dieses 450 Jahre alten an- 
geblichen Meteorsteins würde über seine Rogenstein-artige oder morpholi- 
thische Natur weiteren gründlichen Aufschlufs geben. Die Gesetze, nach 
denen sich die Morpholithe entwickeln, verursachen sehr verschiedenar- 
tige Gestaltungen und schliefsen sich in sofern den Urystallbildungen an, 
als sie in der einen Richtung regelmäfsig abgeschlossene Einzelformen 
(monomorphisch) mehr oder weniger vollständig bilden, in der anderen 
Richtung in rechtwinkliger oder vielseitiger Ausstrahlung die dendritische, 
scheinbar vegetirend sich fortbildende Orystallbildung nachahmen. Zu 
den monomorphischen Gestalten gehören die Kugelsteine, Augensteine 
und Nierensteine. Zu den ästigen (cladomorphischen) gehören die sich 
reihenweise mehr oder weniger vollständig fortbildenden, wie die Stiel- 
kugeln, Zungensteine, Spindelsteine, Brillensteine, Kettensteine, Schnabel- 
steine, Strahlensteine, Doppelzungensteine, Hammersteine, Taubensteine, 
Lössmännchen, Lösspüppchen, Flechtsteine (Textilarien-artig), Spiralsteine 
(Rotalen-artig). Alle diese, bisher für Naturspiele gehaltenen Bildungen 
sind (dendritischen Schneeflocken ähnliche ?) gesetzmäfsige Formen. 
Zwar sind bisher die Verirrungen in morpholitischer Beziehung in 
der Richtung der sogenannten /matra-Mollusken und der Rotahen-artigen 
Augen- und Kettenstene ohne grofsen Einflufs geblieben, allein die 
neueren Beobachter haben jene Verirrungen bereits in einen so grofsen 
Maalsstab gebracht, dafs voraussichtlich Partheiungen sich zu bilden mehr 
als begonnen haben, welche einen unabsehbaren Zwiespalt in das so 
wichtige Bereich der künstlich verstärkten Sehkraft tragen. Nicht nur 
die Kreide-Morpholithe als Coceolithes, sondern auch der Tiefgrund der 
Meere ist in Formenkreise gezogen worden, denen eine bestimmte Ge- 
staltung fehlt und die man zum Wiederaufbau einer generatio spontanea 
aus Urstoffen benutzen zu können glaubt. Ich beschränke mich hier auf 
die von mir schon öfter berührten Schwierigkeiten hinzuweisen und ihre 


120 Eurkxger: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


weitere Lösung kräftigeren Freunden einer haltbaren Naturforschung zu 
empfehlen. 

Indem ich diesen Gegenstand hiermit abschliefse, bemerke ich 
noch, dafs ungeachtet der unermefslichen Verbreitung der Schreibkreide- 
gebirge auf der Erde und der grofsen Leichtigkeit Kreidestaub durch 
Stürme emporzuwirbeln, doch noch niemals die feinen Kreide-Morpholithe 1) 
bei den vielen Analysen des Passatstaubes zur Erscheinung gekommen 
sind, indem die in der Schweiz 1850 und in Rufsland 1849 vorgekomme- 
nen denen der so überwiegend verbreiteten Schreibkreide nicht gleichen 
und seltene Einzelheiten waren. 


IX. Über die atmosphärischen Grenzen des Passatstaubes und 
des organischen Lebens. 


Ich trage zwar Bedenken aufser den directen Analysen, welche 
der eigentliche Gegenstand meiner Mittheilungen sind, über den Aufent- 
halt und Ursprung der rothen Staubmeteore ein specielleres Urtheil abzu- 
geben, da es aber die Pflicht jedes Beobachters ist, den Zusammenhang der 
Erscheinungen, die er seiner Pflege werth hält, ins Auge zu fassen, so 
habe auch ich dieser Pflicht zu genügen, selbst auf die Gefahr hin, dafs 
mein Urtheil über den Ursprung unter die vergänglichen Schwankungen 
der Meinungen, welche die Physiker, Chemiker und Astronomen hinsicht- 
lich des Pyrrhins und des Weltstaubes bisher gehabt haben, einst einge- 
reiht werde. Ja ich darf mich einer Betrachtung des Urtheils von Arago 
nicht entziehen, welcher den kosmischen Ursprung der rothen Staube 
und Sande bis zu seinem Ende befürwortet hat. 

Die gesammte Erscheinung, welche hier nochmals und in grölsere 
Übersicht gebracht ist, hat auf mich bisher nicht den Eindruck einer 
kosmischen gemacht, weil die sämmtlichen Bestandtheile den terrestrischen 
völlig gleichen. Die Erhebung feinster Trümmersande mit Bacillarien und 


1) Diese kleinen, von mir als einfach lichtbrechend und mithin als amorphe Kalk- 
theilchen bezeichneten Körperchen hat Hr. Prof. Kaufmann (Giebel u. Siewert Zeit- 
schrift f. Naturw. Bd. II. p. 342 1870) als kleine doppelt lichtbrechende rhombo&drische 
Elemente bezeichnet, was mich schliefsen lälst, dafs diese Angaben sich auf vielleicht ähn- 
liche, aber, den Coceolithen gleich, andere als die von mir untersuchten Objecte beziehen. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 121 


Phytolitharien bis in ferne Grenzen der oberen Erdatmosphäre wird so 
lange nicht den kosmischen Anforderungen genügen, bis sich nicht in den 
entschieden gleichartigen kosmischen und terrestrischen Mineralien der 
Meteorsteinmassen, wie dieses neuerlich durch G. Rose’s und Rammels- 
berg’s glänzende glückliche Untersuchungen und Zusammenstellungen 
festgestellt worden, ebenfalls organische Thier- und Pflanzen-Gestaltungen 
auffinden lassen, vielleicht auch durch der Gallionella ferruginea ähnliche 
feinste Bildungen eine organische Eisenumbildung erweisbar wird. 

So ist denn die ganze Erscheinung bisher auf den Raum be- 
schränkt, welcher zu dem Attractions- und täglichen Rotations-Kreise des 
Erdplaneten gehört. Ja es läfst sich noch näher vielleicht eine Beschrän- 
kung so bezeichnen, dafs die sämmtlichen Erscheinungen deshalb in das 
Gebiet der täglichen Erdumdrehung um ihre Achse gehören, weil es der 
Passatwind ist, welcher im Atlantischen Ocean nach Aussage der Schiffer 
mit der Ercheinung in Verbindung steht. Diese von mir 1847 aufge- 
stellte Ansicht hat auch, wie im Eingange bereits bemerkt worden, die 
Zustimmung des Verfassers des Kosmos erlangt. Obwohl nun aber diese 
Erscheinung der rothen Nebel, vom aequatorialen Amerika an, über die 
Capverden und Canarischen-Inseln sich bei West-Afrika anstauend, durch 
das Mittelmeer ablenkend, über Mittel-Asien bis China erfahrungsmälsig 
zu erstrecken scheint, so fehlt doch einerseits noch immer eine Ergän- 
zung des Kreises für die Erddrehung im Australischen und Stillen Ocean 
und es ist auffällig, dafs nur die Hälfte der Nordhälfte der Erde und 
meist die festländische, an der Erschemung bisher Theil nimmt. 

Noch bedenklicher wird eine Verbindung dieser Thatsachen, wenn 
man A. v. Humboldt’s von ihm selbst verlassener Vorstellung Raum 
giebt, dafs es nach rothen trocknen Trübungen gewisse schaafwolkenartige, 
aber durch ihre Durchsichtigkeit characterisirte, weder Mond noch Sterne 
wesentlich verhüllende Eigenschaften der obersten Atmosphäre sieht, 
welche sich in den Polargegenden ganz besonders zahlreich und wirksam 
erweisen. Ja es hat die neueste astronomische Besprechung des Nord- 
lichtes!) in seinen wunderbar lebhaften, meist blutrothen Färbungen auf 


1!) Prof. Förster theilt in seinem Vortrage vom 3. December 1370 in der geograph. 
Gesellsch. z. Berlin die Ansicht mit, dafs die farbige Erscheinung des Nordlichtes durch 


Phys. Kl. 1871. 16 


122 Eurkngerc: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


-._ 


die Möglichkeit polarer Anhäufungen eisenhaltiger Staubtheile sonderbar 
genug hingewiesen und die Speetralanalyse ist für Eisenbestandtheile im 
Nordlicht ansprechend geworden. Sowohl Humboldt hat dünne Schaaf- 
wolken als Substrat des Nordlichtes für wahrscheinlich erkannt, wie auch 
Kapitain Rofs in dem Jahre 1842 ebenfalls ein dünnes Wolkensubstrat 
beim Südpolarlicht anzeigt. Kapitain Rofs scheint dieses Substrat des 
Nordlichtes der Erdeleetricität als durch sehr feine Eisnadeln gebildet sich 
gedacht zu haben. Er fand am Südpol oft farblose Polarlichter und 
scheint deshalb die bunten Farben für prismatische Lichtbrechungen zu 
halten. Die meist herrschenden dieken Nebel in den Polargegenden und 
der häufig fallende dichte Schnee mögen grofse Schwierigkeit für die Auf- 
fassung fallender oder schwebender Staubnebel hervorbringen. Dafs aber 
am Nordpol die abwechselnd rothen Schneefärbungen nicht immer der 
Sphaerella nivalis, sondern auch Staubnebeln angehören, ist bereits von 
Wrangel und Parry an aufser Zweifel gestellt und neuerlich 1864 durch 
v. Middendorff’s Zusammenfassung vermehrt worden. Die von Grube 
1840 (Preuls. Provinz. Blätter) in einem umsichtigen Vortrage ausge- 
sprochene Meinung, dafs wohl auch die Euglena sanguinea, durch Wirbel- 
stürme massenhaft aus Seen gehoben und hoch in die Atmosphäre ge- 
wirbelt, als Sphaerella nivalıs im rothen Schnee niederfallen und abge- 


das Glühen sehr feiner, in der oberen Atmosphäre schwebender Eisen- und Kohlentheil- 
chen erzeugt sein möge, welche der tellurische Magnetismus periodisch durchströmt, so 
wie er auch in dem oft vorhandenen Schweife der Sternschuppen solche in der Atmos- 
phäre oft zahlreich vorhandene Körperehen annimmt. Diese Vorstellung wird dadurch 
begünstigt, dals das zerlegte Licht des Nordlichtes bisher im Spectroskop gewisse Ana- 
logien mit dem Lichte des Eisens dargeboten habe. 

Nach Prof. Zöllner’s brieflichen Mittheilungen, welcher in einem besonderen 
Aufsatz (Bericht d. K. Sächs. Gesellsch. d. Wissensch. Leipzig 1870) ausführliche Nach- 
richten über die erste Beobachtung der sogenannten Eisenlinien im Nordlicht-Spectrum 
18569 durch Winlock in New-York giebt, sind die späteren Beobachtungen auf anders- 
artige Linien zu deuten. Die von Prof. Young bei der totalen Sonnenfinsternils vom 
7. Aug. 1869 in der Corona der Sonne gefundene Eisenlinie würde nur eine weitere 
Stütze für Winlock's Eisenlinien im Nordlicht geben, aber noch nicht alle Schwierig- 
keiten entfernen. 

Gesetzt aber, dals trockne eisenhaltige Nebel als Substrat des Nordlichtes sich 
weiter feststellen lielsen, so gehören doch auch diese Erscheinungen nicht in das kosmi- 


sche, sondern in das tellurische Bereich. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 123 


lagert werden könne, ist eine Vorstellung, welcher die nicht annehmbare 
Identität der Sphaerella nivalis und der Euglena sanguinea zum Grunde 
liegt, auf die sich zwar auch Middendorff’s eigene Auffassungen des 
rothen Polarschnees beziehen, die aber nur durch jene von Flotow u. A. 
ausgehenden Umwandlungs-Vorstellungen von Thieren in Pflanzen hervor- 
gerufen worden sind. Diese thierische Natur der EBuglena sanguimea, 
neuerlich oft Protococeus pluvialis genannt, ist von Grube umsichtiger 
dargestellt worden. 

Aufser dem in den rothen Färbungen liegenden Eisengehalt ist 
aber auch ein wirklicher verschiedenartiger Kohlenstoffgehalt aus ent- 
schieden kosmischen Verhältnissen bereits vielfach zur Sprache gekommen. 
Die unzweifelhaften Meteorsteine von Alais, Bokkeveld, Kaba und Orgueil 
haben einen so deutlichen Kohlenstoffgehalt zu erkennen gegeben, dafs 
die umsichtigsten und sachkundigsten Chemiker, auch Wöhler, die Er- 
läuterung dieser Erschemung versucht haben, da sie als unsicher nicht 
betrachtet werden konnte. Prof. Rammelsberg spricht sich in seiner 
übersichtlichsten Behandlung des Gegenstandes neuerdings folgendermafsen 
aus: — „Die Kohle ist vielleicht erst durch Zersetzung der Kohlenstoff- 
„verbindung bei ihrem Herabfallen abgeschieden. Letztere ist jetzt nur 
in geringer Menge vorhanden und über ihre Natur geben die Untersuchun- 
„gen wenig Aufschlufs.“ —!) Derselbe sagt von den kohlenstoffhaltigen 
schwarzen und mürben wirklichen Meteorsteinsubstanzen — „sie enthalten 
amorphe Kohle und eine organische Kohlenstoffverbindung* — 
und unterscheidet dieses in der Einleitung pag. 84 von dem meteorischen 
Graphit mehrerer analysirender Chemiker, dessen genaue Unter- 
suchung noch wünschenswerth sei. Den Kohlengehalt selbst findet 
er auch durch die Vorstellung erklärlich, dafs dieser seit dem Eintritt 
der Meteoriten in die Erdatmosphäre hinzugetreten sein könne. 

Aufser diesen wichtigen Erläuterungen der Meteorsteine sind auch 
die vom Astronomen Prof. Galle in Breslau neuerlich in historischer 
Übersicht überaus reichhaltig zusammengefalsten sogenannten Stern- 
schnuppengallerten in kurzen Betracht zu ziehen. Das kosmische Verhält- 


!) Rammelsberg, die chemische Natur der Meteoriten. Abhandlung d. Ak. 1870, 
p- 109. 
16% 


124 Eununpenre: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


nils der Sternschnuppen und Feuerkugeln ist durch ihre gemessene Ent- 
fernung, Geschwindigkeit und ihre, bei Schwärmen, aus einer und 
derselben Richtung des Weltraumes entspringenden Bahnen neuerlich 
immermehr befestigt worden, und so haben denn die aus ihnen schein- 
bar auf die Erde herabgefallenen, meist weilsfarbigen Gallerten ein an- 
sehnliches Interesse für die kosmischen Vorstellungen, welche sie schon 
bei Chladni erweekten. Da die schwarze Farbe kein nothwendiger Cha- 
racter des Kohlenstofles ist, der sich erystallinisch bis zum Diamant ent- 
färben kann, so ist der Kohlengehalt der farblosen sogenannten Gallerten, 
welchen die chemischen Analysen dieser Substanzen stets aufser Zweifel 
stellen, ein um so wiechtigerer Fingerzeig für mögliche kosmische Ver- 
hältnisse. 

Nun ist zwar die grolse Anzahl der historischen Aufzeichnungen 
mit kosmischen Feuerkugeln getallener Gallertmassen zu einer so impo- 
nirenden Menge herangewachsen, dals Poggendorff und Galle es be- 
denklich finden an deren Wahrheit zu zweifeln, dennoch aber hat Galle 
in seiner neuesten Mittheilung vom Januar 1869 samt Cohn die kosmi- 
sche Natur irgend einer der Gallerten als feststehend anzusehen nicht für 
‘athsam erachtet, indem Galle!) sagt: — „Wenn es indels nicht gelin- 
„gen sollte, die vorhandenen Einwürfe gegen die terrestrischen Hypo- 
„thesen zu beseitigen, so würde eben nur die kosmische Hypothese zur 
„Prüfung vom chemischen Standpunkte aus übrig bleiben; sofern nicht 
„andererseits es gelingt, die mehr als zwanzig vorhandenen Berichte über 
„beobachtete Niederfälle solcher Materien sämmtlich als irrthümlich nach- 
„zuweisen.“ — 

So ist denn also aller Bemühungen ungeachtet immer noch bei 
den kosmischen Vorstellungen des Organischen nur von Hypothesen die 
Rede, und es ist nicht eine Thatsache durch scharfen Beweis festzustellen 
möglich gewesen. Bisher ist nur Arago's Urtheil über die rothen Staub- 
nebel in der kosmischen Ansicht festgeblieben. Es ist nothwendig auszu- 
sprechen, dafs eine Berechtigung dieser Ansicht deshalb fehlt, weil noch 
von keiner chemischen Analyse, auch den neuesten italienischen und fran- 


zösischen bei Tarry nicht, jener das Meteoreisen characteresirende Nickel- 


1) Galle. Schlesische Gesellsch. 1369. Bericht. p. 3. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche orgamische Leben. 125 
gehalt nachgewiesen ist. Ja es ist überhaupt der oxydirte Zustand des 
rothen Eisenstaubes abweichend von metallischem Meteoreisen. 

Andererseits ist es jetzt auffallend, dafs in den vielen, unzweifel- 
haft kosmischen Meteormassen durch die chemische Analyse immer nur 
die bekannten terrestrischen Elemente zum Vorschein gekommen sind 
und dals auch die aus diesen Elementen zusammengesetzten kosmischen 
zahlreichen Mineralien ganz überwiegend den terrestrischen gleichen!). 
Einzelne eigenthümlich erscheinende Mineralien erlangen auch deshalb 
kein besonderes Gewicht, weil auch in den tellurischen Verhältnissen 
noch jährlich dergleichen durch die Chemie entdeckt werden. So bleibt 
denn die Frage übrig, ob die unzweifelhaft amorph erscheinende Kohle?) 
nicht durch sorgfältige Methoden der mikroskopischen Untersuchung doch 
auch als organischen Formen zugehörig nachweisbar werde, und so em- 
pfehle ich denn der künftigen Forschung die mikroskopische Analyse 
sauberer, auch als Substrat des Nordlichtes zu denkender und selbst 
wirklich kosmischer Materialien, deren chemische, bisher in ihren Erfolgen 
wichtigste Prüfung selbstverständlich jedes Mal gleichzeitig erfolgen muls. 

Die Frage über die Grenzen des organischen selbstständigen Lebens 
scheint sich der Beurtheilung durch Kleinheit und Durchsichtigkeit 
der Naturverhältnisse, ohne Rücksicht auf Gröfsen, zu entziehen und 
Leeuwenhoek’s mikroskopische Forschungen, Chladni’s intensive Be- 
trachtung der terrestrischen Elemente der Meteoriten, so wie Howard’s 
und Klapproth’s Characteristik derselben durch den Nickelgehalt, den 
Weg zu bezeichnen, welcher weitere Entwicklung wichtiger Erkenntnisse 
bis in ferne Generationen zu vermitteln geeignet ist. 


X. Wünsche für weitere Forschungen. 
Da die Meteorsteine lange Zeit problematische Körper gewesen 
sind und ihre unvorsichtige Geringschätzung der Kenntnifs derselben viel 


!) Rammelsberg Abhandl. der Akad. 1870 p. 136. 
5 & 
?) Ja es ist sogar nicht aufser Betracht zu lassen, dafs die Kohle in zwei Zustän- 


den ohne organische Charactere aufzufassen ist, die sich beide der amorphen Kohle an- 
schlielsen. Einer derselben ist ein Verbrennungsproduet als Rufs, der andre ein unver- 
branntes feuchtes Zersetzungsproduct, Moder. Zum letzteren gehört der Kohlengehalt des 
sogenannten Meteorpapiers von Rauden von 1686 und der feinste Braunkohlenmulm. 


126 Enrexperg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


geschadet hat, so ist eine vertrauenswerthe Untersuchung aller atmosphä- 
rischen und kosmischen Stoffe wünschenswerth. 

1. Alle Arten von ungewöhnlichen Trübungen der Atmosphäre 
miissen noch immer und zwar mit vermehrter Intensität betrachtet werden, 
mit sorgfältisster Reinhaltung und Verwahrung vor Zutritt fremden Stau- 
bes vor der Prüfung, d. h. sie müssen sofort in reinen Glasröhren in 
möglichster Menge aufbewahrt werden. 

2. Wie überall ein Zusammenwirken verschiedener Beobachtungs- 
methoden zur Feststellung wissenschaftlicher Erkenntnifs nützlich ist, so 
hat besonders die mikroskopische Analyse neuerlich immer mehr durch 
ihre nieht zerstörende, nur optisch sondernde Eigenschaft in verschiede- 
nen wichtigen Beziehungen einen grofsen Erfolg vor der chemischen er- 
langt. Die monotone Aufzählung der chemischen Elemente des Scirocco- 
oder Passatstaubes hat sich in eine grofe Reihe selbstständiger Lebens- 
formen aufgelöst. Um diesen Vortheil der mikroskopischen Methode dem 
organischen Leben weiter zu sichern, wird es nöthig sein, aus bewölkter 
oder wolkenloser Atmosphäre, zuweilen in geringer Menge, auf reinliche 
Unterlagen, Schnee oder Leinwand fallende problematische Substanzen 
nicht, wie bisher häufig geschehen, durch alleinige chemische Prüfung auf- 
zuzehren, vielmehr sie zum wissenschaftlichen Vortheil stets in drei Theile 
zu theilen, damit der eine chemisch, der andere mikroskopisch geprüft 
werde, während der dritte für die äufseren Charactere der Substanz auf- 
bewahrt bleibt. So hat sich das chemisch unrichtig beurtheilte Meteor- 
papier von Rauden 1686 durch theilweise Aufbewahrung bei Berzelius 
nach 152 Jahren mikroskopisch erfolgreich erläutern lassen. 

3. Bei Meteorsteinfällen sind besonders nicht mehr allein die 
Stein- und Eisenmassen, sondern vorzugsweise sogar die damit verbun- 
denen Nebelschweife und Staubarten zu beachten, welche im Winter auf 
Schnee, im Sommer auf Leinwandbleichen oder großsen Pflanzenblättern 
sich gewils oft in meilenweiter Ferne gleichzeitig und in der Bahnrich- 
tung ablagern. 

4. Bei jedem Höherauch ist der Versuch zu machen durch auf- 
sehängte haarige Felle oder wollene rauhe Decken, Segel oder ausge- 
hängte Leinwand die die Luft trübende Substanz aufzufangen. Da die 
Ablagerung durch Wind und Eleetrieität zuweilen behindert wird, so 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 127 


dürfte das Verfahren der Durchtreibung von trüber Luft mit einem Bla- 
sebalg durch eine halb mit destillirtem Wasser gefüllte Flasche mit ab- 
gesetztem Rohre nützliche Verwendung finden.!) Mit dem Blasebalg läfst 
sich auch die Menge der Luft abmessen, welche geprüft worden. Je fei- 
ner und sauberer die Instrumente und Behandlungsmethoden sind, desto 
sicherer ergiebt sich ein brauchbares Resultat. 

5. Bei allen Höherauchverhältnissen scheint die Lufteleetricität 
von Einflufs zu sein und zwar in der Art wie bei der Wolkenbildung, 
welche seltener die Erdoberfläche als Nebel berührt, vielmehr in einiger 
Erhebung davon frei schwebt. Deshalb wird man auf Bergen in gewisser 
Höhe erst die atmosphärischen Trübungen antreffen und sammeln kön- 
nen, während auf Flachländern und in Thälern nichts abgelagert wird. 

6. Am günstigsten erscheinen Schneefälle, deren Eintreten leich- 
ter bemerkt und deren Ablagerung leichter und zuweilen in beliebiger 
Menge eingesammelt werden kann, wobei die Massenverhältnisse gemessen 
werden müssen, sowohl in der Mächtigkeit als in der Ausdehnung. Solche 
gesammelte Massen möge man immerfort zu einem Drittheil der Analyse 
eines wohl geübten Ohemikers, unter Berücksichtigung vornehmlich der 
Meteorstein-Charactere, wie Nickel u. s. w., auch fernerhin überlassen. 
Das Übrige ist für die künstlich verstärkte Sehkraft und die Characte- 
ristik des Äufseren aufzubewahren und mehrfach zu vertheilen. 

7. Da es nun schon einen ansehnlichen Stamm als Maalsstab tür 
Abbildungen der Formen und Verbindungen giebt, so sind für die mi- 
kroskopische Analyse die zu Grunde liegenden übereinstimmenden Ver- 
gröfserungen und gleiche Namengebung dringend zu beachten. 

8. Wie beim Höherauch so ist auch auf Schiffen jeder Luttstaub 
zu fangen, nur sind zwei Formen desselben zu unterscheiden. Feuchte 
staubige Nebel setzen sich leicht an das Segelwerk und sind mit durch 
Trinkwasser befeuchtete Tücher oder Schwämme leieht abzunehmen, 
welche dann, in einem Waschbecken mit Trinkwasser abgespült, nach 
kurzer Zeit den Bodensatz zu sammeln erlauben. Die Erscheinung der 
feuchten rothen Nebel veranlafste den Reisenden Professor Meyen bei 
den Canarien zu der irrthümlichen Beobachtung eines durch generatio 


1) Monatsbericht 1348 p. 440. 


1285 Eurexgerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


spontanea entstandenen Pflänzchens, welches er Adrophytum tropieum 
nannte, das aber nur die Thauperlen am Segeltuche gewesen zu sein 
scheinen. Die andere Form ist der trockene Staub. Diesen erlangt man, 
da er überall vom Winde abgeweht wird, durch Aufhängen befestigter 
Baumwollenbäusche, in deren inneren Räumen der Staub einen gesicher- 
ten Aufenthalt findet. Dasselbe leisten auch die freilich selten hinrei- 
chend reinlichen haarigen Thierhäute und Teppiche. 

9. Eine direete Messung der Erhebung des atmosphärischen Stau- 
bes läfst sich an hohen Schneebergen erlangen, wie z. B. die Schneekappe 
des Pie von Teneriffa 11,424 Fuls hoch am 7. Februar 1863 mit rothem 
Passatstaub des Dunkelmeeres bedeckt war!) und überdies noch zu beob- 
achten erlaubte, dals der Staub von oben herabfallend, nicht aber von 
unten hinauf gewirbelt erscheine und von einer kälteren Temperatur be- 
gleitet sei. 

10. Wo rother Hagel fällt wird der Staubgehalt desselben beim 
Schmelzen zu suchen, mithin der Hagel in reichlicher Menge rein zu 
sammeln sein. 

ll. Wünschenswerth ist, dafs tüchtige Beobachter sich enthalten 
mögen durch alleinige Anwendung stärkerer als 300 maliger Vergrölse- 
rungen ein deutlicheres Objeet zu erhalten, indem sie dadurch einen ver- 
gleichbaren Maalsstab für die früheren Bemühungen verlieren, vielmehr 
mit dahin wirken mögen, dafs die Verfertiger von Mikroskopen Objective 
von nahe 300 maliger Vergröfserung nicht unterlassen hinzuzufügen. 
Selbstverständlich bleibt es Jedem überlassen, zur weiteren Erläuterung 
jede Vergrölserung anzuwenden. 

12. Es scheint auch von besonderem Interesse zu sein allen Nord- 
polfahrern eine Beachtung rother Schneeflächen oder Streifungen älteren 
Eises im Nordmeer zu empfehlen und Proben in wohl gereinigten Flaschen 
(Rothweinflaschen sind schwer zu reinigen) in ansehnlicher Menge mitzu- 
bringen. Solche Beobachtungen werden auch die Vorstellungen des afri- 
kanischen Ursprungs weiter berichtigen und die Frage über einen Zu- 
sammenhang mit dem Nordlichte weiter erläutern. 


1) Siehe historische Nachträge p. 45. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 129 


15. Es ist selbstverständlich, dafs seltene Meteorsubstanzen nicht 
von Jedem mit dem Mikroskop glücklich analysirt werden, dafs dieses 
vielmehr nur einem schon physiologisch geübten und umsichtigen 
Beobachter gedeihlich gelingen wird. 


XI Schlufs-Übersicht. 


Die im Jahre 1847 stattgefundenen Mittheilungen über Passatstaub 
und Blutregen haben sich seit jener Zeit folgendermafsen weiter erläu- 
tern lassen. 

1. Aus der historischen Gesammtübersicht ergiebt sich, dafs der 
Gegenstand auch unter den würdigsten Zeitgenossen die grölste Theil- 
nahme wach erhalten hat, dafs aber grofse Schwankungen im Endurtheil 
stattgefunden haben und noch unberuhigt vorliegen, welche eine weitere 
Fortbildung wünschenswerth machen. 

2. Zu den 1847 aufgezählten 340 historischen Nachrichten dieser 
örscheinungen kommen jetzt noch 196 neue Fälle hinzu, welche zusam- 
men die Zahl von 536 Beobachtungen, freilich oft sehr ungleichen, 
meist nicht befriedigenden Werthes ergeben, worunter 269 entschieden 
rothe Staubmeteore zu sein scheinen, von denen im Jahre 1847 bereits 
27 in ihrer Substanz von mir analysirt werden konnten. Seitdem sind 
uoch 43 Proben meiner directen Analyse zugänglich geworden, welche 
jetzt verzeichnet werden. 

3. Die bei den alten heidnischen Völkern als Trauerzeichen der 
(Götter betrachteten Blutregen traten in der jüdischen Geschichte als 
Drohungen Gottes und als Vorzeichen des Weltunterganges auf, während 
sie die mildere christliche Auffassung nur als Mahnungen für frevelnde 
Menschen ansehen wollte. Die muhamedanische Zeit verband die un- 
mittelbare Schöpfungsgeschichte des Blutes und des Menschen mit den- 
selben und die römische Transsubstantiation und Judenverfolsung er- 
starkte durch Blutflecken auf Brod und Hostien. Allmälig breitete die Na- 
turforschung die Kenntnifs des organischen Lebens über diese Bluterschei- 


srolsen un- 


nungen aus und schon mit Linn& erwachte eine Vorahnung eines g 


sichtbaren Naturlebens. Chladni’s denkwürdige Feststellung der alten, 
meist medieinischen Daetylien, als aus dem Weltraume zur Erde kommende 


Phys. Kl. 1871. 17 


130 Eurxxsgerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


Meteormassen, brachten ganz neue Vorstellungen in die ernste Wissen- 
schaft und am eifrigsten bemühte sich die Chemie durch ihre damaligen 
Heroen von Howard und Vaugquelin bis Klapproth und Berzelius 
zu ergründen, was und ob nicht auch ein Pyrrhin zu nennender Roth- 
stoff der Erdatmosphäre oder des Weltraumes die Lösung des alten Räth- 
sels weiter anzubahnen im Stande sei. Der rothe Schnee der Baffıns-Bay 
gab 1818 die ernste Basis für die irrigen Vorstellungen des Pyrrhin. 

4. Nachdem immer reichere historische Sammlungen zusammen- 
getragen waren, glaubte Ruhland 1812 alles Material für diese Erschei- 
nungen und zugleich für die Meteorsteine in der Erdatmosphäre allem zu 
finden, aber die schon längst vorhandenen Kenntnisse wolkenartiger Nebel 
im Weltraume, welche schon Keppler’s Phantasie so lebhaft beschäftigt 
hatten und immer neue Bestätigungen selbst in den Störungen der Welt- 
körper-Umläufe gewannen, nöthigten die rein terrestrischen Vorstellungen 
gänzlich zu verlassen und den kosmischen Meteorsteinen, Sternschnuppen 
und Feuerkugeln ihr Recht einzuräumen. Hierdurch wurde der chemi- 
schen Analyse lange Zeit ein alleiniges Vorrecht gesichert. 

5. Die sich immer weiter ausbildenden Forschungen mikroskopisch 
verstärkter Sehkraft haben die betreffenden Stoffe zu immer klarerem Ver- 
ständnils zu bringen beigetragen und sind jetzt den Resultaten der chemi- 
schen Analyse ähnlich erfolgreich geworden. Die ganze Reihe der be- 
treffenden Erscheinungen hat sich in drei grofse Gruppen aufgelöst: a) In 
niemals von der Atmosphäre getragene, und in theils kleinen, theils gros- 
sen blutartigen Flecken auf der Erdoberfläche, auf Schnee oder im Wasser, 
sogar in grölstem Maalsstabe in den Oceanen verbreitete vegetabilische 
oder thierische Organisationen. b) In blutartig rothfarbige, von der Erd- 
atmosphäre getragene, meteorisch aus derselben niederfallende Staubarten. 
c) In möglicherweise aus den kosmischen Räumen mit oder ohne Feuer- 
erscheinung sich auf der Erde ablagernde, nicht rothe, Erden, Steine 
und Gallerten. 

6. Bei dem grolsen Naturbilde, welches der „Kosmos“ überra- 
schend klar vor Augen lest, sind es vorherrschend die graufarbigen, zu- 
weilen die Erde einhüllenden und die Sonne verdunkelnden, scheinbar im 
Laute der Erdbahn liegenden Weltwolken, welche theils als dunkle, theils 
als lichtschimmernde Stoflanhäufungen sich geltend gemacht haben. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 131 


Es treten bis jetzt die rothfarbigen Stoffe in die engeren Grenzen der 
oberen Erdatmosphäre zurück, der weiteren Forschung überlassend, welche 
jeurtheilung jene rothen trocknen Färbungen einst erlauben werden, die 
bei Sternschnuppen und vermeintlichen Kometenschweifen von wichtigen 
Autoritäten angezeigt worden sind. Dafs die von Reichenbach poetisch 
beschriebene, in Ungarn zur Erde gefallene Weltwolke nur ein aus einem 
Sumpfboden stammendes lokales Bohnenerz (Eisenthon) war, ist von mir 
1841 (Monatsbr.) und die von Grotthus 1820, als mit den chemischen 
Öharacteren eines Weltkörpers versehen, angezeigte schwarze Meteorsub- 
stanz ist 1838 von mir mikroskopisch als reiche organische Mischung er- 
läutert worden. 

7. Die nöthige Sonderung dieser Erscheinungen in ihre wesentlich 
verschiedenen Gruppen hat dahin geführt, alle graufarbigen Staubnieder- 
schläge der Atmosphäre deshalb von den rothfarbigen streng zu sondern, 
weil diese letzteren durch ihre rothe Farbe und Eisenmischung einen, 
durch so lange Zeiten und so viele verschiedene Beobachter stets fest- 
gehaltenen Character haben, welcher mit Nothwendigkeit auf ein gleich- 
artiges, nirgends auf der Erde nachweisbares Ursprungsverhältnifs hin- 
weist. Wäre es nur der Eisengehalt und feine Kiessand, welche den 
Character geben, so könnten die bekannten zahlreichen Eisenmeteore 
Araso’s Vorstellungen eines kosmischen Ursprunges auch wohl dieser rothen 
Sande annehmbar erscheinen lassen. Da aber dieser selbe Staub gerade 
als Träger reich organischer Lebensformen seit 1844 anschaulich ge- 
worden ist, so bleibt nur übrig, entweder diese rothen Staube vom Welt- 
raume auszuschliefsen, wie es von mir und auch im Kosmos geschehen, 
oder zugleich mit seinem unorganischen Gehalte auch den selbstständigen 
und unselbstständigen organischen Gehalt als kosmisch zu betrachten. 

8. Würde auch die Mischung sich selbstständig zu entwickeln fähiger 


mikroskopisch kleiner Organismen, — den vielfach nun gründlich erwiesenen 
terrestrischen Bestandtheilen der Meteorsteine gleich, — für den Weltraum 


keine undenkbare Vorstellung sein, so ist doch die durchgehende Über- 

einstimmung mit den terrestrischen gleichartigen Formen überaus auf- 

fällig und bedenklich, und der ganze Lebensgehalt verliert durch die Bei- 

inischung so vieler unselbstständiger Fragmente von grölseren irdischen 

Pflanzen, auch mit Ausschlufs der lokalen gefärbten Woll- und Leinfasern 
IA 


132 Euresgerc: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


der menschlichen Industrie, seine Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit einer 
Entwicklung in den weiteren Welträumen. 

9. Es darf ferner als einer der wichstigsten Charactere der roth- 
farbigen Staube angesehen werden, dafs in ihren reinsten Verhältnissen so 
ausschliefslich und übereinstimmend nur Süflswasserformen und Fragmente 
von Landpflanzen erkannt worden sind, so dafs einige geringe und sogar 
öfter zweifelhafte Arten von Meeresbildungen der Vorstellung keinen Raum 
gewähren, dafs die Spritzwellen des durch Stürme aufgeregten Meeres an 
den Küsten irgend welchen annehmbaren gröfseren Antheil an den in der 
Atmosphäre getragenen, dem rothen Staube gehörigen Dingen nehmen. 
Zugleich aber ist damit die gesammte wasserlose Wüstenoberfläche Afrikas, 
eben weil sie weder den Ursprung der kleinen, so eonstanten und zahl- 
reichen Wasserformen, vielleicht sogar auch der Poolitharien und Spongo- 
lithen, nicht liefern kann, ausgeschlossen, zumal keine der ausgezeichneten, 
1856 (Monatsbr.) beschriebenen und abgebildeten Characterformen dieser 
Wüsten in dem Dunkelmeerstaube vorgekommen sind. 

10. Bei den Betrachtungen der rothen Staubverhältnisse darf auch 
die Massenhaftigkeit ihres Niederfalles nicht aufser Acht gelassen werden. 
Dafs in einem Tage nach französichen sachkundigen Abschätzungen 1846 
bei Lyon 7,200 Öentner des rothen Staubes auf 4000 Meilen gefallen 
waren, ist nicht ohne Eindruck geblieben. In den Abhandlungen von 1847 
p- 324 (vergl. Monatsbr. 1869 p. 308) sind von mir noch weit gröfsere 
Verhältnisse annähernd berechenbar geworden, deren Details verzeichnet 
sind. Es liefs sich damals berechnen, dafs ım Atlantischen Dunkelmeere 
wohl an manchen Tagen über eine Million Centner in der Luft getragen 
würden, und dafs seit Homers Zeit die Erscheinung in den westlichen 
Küstenländern Asiens und Afrikas eine wohl stets fortdauernde gewesen. 
Ja die neuesten Angaben von den Dardanellen und Sicilien sind ganz 
geeignet die Vorstellung der zuweilen plötzlich, ja sogar aus den Afrika 
entgegengesetzten Richtungen, fallenden Massen eher zu erhöhen als ab- 
zuschwächen. 

11. Aus diesen Gründen hat sich neuerlich die Vorstellung ent- 
wickelt, dafs die von der ganzen Erdkugel aus allen Ländern in die Höhe 
gehobenen, in einer durchsichtigen Staubzone schwebenden Theile zuweilen 


in schweren Wolken sich senken, beim Herabsinken durch verschiedene Luft- 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 133 


ströme sich zu Wirbeln gestalten und somit bei ganz verschiedenen 
eyelischen und nicht eyelischen Stürmen, endlich den Boden erreichen. 
Dafs im Dunkelmeere die Erscheinung eine fast das ganze Jahr hindurch 
andauernde sei hat der französische Admiral Roussin 1817 beobachtet 
und 1838 ausgesprochen. Dafs diese Staube sich auf den Pie von Tene- 
riffa aus gröfserer Höhe herablassen, nicht aber von den Festlandküsten 
hinaufgewirbelt werden, ist 1863 durch v. Fritsch beobachtet. 

12. Die scheinbar sich widersprechende Nachricht, nach welcher 
Admiral Roussin trotz der trocknen Nebel über 30° vom Horizonte doch 
Sternbeobachtungen machen konnte, auch Humboldt die Durchsichtig- 
keit trockner Lämmerwölkchen, und die neueren Beobachter des Nord- 
lichtes die diesem zum Grunde liegenden Wölkchen für Sterne durchsichtig 
bezeichnen, die trocknen höherauchartigen Nebel aber in Italien und auch 
zuweilen im Atlantischen Dunkelmeere von den Beobachtern als selbst die 
hohe Tagessonne verdunkelnd angegeben werden, mag sich dadurch er- 
läutern, dafs in den verdunkelnden Fällen die trocknen Nebel in ungleichen 
Höhen mit Wasserdunst vermischt sind, während dieser im anderen 
Falle fehlt. 

Die neueste Geneigtheit der Physiker und Astronomen dem Polar- 
lichte ein aufglühendes Eisensubstrat zum Grunde zu legen, würde zwar 
am Passatstaube eine directe Stütze finden und dessen polare Anhäufung 
bestimmen, allein die hypothetischen Angaben müssen erst weiterer Nach- 
forschung überlassen bleiben. 

13. Zu den wichtigen Characteren der rothen Staubnebel, welche 
nicht erlauben sie für ein momentan durch einen örtlichen Orkan aufgeregtes 
Öberflächenverhältnifs zu halten, gehört der Umstand, dafs sie zu allen 
Jahreszeiten historisch gemeldet und den bereits vielen Analysen zufolge in 
ihrer Mischung stets gleichartig sind, dafs aber kein Erdstrich nach den 
bisherigen Erfahrungen gekannt ist, in welchem nicht die Jahreszeiten 
die Oberflächen veränderten. 

14. Es darf nicht unterlassen werden auf die Möglichkeit aufmerk- 
sam zu machen, dafs die historischen mit Sternschnuppen und Feuerkugel- 
artigen Feuer-Erscheinungen, die keine electrischen Blitze waren, beglei- 
teten Blutfälle eine zwar bestimmte, aber nur zufällige Verbindung haben 
konnten, indem jene kosmischen, in die Erdatmosphäre niederfallenden 


134 Eurengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


Meteore einen Theil des oben schwebenden Passatstaubes bei ihrem Herab- 
fallen niederdrückten und deshalb gleichzeitig mit ihm zur Erdoberfläche 
herabkamen, ohne dafs irgend eine wesentliche Verbindung zwischen 
beiden stattfand. 

15. Was endlich die fremden Bestandtheile anlangt, welche als 
Polythalamien, Fucoiden-Fragmente und Meeres-Polygastern höchst sparsam, 
häufiger aber als weiche terrestrische Pflanzentheile, Schmetterlingsstaub 
u.s. w. aufzuzählen gewesen, so liegt es nahe den aufwühlenden, niedrig 
gehenden Gewitterstürmen diese unwesentlicheren Bestandtheile zuzuschrei- 
ben, welche stets auch die rothe Farbe des Normalstaubes beeinträchtigen 
und da, wo diese in Grau verwandelt ist, die Oberherrschaft oder Allein- 
herrschaft haben. Solche Mischungen werden immer schwer genau zu 
trennen sein, und es wird späterhin noch weiter, wie dies schon hier 
geschehen, auf die möglichst reinen, lebhaft roth gefärbten Niederschläge 
vorzugsweise die Aufmerksamkeit zu wenden sein. 

16. Es giebt den Menschen und Thieren schädliche Trübungen der 
Atmosphäre, von denen einige auch mit röthlich gelbem Staubniederschlage 
bezeichnet werden. Für diese Art von Untersuchungen ist das Material 
bisher nur kärglich beachtet worden. Die von mir in den Jahren 1848 
u. 1849 angestellten Untersuchungen über die Atmosphärilien der schweren 
Cholera Zeit in Berlin, welche in den Monatsberichten jener Jahre ver- 
öffentlicht sind, mögen schon einen mannigfachen nützlichen Maafsstab 
für die Beurtheilung der Verhältnisse geben. Nirgends soweit meine Nach- 
forschungen reichten, auch selbst nicht in Cairo Aegyptens, gab es da- 
mals andere als graue Staubniederschläge, und ich habe aus den vielen 
Analysen die Zahl von über 200 Arten beobachteter, atmosphärischer klein- 
ster Organismen in Übersicht gebracht. Jene Cholera-Staubarten waren 
offenbar nieht mit besonders auffallenden Lebensformen, noch auch mit 
den Characterformen des Passatstaubes vorzugsweise erfüllt. In Frank- 
reich beschäftigte sich bald darauf 1858 Professor Pouchet mit den mi- 
kroskopischen Atmosphärilien, und seine Mittheilungen an das Institut zu 
Paris erweckten neue lebhafte Discussionen über die generatio spontanea, 


die jedoch mit Milne Edwards scharfsinniger Kritik 1) wieder negativ 


1) Annales des Sciences naturelles 1858. T. IX. p. 353. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 135 


endeten. Die neuere Vorstellung in England, dafs Sporidien der Gährungs- 
pilze die Atmosphäre dicht und vorherrschend erfüllen, hat sich in Deutsch- 
land nicht bestätigen lassen und mag, wenn die Beobachtung richtig ist, 
eine lokale Erscheinung gewesen sein. Ein Beweis, dafs die genannten 
Sporidien keimfähig gewesen, ist nicht gegeben. 

17. Ob das rothe Eisenoxyd durch seine Eigenschaft als Bestand- 
theil kleiner kieselerdiger Hohlzellen der Gallionella ferruginea sein leichtes 
und hohes Schweben in der Atmosphäre begünstigt, habe ich oft ver- 
sucht zu entscheiden, allein ich habe zwar die Anschauung eines feinsten 
Kiesel- oder Thonmulms erhalten, dessen Eisengehalt und rothe Farbe 
sich durch Salzsäure entfernen liefs, aber weder kettenförmige noch deut- 
lich hohle Körnchen zu meiner Überzeugung bringen können. 

18. Da man fragen darf, warum wohl rothe Eisenstaube in der 
oberen Atmosphäre schweben, nicht aber schwarzer, durch seine Feinheit 
und scheinbare Leichtigkeit sich auszeichnender Kohlenstaub und amorpher 
Rufs in gleichen Verhältnissen erkannt werden, ja warum nicht die Tinten- 
regen zahlreicher sind als die des klaren Wassers, so mögen wohl die 
Verbrennungs- und Verrottungsprodukte der ganzen Erdoberfläche doch 
weit unbedeutender sein, als jene Bildungen des Eisenoxydhydrates des 
Passatstaubes, zumal die schwarzen Kohlentheilchen sich erfahrungsmälsig 
schon in der unteren Atmosphäre schnell senken. Schwimmenden abge- 
lagerten rothen Meteorstaub hat man auch im Atlantischen Dunkelmeere 
niemals beobachtet. 

19. Es giebt in der Natur ein Schein-Leben, welches unorganische, 
den organischen oft ähnliche Gestaltungen bildet, die schon manchmal, 
selbst von geübten Beobachtern, als Lebensformen benannt und beschrie- 
ben worden sind. Dieses, den Crystallen und den Organismen gleich fern- 
stehende, Schein-Leben ist 1840 als Morpholithe bezeichnet worden. Auch 
im Meteorstaube der Atmosphäre sind dergleichen unsichtbar feine Bil- 
dungen erkannt und haben selbst bei geübten Beobachtern Veranlassung 
zu Irrungen gegeben. Ja sie haben als pyramidale Bruchstücke der Me- 
teoriten zu der Vorstellung von kugliger Urgestalt dieser geführt und 
werden noch zur Erläuterung des Luzerner Drachensteins in Betracht 
gezogen werden müssen, während die terrestrischen Erbsen- und Rogen- 


136 Enrenpers: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


stein-Kugeln anderen Bildungsgesetzen anzugehören scheinen. Zur Erläu- 
terung soll Taf. Il. dienen, deren Erklärung zu vergleichen ist. 

20. Für den gewöhnlichen Luftstaub ist auf Tafel IT aus beiden 
Erdhälften ein Einblick gegeben, welcher besonders auf die schaalenlosen 
und die den Bacillarieen nicht zugehörigen Gestaltungen gerichtet ist, wobei 
die über die ganze Erdtläche verbreiteten Difflugien-Formen in reichere 
Übersicht gebracht sind. 

21. Da bei diesen Untersuchungen die Grenzen des kosmischen 
und terrestrischen Gebietes in den Vorstellungen schon viele Veränderun- 
gen erlebt haben, so darf ich nicht unterlassen, aufser dem eisenhaltigen, 
von Arago für kosmisch gehaltenen rothen Luftstaube, auch die bei 
(alle zweifelhaft gebliebenen kosmischen kohlenstoffhaltigen Gallerten 
weiterer Prüfung zu empfehlen. Es wird schon nichts übrig bleiben, um 
der Wissenschaft ihr Recht zu thun, als alle kohlenstoffhaltigen Verhält- 
nisse kosmischer Meteorkörper nicht nur chemisch sondern auf das schärfste 
mikroskopisch zu prüfen, da ja bekannt genug ist, dafs die schwarze Kohle 
in ihren Crystallen als Diamant farblos und völlig durchsichtig ist. Ob 
es bald gelingen wird als Feuerkugeln herabgefallene Gallerten durch zufäl- 
lises Auffangen auf Leinwandbleichen oder auf Schnee so rein zu erhal- 
ten, dals eine feine mikroskopische Analyse ein unbedingtes Urtheil er- 
laubt, muls günstigen Bedingungen anheimgestellt bleiben. Die Vorstel- 
lung, dafs organische Verhältnisse sich erst in der Atmosphäre der Erde 
zu Meteoriten gesellen und sich mit ihnen verschmelzen könnten, wird 
eine jedenfalls wichtige, wohl nur durch das Mikroskop zu entscheidende 
Aufgabe späterer Zeit sein. 

22. Da auch die Vorstellungen der Urkohle als Graphit schon 
vielerlei Schwankungen unterworfen waren und bei der Moya sich aufläl- 
lig umwandelten, so darf die Beobachtung vor immer weiteren Analysen 
nicht zurückschrecken, so sehr auch bis jetzt, da die Grenze gesetzt er- 
scheint, wo die Atmosphäre der Erde noch die Bildung von Lämmer- 
wölkchen erlaubt, welche sich nach Humboldt an den Polen magnetisch 
reihenweis ordnen und das Substrat des Nordlichtes bilden. 

23. Die wirkliche Durchdringung des Luftkreises und Äthers 
von gesichertem organischen Leben hat sich weder bisher m Linne's 


Sinne noch in dem Nees von Esenbeck’s durch fortwährende spontane 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 137 


unvollkommene Erzeugung aus den in der Luft schwebenden amorphen 
Elementen nachweisen lassen. Es ist vielmehr das, auch in den „Ansich- 
ten der Natur“ von Humboldt aufgenommene Resultat der schärfsten 
Untersuchung gewesen, dals unermefsliche, oft lange Zeit scheintodte 
Lebensformen bis in grofse Höhen der Atmosphäre aufsteigen und von 
Zeit zu Zeit durch Zurücksinken mit Thau und Regen zur feuchten 
Erdoberfläche ihre besonderen Kreisläufe abschlielsen, um sie von Neuem 
zu beginnen. Daher kommt es, dafs im Regen der unteren Wasserdampf- 
wolken zuweilen volles Leben erkennbar geworden, welches in einzelnen 
Regentropfen zu beobachten stets weit seltener möglich war. 

24. Während die grofsen Massen der in die Luft geführten Ver- 
brennungsproduete und vulkanischen Aschen nur selten im atmosphäri- 
schen Staube erkennbar geworden sind, hat sich die Kenntnifs des selbst- 
ständigen unsichtbaren Lebens in den Unterlagen der Moose bis in die 
Kronen der Waldbäume in beiden Hemisphären erläutern lassen. Die un- 
sichtbaren betreffenden kleinen Organismen sind als vollkommen zu ihrer 
eigenen Erhaltung und Fortpflanzung organisirte, selbstständige Wesen 
darstellbar geworden, und ihre Verbreitung bis in die höchsten kalten 
Alpenpässe des Himalaya aufser Zweifel gestellt. Mithin ist dieses Be- 
reich des Lebens seit den letzten dreifsig Jahren, wie auch in den geo- 
logischen Kreisen der festen Erdmasse die Bacillarien-Gebirge in Mexiko 
und Californien bekunden, nicht abgeschwächt, sondern einer immer 
größseren Theilnahme würdig und empfehlenswerth geworden. 

25. Wie sehr das so wichtige chemische Resultat, wonach in den 
wahren Meteoriten nur terrestrische Elemente und auch nur aus solchen 
Elementen zusammengesetzte terrestrische Mineralien nachweisbar ge- 
worden sind, des Kohleneinschlusses halber auch organische Verhältnisse 
mit verstärkter Sehkraft aufzusuchen nothwendig macht, wird die künf- 
tige Forschung beschäftigen. 

26. Die vorliegenden Verzeichnisse des rothen Passatstaubes 
ergeben mit denen von 1847 zusammen einen Reichthum von 
460 Arten organischer, dem natürlichen Auge ganz entzogener Formen. 
Hierzu tritt noch der oben erwähnte, auf Dächern, Thürmen und in 
den Baummoosen der hohen Waldbaumstämme bis auf die höchsten 
Alpenfelsen abgelagerte, nicht hier, aber in den Monatsberichten tabella- 


Phys. Kl. 1871. 18 


> 


138 Enkenserg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


visch verzeichnete organische Lebensgehalt, dessen Erweckung in thätiges 
Leben oft leicht gelingt. Beides zusammen bildet die nicht mehr hypo- 
thetische, sondern nachgewiesene unsichtbare Belebung der Atmosphäre. 
Die sämmtlichen Formen der früheren Passatstaub-Analysen sind 1847 
abgebildet, und die neuesten wurden in genauen, mit jenen ersten gleich- 
artig vergröfßserten Zeiehnungen vorgelegt. Beides zusammen bildet mit 
der in der Mierogeologie gegebenen Übersichtstafel eine Grundlage von 
Abbildungen, welche sorgfältiger Forschung nützlich sein wird. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 


formen. 


139 


Erklärung der Abbildungen. 


Tafel I. 


Sämmtliche Figuren sind bei 300 maliger Diameter-Vergröfserung nach der Na- 
tur gezeichnet und beziehen sich auf die im Vortrage verzeichneten neuesten Passatstaub- 
Bei dieser Tafel ist besonders die Erleichterung der Vergleichung der 285 
Formen mit einander beabsichtigt, wozu auch der unten befindliche Maafsstab, wie in 
der Microgeologie, beigegeben ist. 


Ispahan am 3. Mai 1870. 
Text p. 80 u. Tabelle. 


. Gallionella granulata 


tenerrima 
distans? 
Fragilaria Rhabdosoma 


pinnata? 
Eunotia gibberula 


amphioxys 


. Navicula obtusa 
. Pinnularia aequalis? (cfr. P. am- 


phioxys) 


. Synedra rostrata 


Entomon 


. Campylodiscus Clypeus? Fragm. 
. Lithodontium Aculeus 


emarginatum 
Platyodon? 

Bursa 

Jurcatum? (Platyodon?) 
Scorpius? 


9. Lithostylidium angulatum 
21. 


Clepsammidium 
— curvatum 
clavatum 


Amphiodon 


Fig.25 


. Lithostylidium Emblema  (cfr. 1847 
Taf. Il. ı. Fig. 48.) 


— 26. 27. — Serra? 

— 23. 29. — Amphiodon 

— 30. 3l. — denticulatum 

— 32.33. — irregulare 

— 34. — quadratum? 

— 35. — falcatum (Abh. 18383) 

— 36. 37. — sinuosum 

— 38. — spiriferum (efr. L. an- 
nulatum) 

— 39. Taurus (cfr. Abhandl. 
13847. Taf. IV. A. 
Fig. 65.) 

— 40. — rude 

— 41. — denticulatum 

— 42. Lithochaeta laevis 

— 43. Lithostylidium Pes? 

— 44. Lithomesites? 

— 45. weicher gelblicher Pflanzentheil 

— 46. zweitheiliger gelblicher Pflanzensame 

— 47. Lithomesites? (Lithostyl. Serra?) 

— 48. Spongolithis Tridens? 


49. 


acicularis? 


18* 


140 Enurengerg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


Fig. 1. 


— 3 
— 4.6. 


— 24. 


— 26. 
— 27. 
— 28. 
— 29. 
— 30. 
— 31. 
— 32. 


— 33. 


— 34. 


— 36. 


— 37 


Dardanellen bis Sieillien am 23. 24. März 1869. 


Die einzelnen hierzu gehörigen Örtlichkeiten dieses wichtigen Staubfalles sind in der 
Tabelle und im Text p. 60 gesondert verzeichnet. 


2. Gallionella lirata 

— granulata 

_ procera 

— decussata 

— tenerrima 

_ distans 

crenata (cfr. @. granulata) 

= crenata 

—_ distans 

. Discoplea atmosphaerica (ob Gallio- 
nella?) 

= venusta 

(efr. D. atmo- 
sphaerica) 

— atmosphaerica 

— sinensis 

. Gallionella? 

. Coscinodiscus? 

. Eunotia amphioxys 

— longicornis 


— venusta 


...—— giübberula 
25. — Argus 
— Argus (ob E. Textricula?) 
Climacidium Triodon 
Eunotia Cygnus 
Campylodiscus Clypeus 
Pinnularia gibba®? (efr. P. decurrens) 
Cocconema Lunula 
Pinnularia? 
Navicula fulva 
35. Fragilaria pinnata 
_ vulgaris 
. Synedra Entomon 


— 533. Assula aspera umbonata 


— 39. Lithodontium emarginatum 
— 40-42. — Bursa 

— 43. — triangulum 
— 44. —_ Aculeus 


Fig.45. Lithodontium rostratum 


46. —_ Furcatum 

47-49. Lithostylidium annulatum 

50 -52. — Amphiodon 

53% E= Serra 

54. 5. _ Clepsammidium 
56 -58. n— biconcavum 

59. _ Clepsammidium 
60. _ clavatum 

61. — curvatum 

62. _ clavatum 

63 - 65. _ crenulatum 

66. Amphidiscus truncatus 

67. —_ —  # tenuis 
68. _ — 2 dentieulatus 


69. Lithostylidium Diceros n. sp. 


70-72. — denticulatum 


73. _ Diceros n. Sp. 

74. —_ Rectangulum 

75. — Emblema 

76-78. — Formica 

19. = Hemicyclus n. sp. 
80. _ irrequlare 

81. _ laeve 

82. 83. — obligquum 

34. Z— — 2 asperum 
85. Lithostylidium Piseis (efr. L. Taurus) 
36. _ Pes 

87. — quadratum? 

88. _ obliquum 

89. —_ curvatum 

9. — Rhombus 

91. 92. — ventricosum 

93. _ unidentatum 

94. — Trabecula 

95. E= rude 


96.97. Lithomesites ornatus & 
98. Lithostylidium unidentatum 


das von der Atmosphare unsichtbar getragene reiche organische Leben. 141 


Fig. 99. 100. Lithostylidium sinuosum Fig. 115. Spongolithis flexuosa 

— 101. 102. _ Serra — 116. _ aspera? 

— 103. Textilaria globulosa — 11% — Rectangulum n. Sp. 
— 104. Rotalia aspera — 118. _ obtusa? 

— 105. Rotolia? — 119. Lithasteriscus? 

— 106. @uttulina meteorica n. sp. oben — 120. — irregularis 
— 10. — —_ unten — 121. Pflanzenzellgewebe 

— 108. Spongolithis septata? — 122. braune Pflanzenzellen 

— 109. —_— aspera — 123. Polythalamien-Fragment 
— 110. — Clavus? — 124. sternförmiges Pflanzenhaar 
— 11 — canaliculata — 125. poröse Fichtenholzfaser 

— 112. _ obtusa — 126. Kalkspath-Crystall 

— 113.114. — acicularis 


Apulien 1868. 
Text p. 83 und Tabelle. 


Fig. 1. Campylodiscus Clypeus Fig. 14. Lithostylidium Rectangulum 
— 2. Spongolithis aspera — 15. — conieum 
—E> _ fistulosa — 16. _ Securis 
— 4. Eunotia Argus — 17. —_ erenulatum 
— 59. — _ zebrina — 18. u Ossiculum (Amphid. 
— 6. Assula aspera umbonata truncatus) 
— 7. Sporangium? braun (Gliederfaser) — 19. Gallionella granulata 
— 8. Lithostylidium Rectangulum — 20. E= distans 
— 9. 10. = erenulatum — 21. _ procera 
— 11. Synedra®? Fragment — 22. _ decussala 
— 12. Cocconema cornutum (C. gracile) — 23. —_ lirata 
— 13. Eunotia Mosis? — 24. _ lenerrima 

Janina am 13. April 1870. 

Text p. 87 u. Tabelle. 

Fig. 1. Synedra Entomon Fig. 12. Campylodiscus Clypeus Fragm. 
— 2.3. Navicula Semen — 13. Lithostylidium Serra 
—_— 4 — undosa — 14. — crenulatum 
— 5. Stauroneis constrieta — 15. Lithodontium furcatum 
— 6. Gallionella granulata — 16. Spongolithis obtusa? 
ih — procera — 17. Lithomesites ornatus 
Ta [ei _ distans — 18. Spongolithis fistulosa Fragm. 
— 9.10. Discoplea atmosphaerica — 19 — acicularis 


1l. Fragilaria? (Grammatophora?) 


142 Eurengere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


Isola di Sora 10. März 1869. 


Text p. 68 u. Tabelle. 


Fig. 1.2. Gallionella granulata 
— tenerrima — 


| 
Be 


Navicula dicephala _ 

— undosa _ 
Eunotia Argus? _ 
. Achnanthes? E= 
Eunotia amphioxys — 


| 
En 
un 


| 


e 


— 10. Pinnularia borealis E 
— 11. Campylodiscus? Fragm. —_ 
— 12.13. Lithostylidium Clepsammidium 


Schweiz am 15. Januar 1867. 


Fig. 14. Lithostylidium obliquum 


15. Amphidiseus truncatus 


16. Lithostylidium sinuosum 


lcie 
18. 


19-21. — 
22. Lithodontium rostratum 


23. 


dentieulatum 
Triceros? (Lyon 1846) 
‚Securis 


Jurcatum 


24. Lithomesites Pecten 


Die drei analysirten Örtlichkeiten dieses Staubfalles finden sich in der Tabelle und 
Text p. 72. 


Fig. 1. Discoplea atmosphaerica 

— 2. Gallionella distans — 14.15. _ 
— 3 —— procera — 16. 

— 4. Nawicula Semen — 17. 

— 5). — biceps — 18. 

— 6. Raphoneis? — 19. 

— 7. Fragilaria® (Sıymedra?) _ 


— 8. Tabellaria Venter —_ 
— 9. Eunotia amphioays — 
— 10. Synedra Ulna e— 


— 11. Lithostylidium angulatum (L. denti- — 
culatum) = 
— 12. = crenulatum — 


Verschiedene Passatstaubformen. 


20.21. _ 


22. 
23. 
24. 
25. 
26. 
27: 


Fig.15. Lithostylidium Ossieulum 


Pes 

biconcavum 
Clepsammidium 
irregulare 
Fusiforme? 
erenulatum 


Lithodontium furcatum 


rostratum 


Lithostylidium sinuosum 


Serra 


Amphidiscus Marti 


weicher Pflanzentheil (Samenstaub?) 


Da es nicht nothwendig ist, dals von allen einzelnen Passatstaubverhältnissen 


sämmtliche Formen immer abgebildet werden und nur besonders auffällige und lehr- 


reiche Verhältnisse dies wünschenswerth machen, so sind von den neueren übrigen 


Staubfällen nur einige besondere Formen anschaulich zu machen, während die grolse 


Mehrzahl in den schon gegebenen Abbildungen mehrfach dargestellt ist. 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche orgamische Leben. 145 


Fig. 1. Rhaphoneis? (efr. Surirella) vonPalma Fig. 9. Synedra Entomom. Rom 1864. 


— 2. Biblarium? Palma — 10. Naviceula biceps 

— 3. Gallionella granulata — 11. Eunotia Monodon 

— 4. — distans | — 12. Lithostylidium Cauda Draconis. Ningpo 
—5 — decussata Palma — 13. 14. Amphidiseus truncatus 

— 6 - lirata | — 15. — chinensis. Ningpo 
— 1. —_ procera — 16. Lithostylidium spiriferum 

— 8. @omphonema gracile. Palma — 17. Lithodontium furcatum 


Tafel 1. 


Die Abbildungen dieser zweiten Tafel sind aufser den beiden untersten grolsen 
Morpholithen und den schematischen Eisenformen schon in den Jahren 1848 bis 1859 
von mir ebenfalls bei 300 maliger Diameter-Vergrölserung nach der Natur gezeichnet, 
nur die mikroskopischen Morpholithe sind jetzt unter meiner Anleitung hinzugefügt worden. 


Mikroskopische Baumfauna. 


Oberhalb sind von der Atmosphäre getragene und auf Baummoosen abgelagerte, 
nicht dem Passatstaub angehörige, unsichtbar feine Organismen von Venezuela und 
Berlin, besonders in ihren ausgezeichneten, öfter generisch neuen Formen dargestellt. 


A. Venezuela. 


Fig. 1. 2. Stauroptera dendrobates Fig. 27. Difflugia collaris 

— 3.4. Liparogyra circularis _ 23. — Dryas 

— 5-8. _ dendroteres _ 29. — squamata 

— 9. Einzelglied v. L. dendroteres —_ 30. — longieollis 

— 10. 11. Discoplea dendrochaera — 31. Arcella caudicicola 

— 12-16. Stephanosira epidendron — 32. Lithostylidium caraccense 
— 17-20. == Hamadryas — 33. 34. — spiriferum 
— 21-25. Porocyelia dendrophila _ 35. —_ hispidum 
— 26. Difflugia reticulata — 36. — apicatum 


B. Berlin. 


Fig. 1-3. Bursaria triquetra Fig. 7-10. COyelidium arborum 
— 4-6. — arborum — 11. Trachelius dendrophilus 


Die terrestrischen Arcellinen. 


Als zweite mittlere Gruppe ist eine Zusammenstellung zahlreicher Gestaltungen 
der Difflugien gegeben, welche ein reicher Bestandtheil der Polygastern-Classe und speciell 


144 Eunenpera: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


der Arcellinen-Familie, als schaalenführende Amöbeen, von mir verzeichnet sind. Es sind 
im Ganzen in der Mierogeologie, in den Abhandlungen und Monatsberichten seit 1830 
I15 Arten dieser Formen von mir beobachtet und namentlich aufgeführt. Von den 
Gattungen Arcella und Diflugia sind in den Passatstaubverhältnissen 1847 und 1871 
1? Formen beobachtet worden. So schien es denn angemessen die auffälligsten dieser von 
mir verzeichneten Formenarten der ganzen Erdoberfläche vor Augen zu stellen, um die 
atmosphärisch getragenen dadurch zu erläutern. Von den 115 Formen-Arten sind fol- 
gende 23 in den verschiedenen Erdtheilen am zahlreichsten vertreten und können mithin, 
da mehrere von ihnen auch in dem Meteorstaube der Atmosphäre aufgefunden worden 
sind, als eosmopolitisch angesehen werden, wie folgendes Verzeichnils angiebt. 


Mg. — Microgeologie 1854. Ab. — Abhandlungen d. Akad. 1841. 
Inf. — Infusionsthierchen 1838 und * bedeutet die Abbildung. 


5 & ae 
ce Se 
u ee En e | KR: 
1. * Inf, Arcella aculeata . » . + + + ar Er 
23, Mg mstrialanı Auen ld Ar + |) + + ar er 
3, * nE — dental en —_ + _ uu + 
4. * Mg 2 — HEnchelys (hyalina) . .| + + + a u I „<= 
5. Na. — - 8 dilatata . .| — — + = ae 
6. *Ng — veoms neo + 1 + os au 
.*M& 39 — M@lobulus. | + je Ar a 
3... Ng 7 —  gramlata . 2: 2. . | — | BER I Ne r SE ae 
9,*Me. — Megastoma . » x. _ + + - 
10. * Mg. —  reticulata => + — 2r> ch EL 
11. * Ma — valganis co. N + | + + ee a ul 
12. * Mg Difftugia areolata . » | + | Fb | +1 + 
13, * — assulata Taf. Il. Fig.4.5.| — | + — ur ‚A 
a —  cancellata Taf. II. Fig.3.| — ers _— | + >] 
15, ° — ciliata Taf, II. Fig. 26. .| + | + a, | ee u 
16. * Ab. — Lagnma .» x ss sh — | + + | #+ | 
17. Me. — laws. 2 22. .| + + + — + | 
18. * Mg. — "TDiostonma , 2. N + + En I | 
19. * Mg. — Dligedon . . 2... + + + => ar Su 
20. * Inf. — proteiformis © x 2. .]| — + AN . 
21. * Me. — Seminulum -.: x sh + + u | N a 
22. Me. 3 — stridlata » x x... | + a Es lVE 
3393 — tessellata Taf. Il. Fig. 32. | — | + rn + 


das von der Atmosphäre unsiehtbar getragene reiche organische Leben. 145 


Aufser den hier verzeichneten 10 im Passatstaub beobachteten Formen gehören 
noch zu diesen Difflugia cellulosa, die nur in Asien und Amerika und Arcella costata, 
welche noch in keinem terrestrischen Oberflächenverhältnifs aufgefunden worden ist. 
Beide sind 1847 und in der Mierogeologie abgebildet. Die sämmtlichen hier abgebildeten 
Difflugien, mit Einschluls der in Venezuela vom Luftstaube getragenen, beziehen sich auf 
die in den Monatsberichten und in der Mierogeologie verzeiehneten Örtliehkeiten. Viele 
der hier nicht abgebildeten Arten der Arcellinen sind schon in der Mierogeologie 1854, 
in den Abhandlungen 1847, 1558 und 1869 und in dem Monatsberichte 1856 abgebildet, 
welche daselbst verglichen werden können. a 

Zugleich wird hierbei anschaulich, dals die unter dem Namen Assula bei den 
Phytolitharien verzeichneten Körperchen, deren Ursprung bisher unbekannt war, mög- 
licherweise als Bruchstücke von Difflugien-Panzern sich zu erkennen geben. 

Über die Systematik und speeielle Diagnostik der sämmtlichen Formen, welche 
hier zu umfangreich sein würde, ist mir vielleicht vergönnt in den Monatsberichten der 
nächsten Monate Weiteres mitzutheilen. Vielleicht finden auch meinen Anschauungen be- 
freundete Forscher in dem hiermit gegebenen Hinweis auf die übersichtliche Nutzbar- 
keit der Microgeologie einen weiteren Vortheil für ihre eigenen Studien. 

Da man, von meinen Anschauungen abweichend, die Difflugien auch Rhizopoden 
und loraminiferen genannt hat, so ist nur noch daran zu erinnern, dals mehrere Arcel- 
linen und auch Difflugien, als gepanzerte Amöbeen, durch Indigo-Futter in ihrem poly- 
gastrischen, von dem der Polythalamien sehr verschiedenen Bau erläutert worden sind. 
Von den hier abgebildeten ist nur Difflugia Schwartzii von der Insel St. Paul mit einer 
verschluckten Nasieula gesehen worden. 1838 (Infusionsthierchen) wurde Arcella vulgaris 
mit vielen Indigo Zellen und Navieulis und 1341 (Abhandl. Taf. IV Fig. 34 und 36) Dif- 
flugia acanthophora und Arcella hyalina (= Enchelys) mit verschluekten Navieulis abgebildet. 
Fig. 1. Difflugia Gillo. Costa Rica, Microg. p. 365. 


_ % u Lagena. Siwah, Libyen. Microg. p. 198 cfr. Okak, Labrador. Ab- 
handl. 1541. p. 415. 

—_ 3. _ cancellata. Libanon, Bischerre aus Polytrichum.  Monatsb. 1848. 
p- 579. 

— 4.5. - assulata. Libanon, Bischerre aus Polytrichum. Mierog. p. 43. 
Fig. 5. auch aus Guyana Roraima. 

— 6.7. —_ Pila. Libanon, Harissa. Mierog. p. 41. 

8. -- Cueurbitula. Altai aus Swertia. Mierog. p. 98. 

— 9 — Phiala. Cap Horn. Microg. p. 288. 

— 10. - hermitana. Cap Horn. Mierog. p. 238. 

— 11. —  antarctica. Cap Horn. 

— 12-14. — Frauenfeldii, St. Paul. Süd-Ocean. Monatsb. 1861. p. 1102. 

— 15. _ Schwartzü. St. Paul. Monatsb. 1861. p. 1102. 

— 16. toberti Müller. St. Paul. Monatsb. 1561. p. 1102. 

ra — Battloggi. St. Paul. Monatsb. 1861. p. 1102. 

— 18. eylindrica. Nicobaren, Oatchull. Miecrog. p. 172. 241. 

— 19 — Fallax. Nicobaren, Catchull. Mierog. p. 172. 

— 20 missouriensis. St. Louis aus Myriophyllum. Mierog. I. 1856. p. 51. 


Phys. Kl. 1871. 19 


146 Eurexgere: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


Fig. 21. Difflugia Carpio. Indien, Nilgherri. Microg. p. 119. (aus Süd-Amerika Mierog. 
p- 331.) 


— 22.23. — binodis. Guyana Roraima. Microg. p. 331. 

— HR, = purpurescens (roth). Guyana Roraima. Microg. 1854. p. 331. 

— 2. — Roraimae. Guyana Roraima. Microg. p. 331. 

= 2/68 _ eiliata. Indien, Canara. Monatsb. 1548. p. 379. 

— 27a.b. — Carpio. Indien, Canara. Microg. p. 117 und 121. 

— 28. —  pilosa. Capverden, St. Antonio. Microg. p. 278. 

— 99: _ azorica. St. Micha@l, Azoren. Mierog. p. 278. 

— 380. - setigera. Indien, Pondichery. Mierog. p. 121. 

a3 — strigosa. Neuholland, Plantagenet. Microg. p. 12. 

— 32. — tessellata. Cap der guten Hoffnung, aus Eriocaulon. Mierog. p. 253. 
— 33. —  capensis. Cap der guten Hoffnung, aus Wurzelerde von Scleria. 

— 34. _ Hartmanni. Sennäar. Reise des Baron von Barnim 1863. Anhang 


p- 79. 


Morpholithe, Schein-Örganismen. 
Pseudozoen, Bildsteine, Steinpüppchen. 

Die dritte Gruppe dieser Tafel stellt unorganische Morpholithe oder jene Schein- 
Organismen dar, welche 1840 (Monatsb.) von mir erläutert wurden und die der verdiente 
Physiker Parrot als grofse nackte Mollusken unter dem Namen einer /matra-Familie dem 
Thierreiche zuzugesellen sich veranlasst fand. Da auch von einem geübten mikroskopischen 
Beobachter 1851 mikroskopische Gestalten dieser, den Morpholithen zugehörigen Körper, im 
Meteorstaube von Jrkutzk als Polythalamien verzeichnet und abgebildet worden waren, 
so veranlafste mich schon 1854 diese Schwierigkeit die ganze Gruppe der Morpholith- 
bildungen am Schlusse der Mierogeologie auf besonderer Tafel in Übersicht zu bringen 
(vergl. den Abschnitt über die Morpholithe). Die hier gegebenen Abbildungen sollen jene 
Reihe nur in ihren ausgezeichneten Formen weiter vorlegen, besonders auf die Elementar- 
Substanzen aufmerksam machen, aus denen sie durch die morpholithische Naturkraft sich 
bilden und deren genetische Gestaltung erläutern. Es sind deshalb die beiden unteren, 
nicht mikroskopischen, grolsen Gestaltungen in halber natürlicher Gröfse zur Ver- 
gleichung zugefügt, welche sich denen in der Microgeologie auf Taf. XL in natürlicher 
Grölse abgebildeten anschliefsen. Dafs die morpholithischen Elemente der Schreibkreide 
im gröfsten Maalsstabe als Coceolithe von übrigens verdienten Zoologen zum Thierreiche 
gestellt worden sind, ist in Abschnitt VIII weiter erläutert. 

Im vorigen Jahre hat Prof. Vogelsang in Delft die Morpholithe als Globulite, 
Margarite, Longulite und als Crystallite wieder in Betrachtung gezogen und auch in 
der von mir 1540 angezeigten verlangsamten Bildungsmethode manchen Aufschlufs er- 
halten. Die von ihm in den Schlacken nachgewiesenen auffälligen dendritischen Gebilde, 
welche auch schon für Organismen angesprochen worden sind, lassen sich mit den Mor- 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche orgamische Leben. 147 


pholithen nicht direct vergleichen, weil sie durch Feuereinwirkung zu Stande gekommen 
sind. Schon 1836 wurde von mir in Poggendorff’s Annalen Taf. I. Fig. IX. die durch 
die Porzellan-Ofen Hitze im Porzellan sich gestaltende, reihenweise Körnchenbildung be- 
sprochen und abgebildet, welehe wohl als genetische Grundlage solche Gestaltungen 
mit vermitteln mag. 

Bei den Morpholithen ist nur noch als characteristisch hervorzuheben, dals die- 
selben in ihrer Bildung als eine fortschreitende weiche Masse erscheinen, aber auch im 
frischen Zustande niemals an ihren Oberflächen weich, sondern stets überall so hart wie 
Crystalle sind, dafs aber von Crystallisations-Faserung noch niemals eine deutliche Vor- 
stellung gewonnen werden konnte, wodurch die bekannten strahligen Kugelgestalten sich 
von den nicht strahligen Morpholithen scheiden. 


1. Meteorische, d.i. atmosphärisch getragene Morpholithe. 
A. Kalk-Morpholithe. 


Die Figuren I—1l1l sind unter meiner Anleitung aus dem Meteorstaube von 
Jrkutzk, in dem sie schon 1849 als solche angezeigt worden waren, in Abbildung darge- 
stellt worden. Zur Vergleichung sind die 5 mit Buchstaben verzeichneten Formen der 
unteren Reihe aus den Petersburger Bulletins 1851 copirt und hinzugefügt, welche bei 
Weisse die Vorstellung von Polythalamien erweckt hatten. 

Fig. 1—3. sind einfache, monomorphe, Kugel- und stärkmehlartige Augenbildungen. 

Fig. 4—8. sind doppelte, eladomorphe, Brillenbildungen, Fig. 4 und Fig. c. der unteren 
Reihe sind Kuastrum-artige Scheinorganismen, die Figg. 6. 7. zeigen einen stark 
welligen Rand, dessen massige, nicht hohle, Bildung nicht die Vorstellung einer 
Rotalie geben darf. 

Fig. 9—11. sind vielästige Kalkpüppchen und zeigen die Ränder mehr oder weniger 
wellig, Polythalamien-artig. 

Die von Weisse gezeichneten Formen sind folgende: 

Fig. a. Zwillingskugel, cladomorph oder ästig, mit unklar strahliger Mitte, mir aber nicht 
vorgekommen. 

Fig. b. Augenkette, Schein-Nodosaria, mit einer seitlichen Knospung. 

Fig. e. Schein-Zuastrum. 

Fig. d. Schein-Glandulina. 

Fig. e. Schein-Rotalia. 

Es ist unzweifelhaft, dafs diese, nach Art der verästeten Dendriten-Crystalle sich 
gestaltenden Fortbildungen alle Arten von Polythalamien in soliden unorganischen Massen- 
bildungen, welche niemals Zellen sind, nachahmen können, so dafs man Textilarien u. s. w. 
bei weiteren Forschungen zu erwarten hat. Auch mögen schon die als Amylum von 
verschiedenen Beobachtern im Luftstaube angezeigten, mit coneentrischen Ringen ver- 
sehenen ‚Körperchen genauer zu prüfen sein, ob sie durch Säure mit Blasenbildung 
auflösbar, also Kalk sind. 


192 


148 EurEnBErg: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über 


B. Eisen. 


Es werden hier die 1856 meteorisch auf ein amerikanisches Schiff im Süd-Ocean 
gefallenen hohlen Eisenbläschen in ihren morpholithischen Gestaltungen in Erinnerung 
gebracht und auf ihre specielle Erläuterung in den Monatsberichten 1858 hingewiesen. 
Fig. 1. ist die natürliche Gröfse jenes, dem Magnete folgenden, schwarzen Eisenstaubes. 
Fig. 2. ist eine schaalenförmig gebildete Kugel, von denen die meisten einen in Fig. 3. 

sichtbaren, stachelförmigen Anhang führen, Stilkugel. 


Fig. 4. ist länglich, in der Mitte eingeschnürt, nach Art der Brillensteine. 
Fig. 5. ist nierenförmig, nach Art der Nierensteine. 
Fig. 6. ist flaschenförmig. 


Die letzteren 5 Figuren sind schematisch hier dem Raume angepafst, aber in dem 
Monatsberichte 1858 nach gemessener Vergröfserung abgebildet worden. Ob meine frühere 
Vergleicehung derselben mit den Kügelehen der im Sauerstoff Funken sprühenden Stahl- 
feder vergleichbar sind, wie Reichenbach später weiter ausgeführt hat, oder ob sie den 
vorigen meteorischen Kalkmorpholithen enger anzureihen sind, muls jetzt dahingestellt 
bleiben, verdient aber in Erinnerung gehalten zu werden. 


II. Terrestrische Morpholithe. 


A”. Feuersteinpüppchen von der Insel Pöhl bei Wismar, mit zwei gekreuz- 
ten Axen und schnabelartiger, rechtwinklig vortretender neuer Axenbildung. Die augen- 
artigen Punkte sind zufällige kleine Vertiefungen. An der Schnabelspitze und anderwärts 
ist zu sehen, dals die Masse eine schwarze, an den Bruchrändern durchscheinende 
Feuersteinmasse mit einem grauen Verwitterungsüberzuge ist, welcher mit Säure nicht 
braust. Die Gröfse der Abbildung stellt die Hälfte der natürlichen Gröfse dar. Die auf- 
fällige, etwas abenteuerliche Sphinx-Gestalt schliefst sich an ‚die vogelartige Gestaltung 
der Tunaberger Thonmergel-Morpholithe an. Belemnites mucronatus fand sich gleichzeitig. 

B*. Thonmergelpüppchen. Dieser 74 Zoll grofse Thonmergel- Morpholith 
wurde bereits im Jahre 1840 der Akademie mit vorgelegt (Monatsbericht p. 144), ist 
aber noch nicht abgebildet worden. Er ist deshalb hier dargestellt, um die Entwicklung 
soleher Formen aus mikroskopischen Elementen anschaulich zu machen, da die 
Figuren 6—8. der meteorischen mikroskopischen Kalkbildungen ihn augenscheinlich er- 
läutern. Derselbe ist aus 8—9 Bildungeentris a bis % dendritisch zusammengesetzt, ist 
an seiner Oberfläche rauh, sandig, von Farbe dunkelgrau und stammt nach Krantz aus 
Bergkalk in der Nähe von Dublin. — 

In den Passatstaubverhältnissen sind aulser den hier angezeigten mikroskopischen, 
noch scheibenförmige Kalkmorpholithe angezeigt, welche den Schreibkreide-Morpholithen 
verwandt, aber durch ihre Gröfse und völlig runde Gestaltung verschieden sind. Aufser 
diesen Kalkmorpholithen sind noch diejenigen Körperchen aus Kieselsubstanz in Erinnerung 
zu erhalten, welche als Lithasteriscus im Meteorstaube von 1803, 1330, 1846, 18347, 1848, 
1349 und 1869 unter den Phytolitharien verzeichnet worden sind, wie auch die sämmtlichen 


das von der Atmosphäre unsichtbar getragene reiche organische Leben. 149 


Spongolithe und auch viele Poolithe eine selbstständige Fortbildung, oft weit über die Gren- 
zen der Zellbildung hinaus, in gesetzmäfsigen Zwillingsbildungen erkennen lassen. Wer 
sich den Keppler’schen Poesien über die Weltwolken und die Coneretionen der Himmels- 
körper aus feinen materiellen Stoffen hingeben will, dem wird die Morpholith-Bildung, 
wozu erfahrungsmälsig der Luzerner Drachenstein und die pyramidalische Gestaltung 
der Meteorstein-Fragmente nach Schreibers gehören würden, ein Anhalten geben, von 
welchem die ruhige Naturforschung bis heut keinen Gebrauch machen kann. 


150 


EuresBer: Übersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen ete. 


Imıhraulktz 


Jetziger Stand der Kenntnisse. pag. 1. 


. Historische Nachträge. pag. 14. 
. Neue Beobachtungen. pag. 60. 
. Tabellarische Übersicht aller organischen Formen des rothen, seit 1847 (1849) 


analysirten Staubes. pag. 93. 


. Über den beobachteten Gehalt des wirklichen, unsichtbaren selbstständigen Lebens 


der Atmosphäre. pag. 97. 


. Schädliche organische Atmosphärilien. pag. 105. 
. Sonderung der Atmosphärilien in schärfere Gruppen. pag. 110. 
. Über morpholithische Schein-Organismen der Atmosphäre. pag. 115. 


Über die atmosphärischen Grenzen des Passatstaubes und des organischen Lebens. 
pag. 120. 
Wünsche für weitere Forschungen. pag. 125. 


. Schlufs-Übersicht. pag. 129. 
. Erklärung der Abbildungen. pag. 139. 


His aliquid forma sentio majus inest. 


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Im. Ehrenberg:s Abh. Phys ilasse 1871. 


Jspahan 1870. 


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Dardanellen bis Sieilien 1869. 


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Janina 1870. . 


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Verschiedene 


Die terrestrischen Arcellinen. 


Mikroskopische Baumfauna. 


4A. Venezuela. 


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Zu Hm.Ehrenbergs Abh.Phys-hlasse 1871. 


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unbergs Abh.Phyys.Klasse 1071. 


B. Eisen 


Gm. 0. 0.6.u.Gara Ehrenborg 


Über 
die Lehre vom Metamorphismus und die Entstehung 
der krystallinischen Schiefer. 


Von 


v 
H= ROTH. 


[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 15. December 1870 und am 6. März 1871.] 
Erster Theil. 


D. Lehre vom Metamorphismus gehört zu den in der Geologie am 
häufigsten abgehandelten, aber defswegen keinesweges zu den klarsten. 
Schon um defswillen, weil darunter die verschiedenartigsten Dinge zu- 
sammengebracht werden und dann, weil der Metamorphismus mit den 
letzten und schwierigsten Fragen der Geologie in inniger Verbindung 
steht, mit den Ansichten über die ersten Anfänge der Erde. 

Man hat häufig die Bezeichnung Metamorphismus auf die Verän- 
derungen ausgedehnt, welche das einzelne Mineral erfährt, so z. B. auf 
die Verkieselung der Gryphaeen, hier ist jedoch nur der Metamorphismus 
der Gesteine in Betracht gezogen. Auch bei diesem wird der Begriff 
bald in einen sehr weiten bald in einem engeren Sinne gebraucht. Nimmt 
ihn Durocher sehr weit (Bull. geol. (2) 3. 546. 1846), der darunter 
„ensemble des effets de transformation, de modification de nature ou de 
texture, qwont eprouves les roches“ begreift, so umfalst nach Studer 
(Lehrb. phys. Geogr. und Geologie 2. 116. 1847) „Metamorphismus im 
weiteren Sinne alle die Einwirkungen, welche durch andere Kräfte als 
Schwere und Cohäsion auf die Gesteine ausgeübt worden sind. — Meta- 
morphismus im engeren Sinne beschränkt sich auf die Umwandlungen 
der Gesteine, welche nicht durch Einwirkung der Atmosphäre oder des 
Wassers auf die zu Tage liegende Aufsenfläche, sondern, mittelbar oder 
unmittelbar, durch Thätigkeiten erzeugt werden, deren Sitz im Innern 


152 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus 


der Erde zu suchen ist.“ Delesse (Etudes sur le metamorphisme Ann. 
min. (5) X1. 90. 1857) bezeichnet als Metamorphismus im weiteren Sinne 
alle die Veränderungen (alterations), welche die Gesteine erfahren; Nau- 
mann (Lehrbuch der Geognosie ed. I. 1850; ed. II. Bd. I. 406 und 718. 
1858) nennt im Gegensatz zu den ursprünglichen Gesteinen diejenigen 
metamorph, welche seit ihrer ersten Festwerdung Veränderungen 
entweder ihrer Masse oder ihrer Struktur oder auch beider erlitten 
haben. Er ist jedoch geneigt nur die eigentlichen Umbildungen als 
Metamorphismus zu bezeichnen und die durch Einwirkung der Atmos- 
phärilien, der Gewässer und vulkanischen Exhalationen verursachten, 
mehr oberflächlichen Zersetzungen (Dialysen) auszuschliessen; Dialyse 
und Metamorphismus zusammen geben die Alläosologie. Daubree (Ztu- 
des et experiences synthetiques sur le metamorphisme et sur la formation 
des roches eristallines in Mem. presentes a l Acad. des sciences XV1. 1860) 
begreift unter der Lehre vom Metamorphismus die Lehre von dem An- 
theil, welchen bei der Bildung der festen Erdrinde das Wasser und das 
Feuer gehabt hat. Da sich so häufig die Wirkung beider neben ein- 
ander zeigt, so fragt es sich, ob beide Agentien gleichzeitig oder nach ein- 
ander thätig waren. Die Reactionen des Erdinnern gegen die Oberfläche 
treten in den Thermen, den Vulkanausbrüchen, den Erdbeben täglich her- 
vor; das Hervorbrechen der Eruptivgesteine, die Hebung der Bergketten 
sind weitere Beweise derselben. Aber aufserdem giebt es noch derartige 
Reactionen, welche nur langsame, verborgene, der unmittelbaren Beob- 
achtung wegen der Tiefe entzogene Veränderungen hervorgebracht haben 
und ohne Zweifel noch hervorbringen. Wahrschemlich nehmen diese Ver- 
änderungen mit der Tiefe zu, so dafs sie endlich dort überwiegend werden. 

Daubree zieht daher die Verwitterung, die Zersetzung und die 
Wirkung der Thermen in den Kreis seiner Untersuchungen über Meta- 
morphismus. Nach seiner Angabe hat zuerst Elie de Beaumont den 
normalen oder allgemeinen Metamorphismus vom anormalen, speciellen oder 
Contaktmetamorphismus geschieden. Daubree nennt den ersteren Meta- 
morphisme regional, den letzteren Metamorphisme de juxtaposition. 

Die Veränderung, welche bei diesem das Eruptivgestein erfährt, 
nannte Fournet (1847 Bull. geol. (2). 4. 243) Endomorphismus, die 
auf das durchbrochene Sedimentgestein ausgeübte Veränderung Exomor- 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 153 


phismus. Virlet bezeichnet 1844 (Bull. geol. (2) 4. 845) als Roches 
d’imbibition die schiefrigen Gesteine, welche in Folge der Durchdringung 
mit eruptiven Serpentin- oder Feldspathmassen ihr ursprüngliches An- 
sehen verloren haben und jenen Eruptivgesteinen ähnlich geworden sind, 
ohne dals dabei immer Schmelzung stattfand. Sie gehen einerseits über 
in das Eruptivgestein, andrerseits in die schiefrigen Gesteine; dahin rech- 
net er gewilse Ophicaleite, den Verde antico u. s. w.!). 

Haughton?) unterscheidet Hydrometamorphismus und Pyrometa- 
morphismus. Bei dem ersteren werden ursprünglich geschmolzene und 
in diesem Zustande als Gänge und Adern in Vorhandenes ergossene Ge- 
steine später in Bezug auf specifisches Gewicht und Anordnung der Mi- 
neralien verändert, und zwar durch Wasser, das bei hoher, aber nicht zum 
Schmelzen des Gesteines hinreichender Temperatur einwirkt. Bei dem 
Pyrometamorphismus werden ursprünglich sedimentäre geschichtete Bil- 
dungen durch Hitze verändert und in die sogenannten metamorphischen 
Gesteine umgewandelt. Granit, obwohl im Allgemeinen ein hydrometa- 
morphisches Gestein, entsteht bisweilen auf pyrometamorphischem Wege. 
Dahin gehört der Granit von Donegal (Irland), Norwegen und vielleicht 
der schweizer Alpen. 

Nach Delesse (Ann. min. (5) 12. 1857, 13. 1858 und Mem. pres. 
a l’Acad. des sciences XVII 1861) charakterisirt sich der normale Meta- 
morphismus, der oft von unsichtbaren Ursachen herrührt und sich in 
srolsem Maafsstabe verbreitet, durch die mehr oder weniger vollständige 
Entwickelung der krystallinischen Struktur; dabei wird das Amorphe 
krystallinisch, neue Mineralien entstehen. Seine Ursachen sind hohe Tem- 
peratur, Wasser, Druck und vorzüglich Molekularwirkungen. Alle Ge- 
steine können ihm unterliegen, sie werden dabei bis zu einem gewissen 
(rrade plastisch. Am stärksten sind die ältesten Gesteine verändert. Der 
Contaktmetamorphismus, welcher von zufälligen, aber sichtbaren Ursachen 
herrührt und meist nur auf kleine Entfernungen wirkt, bezieht sich zu- 
nächst auf den Fall, wo das eine Gestein eruptiv ist und nicht in un- 
merklicher Weise in das durchbrochene Gestein übergeht, umfalst aber 


!) Über die Roches d’imbibition s. Fournet in G£ol. lyonnaise. 375. 1561. 
?) Journ. geol. Soc. of Dublin IX. 335. 1862. 
Phys. Kl. 1871. 20 


154 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus 


sowohl die Metamorphosen, welche im Augenblick des Ausbruches ent- 
stehen, als die, welche später eimtreten können, und zwar sowohl die 
Veränderungen in der physikalischen als in der chemischen Beschaffen- 
heit. Ähnlich werden nach Delesse die Wirkungen zweier eruptiven 
oder zweier sedimentären Gesteine auf einander sein. Seine reichen Beob- 
achtungen unterstützt Delesse durch zahlreiche Analysen. 

Mit Recht legt im Gegensatz zu dieser Ansicht Naumann Nach- 
druck auf die erst nach der Festwerdung ausgeübten Veränderungen. 

Nach Naumann (l.c. ed II. 1. 718) ist der normale Metamorphis- 
mus eine so allgemeine Erscheinung, dafs er oft garnicht beachtet wird. 
Er ist die durch eine ganz allgemein wirkende Ursache hervorgebrachte 
Umbildung eines Gesteins, welche dasselbe in seiner ganzen Ausdehnung 
betroffen bat und einer gesetzmäfsigen und nothwendigen Phase in der 
allmählichen Entwickelung des Gesteins entspricht. Sand und lose Ge- 
rölle, welche durch Cement zu Sandstein und Conglomerat umgebildet 
sind; Kalkschlamm, welchen eine durchgreifende innere Umkrystallisirung 
zu dichtem Kalkstein macht; stark comprimirte Pflanzenmassen, welche 
durch einen still und langsam vor sich gehenden Procefs zu Kohle oder 


Anthraeit werden; alle diese Massen und viele andere sind Belege für 
die Wirksamkeit des normalen Metamorphismus, der zu einer neuen, oft 
stärker als vorher krystallinischen Mineralbildung führt. 

Gegen den Ausdruck nothwendige Phase in der allmählichen Ent- 
wicklung eines Gesteins lassen sich nicht ungegründete Bedenken erheben. 
Wenn nothwendig nichts bezeichnen soll, als unsere Erkenntnils des cau- 
salen Zusammenhanges zwischen dem Verändernden und der von ihm 
ausgeübten Wirkung, so ist er gestattet. Aber nicht jeder Sand mufs 
durch ein eingeführtes Bindemittel Sandstein werden, er wird in dem Zu- 
stande des Sandes so lange verharren bis Bindemittel herbeigeführt ist, 
und wiederum wird jeder so entstandene Sandstein so lange ein festes Ge- 
stein bilden bis das Bindemittel wieder aus ihm fortgeschaftt ist. So wenig 
aber jeder Sand Sandstein werden muls, so wenig muls jeder Sandstein 
wieder Sand werden. Das Gesetzmälsige liegt nur in der Wiederholung 
derselben Wirkung bei Eintritt derselben Ursache. Ebenso erscheint die 
Einführung des Begriffes Entwickelung, der aus dem Einzelwesen der 
organischen Welt hergenommen ist, nicht unbedenklich. Während dort 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 15449) 


der Verlauf ein cyclisch vorgeschriebener, regelmäfsig und nothwendig 
bei jedem Individuum wiederkehrender ist, wird bei den Gesteinmassen, 
wenn man sie einmal als Individuen betrachten will, die Veränderung, 
die Erlangung neuer Eigenschaften je nach Umständen sehr verschiedenen 
Ablauf nehmen, dessen causalen Zusammenhang wir einsehen können, 
aber nicht die Nothwendigkeit des Zutretens der verändernden Ursachen. 
Man wird kaum von einer heutigen Torfmasse sagen dürfen, dafs sie 
einst sich zu Steinkohle entwickeln werde, da sich in dieser Umbildung 
weder eine Steigerung noch eine Abnahme der Eigenschaften erkennen 
läfst, sondern nur eine Veränderung. 

Als wichtigste Formen des abnormen oder lokalen, durch nach- 
weisliche Ursachen herbeigeführten Metamorphismus unterscheidet Nau- 
mann: 1) den durch Verbrennungsprocesse, 2) durch vulk. Gase und 
Dämpfe, 3) durch Contakt pyrogener Gesteine !), 4) durch Imprägna- 
tion mit Wasser und wässrigen Lösungen herbeigeführten; ferner unter- 
scheidet er die Verwitterung, d. h. die Einwirkung von Wasser, Sauer- 
stoff und Kohlensäure, dadurch von seinem Metamorphismus auf hydro- 
chemischem Wege (4), dafs mit der Verwitterung Verlust an Substanz, 
Consistenz und Form verbunden ist. Es erscheint Naumann (l. e. I, 692) 
zweckmälsig von den metamorphischen Gesteinen, bei welchen das ur- 
sprüngliche Gestein, die Übergänge und die metamorphosirende Ursache 
gekannt sind, diejenigen Gesteine als kryptogene abzutrennen, bei wel- 
chen diese Kenntnils fehlt, demnach Gesteine von zweifelhafter Entstehung 
(l.e. 1. 708) als kryptogen zu bezeichnen. Dahin rechnet er gewisse 
(mneilse, die Mehrzahl der Glimmerschiefer, den krystallinischen Thon- 
schiefer, die Hornblende-, Chlorit- und Talkschiefer, die mit Glimmer, 
Feldspath oder Hornblende gemengten Quarzite und die Kalke der kry- 
stallinischen Schiefer. 

Ich habe schon früher versucht die einfache Verwitterung, d.h. 
die Einwirkung von Wasser, Sauerstoff und Kohlensäure, von der com- 
plieirten Verwitterung zu trennen, welche durch Einwirkung der mittelst 
der Verwitterung gebildeten Lösungen bedingt wird, dabei das Verhalten 
des Gelöseten und des Restes unterschieden und auf den wesentlichen 


1) Metamorphisme par incandescence Boubee 1344. 


20* 


156 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus 


Unterschied in dem Verhalten der thonerdehaltigen und thonerdefreien 
Mineralien hingewiesen. Ein Unterschied, der um so bedeutsamer wird, 
als der Rest der thonerdefreien Mineralien wesentlich alkalıfrei ist; für 
den Anbau von Erheblichkeit. Unter Zersetzung suchte ich die Verän- 
derungen zusammenzufassen, welche stärkere, dem Erdinnern entstammte 
Agentien, oft durch Wasserdampf und höhere Temperatur unterstützt, 
bewirken. Dahin gehören Bunsen’s pneumatolytische und zeolithische 
Metamorphosen (Pogg. Ann. 83. 1851). Nachdem Daubree (Bull. geol. 
(2) 16. 562. 1859 und 18. 109. 1861) gezeigt hatte, dafs Zeolithe sich 
schon bei einer Temperatur von 60—70° (Plombieres), selbst von 46° 
(Luxeuil) bilden, berechtigt ihr sonstiges Vorkommen zu dem Schlufs, 
dafs sie schon bei gewöhnlicher Temperatur entstehen können. Die durch 
Zersetzung entstandenen Lösungen üben ähnliche Wirkungen aus wie 
die durch Verwitterung und complieirte Verwitterung gebildeten. Alle 
diese Vorgänge sind chemische Procefse, deren Verlauf in den meisten 
Fällen klar vorliegt und z. Th. durch das Experiment nachgeahmt und 
wiederholt ist. 

Auf die Verwitterung, Zersetzung und auf Naumann’s normalen 
Metamorphismus, soweit er von bekannten Ursachen auf bekannte Ge- 
steine ausgeübt wird, ist hier gar keine, auf den abnormen Metamorphis- 
mus nur so fern es seine Erkenntnifs überhaupt und die Weite seiner 
Wirkungssphäre betrifft, Rücksicht genommen worden. Es handelt sich 
vor allen um die kryptogenen Gesteine Naumann’s. 

Der Darlegung mag eine historische Übersicht der Lehre vom 
Metamorphismus vorausgehn, obwohl Skizzen derselben schon von Oo- 
quand, Studer, Naumann, Daubree, Zirkel vorliegen, wenn auch 
nicht bis in die neueste Zeit fortgesetzt. Die chronologische Anordnung 
ist soviel als möglich beibehalten und Vollständigkeit angestrebt, wenn 
auch vielleicht nicht überall erreicht. 

Die Lehre vom Metamorphismus konnte erst sich bilden, seitdem 
man über die Entstehungsweise der Gesteine nach positiven Beobachtun- 
gen und daraus über die Entstehung der Erde begründete Ansichten auf- 
zustellen vermochte. Die Mineralogie, die an deren Fortschritt gebundene 
Petrographie, die geologische Beobachtung mufsten einen gewilsen Höhe- 
punkt erreicht haben, die Hülfe der Chemie mufste der Mineralogie se- 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 157 


worden sein, bevor man an die Stelle der rein hypothetischen Behaup- 
tung den Induktionschlufs setzen konnte. Erst nach Werner, Füchsel, 
Saussure, Pallas, Scheele, Lavoisier u.s. w. war diese Möglichkeit 
gegeben. Mit der Erkenntnifs der normalen Lagerungsfolge begann der 
Versuch einer chronologischen Geschichte der Erde, mit der Erkenntnifs 
des Stoffichen die Frage nach dem Wie, nach der Entstehungs-, und 
Bildungsgeschichte. Die Induktion aus dem, was man geschehen sah, 
ward begreiflicher Weise, neben dem Experiment, so weit es ausführbar 
war, die Brücke zum Begreifen des Vergangenen. Liefs sich diese aus dem 
heutigen Geschehen nicht finden, selbst nicht mit Zuhülfenahme der durch 
die Induktion sicher festgestellten, älteren Zeiten angehörigen Vorgänge, 
reichte die Induktion nicht zu, so mufste die Hypothese aushelfen. Je 
weiter zurück in der Zeit die zu erklärenden Vorgänge liegen, je mehr 
die Gebilde abweichen von dem heute Entstehenden, je schwieriger und 
verwickelter wird die Induktion, und je vorsichtiger wird sie zu Werke 
gehen müssen, aber das erscheint nicht als hinreichender Grund um alle 
Discussion über die Anfänge der Erde abzuschneiden. Die Fortschritte 
der Naturwissenschaft gestatten der geogenetischen Lehre eine gröfsere 
Wahrscheinlichkeit zu geben als jemals vorher. Früher ein Theil des 
religiösen Mythos, dann ein Stück der Philosophie, später der Knecht- 
schaft der mittelalterlichen Theologie verfallen, aus welcher sie dann die 
neuere Philosophie befreite, ist, sie jetzt induktiver naturwissenschaftlicher 
Behandlung zugängig. 

Es ist ein eigenes Geschick, dafs die erste auf positive geologische 
Beobachtung gestützte Theorie der Erde, die von J. Hutton, ihn nur 
bis zu einer gewissen Stelle führen konnte; bis dahin, wo der leitende 
deduktive, teleologische Gesichtspunkt das Weiter verbot, so dals er zur 
Lehre vom Metamorphismus gedrängt wurde. Später spiegelt sich ın 
dieser die weitere geschichtliche Entwicklung der Geologie ab, in so fern 
jeder neue, in die Wissenschaft eingeführte Gedanke, der anscheinend 
eine Reihe bis dahin unerklärlicher Thatsachen erläutern konnte, in die 
Lehre vom Metamorphismus aufgenommen wird, — oder der rein be- 
schreibende Beobachter verzichtet auf eine genetische Theorie überhaupt. 
Neben der Annahme einer metamorphischen Entstehungsweise der kry- 
stallinischen Schiefer hat sich schon früh die Ansicht geltend gemacht. 


\ 
158 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus 


die krystallinischen Schiefer seien die ursprüngliche Erstarrungsrinde der 
Erde, eine Ansicht, deren Gründe und Wahrscheinlichkeit später darzu- 
legen sind. 

Es lohnt sich wohl, das System etwas genauer anzusehen, welches 
von allen Seiten als Ausgangspunkt der Lehre vom Metamorphismus be- 
zeichnet wird. Schon defshalb, weil darin die Anfänge zu Lehren liegen, 
deren weitere Ausbildung z. Th. noch heute die geologischen Ideen be- 
herrscht. Wird eine gerechte Würdigung rückliegender Anschauungen 
schon aus dem Grunde schwierig, weil es nur mühsam gelingt sich die 
wissenschaftliche Atmosphäre jener Zeiten klar vorzustellen, so gilt dies 
für James Hutton doppelt. Playfair bemerkt in der Vorrede zu 
seinen Ilhıstrations of the Huttonian theory (1802, französische Übersetzung 
von Basset 1815), „die Dunkelheit der Schriften Hutton’s ist der Grund 
der geringen Aufmerksamkeit, welche man diesen scharfsinnigen und eigen- 
thümlichen Speeulationen zugewendet hat.“ In der That sind neben dem 
Original (Theory of the earth, zuerst 1785 in der Royal Society of Edin- 
burgh gelesen, in deren Transactions I. 209—304. 1788 erschienen, später 
erweitert in zwei Bänden 1795 herausgegeben) die Illustrationen Play- 
fair’s für das Verständnifs sehr nützlich. Viel bekannter und verbrei- 
teter als das Original, werden sie viel öfter benutzt als dieses.» Aber sie 
geben mehr als das Original, sie sind durch neuere Erfahrungen in man- 
chen Punkten ergänzt und verwischen daher in Etwas den Standpunkt 
Hutton’s. Von den vier auf dem Titel der Theory angegebenen Theilen 
enthalten die beiden Bände nur zwei, der Rest liegt als Manuscript in 
Edinburg. Die Worte am Ende des zweiten Bandes: „Es soll jetzt zu- 
nächst der mineralogische Theil der Theorie untersucht und es sollen die 
Einwürfe widerlegt werden, welche sich aus besonderen Erscheinungen 
ergeben“ erlauben einen Schluls wenigstens auf einen Theil des Inhaltes. 

Hutton geht von folgender Betrachtung aus: die Erde ist eine 
weise eingerichtete Maschine von eigenthümlichem Bau, welcher sie zu 
einem bestimmten Zweck geeignet macht, zu dem Zweck nämlich bewohn- 
bar zu sein für den Menschen und für Organismen überhaupt. „Die 
Erde ist sichtlich für den Menschen gemacht.*!) Daher muls 


1) Theory of the earth I. 17. The globe of this earth is evidently made for man. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 159 


das Gestein zerfallen (decay) zu einem für Organismen brauchbaren Bo- 
den, daher wird der gesammte Detritus in’s Meer geschafft, dort umge- 
wandelt und wieder auf die Oberfläche gebracht, um den Kreislauf von 
neuem zu beginnen. Die Zerstörung der jetzigen Continente bereitet die 
künftigen vor. Die Umwandlung des Detritus geschieht durch die hohe 
Temperatur des Innern, durch das unterirdische Feuer !), mag dessen 
(Quelle sein, welche sie wolle.“ Das unterirdische Feuer spielt in dem 
Haushalt der Erde eine so wesentliche Rolle, und doch ist es bis jetzt 
nicht in die Theorien der Erde aufgenommen. Es war vor und seit der 
Bildung der heutigen Erde vorhanden, besteht noch jetzt, sogar im Über- 
tluls für die Constitution der Erde, aber sehr weise ist gegen alle aus 
diesem Überschufs folgende, das System störende Wirkungen ein ge- 
eignetes Heilmittel eingeführt.?) Das unterirdische Feuer ist ein 
neuer Grundsatz, der als wesentlich in die Theorie der Erde eingeführt 
werden muls. ?)* 

Überall wird das Land, das harte und feste Gestein allmählich, 
wenn auch mit der äufsersten Oekonomie*#), vom Wasser und den At- 
mosphärilien mechanisch und chemisch zerstört; das so entstandene lose 
Material (Steine, Kies, Sand, Erden, Thone°) wird schliefslich in die 
Tiefen des Meeres geführt, ebenso der für die Organimen allein brauch- 
bare, aus der Zerstörung des Festen entstandene Boden (soll). Durch die 
fortschreitende Zerstörung des Festen würde der Zweck der Erde, be- 
wohnbar zu sein für Menschen und Organismen, verfehlt 6) werden, wenn 


ib. I. 4. Our sense of wisdom in its formation must depend of its fitness for this purpose 
(to be a habitable world) ef. I. 6. 223. II. 184. 546. 

') 1.239: Internal heat, subterraneous fire or a certain cause of fusion, by what- 
ever name it shall be called, and by whatever means it shall have been procured. 

SE NZAAN CH. 12: 

3) I. 280 und 12. 

*) 11. 153. 197. The land is naturally wasted, though with the utmost oeconomy. 
ch 12.197. 

») 1. 95. ef. I. 15. The destruction of our land is inevitable ef. II. 97., I. 373. 
gradual decay of solid land. II. 557. necessary prineiple of dissolution and decay und 
sonst an vielen Stellen. 

%) Daher keine grofse Flut, bei welcher ohne ein Wunder das ganze System leben- 
der Wesen zu Grunde gegangen wäre I. 273 und II. 184. 


160 Rorm über die Lehre vom Metamorplismus 


es nicht einen Compensationsprocels!) gäbe, welcher die Abnutzung der 
Maschine ausgleicht. Wir sehen aus den eingeschlossnen marinen Resten, 
dafs 7; oder 7,5 der uns bekannten festen Erdschichten auf dem Meeres- 
boden gebildet sind?), und zwar aus den losen, dorthin geführten Mate- 
rialien. Dort werden sie, weit ab von dem Bereich unserer Beobachtun- 
gen?) umgeändert (changed), sie werden fest, zu Gesteinen (consohdated), 
ihre Zwischenräume werden ausgefüllt, die poröse Struktur wird durch 
Schmelzung beseitigt, Bindemittel und fremde Substanzen werden einge- 
führt im geschmolzenen Zustand oder aus condensirten flüchtigen Sub- 
stanzen *), die Schichten werden mehr oder weniger erweicht oder ge- 
schmolzen und gelangen endlich durch die Ausdehnung (expansion), wel- 
che die unterirdische Hitze auf sie ausübt, auf die Oberfläche. Im 
Meeresgrunde unter Beihülfe eines ungeheuren Druckes?) wird durch das 
unterirdische Feuer und nur durch dieses das ursprünglich lose Material 
in harte und feste Schichten umgeändert. Alle Mineralien sind wirklich 
geschmolzen, alle lassen die Einwirkung der hohen Temperatur und des 
hohen Druckes erkennen: die Salzlager, die Kalke mit ihren „Verzahnun- 
gen“ (indentation) ®), die Feuersteine?), die Kohlen ®), die Bergkrystalle 
mit Wassertropfen®). Zwar ist es schwer von diesen Operationen eine 
deutliche Vorstellung zu gewinnen, weil wir sie auch nicht annähernd 


2) I. 221. cf. I. 550. 

2) I. 26. cf. I. 216 u. fgl. 

>) 11. 97. The strata are consolidated in the mineral regions far beyond the reach 
of human observation. ef. I. 389 Changed by operations proper to the mineral regions. 

#4) 1. 49. Foreign matter may be introduced into the open structure of strata in 
form of steam or exhalation, as well in the fluid state of fusion. 

5) 1.140. Without attending to this great prineiple (such compression as shall 
prevent the decomposition of the constituent substances, by the separation of the more 
volatile from the more fixed parts) in the mineralizing operations of subterraneous fire 
it is impossible to conceive the fusion and concretion of those various bodies, which we 
examine when brought up to the surface of the earth. ef. I. 94. 

6) 1.76, 101, 133. Brought into fusion by subterraneous heat without suflering cal- 
eination. ef. I. 159. 

7) I. 58. 

s) I. 612. The production of coal from vegetable bodies — is made by heat and 
by no other means, as far we know. 

2) :1993: 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 161 


nachahmen können, aber man muls doch aus den Wirkungen, der Schmel- 
zung der Mineralien, der Bildung von Spalten und Gängen !), auf ein 
unterirdisches Feuer schliefsen. Es hebt, zerbricht, faltet, dislocirt durch 
die von ihm bewirkte Ausdehnung (expansıon) die nothwendiger Weise 
ursprünglich horizontalen oder doch fast horizontalen ?), auf dem Meeres- 
boden gebildeten Schichten und bringt sie endlich, je nach dem verschie- 
denen Material und dem Grade der Einwirkung des unterirdischen Feuers 
zu verschiedenen Gestenen umgewandelt, auf die Oberfläche. Zu diesem 
Zweck ist das unterirdische Feuer vorhanden, im Überflufs damit ein 
Zukurzkommen vermieden werde, aber es sind auch Mittel ausgedacht, 
den Überschufs abzuleiten®). Das sind unsere Vulkane. Sie dienen, 
ohne Selbstzweck zu sein, dazu, die unnöthige Hebung des Landes und 
die gefährlichen Wirkungen der Erdbeben zu hindern. 

(Greschmolzene Massen, den Laven der Vulkane analog, haben sich 
als unterirdische Laven #), als nicht ausgebrochene Laven ?) in die noch 
untermeerischen Ablagerungen ergossen und sich, bald der Schichtung 
parallel, bald als mehr oder weniger vertikale Gänge (dykes), in die Schich- 
ten eingedrängt, sie hebend und die Lagerung störend, und zwar ent- 
weder während die Schichten noch auf dem Meeresboden lagen oder wäh- 
rend der Vorgänge, welche die Hebung des Landes über den Meeres- 
spiegel bewirkten.®) Bei der späteren Hebung des Landes finden wir 


!) Die Erzgänge entstehen durch Dämpfe, welche sich gelegentlich in den Spalten 
des Gebirges verdichten (I. 162). Sie üben dabei eine ungeheure Kraft aus und bewirken 
Dislokationen und Zerbrechungen (Il. 132 und 135). Oder die Erzgänge entstehen durch 
Einpressen flüssiger Massen von unten her (1. 394); cf. II. 543. 

2), 1. 127. 11. 544. 

>) 1.146. A vuleano should be considered as a spiracle to the subterranean furnace, 
in order to prevent the unnecessary elevation of land and fatal effects of earthquakes; 
and we may rest assured, that they, in general, wisely answer the end of their intention, 
without being in themselves an end. 

*) 1. 154. These subterraneous lavas. cf. II. 416 über die Formen derselben nach 
Abwitterung der Umgebung. 

>») 1. 160. Unerupted species of lava. 

°) U. 508. Unerupted lavas, which had been made to How among the strata 
of the earth, when either at the bottom of the sea, or during those operations, by which 
this land was erected above the level of the Ocean; cf. II. 520: Granite raising up the strata 
and bringing them to the light. Ferner „Monts granit* — invade in a fluid state the 


Phys. Kl. 1871. 21 


162 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus 


- 


diese in das schon festgewordene und erhärtete Gestein eingedrungenen 
Massen entweder in die nicht gestörten Schichten einfach eingeschaltet 
oder als Gänge, welche die Schichten gestört und gebrochen haben. 

Zu den unterirdischen Laven!) gehören die Trappe, der Whinstone, 
der Basalt, die Porphyre, die Granite, welche alle in einander Übergänge 
bilden ?). Als Beweis für die hohe Temperatur der unterirdischen Laven 
dienen die in der Nähe des Whinstones verkoakten Kohlenlager 3) und 
die zu Ooak oder Cinder veränderten Steinkohlen, welche als Ein- 
schlüsse in Whinstone vorkommen #). Andere Einschlüsse in den unter- 
irdischen Laven sind vielfach geändert, gehärtet und geschmolzen. °) 

Demnach hat Alles denselben Ursprung, Alles, was wir jetzt von 
festen Theilen der Erde sehen, ist früher auf dem Meeresboden gewesen, 
Nichts ist in seinem ursprünglichen Zustand 6), Alles hat Änderungen er- 
litten, Alles ist in einem fortdauernden Kreislauf (salutary eireu- 
lation). Aber es ist auch Stabilität in den Gang der Maschine gebracht: 
für die gegenwärtige Ordnung der Dinge (present order of things) 
ist weder ein Anfang abzusehen noch ein Ende’). Die Maschine 


ist vollkommen, ihres Schöpfers würdig. Sie bewahrt sich selbst gegen 


strata from below, when they were under water; and which masses had served to raise 
the country above the level of the Ocean; ef. 1. 152: The strata appear to have been 
broken and the two correspondent parts of those strata are separated to admit the flo- 
wing mass of whinstone; cl. 1. 155: The strata are not broken, the whinstone is inter- 
jected in form of strata, having various degrees of regularity and being of different 
thickness. 

!) Da sie unter grolsem Druck erstarrt sind, so können sie (und ihre Mandelsteine) 
Zeolithe und Kalkspath enthalten, welche in den Larven der Vulkane nicht vorkommen 
1.156. Die bei dem Aufhören des Druckes aus dem Kalk entweichende Kohlensäure 
bewirkt das Aufkochen (ebullition) in den Vulkanen und die Bildung der Bimsteine und 
Aschen. Der Kalk bedingt die Verglasung. I. 157. 

?) 1. 317. They graduate into each other and may be considered as the same. 

>») 1. 604. burning without smoke. Wohl der erste Nachweis des Contakt- 
metamorphismus durch hohe Temperatur des Durchbrechenden. 

*) 1. 611. In the harbour of Ayr a whinstone dyke traverses the coal strata and 
includes some of that substance in the state of coaks or einder. 

5) 1. 158. And this had been performed by heat or fusion. 

°%) 1. 254. There is nothing to be found in an original state, so far as we see, in 
the construction of this earth; ef. I. 3753. 11. 157. 560. 


°) 1. 200. We find no vestige of a beginning, no prospect of an end; cf. II. 469. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 163 


jeden Unfall, welcher ihren Zweck vereiteln könnte !), sie arbeitet stätig 
und gleichmälsig mittelst des Systems von Zerfall und Erneuerung?) 
(system of decay and renovation), sie hat immer die Kraft der Jugend 
und die Vollkommenheit des reifsten Alters®). So ist also die Theorie 
der Erde auf die gröfsten Katastrophen gegründet, welche die Erde 
treffen können, nämlich Hebung vom Meeresboden aus bis zu den höch- 
sten Theilen der Continente, und Wiedereinsenken, Begrabenwerden unter 
das Wasser, aus welchem die Erde aufgestiegen ist. #) 

Über den Zustand der Dinge, bevor die jetzige Erde auf dem 
Meeresboden gebildet wurde und sich dann aus dem Meere erhob, spricht 
Hutton sich folgender Maafsen aus. „Ich erkühne mich nicht, den Anfang 
der Dinge zu beschreiben, ich nehme sie, wie ich sie jetzt finde?). Von 
dem Zustande ausgehend, in welchem die festen Theile der Erde jetzt 
gefunden werden, habe ich Zustände, in denen sie vorher gewesen 
sein müssen, zu verfolgen gesucht®). Die Beschaffenheit des jetzigen 
Landes lehrt, dafs es aus der Zertrümmerung eines ähnlichen hervorging; 
das Thierleben in der alten See war nicht verschieden vom jetzigen 7); 
die Steinkohle zeigt, dals eine Pflanzenwelt vorhanden war.®) Es mag 
unendliche Zeit gedauert haben, ehe unsere jetzigen Continente entstan- 


den, eine ebenso unendliche Zeit, bis die früheren Oontinente fähig wurden 


!) 1. 275. That wise construction, by which this earth is made to answer the pur- 
pose of its intention and to preserve itself from every aceident by which the design of 
this living world might be frustrated. 

2) 11.563. 

3) I. 539: 

+) 11. 445. cf. I. 198. We suppose a due proportion to be always preserved of 
land and water upon the surface of the globe, for the purpose of a habitable world, such 
as this which we possess. We thus, also, allow time and opportunity for the translation 
of animals and plants to occupy the earth. 

°) I do not pretend to deseribe the beginning of things; I take things such as I find 
them at present. I. 173. 

%) It is from this actual state in which the solid parts of the earth are found, 
that I endeavoured to trace back the different states in which they must have been. 
I. 234. 

‘) Humphry Davy’s Kritik der Ansichten Hutton’s über die Bildung der Sekundär- 
ablagerungen in Consolation of travel. 

8) 1]. 175 und 195. 


21 


164 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus 


Organismen zu beherbergen. Es folgt auch, dafs die von uns bewohnte 
Welt zusammengesetzt ist aus Materialien nicht der Erde, welche der 
jetzigen unmittelbar vorherging, sondern der Erde, welche wir von der 
jetzigen ausgehend, als die dritte betrachten !). Sie ging nämlich dem 
Lande voraus, welches sich, während unser jetziges Land noch im Ocean 
lag, schon über dem Meere befand. So folgt eine Reihe von Welten auf- 
einander, und es ist vergeblich weiter rückwärts zu blicken über den Ur- 
sprung der Erde, rückwärts hinaus jenseit des nothwendigen Fortganges 
der gegenwärtigen Ordnung?). So kommen wir zu einer Periode, hinter 
welcher wir keine andere entdecken können. Das ist die Grenze unserer 
rückblickenden Anschauungen ?). Eine Theorie der Erde, welche Wahr- 
heit anstrebt, kann nicht weiter zurückgehen #). Und wenn wir voraus- 
blicken, wie können wir das Ende des weisen Systems absehen, welches 
so vollständig die Zwecke seines Schöpfers erfüllt“? >) 

Über die sogenannten primitiven Gesteine äufsert sich Hutton in 
folgender Weise. „Man hat Granit, Gneils, Glimmerschiefer als primitiv 
ausgegeben, als Gesteine, welche einen anderen Ursprung haben als die 
übrigen. So weit sie geschichtet sind, liegt in der Schichtung (stratifi- 
cation) ein Beweis für den Absatz aus Wasser®). Wofern Granit massig 
ist 7) und ungeschichtet ähnlich wie Whinstone, Trapp, Basalt, ist er wie 
diese „im Innern der Erde geflossen und durch Änderung des Platzes 
sichtbar geworden“). Granitgänge sind von der nahen Hauptmasse 
in die geschichteten Schiefer als unterirdische Lava eingedrungen ®). Die 
wellenförmige (waved) Struktur der alpinen Schiefer zeigt, dafs diese Ge- 
steine, obwohl sie nicht in Fluls waren, doch solchen Grad von Weiche 


DEal199: \ 

2) 1. 277. Necessary progress of actual things. ef. II. 257. 

°») I. 223 und 224. 

#) 1. 251. This present order alone is what we have to reason upon. 

5) II. 564. „limitation of our retrospect as well as prospect.“ cf. I. 224. 

6) I. 316. 

?) 1. 316. Granite in mass or irregular in its construction. 

s) 1. 317. Having flowed in the bowels of the earth and thus been produced by 


the change of place. 
») I. 318. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 165 


erreichten, dafs die ursprünglich graden Schichtungslinien in die welligen, 
bisweilen sehr stark gekrümmten Linien umgeändert werden konnten !). 
Primitive Gesteine giebt es überhaupt nicht; alle Gesteine, die Granite, 
die verschiedenen Schiefer u. s. w. entstanden in der angegebenen Weise ?). 
Auch nachdem Hutton in Glen Tilt Granitgänge beobachtet hatte (1785), 
hielt er an dieser Ansicht fest (Trans. R. Soc. Edinb. Ill. 1794). 

Als Gründe für die Existenz des primitiven Gebirges werden an- 
gegeben: 1) der Mangel an Versteinerungen in den Kalken des primitiven 
Gebirges, 2) der Mangel an Schichtung, 3) die Vertikalstellung der ge- 
schichteten Massen ?). Enthalten die sogenannten primitiven Gesteine 
wirklich keine marinen Reste, so beweiset das nicht, dafs sie nicht im 
Meer gebildet sein können. Denn die Spuren der Organismen können 
durch manche nachfolgende Operationen der Mineralregion verwischt sein, 
und dafs solche Operationen, vielleicht mehr als ein Mal in demselben 
Gestein, vorgegangen sind, geht aus dem jetzigen Verhalten dieser Massen 
zweifellos hervor *#) Aufserdem wechsellagern (we find alternated) Sand- 
steine mit organischen Resten oft mit solchen, welche keine organischen 
Reste enthalten °). Besteht auch für die Reihenfolge der Dinge und für 
die Cireulation der Materie auf der Erdoberfläche eine bestimmte Ord- 
nung, so können doch auch heftigere Zerstörungen unsere Continente 
treffen, welche wie auf Pfeilern ruhen. Die unteren Massen können öftere 
und stärkere Veränderungen erfahren haben; ihre Struktur, ihre Lage, 
ihre Härte kann in höherem Grade verändert sein als gewöhnlich 6). Die 
stärker veränderten Schichten sind gewöhnlich stark geneigt, sie stehen 
oft vertikal. Hutton unterscheidet diese Bildungen als alpine strata, schistus 
mountains, elevated country, primary mountams?) von dem low oder flat 
country, den secondary strata. Als Drittes kommt hinzu, was in beliebiger 


1) 10318. 
?) I. 319. Nature has formed the granite upon the same principle with that of 
any other consolidated stratum. ef. I. 323 und 449. 


3) 1.320. 

#) 1.325. 

5) I. 364. 

6) I. 371—376. 389. 

7) 1.423. 427—438. 11. 47. 


166 Rorn über die Lehre vom Metamorphnsmus 


Form oder Qualität später die Bildungen durchsetzt, sei es als Basalt, 
Porphyr, Granit oder nur als ein Metall, eine kieselige Substanz, ein 
Spath!). Manche Stücke des festen Erdkörpers können im Vergleich mit 
anderen weniger veränderten als früher gebildet betrachtet werden, als 
primär im Gegensatz zu den secundären ?); aber alle sind auf dieselbe 
Weise gebildet. Die Grenzfläche der gehobenen Schichten wurde vom 
Meer abgewaschen, denn die Hebung geschah ja unter dem Meeresspiegel, 
und nun konnten sich horizontale Schichten später auf die gehobenen 
auflegen. Oder die gehobenen Schichten konnten nach ihrer Hebung 
über den Meeresspiegel der Verwitterung unterliegen und wieder unter- 
sinken, wo dann die Auflagerung neuer horizontaler Schichten erfolgte ?). 
So liegen daher horizontale Schichten auf den gehobenen und oft Con- 
glomerate und Puddingsteme an der Grenze der gehobenen und gefalteten 
alpinen Schiefer und der horizontalen low country strata. Aber weder 
der Mangel an Schichtung, eine Wirkung des stärkeren Schmelz- 
processes, noch die Vertikalstellung der geschichteten Massen, ein Resul- 
tät der stärkeren Hebung, berechtigen für das sogenannte Urgebirge einen 
anderen Ursprung anzunehmen als für das übrige Gebirge. „Alles was 
wir an festen Theilen auf der Erde sehen, mit Ausnahme der lockeren, 
durch das Wasser jetzt entstehenden Absätze, ist auf dem Meeresboden 
gebildet, dort verändert und dann an das Tageslicht gehoben. Die der 
Zeit nach ältesten Bildungen mag man primär nennen, die folgenden se- 
eundär #), aber primitive Gebirgsarten giebt es nicht.“ 


1) 1. 597. Thirdly, that which has been of posterior formation to the strata which 
it traverses, in whatever shape or quality; whether as a mountain or only as a vein; 
whether as a basaltes, a porphory or a granite, or only as a metal, a siliceous substance, 
or a spar. ? 

2) 1.323. 371. 

>) 1.435. 449. 453. 470. 

!) Über die von Pallas (Observations sur la formation des montagnes 1777) als ter- 
tiär bezeichneten Ablagerungen (what, according to the present fashion of mineral phy- 
losophy, he has termed „montagnes primitives, secondaires et tertiaires* I. 360), spricht 
sich Hutton dahin aus, dafs die darin enthaltenen marinen Reste aus festen und ähnlich 
wie alle übrigen gebildeten Gesteinen ausgewittert sind und mit den Knochen und Skeleten 
der Landthiere zusammen vom Flufswasser gemischt wurden. Die tertiären Schichten von 


Pallas sind also Süfswasserabsätze und bilden keine Ausnahme von dem Gesetz. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 167 


Die auffallenäste Erscheinung bei Hutton ist die starre Conse- 
quenz in der Durchführung der von ihm angenommenen Grundsätze. 
Sie bringt ihn zu einer bisweilen durchaus scholastischen Behandlung des 
Gegenstandes. Fern davon, dafs seine Theorie dem theologisch - ortho- 


doxen Interesse dienen sollte — er mulste sich (I. 222) gegen den Vor- 
wurf des Atheismus verwahren — ist der teleologische Gesichtspunkt!) der 


entscheidende und seine Methode wesentlich deduktiv ?). Hutton denkt 
von dem Experiment als Beweis für seine Theorie sehr gering. Er tadelt?) 
„die Männer, welche über die grofsen Operationen im Mineralreich ur- 
theilen, nachdem sie ein Feuer angezündet und auf den Boden eines 
kleinen Tiegels gesehen haben.“ Er glaubte nicht, dafs eine Schmelzung 
des kohlensauren Kalkes unter Druck, wie seine Theorie sie verlangt und 
wie er sie voraussetzt, herstellbar sei; er verwarf den Vorschlag Sir 
James Hall’s diesen Versuch anzustellen, der bei seinem nothwendigen 
Mifslingen die hinreichend festgestellten Sätze in Mifskredit bringen könne ®); 
der Beweis durch das Experiment schien ihm unnöthig. Dennoch ent- 
hält Hutton’s Theorie, verglichen mit den früher vorhandenen °), einen 
wesentlichen Fortschritt. Die Zeitgenossen nannten das neue System, 
im Gegensatz zu dem bis dahin fast allgemein geltenden neptunischen, 
das plutonische®). Die Einführung des unterirdischen Feuers und des 
Druckes in die Geologie, ohne die Mitwirkung des Wassers auszuschliefsen, 
ist Hutton’s Werk und sein grofses unbestrittenes Verdienst, wenn er 
auch dem Entstehen auf nassem Wege ein zu kleines Gebiet anwies. 


. 


Die fast ängstliche Scheu den Anfängen der Erde nachzugehen, 


1) 1.161. Gold und Silber findet sich nicht überall, da sie für ein bewohnbares 
Land nicht nöthig sind, aber Eisen kommt überall vor und oft in der Verschwendung, 
welche seinem Nutzen entspricht. ef. I. 11. „der Zweck von Elektrieität und Magnetismus 
in der Oekonomie der Erde ist noch nicht entdeckt.“ 

?) Die Theorie über den Granit war lange vorher fertig, ehe er die „Instantia erueis“ 
am Glen Tilt sah. Playfair Works IV. 73. 

3) I. 291. ce 11.367. 

4) Sir James Hall. Transact. R. Soc. Edinb. VI. 74. 75. cf. Playfair IV. 62. 
„In his view of the matter no other proof (als die Theorie) seemed necessary.“ 

5) Hutton’s Kritik derselben s. I. 271. Seine Widerlegung der Werner’schen 
Ansichten ist in England als „final extinetion of that german romance“ bezeichnet worden. 

6) Nach Playfair Works I. 145. rührt der Name von Kirwan her. 


168 Korn über die Lehre vom Metamorphismus 


die gänzliche Negation der morphologischen Weltanschaung fällt um so 
mehr auf, als Kant schon 1755 „die Naturgeschichte und Theorie des 
Himmels“ veröffentlicht hatte und nach Playfair (Works IV. 61) die 
Theorie Hutton’s erst nach 1760, sicher vor 1783 datirt. Wahrschein- 
lich kannte (l. c. 88) Hutton!) die Monadenlehre von Leibnitz; ohne- 
hin konnten ihm nach seiner Investigation?) of the principles of know- 
legde and of the progress of reason from sense to science and philosophy 
(3 Bde. 1794) derartige Ideen nicht fern liegen. 

Hutton’s Theorie ist die letzte der zahlreichen, vor dem Auf- 
schwung der Naturwissenschaften entstandenen, geogenetischen Ansichten, 
aus welcher noch heute Anschauungen erhalten geblieben sind. Play- 
fair wendet die Bezeichnung osservatore oculatıssimo auf Hutton an, 
dessen geologische Untersuchungen in Schottland, England, Frankreich 
und in den Niederlanden den ausgezeichneten Beobachter beurkunden. ®) 

Er gebraucht das Wort metamorphosirt erst, nachdem er es 
(1. 501. 504) aus de Carosi (Sur la generation du sılex. 1783) als „de- 
gres de metamorphoses de la marne en stlex* citirt hat, aber ıhm scheint 
(1. 526) diese „chymical transmutation* höchst unverständlich, und das 
Wort kehrt defshalb später nicht wieder. Wenn Patrin (J. de physique 
1791) von einer inneren Arbeit (travarl interne) redet, welche durch das 
in's Innere der Gesteine dringende und gewifs nicht reine Wasser be- 
wirkt wird, so nennt Hutton (l. 555) diese Voraussetzung eine phan- 
tastische ®). 

In die geltende Terminologie übertragen, sind also nach Hutton 
alle festen Gesteine ursprünglich Sedimente, welche durch hohe 
Temperatur unter hohem Druck und zwar auf dem Meeresboden ver- 
ändert wurden, sie sind also sämmtlich marin. Die Schmelzung kann 
dabei soweit gehen, dafs die untersten Schichten feurig flüssig in die dar- 


über liegenden, schon fest gewordenen eingetrieben werden, so dals sie 


1) Playfair IV. 88. He paid little regard to authority in matters of theory. 

?2) Playfair IV. 92. gibt eine kurze Übersicht des Inhaltes. 

53) Hutton war der erste, der auf die Eindrücke der Krystalle bei plutonischen 
Gebirgsarten (zuerst bei Schriftgranit) hinwies und daraus auf Schmelzung schlols. 

4) ef. 1. 529. „a mineral metamorphosis, which certainly is not found in any other 


part of the world.“ 


und die Entstehung der krystallimischen Schiefer. 169 


als submarine Eruptivgesteine das Überliegende durchbrechen und durch 
ihre Temperatur verändernd einwirken können. Bei geringerem Grade 
der Erweichung und dem grofsen Druck wird die Schichtung in dem frü- 
heren Sediment erhalten bleiben; so in den krystallinischen Schiefern, 
Die krystallinische Bildung überhaupt kann nach Hutton nur durch 
Schmelzung bewirkt werden, nirgend durch Krystallisation aus wässriger 
Lösung. 

Es ist kein geringes Verdienst Hutton’s, dals er so grofsen Nach- 
druck auf die Wirkungen der jetzt vorhandenen Ursachen legt, wenn er 
auch einen Theil derselben verkennt, namentlich den bei der Bildung 
fester Sedimente, der Mineralien der Mandelsteine u. s. w. in Betracht 
kommenden. Die Lehre, dafs nur die noch heute wirkenden Kräfte (actual 
causes) zur Erklärung der geologischen Erscheinungen zu verwenden sind, 
der Actualismus, führt ıhn, wie seine Nachfolger, zwingend zum Meta- 
morphismus. Er lehnt es vollständig ab über den Ursprung des Central- 
feuers eine Ansicht zu geben, er nimmt es einfach als gegeben, da er es 
für seine Theorie nothwendig braucht. Die cycelische Reihe der Kata- 
strophen steht in einem merkwürdigen Gegensatz zu seiner teleologischen 
Anschauung. 

Ist es nach diesen Ausführungen gerechtfertigt in dem Ultraplu- 
tonismus Hutton’s die Grundlage der jetzigen Lehre des Metamorphismus 
zu sehen? Geht sie von Hutton aus, so hat er der Wissenschaft damit 
ein Danaergeschenk gemacht. 

Die Anschauungen der Erklärer und Nachfolger Hutton’s spricht 
Playfair in seinem Leben Hutton’s (Transaet. R. Soc. of Edinburgh 
Vol. V. 1805; Works 1822. IV. 50) dahin aus: „Hutton wollte nicht den 
ersten Anfang der Dinge erklären, für ein solches Wagnils (attempt) 
war er zu gut geschult in den kegeln einer gesunden Philosophie. Er 
beschränkte daher seine Speculationen auf die Veränderungen, welche die 
irdischen Dinge seit Eintritt der gegenwärtigen Ordnung erfahren haben.“ 
In seinem Bericht über den Compte rendu par Institut de France (Edin- 
burgh Review 1809; Works IV. 370) drückt er sich folgender Maalsen aus: 
„Wenn die Geologie den Ursprung der Dinge behandeln will oder rück- 
wärts gehen bis zu einer Periode, wo die Zusammensetzung der Mineral- 
körper verschieden war von der jetzigen, so stimmen wir damit überein, 


Phys. Kl. 1871. 22 


170 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus 


dafs das Ganze eine unphilosophische Illusion ist; denn die Grundsätze, 
welche auf unsere Erfahrung der gegenwärtigen Ordnung der Dinge ge- 
gründet sind, können nicht auf das angewendet werden, was vor Her- 
stellung dieser Ordnung bestand.* 

Nachdem der lange und erbitterte Streit über die Entstehung zu- 
nächst der jüngeren Eruptivgesteine, besonders der Basalte, ob plutonisch ob 
neptunisch, ausgekämpft, die normale Lagerungsfolge der Sedimente genauer 
festgestellt war, und namentlich durch Cuvier und Brongniart, die 
erste bedeutungsvolle Verbindung eines Zoologen und eines Geologen, die 
Palaeontologie zu ungeahnter Höhe sich entwickelt hatte, waren die An- 
sichten über die Entstehung der plutonischen und vulkanischen Eruptiv- 
gesteine und über die Entstehung der Sedimente ziemlich allgemein an- 
genommen. Nur die Reihe der ältesten Sedimente, das Übergangsgebirge, 
bot durch seine Verbindung mit den krystallinischen Schiefern noch immer 
ein schwer zu erklärendes Problem, welches durch den engen Verband 
des Gneisses mit Granit noch verwickelter wurde. Die Veränderungen, 
die im Laufe der Zeiten durch genügend bekannte Ursachen ein Sedi- 
ment erfährt, waren von vielen Seiten untersucht; die Beschäftigung 
mit den Vulkanen hatte auf die Wirkungen hoher Temperaturen und auf 
den Einflufs der Gase und Dämpfe geführt; zahlreiche Versuche über 
Schmelzung der Gesteine, darunter die von Sir James Hall unter An- 
wendung hohen Druckes, die von Gregory Watt, Gerhard u. s. w. 
waren ausgeführt; die Lehre vom Centralfeuer war von vielen Seiten be- 
stätigt, erweitert und angenommen. 

Schon 1806 hatte Heim (Geol. Beschreibung des Thüringer Wald- 
gebirges Il. Abth. 5. 121) die Umänderung der Kalke in Dolomite von 
„elastischen Dämpfen und Gasen“ abgeleitet; Leopold von Buch sprach 
18221) ähnliche Ansichten aus, nach welchen Dolomite Kalksteine seien, 


welche „durch Zutreten von kohlensaurer Magnesia aus dem Innern her- 


1) Nöggerath. Das Gebirge in Rheinland-Westphalen III. 281. 
L. von Buch war 1814 vor der Reise nach den Canaren in England. Bei der 
Sorgfalt, mit welcher er die Litteratur verfolgte, kann man seine Bekanntschaft mit Hut- 


ton’s Arbeiten kaum bezweifeln. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 171 


vor zu der neuen Form umgewandelt wurden. Augitgesteine bewirken 
diese Veränderung.“ 

Hier zum ersten Mal treten das plutonische Prineip der Gebirgs- 
theorie, die Hebungstheorie, und die Theorie des Metamorphismus im 
Zusammenhang auf, der später namentlich durch Elie de Beaumont 
so sehr erweitert wurde. 

Schon früher waren neben hoher Temperatur Gase als Agens ein- 
geführt. Nach Breislak (Instit. geol. Parıs 1818. I. 581—385) ist die 
Schieferung kein Grund gegen die Annahme eines feurigen Flusses, da 
entschieden plutonische Gesteine Schieferung zeigen. Die krystallinischen 
Schiefer sind ihm daher plutonischen Ursprungs!). Da die Erstarrung 
unter Gasentwicklung vor sich ging (I. 361), wobei die Gasströme plötz- 
lich eine grolse Wärmemenge entzogen, so konnten während der Erstar- 
rung die Lösungen des Zusammenhanges (separations de continwite) je 
nach den verschiedenen Umständen der Erkaltung und den verschiedenen 
Impulsen der Gasströme verschiedene Richtungen, die vertikale, geneigte, 
oder die horizontale, annehmen. 

Hier werden also die Gase zur Erklärung der Schichtenstellung 
der krystallinischen Schiefer verwendet. Breislak nimmt auch an, dafs 


etwa kaustisch gewordener Urkalk (l. 418) — der Urkalk ist ihm nach 
der Lagerung plutonischen Ursprungs — wiederum Kohlensäure aufnahm 


aus den bei der Abkühlung entwickelten Gasströmen. 

Die Verbindung der krystallinischen Schiefer mit mineralogisch 
ähnlichen und ebenfalls schiefrigen Gesteinen hatte um diese Zeit zu zwei 
gegenüber stehenden Ansichten geführt. Nach der einen sollten alle diese 
Gebilde rein neptunischen Ursprungs sein, nach der anderen die krystalli- 
nischen Schiefer den plutonischen Ursprung des Granites theilen. Der 
Entwicklung der Gase und ihrer Einwirkung auf Bildung, Beschaffenheit 
und Umänderung der Gesteine war vielfach gedacht worden. Der nächste 
Schritt lag also nahe: die neptunische Entstehung der krystallinischen 
Schiefer mit Werner festzuhalten und den Gasen und Dämpfen, welche 
schon Hutton in seine Theorie eingeführt hatte (s. S. 161), eine hervor- 
ragende Stelle bei der Bildung der krystallinischen Schiefer zuzuschreiben. 


1) Ebenso die Granite 1. c. I. 360. 370. 


3 Rormn über die Lehre vom Metamorphismus 


Diesen Schritt that Boue. Er hatte seine seit 1817 in Schottland, dem 
Vaterlande Hutton’s, angestellten Beobachtungen in dem Essar geologique 
sur TEeosse 1820 niedergelegt und brachte die Anschauungen Hutton’s 
nach Frankreich und Deutschland mit. Es war begreiflich, dafs er von 
Hutton das Centralfeuer und den Druck aufnahm, ohne jedoch das 
ganze System Hutton’s anzuerkennen, von welchem ein Theil durch die 
späteren Untersuchungen unhaltbar geworden war, ähnlich wie ein grofser 
Theil des Werner’schen Systems. Der Ansicht, dafs die krystallinischen 
Schiefer einfach plutonischen Ursprungs, die krystallinische Erstarrungsrinde 
seien, stehen nach Bou&!) vier Einwürfe entgegen: die Schichtung, welche 
sich bei keinem sicher plutonischen Gesteine wiederfindet; der Übergang 
der Gneifse und Glimmerschiefer (Urthonschiefer ist nach Bou&@ nicht vor- 
handen ?) in Zwischengesteine (roches intermediatres, Thonschiefer, talkige, 
quarzige, glimmerige Schiefer und Grauwacke); die Kalke der Urschiefer, 
welche Übergänge zeigen in fossilhaltige Kalke; endlich die Möglichkeit, 
alle Erscheinungen der krystallinischen Schiefer auf eine andere Weise zu 
erklären, welche zugleich den chemischen, physikalischen und geologischen 
Daten anscheinend genügt. Nach Bou&’s Ansicht ?) bewirkten die Agen- 
tien, welche die Ausbrüche der granitischen Gesteine vorbereiteten oder 
begleiteten, nämlich hohe Temperatur und Gasausströmungen aus dem Erd- 
innern, in den aus Trümmern der ältesten Gesteine oder der Erstarrungs- 
rinde entstandenen Schiefern allmählich und unter mehr oder minder 
hohem Druck eine Art feurigen Flusses, ähnlich wie ihn de Dr&e (Journal 
des mines No. 139. 1808 #) beschreibt. Die Elemente der Schiefer büfsten 
dabei einen Theil ihrer Cohäsion ein, ihre Gemengtheile entfernten sich 


von einander: in die so entstandenen Zwischenräume schoben sich die 


1) Mem. geol. sur le Sud-ouest de la France. (Ann. d. sc. natur. II. 415. 1824) 
„la eroüte ignee oxidee et cristallisee des masses qui composent linterieur du globe ou 
l’enveloppe de ce noyau central.“ cf. Edinb. phil. J. 1823. Juli und Bull. soc. geol. 14. 417. 
1843. und Essai sur l’Ecosse p. 455. 

2) J. dephysique Bd. 94. 301. 1822. „Je nie qu’il y ait une formation de schiste 
argileux primitif.“ On doit regarder le schiste argileux comme un premier groupe du 
terrain intermediaire. ib. 401. 

3) Ähnlich in Leonhard Taschenbuch f. d. gesammte Mineralogie. 21. II. p. 1. 1827. 

*) Textur und Vertheilung der Gemengtheile sind nach halber oder ganzer Schmel- 
zung unverändert erhalten. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 175 


Produkte der Gasemanationen, die Sublimate ein. So konnten in gewissen 
durch die Cohäsion bedingten Grenzen chemische Verwandschaften in 
Wirkung treten und die Gesteine während der Schmelzung und langsamen 
Abkühlung kıystallinisch werden ohne wesentliche Zerstörung der ur- 
sprünglichen Blätterstruktur (structure fewlletee primitive). Nach dieser 
gewagten Theorie (theorie hardıe) „würde der Grad der Krystallinität von 
der Gröfse der genannten Einwirkungen abhangen und die Identität der Ge- 
mengtheile in Granit und krystallinischen Schiefern sich leicht erklären. 
Die Urkalke werden keine organische Reste enthalten, weil diese in die 
Masse eingeschmolzen wurden, die Mineralien der Urkalke von dem Grade 
der Reinheit der Kalke oder von ihrer Mengung mit Thonschiefer her- 
rühren, der Graphit von kohligen, durch hohe Temperatur veränderten 
Partien. Wollte man einwenden, dafs diese Theorie Gesteine als vorhan- 
den gewesen voraussetzt, von denen man keine Spur mehr findet, so ist 
zu erinnern, dafs ja auch die ältesten Sedimente Brocken von Gesteinen 
einschliefsen, welche man anstehend nicht kennt.“ 

Der zuweit getriebene Plutonismus Hutton’s hatte Bou& zu der 
wenn auch modifieirten neptunischen Ansicht zurück geführt, neben wel- 
cher er den feurigen Flufs der Eruptivgesteine beibehielt. Es war ein Ver-. 
mittelungsversuch, bei dem es sich zunächst um die krystallinischen Schie- 
fer handelt. Noch 1866!) spricht sich Bou& dahin aus, dafs der Meta- 
morphismus der krystallinischen Schiefer ein langsamer, lange fortgesetzter, 
chemischer Procefs war, welcher bei einem gewissen Druck vor sich ging. 

Im entschiedensten Gegensatz gegen alle geltenden Ansichten trat 
Keilhau auf, in der schärfsten Opposition gegen das bisher Angenommene. 
Selbstständige geologische Untersuchungen führten ihn zu einer Ansicht, 
die fast ganz isolirt geblieben ist, wie sie denn ihrer Natur nach keine 
Anhänger gewinnen konnte. Sie erinnert an die romantische Schule der 
deutschen Litteratur, der das Wunder gesetzmäfsiger und erklärlicher er- 
scheint als das gewöhnliche Geschehen. 

Keilhau (1823—1850?) gelangte zunächst durch die geologische 


‘) Bull. geol. (2) 23. 302. 1866. 
2) Aulser Aufsätzen im Magazin for Naturvidenskaberne und in Pogg. Ann. seit 
1823 namentlich in „Darstellung der Übergangsformation in Norwegen“ 1824, Nyt. Mag. 


174 Roru über die Lehre vom Metamorphismus 


Untersuchung von Norwegen!) zu der Ansicht, dafs sehr viele massige 
Gebirgsarten nur transmutirte — nach Substanz und Form umgewandelte 
— Sedimente sind, so dafs sich Übergänge zwischen beiden verfolgen 
lassen. Diese Transmutation fand durch eine ruhig fortschreitende Thätig- 
keit in den starren Massen statt ohne Mitwirkung eines ungewöhnlichen 
Wärmegrades oder von Gasen und Sublimationen; sie ist nicht an die 
Nähe ungeschichteter, sogenannter vulkanischer Gesteine gebunden. Da 
nach Keilhau Granit in Urgneils übergeht?), so ist dieser Granit um- 
gewandelter Gneils, so fern nämlich diese Gebirgsart damals in der Gneils- 
form vorhanden war; es brauchten nämlich damals nur die Massen vor- 
handen zu sein, aus deren Umwandlung später Gneils hervorging. Das für 
Gmeils Geltende ist auf alle krystallinischen Silikatschiefer und auf ihre 
Kalke auszudehnen; sie alle haben sich auf dieselbe Weise gebildet wie 
Granit, Porphyr u.s. w.; es wurden, wenn auch nicht nachzuweisen ist 
wie es geschah, auf hydrogenem Wege entstandene Absätze bei gewöhn- 
licher Temperatur transmutirt. Soweit die Transmutation chemisch un- 
erklärlich ist, folgt daraus nur, dafs die Chemie die zur Erklärung noth- 
wendige Entwicklungsstufe noch nicht erreicht hat?). „Der Thonschiefer, 
das zur ausdrücklichen Bekräftigung der Transmutationstheorie aufbe- 
wahrte Glied des Urgebirges, ist der Inbegriff der wenigen Schichten, welche 
in verhältnilsmälsig wenig verändertem Zustand erhalten wurden. Die 
Unterlage der Gmneilsformation kann möglicher Weise sedimentärer Ent- 
stehung, vielleicht auch wirkliches Urgebirge sein d. h. die Erstarrungs- 


rinde, zu welcher der Gmeifs nicht gehört.“ 


f. Nat. I. 1835; Gaea norvegica 1833—1S51, und Nyt. Magaz. IV. 1845. 267—331. In 
Professor B. M. Keilhau’s Biographie von ihm selbst. Christiania 18357. das Verzeich- 
nils der Schriften. 

!) Es ist kaum nöthig auf die späteren Arbeiten von Kjerulf hinzuweisen, durch 
welche die stratigraphischen Verhältnisse ihre genaue Darlegung erfuhren. 

2) „Die Granitification, welche unstreitig hauptsächlich den Übergangsthonschiefer 
traf, ist doch an vielen Punkten sogar über die Grenzen jenes Schiefers hinaus in die 
nächsten Theile der Gneifsformation hinein geschritten.*“ Des Herrn Dr. von Dechen 
Gutachten mit Anmerkungen von B. M. Keilhau. Christiania 1840. 25. „Der Granit 
des Cheistiania-Territoriums ist hauptsächlich eine Epigenie des Übergangsthonschiefers“ 
ib. 64. 

3) Ähnlich Coquand (Bull. geol 2. 335. 1841). 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 175 


Niemals ist das Geheimnilsvolle der Transmutation bestimmter aus- 
gesprochen als von Keilhau. Er ıäfst sie physikalisch betrachtet durch 
einfache Molekularaktion bewirkt werden und ohne sich um das che- 
misch Unmögliche zu kümmern. Er nimmt an, dafs die chemischen Ele- 
mente nicht einfach, sondern zusammengesetzt sind, und dafs die wirk- 
lichen der Zahl nach geringen Elemente in andern Verhältnissen zu- 
sammentretend neue Körper erzeugen können. Weil ihm das Verständnifs 
fehlt, mufs die Wissenschaft irren. Dabei ist sein Ausgangspunkt eine 
lokale Untersuchung, eine allgemein gültige Theorie will er nicht auf- 
stellen. Berzelius, von Keilhau aufgefordert, spricht sich (Jahresb. 
eingereicht 1837. 396) sehr entschieden gegen Keilhau’s Hypothese aus 
und fügt (Jahresb. eingereicht 1841. 564.) hinzu: „Mit diesen Bemer- 
kungen ist es nicht meine Meinung geologische Metamorphosen zu läug- 
nen; ich habe damit nur auf die Nothwendigkeit aufmerksam machen 
wollen, dafs man sie nicht auf etwas ausdehnt, was nach unseren gegen- 
wärtigen Begriffen unreimbar ist, mit dem Vorgeben, dafs es in Zukunft 
ein Mal reimbar werden kann.“ 

Zu ganz ähnlichen Ansichten wie Keilhau gelangte Keferstein 
(1829—1834!). Nach ihm entstehen vermittelst innerer Thätigkeit der 
Erde durch Umbildung aus verschiedenartigen stratificirten Gesteinen 
die krystallinischen Schiefer, Granit, Porphyr, Basalt u. s. w., je nach dem 
Grade der Umwandlung. Dabei wird hohe Temperatur, Erweichung, An- 
schwellen der Masse und Erhebung erzeugt, die krystallelektrische Thätig- 
keit der Theilchen wird angeregt und diese ordnen sich anders. Auch 
Keferstein steht fast isolirt mit diesen Ideen. 

Die Untersuchungen der schweizer, savoyischen und französichen 
Alpen hatten um 1826—1828 Studer und Elie de Beaumont zu der An- 
sicht geführt, dals die Metamorphose zu krystallinischen Schiefern sich dort 
nicht auf die Umwandlung der ältesten Sedimente beschränke, sondern auch 
viel jüngere Gesteine betroffen habe. Sie kommt dort nach Studer entfernt 
von jedem krystallinischen Feldspathgebirge vor und es „lassen sich weder 


1) S. auch Bull. geol. 7. 197. 1836. 


176 Roru über die Lehre vom Metamorphismus 


durch Wärme des Erdinnern oder erhitzter Massen noch durch Dämpfe 
die Erscheinungen in den Alpen genügend erklären.“ 1) 

Die Sedimentgesteine der Alpen haben nach Studer?) durch Ein- 
wirkung der bei dem Hebungsprocels thätigen Agentien so viele und 
so grolse Veränderungen und Epigenirungen erfahren, dafs man beinah 
in Verlegenheit gerieth, wo man noch ein Sedimentgestein in einem ur- 
sprünglichen Zustand aufsuchen sollte. 

Nach Elie de Beaumont sieht man in den Alpen die Sekundär- 
schichten allmählich die von ihrer Bildungsweise herrührenden Charaktere 
verlieren und andere annehmen ohne jedoch die Schichtung einzubülsen: 
„ähnlich wie man an einem halbverkohlten Scheit die Spuren der Holzfasern 
weit über die Stellen hinaus verfolgen kann, welche noch die natürlichen 
Charaktere des Holzes zeigen. “?) Er schreibt *) die stark krystallinische 
Struktur im Innern der Granitmassen, welche im Gegensatz steht zu der 
fast vollständigen Dichte an ihren Berührungsstellen mit Sekundärgesteinen, 
einer trotz der fast vollständigen Starrheit eingetretenen Molekularbewe- 
gung zu (morumement interieur malgre leur solidite presque complete), welche 
während des langen Zeitraums bis zur vollständigen Erkaltung eintrat. 
Ähnliches zeigt eine lange Zeit bis zur Weifsglühhitze, also nicht bis zum 
Erweichungspunkt erhitzte Stange aus Schmiedeeisen: sie wird grob 
krystallinisch und brüchig, so weit sie erhitzt war, während das Übrige 
den ursprünglichen fasrigen Bruch behält. Auch die Umbildung von Se- 
dimenten jeden Alters zu krystallinischen Schiefern (zu Glimmer-, Talk- 
schiefer, zuckerkörnigem Kalk und oft selbst zu Gneils) kann ohne voll- 
ständige Schmelzung vor sich gehen, die Schichtung bleibt erhalten und 
der allmähliche Übergang zu dem nicht Umgeänderten sichtbar. 


1) Lehr. phys. Geogr. und Geologie II. 119. 150. 1347. s. Zschf. Miner. 1827. 1. 
Jahrb. Miner. 1840. 546; 1844. 185; 1847. 176; 1866. 705. cf. 1855. 183. „Die aus- 
gezeichnet krystallinische Entwickelung von Silikaten in der Höhe deutet darauf hin, dafs 
die Umwandlung nicht von unten her, sondern von Aulsen nach Innen fortgeschritten sei.“ 

2) Geologie der westlichen Schweizeralpen. 1334. 19. cf. 224. 228. 

3) Ann. sc. natur. 15. 362. 18283. („Comparaison aussi claire que profonde.* 
Daubree). 

4) Ann. min. (3) 5. 62. 1834. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. RT 


„Die innere Erdwärme und andere chemische Einwirkungen haben 
ohne vollständige Schmelzung zu bewirken unter Beibehaltung der Schich- 
tung die ältesten, über der Erstarrungsrinde liegenden Sedimente durch 
Metamorphismus krystallinisch gemacht und ihren mineralogischen Bestand 
umgeändert; so entstanden Glimmer- und Talkschiefer, körnige Kalke 
und oft selbst Gneils!).“ 

Noch 1847 ist Elie de Beaumont?) „sehr geneigt zu glauben. 
dals viele Glimmerschiefer und Gneifse metamorphischen Ursprungs sind. 
Das Sediment, aus dem gewisse metamorphische Granite und Gneifse ent- 
standen, kann von älteren Graniten herrühren, und der Ursprung der 
ersten Granite, der mit ihnen verbundenen alten Gneifse und Glimmer- 
schiefer ist nicht sehr verschieden. Um die metamorphische Entstehung 
der Gmneilse und Glimmerschiefer zu erklären, muls man zugeben, dafs 
hohe Temperatur bei der Entstehung der Granite eine wesentliche Rolle 
gespielt hat.“ Er spricht sich auch noch 1855?) für die metamorphische 
Entstehung der glimmrigen und talkigen Quarzite und Kalke aus. Diese 
Ansicht theilt auch Rozet*#). Ch. Sainte-Claire Deville und Gran- 
deau sprechen sich 1859 für die metamorphische Entstehung?) der 
slimmrigen oder chloritischen, Quarz- und Feldspathknauer führenden 
Schiefer des Massivs des St. Bernhard aus. 

Seit 1837 ist A. Sismonda®) der Ansicht, dafs viele für primitiv 
gehaltene Gesteine der Alpen (Gneils mit grofsen Quarzknauern, grüne 
Schiefer mit Quarz, und ähnliche, glimmerhaltige Kalke führende Gesteine) 
metamorphosirte Sedimente sind. Er nimmt an, dafs wenig primitives 
Terrain auf der Erdoberfläche erhalten ist. Noch 1867 erhält er?) 
durch einen Abdruck von Zquwsetum an einem diluvialen Gneilsstück von 


1) Dufrenoy und Elie de Beaumont Explic. de la carte geol. de la France 
I. 41—42. 1341. s. auch 120, 316, 327. 

?2) Bull. geol. (2) 4. 1301. 

2) 1b: (2), 12.7563. 

4) ib. 232 und 252. 

5) ib. (2) 13. 136. 

6) Bull. geol. (2) 12. 67. 1856. 

”) Mem. Acad. Se. Torino (2) Tom. 24. 11. Der Infralias der Alpi acquapen- 
denti in Piemont ist in Glimmerschiefer und Gneils metamorphosirt. 


Phys. Kl. 1871. 23 


178 torn über die Lehre vom Metamorphismus 


Rezzasco in der Brianza Bestätigung für seme Memung. Auch Credner!) 
betrachtet die krystallinischen Schiefer der Tauernkette als metamorphi- 
sche Gebilde. Stur?)läfst nach der Trias in den Centralalpen zwischen 
dem Hochgolling und dem Venediger eine metamorphosirende Kraft auf- 
treten, welche aus alten Schiefern und Grauwacken den Oentralgneifs und 
seine Schieferhülle bildet. 

Pichler?) nimmt die Tyroler krystallinischen Schiefer für umge- 
wandelte Sedimentschiefer. „Gneifs, Glimmerschiefer, Thonglimmerschiefer 
sind die Namen von Gattungen, denen wir nicht immer den der Species 
beifügen können; dies wäre nur dann möglich, wenn wir überall wülsten, 
aus welcher Formation sie durch Metamorphose entstanden.“ Volger®) 
gelangt vorzugsweise durch Studium der alpinen Vorkommen zu dem 
Satze „dafs aus emem und demselben sedimentären Kalkstein durch innere 
Umbildung hier ein Pyroxen- oder Amphibolgestein, dort ein Granat- oder 
Epidotgestem, dort wieder ein Quarz- oder Feldspathgestein sich ent- 
wickelt hat.“ 

In dem äufserst verwickelten Gebirgsbau der Alpen den Zusammen- 
hang der einzelnen, so vielfach gefalteten, verworfenen, über einander hin- 
veschobenen Schichten und Massen zu bestimmen wird noch lange eine 
der schwierigsten Aufgaben der Geologie bleiben. Ob es gerathen ist, 
serade von diesen verwickelten Erscheinungen ausgehend allgemein gül- 
tige Hypothesen aufzustellen, erscheint fraglich. Billigerweise mülste die 
Theorie die Gebirge mit einfachstem Bau als Ausgangspunkte nehmen. 
Ob es ferner nothwendig ist für die als metamorphisch bezeichneten, al- 
pinen Gesteine Umänderungen anzunehmen, deren Ursache eine gewisse 
Ähnlichkeit mit dem Stein der Weisen hat, wird noch lange eine offene 
Frage bleiben. Nur eine wiederholte Untersuchung und Vergleichung 
mit anderen Gegenden wird entscheiden können, ob nicht einfache Zer- 
störung und Zertrümmerung wohlbekannter Gesteine das mineralogische 


Verhalten und einen Theil der Lagerungsverhältnisse erklären kann. 


1) Jahrb. Min. 1550. 556. 
2) Jahrb. Reichsanst. 5. 852. 1554. 
3) Beiträge zur Geognosie Tyrols 1859. 133. 


+) Neue Denkschriften der allgem. Schweizer Ges. f. ges. Naturk. 14. 1859. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 179 


Spätere Verwitterung, oft sehr complieirter Natur, mag dann in den Al- 
pen, wie überall, vielfache Veränderungen hervorgerufen haben, zu denen 
noch die Contaktmetamorphosen hinzukommen. Manche Gesteine wie 
Glimmer-, Chlorit-, Talkschiefer liefern nach ihrer Zertrümmerung und 
Zermahlung sedimentäre Gesteine, welche mineralogisch den ursprüng- 
lichen vollständig gleichen. Aufserdem mögen Eruptivgesteine, welche 
bekannter Maafsen keineswegs jedes Mal Oontaktmetamorphosen hervor- 
rufen, nebst ihren Tuffen, ferner schiefrige Granite, und in Folge der 
Faltungen ächte, ursprüngliche, krystallinische Schiefer eingeschaltet sein. 
Eine ganze Reihe von Mineralien entsteht auf mehr als einem Wege; 
manche sind als Contaktmineralien charakteristisch, treten vorzugsweise 
in Sedimentkalken auf und sind daher kalkhaltig. Eine Nothwendigkeit 
jedem grobkörnigen Kalk Metamorphosen zuzuschreiben, liegt nicht vor: 
dieser Ansicht huldigt auch Cordier!). 

Hier zum ersten Mal tritt der Metamorphismus zur Erklärung der 
Bildung jüngerer Gebirgsmassen auf; es handelt sich nicht mehr allein 
um die Umwandlung der ältesten Sedimente oder der krystallinischen 


be 


Schiefer. 

Wie die Lehre vom Metamorphismus der krystallinischen Schiefer 
in Deutschland wirkte, zeigt am besten Fr. Hoffmann. (Übersicht der 
orographischen und geognostischen Verhältnisse vom nordwestlichen 
Deutschland 1830). „Wenn wir es auch sebr begreiflich finden, wie sich 
Thonschiefer, Grauwackenschiefer u. s. w. in der unmittelbaren Nähe des 
Granites in Gesteine umwandeln können, welche dem Gmneifse und dem 
Glimmerschiefer sehr äbnlich sind, so behält es doch etwas selbst der 
lebhaftesten Einbildungskraft Widerstrebendes, auch die ungeheuer mäch- 
tigen und über tausende von (@uadratmeilen verbreiteten Gneilsgebirge, 
Glimmerschiefer-, Talkschiefermassen, in welchen die Granite oft nur sehr 
vereinzelt hervortreten, für Produkte eines ähnlichen Procefses zu halten“ 
(l. ec. 415). Zwischen Bräunsdorf und Riechberg (bei Freiberg, Sachsen) 
findet er „wirklich die sogenannten Schiefer der Urzeit mit deutlichen 
Conglomeraten des Übergangsgebirges in wechselnder Lagerung“ und ist 
nun „sehr geneigt, die zwischen Gmeilsschichten und Glimmerschiefer 


1) Bull. geol. (2) 7. 67..1836. 


180 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus 


eingelagerte Grauwacke für einen unversehrt gebliebenen Streifen vom 
Schiefergebirge zu halten, welcher unter günstigen Umständen von der 
Umwandlung, die die angrenzenden Schichten erfahren haben, verschont 
wurde.“ „Ja man wird vielleicht einst noch finden, dafs eine und die- 
selbe Schicht sich im Streichen aus Grauwacke in Gneifs übergehend ver- 
folgen läfst“ (p. 418). In emem Gebiete des Fichtelgebirges, „wo nichts 
an das Auftreten von Graniten, Syeniten, Porphyren oder verwandten Ge- 
steinen erinnert (p. 421), findet er „das merkwürdige Beispiel einer wenig- 
stens 4 Meilen lang zwischen zwei Gneifsverbreitungen von beträchtlicher 
Ausdehnung steckenden, unversehrt gebliebenen Thonschiefermasse des 
Überganggebirges, und durch alle sie begleitenden Erscheinungen erfährt 
wohl die Ansicht von der merkwürdigen Entstehungsweise der Gmneils- 
gebirge eine auffallende und erwünschte Bestätigung“ 1) (p. 426). 

Die Tyrannei, welche die herrschende Idee über einen eminenten 
Geist ausüben kann, ist wohl nirgend so stark ausgeprägt als in dieser 
Darstellung Hoffmann’s. Was zehn Seiten vorher „der lebhaftesten Ein- 
bildungskraft widerstrebt*, gilt nun als bewiesen. Das Wunderbare bei 
dieser Umwandlung, „die unversehrt gebliebenen Thonschiefer“, durch 
welche die metamorphosirende Kraft hindurchgeht ohne eine Spur zu 
hinterlassen, während sie das Darüberliegende in Gneils umwandelt, er- 
regt keinen Anstofs mehr. 

Noch in seiner italiänischen Reise?) (1829—32) ist Hoffmann 
geneigt, den dortigen krystallinischen Schiefern neptunische Entstehung 
zuzuschreiben und die Veränderung mit dem Auftreten der Granitgänge 
im Gneils in Verbindung zu setzen. In seiner Geschichte der Geologie 
(1834—35) tritt die Lehre vom Metamorphismus nur in einzelnen An- 
deutungen hervor. Sie war um diese Zeit noch nicht genug ausgebildet 
um einen grolsen Platz beanspruchen zu können. 

Sir Charles Lyell kehrt in seinen Principles of geology being an 
attempt to explain the former changes of the earth's surface by reference 


1) Vergl. Naumann Jahrb. Min. 1863. 1. 531. und Lehrb. II. 159. 1862. und 
Gümbel Jahrb. Min. 161. 257. und 1863. 515. Gümbel erklärt die Erscheinung 
durch Überkippung, die sich bis ins Gebiet der Gneifsformation fortsetzt. 

?2) Karsten und v. Dechen Archiv 13. 362. 1839. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 181 


to causes now in operation (Bd. 1ll. 1833) zu der schottischen Doktrin, 
zu Hutton zurück. Den noch jetzt wirkenden Ursachen (restrieting us, 
in the first instance to known causes, p. 3; an anderen Stellen causes now 
in action, existing causes, actual causes of change) legt er das überwie- 
gende Gewicht bei. Er ist Hauptvertreter des Actualismus. Da ein Theil 
der ältesten, der sogenannten primären Gesteine geschichtet und geschie- 
fert ist wie die wohlbekannten Sedimente, so kann man — nach dem 
Satze, dals gleiche Wirkungen auf gleiche Ursachen schliefsen lassen 
(p. 367) — kaum bezweifeln, dafs sie ähnlichen Ursachen wie die Sedi- 
mente ihren Ursprung verdanken. Auf der bewohnbaren Oberfläche der 
Erde, so weit sie wenigstens der Beobachtung zugänglich ist, sieht man 
analoge Bildungen nicht entstehen (p. 11). Man mulfs also die Struktur 
der geschichteten primären Gesteine darauf zurückführen, dafs in grofser 
Tiefe unter der Oberfläche die geschichteten Sedimente durch geschmol- 
zene Gesteine, durch hohe Temperatur in einen halbflüssigen Zustand 
übergeführt, eine neue Anordnung ihres Materials erfuhren, wobei 
Schichtung und lamellare Struktur erhalten blieb, während die Spuren 
der Organismen verschwanden (p. 13). Trennt man die unveränderten 
Sedimente und die vulkanischen Gesteine ab, so bleibt eme dritte Gesteins- 
gruppe übrig, welche ihre jetzige Form und Struktur nicht auf der 
Oberfläche der Erde erhalten haben kann, und diese nennt Lyell nach 
ihrer Entstehnng hypogen (netherformed rocks). Sie umfalst die unge- 
schichteten plutonischen Gesteine (wie Granit) und die veränderten ge- 
schichteten (wie Gneils), welche von ihm als metamorphische Gesteine 
bezeichnet werden (p. 375). Denn Gneils und alle geschichteten Gesteine 
müssen ursprünglich an der Oberfläche oder auf dem jetzt mit Wasser 
bedeckten Theile derselben abgesetzt sein und wurden erst dann krystal- 
linisch, wenn sie unter Druck durch hohe Temperatur in den Regionen 
und unter denselben Bedingungen verändert wurden, wo die plutonischen 
Gesteine gebildet werden (p. 374). Will man die gesammten hypogenen 
(resteine nicht aus Schlamm, Thon, Mergel, Sand, Kies, Kalk und anderen 
jetzt noch entstehenden Absätzen sich bilden lassen, so mufs man zu der 
Hypothese greifen, dafs chemische Ursachen früher mit gröfserer 
Energie als jetzt wirkten und dafs durch ihren Einflufs stärker kry- 


182 toru über die Lehre vom Metamorphismus 


stallinische Schichten niedergeschlagen wurden, welche Behauptung un- 
philosophisch und mysteriös ist (p. 377). 

Gneils und Glimmerschiefer sind nichts als durch Hitze umgeänderte 
Sandsteine; Thonschiefer ist umgeänderter Schieferthon; stärker verän- 
derter Schieferthon liefert Hornblendeschiefer; Kalkstein den körnigen 
Kalk. Weil fast überall die hohe Temperatur von unten nach oben wirkt, 
also die untersten Lagen am stärksten verändert, so liest Thonschiefer 
über Hornblendeschiefer, Glimmerschiefer, Gneifs. Sekundäre Schichten 
sind, wenn auch nicht oft, zu metamorphischen umgewandelt, und hypo- 
gene Gesteine, ungeschichtete wie geschichtete, entstanden stets während 
gleicher Zeit in gleicher Menge (p. 377). Da der Zerfall und die Wieder- 
erzeugung durch Wasser (process of decay and reproduetion by aqueous 
agency, Wiederholung von Hutton’s Worten) an der Oberfläche der Con- 
tinente und auf dem Meeresboden ein fortdauernder Vorgang ist, während 
die hypogenen Gesteine in der Tiefe gebildet oder nach und nach von 
den vulkanischen Heerden in die Höhe gehoben werden, so mufs das 
relative Alter der sichtbaren plutonischen und metamorphischen Ge- 
steine, verglichen mit dem der unveränderten Sedimente, durch das Ver- 
hältnils zwischen zwei Kräften bestimmt werden: der Kraft, welche die 
hypogenen Gesteine hebt, und der Kraft, welche durch das Wasser die Erd- 
oberfläche zerstört und erneuert (p. 380). Die metamorphischen Gesteine 
müssen also das Unterste jeder Reihe von Sedimenten bilden, da die Wir- 
kung der vulkanischen Hitze von unten nach oben geht; die hypogenen 
Gesteine einer Gegend können jedoch sehr verschiedenen Alters sein. 
Der grölste Theil der sichtbaren hypogenen Gesteine scheint älter zu 
sein als die Kohlenformation, weil in dieser Brocken von Granit, Gneifs, 
Glimmerschiefer, Thonschiefer liegen. Seit der Tertiärzeit sind die hypo- 
genen Gesteine, welche jünger sind als das Kohlengebirge, auf die Ober- 
fläche gekommen, und erst später werden dahin die der Sekundärzeit, 
noch später die tertiären und recenten Hypogengesteine gelangen, zu einer 
Zeit, wo die jetzt sichtbaren Sedimente entweder vom Wasser zerstört 
oder metamorphisch geworden oder niedergeschmolzen sind zu plutoni- 
schen und vulkanischen Gestemen (p. 382). 

„Wir finden keinen sicheren Beweis für den Anfang, obwohl die 
dafür aus der Analogie geschöpften Gründe unerschüttert bleiben. Wenn 


und die Entstehung der krystallimschen Schiefer. 185 


auch das jetzige System der Veränderung (present system of change) 
nicht von Ewigkeit her gedauert hat, so liest darin kein Beweis für die 
Voraussetzung, dafs wir den Anfang entdecken werden. Die Annahme, 
dafs die Beweise für Anfang oder Ende eines so grofsen, harmonischen. 
für Myriaden lebender Wesen so zweckmäfsig eingerichteten Systems im 
Bereich unserer Untersuchungen oder selbst unserer Speculationen liegen, 
erscheint durchaus unvereinbar mit einer richtigen Schätzung des Ver- 
hältnisses zwischen der begrenzten menschlichen Einsicht und den Attri- 
buten eines unendlichen und ewigen Wesens“ (p. 385). 

Sehr wenig abweichende Ansichten spricht Lyell noch im Manual 
of elementary geology (Ed. V. 1855. 603) aus. „Eine im Innern der Erde 
in unbekannter Tiefe vorhandene, thermische, hydrothermische, elektrische 
oder anderweitige Einwirkung, analog der, welche sich in der Nähe in- 
trusiver Granite zeigt, hat im Laufe unbegrenzt langer Zeiten, bei Ab- 
lagerungen von vielen tausend Fufs Mächtigkeit Halbschmelzung (state of 
semifusion) hervorgebracht, so dafs die Schichten bei der Abkühlung 
krystallinisch werden konnten ähnlich wie Gmeifs; Granit entstand bei 
höherem Grade der Einwirkung, bei vollständiger Schmelzung, und so 
erklärt sich der Übergang von Granit und Gneifs.* 

Noch später 1871 in den Students elements of Geology nennt 
Lyell die Bildungsweise der metamorphischen oder geschichteten krystalli- 
nischen Gesteine dunkler als die der auf nassem Wege gebildeten, der pluto- 
nischen und der vulkanischen Gesteine. Er rechnet zu den metamorphi- 
schen Gesteinen Gneils, Glimmer- und Thonschiefer, Chloritschiefer, Horn- 
blendeschiefer, Marmor und Ähnliches. Er nimmt an, da sie geschichtet 
sind und aus Wechsellagerung von Gesteinen bestehen, welche in Farbe. 
Zusammensetzung und Mächtigkeit wechseln genau wie die Versteinerungen 
führenden Absätze, dafs sie der Hutton’schen Theorie entsprechend als 
Sedimente aus Wasser abgesetzt und dann durch unterirdische Hitze so 
verändert wurden, dafs sie eine neue Struktur annahmen. Versteinerungen 
führende Schichten sind bei Contakt mit Granit bis auf 1 Meile weit 
aus erdigen Gesteinen in entschieden krystallinische umgewandelt, Kalke 
mit Muscheln und Corallen in weilsen Marmor, harte Thonschiefer (clays) 
in Glimmerschiefer oder Hornblendeschiefer, wobei jede Spur organischer 


Reste zerstört wurde. 


184 Roru über die Lehre vom Metamorphismus 


Kennen wir auch nicht genau die Art des umwandelnden Einflusses, 
so hat er doch gewisse Analogieen mit dem, welchen vulkanische Hitze und 
Gase hervorbringen. Der Procefs kann daher als plutonisch bezeichnet 
werden, weil er in den Regionen entstanden zu sein scheint, wo pluto- 
nische Gesteine gebildet werden, und bei ähnlichen Verhältnissen des 
Druckes und der Tiefe unter der Erdoberfläche. Stark erhitztes Wasser 
oder Dampf, welche geschichtete Massen unter hohem Druck durch- 
drangen, haben zweifellos Theil an der Bildung der krystallinischen Struk- 
tur, und es ist klar, dafs diese Einflüsse auf ganze Bergmassen eingewirkt 
haben (p- 8). 

Alle die 4 oben genannten Gesteinsgruppen sind gleichzeitig ge- 
bildet und ihre Bildung mag noch jetzt in grofsem Maafse fortgehen 
(They have all been produced contemporaneously, and may even now be in 
the progress of formation on a large scale (p. 9). 

Die Granite und metamorphischen Gesteine sind nicht die erst- 
gebildeten, nicht primitiv, wenn auch ein Theil älter ist als die ältesten 
Verstemerungen führenden Schichten (p. 100); die unteren Theile der 
Erdrinde sind oft modificirt und ganz verändert durch vulkanische und 
andere unterirdische Ursachen, während Darüberliegendes unverändert 
blieb: ähnlich wie der Pfeilerrost unter einem Hause erneut wird, wäh- 
vend das Haus selbst ungeändert bleibt.!) So ist es mit der bewohn- 
baren Oberfläche der Erde: sie bleibt oben dieselbe, während ın der Tiefe 
Festes flüssig wird und beim Erstarren eine neue Textur annimmt. In 
diesem Sinne sind die plutonischen und metamorphischen Gesteine zu- 
sammen hypogen, ein Name, der keine chronologische Beziehung enthält. 

Unter dem Huron, das wesentlich aus Quarziten und grünen chlo- 
ritischen Schiefern besteht und Geschiebe (pebbles) des Laurentian ent- 
hält, liest discordant das Laurentian, dessen oberer Theil wieder discor- 
dant auf dem unteren ruht. Das Eozoon canadense beweiset für metamor- 
phische Bildung des Laurentian, die jedoch vollendet sein mulste vor 
Absatz des Hurons, wie die im Huron vorhandenen Geschiebe beweisen 
(p. 476— 477). 


1) Vergl. $. 165. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 185 


Sir R. Murchison’s Fundamentalgneifs in Schottland, auf dem das 
Untercambrische und verschiedene metamorphische Gesteine discordant 
liegen, entspricht höchst wahrscheinlich im Alter einem Theil der srofsen 
nordamerikanischen Laurentiangruppe (p. 477). Der Einflufs der unter- 
irdischen Hitze reicht vom Krater jedes thätigen Vulkans in unbestimmt 
grolse Tiefen, so dafs je nach der Tiefe vulkanische und plutonische Ge- 
steine zugleich entstehen müssen, die ersteren an der Oberfläche, die an- 
deren in der Tiefe (p. 535 und 547). Zwischen der Krystallisation eines 
plutonischen Gesteins in der Tiefe und seiner Emporsteigung auf die Ober- 
fläche müssen gewöhnlich eine oder zwei geologische Perioden liegen. 
Recente oder pliocäne Granite sehen wir also nirgend auf der Oberfläche. 
„Flysch (oberer Theil der Nummulitenformation) wird von plutonischen 
Gesteinen durchbrochen und in krystallinische Schiefer der hypogenen 
Klasse umgeändert. Der talkige Granit oder Gneifs des Mont Blane 
ist geschmolzen oder plastisch gewesen, nachdem der Flysch im Meer ab- 
gesetzt war. Die Frage in Bezug auf das Alter dieses Granites ist nicht, 
ob er secundär oder tertiär, sondern ob er eocän oder miocän ist (P.552).“ 

Gregory Watt’s Versuche (Phil. Tr. 1804) zeigen, dafs ein Ge- 
stein vollständiger Schmelzung nicht bedarf um eine neue Anordnung 
der Gemengtheile zu bedingen. Die plutonische Umänderung wird be- 
wirkt nicht durch Hitze allein; Gase, Dämpfe und heifses Wasser mit 
Salzgehalt, hydrothermale Aktion helfen mit dazu (p. 568). (Heilse und 
kalte Quellen mit Kohlensäure beladen und besonders mit Flufssäure, die 
oft in kleinen Mengen vorhanden ist, sind mächtige Ursachen der Zer- 
setzung (p. 568): charged with carbomie acıd and specially with hydrofluorie 
acıd! Verwechslung mit Fluorsalzen!) „Die metamorphischen Schichten 
sind in einer Periode abgesetzt und krystallinisch geworden in einer andern 
(p- 581). Hitze, Dampf oder Wasser kann durchgängigere Schichten ver- 
ändern, so dafs die Gemengtheile sich neu ordnen, während die anliegenden 
Schichten dem heifsen Gas oder Wasser keinen Durchgang erlauben, oder 
auch defshalb ungeändert bleiben, weil sie weniger leicht schmelzbare oder 
zersetzbare Mineralien enthalten. Daher wechseln in den Alpen sandige 
und kalkige Schichten mit Bändern von granitischen, Gneils ähnlichen 
Gesteinen (answering in character to gneiss p. 582). Tertiärschichten 
können metamorphische Struktur erhalten nach Ebenen, welche parallel 

Phys. Kl. 1870. 24 


186 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus 


der Schichtung sind (p. 582), aber der Metamorphismus ist in den Alpen 
nicht an die unmittelbare Nähe der Granite gebunden. Eine azoische 
Zeit nimmt Lyell nicht an (p. 587). 

Man sieht, wie eng Lyell’s Ansichten 1833 sich anschliessen an 
die von Hutton ausgesprochenen. Die zwei Grundgedanken Hutton’s 
sind beibehalten: der heilsame Kreislauf von neptunischer zu plutonischer 
Einwirkung, welche den periodischen Wechsel in der Beschaffenheit der 
Erdoberfläche bedingt, und der Grundsatz, dafs die Geologie keinen An- 
fang der Dinge zu erkennen vermöge. Die Ansicht Hutton’s, dals alle 
Sedimente erst durch plutonische Einwirkung auf dem Meeresboden zu 
festen Gesteinen werden, ist als unhaltbar aufgegeben, und die Umwand- 
lung auf die jedesmaligen untersten Schichten beschränkt, von denen 
ein Theil zu Eruptivgesteinen metamorphosirt wird. Neben der Abwehr 
der ultraneptunischen Ansicht fehlt jede Angabe über die Entstehung 
des Centralfeuers, das, wie bei Hutton, einfach als gegeben angenommen 
wird. Die Schwäche der Argumentation liegt namentlich in dem Satz, 
dafs gleiche Wirkungen auf gleiche Ursachen schliefsen lassen. Die Summe 
einer Reihe kann aber aus ganz verschiedenen Faktoren bestehen; eine 
Erscheinung, die bei der Vielheit der zu Einer Wirkung zusammentreten- 
den geologischen Ursachen überall wiederkehrt. Niemand wird in dem 
Satze, dals bei Nichtannahme des Actualismus die Voraussetzung einer 
früher anders gearteten chemischen Causation nothwendig werde, eine 
Stütze für den Actualismus erblicken können, da die chemischen Kräfte 
bei Änderung der Bedingungen, unter denen sie auftreten, eben andere 
Wirkungen üben. Es ist nur nöthig, an die Änderung der chemischen 
Verwandtschaften bei Änderung der Temperatur zu erinnern. Viel rich- 
tiger und sicherer als der Satz Lyell’s, dafs alle hypogenen Gesteine 
aus Thon, Schlamm, Sand, Mergel u. s. w. entstanden sein müssen, ist 
die Umkehrung dieses Satzes dahin, dafs alle Sedimente aus „hypogenen* 
Gesteinen entstanden sind, da sie Bruchstücke derselben enthalten und 
die Verwitterung alle Tage die Beweise für die Entstehung der Sedimente 
aus den „hypogenen* Gesteinen liefert. Nimmt man freilich mit Lyell 
die Sedimente als Ausgangspunkt und fügt daran die Lehre von Actua- 
lismus, so muls man auf irgend eine Weise, sei sie noch so künstlich, 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 187 


aus ihnen die Eruptivgesteine und die krystallinischen Schiefer durch 
„Metamorphose“ hervorgehen lassen. 

Hatte Lyell 1833 die Sekundärschichten nur sparsam dem Meta- 
morphismus unterworfen gefunden, so läfst er ihn 1871 auch die tertiären 
Gesteine ergreifen. Die schwierige Deutung der alpinen Gesteine wird 
durch die kaum haltbare Theorie der Nichtpermeabilität beseitist oder 
richtiger umgangen. Die Theorie des Kreislaufes, ohne bestimmt aus- 
gesprochen zu sein, leuchtet durch die ganze, viel stärker als früher auf 
das Faktische beschränkte Darstellung hindurch, die jede Diskussion über 
Entstehung der Erde geflissentlich vermeidet. 

Edward Hitchcock (Feport on the geology of. Massachusetts. 
Amherst 1833) ist der Ansicht, dafs Granit die erste Erstarrungsrinde 
bildete!). Aus dem Detritus derselben und aus dem einiger anderer 
ebenso alter Gesteine entstanden die sogenannten primären geschichteten 
Gesteine (stratified primary rocks), die krystallinischen Schiefer, wie Gneifs 
Glimmerschiefer, Talk-, Hornblendeschiefer, Serpentin. Sie waren Sedi- 
ınente, welche durch hohe Temperatur ohne die Schichtung zu verlieren 
krystallinisch wurden oder sogar geschmolzen wurden und eruptive Form 
annahmen wie Serpentin?). Glimmerige, grobe, aus Zertrümmerung des 
Granites entstandene Sandsteme?) sind wahrscheinlich das Ursprungs- 
gestein des Gmeifses. Wo dieser mit Hornblendeschiefer wechsellagert, 
wechsellagerte ursprünglich Thonschiefer mit dem Sandstein; wo Glimmer- 
schiefer und Gmneils wechsellagern, fehlten in einem Theile des Sedimentes 
die Elemente zur Bildung des Feldspathes. 

Hiteheock betont im Gegensatz zu Hutton und Lyell die 
Ansicht vom Anfang und vom Ende. Wenn die der Erde innewohnenden 
chemischen Kräfte durch den Willen ihres Schöpfers losgelassen würden, 
so würden sie das Ende der Erde bewirken. Mit dem Maafse der heute 
thätigen Kräften allein sei die Geschichte der Erde nicht zu erklären. 

Also ein Protest gegen Hutton’s Fundamentalsätze, gegen Lyell’s 
eben entwickelte Theorie der actual causes, daneben die metamorphische 


nn 12c.29l10: 
2) 1.c. 350 und 373. 
’) „resulted from the disintegration of granite* 1. c. 409. 


24* 


188 Roru über die Lehre vom Metamorphrsmus 


Bildung der krystallinischen Schiefer, und eine aus feurigem Flufs erstarrte, 
aus Granit bestehende Rinde. 

Sedgwick und Murchison erklärten 18421), die krystallinischen 
Gesteine des Taunus seien durch plutonische Procefse umgewandelte 
Schichten der rheinischen Grauwacke, ©. F. Roemer (1844) und Du- 
mont (1848 und 1852) machten für die betreffenden Taunus- und Ar- 
dennengesteine dieselbe Annahme, während für die Taunusgesteine nach 
Sandberger und List (1850) die Metamorphose durch Umsetzung auf 
nassem Wegs erfolgte. 

Murchison?) hält seit 1851 die Thonschiefer, Chlorit- und Glimmer- 
schiefer der südlichen Hochlande Schottlands für metamorphosirtes Unter- 
silur, die Chlorit-, Glimmerschiefer und Quarzite von Anglesea und Westir- 
land für veränderte Grauwacke. Später (1858) unterscheidet er?), an 
der Nordwestküste Nord-Schottlands Fundamentalgneifs, gleichen Alters 
mit Logan’s Laurentiansystem und zwar dessen unterem Theil*), von den 
sicher metamorphischen, darüberliegenden, zuweilen in Gneils verlaufenden 
Glimmer- und Chloritschiefern. Noch später (1862) nimmt Murchison ) 
auch den Gneils von Böhmen und Baiern als Repräsentanten des Funda- 
mentalgneifses. 

Die nicht ganz leicht verständlichen Ansichten, welche seit 1833 
Fournet vertrat, entnehme ich der Geologie Iyonnaise 1859. Ihm ist 
der Glimmerschiefer „compose impur et rebelle de l’ensemble des elements 
repousses de Tinterieur ü Vexterieur du globe*, die erste Erstarrungsrinde. 
Es mufste eine Art oberflächlicher Schlacke entstehen und sich beladen 
mit einigen der Elemente der glühenden atmosphärischen Hülle, in deren 
Berührung sie sich bildete; sie mufste schiefrig werden wie Alles, was 
das Wasser umlagert). Unter dieser Schlackendecke gingen in der Tiefe 
die regelmälsigen Krystallisationen vor sich, welche den Granit lieferten. 
Dieser alte, normale Glimmerschiefer besteht nur aus dunkelem Glimmer, 


1) Angaben, entnommen dem Aufsatz Lossen’s in Zt. geol. Ges. 19. 523 u. flg. 1867. 

2) Quart. J. geol. Soe. 7. 168. 1851. 

3) Quart. J. geol. Soc. 15. 359. 1859. 

#) Geol. mag. 2. 101. 1865. 5) Quart. J. 19. 357. 1863: 

8) 1. e. 170. cf. 210. „les mieaschistes — les produits de la grande &limination des 
heterogeneites chaotiques.” 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 189 


dem höchstens Granat, vielleicht noch Kies und dünne Quarzhäutchen 
beigemengt sind. Die Quarzlinsen wurden später plutonisch injieirt. !) 
„Der wahre alte Gmeils ist ein exomorphosirter Glimmerschiefer; exomor- 
phosirt, unmittelbar oder später, durch den Granit, der sich ruhig unter 
der Glimmerschieferdecke entwickelte*?). Wie die Feldspathisirung ?) 
der Glimmerschiefer in der Nähe der Granite eintritt, so beladen sich die 
Gesteine in der Nähe der Syenite (oder ihrer degradations) mit Horn- 
blende #). Fournet setzt alle diese Erscheinungen in nächste Verbin- 
dung mit den bei der Cupellirung beobachteten, welche seinen Ausgangs- 
punkt bilden. Glimmerschiefer, wie der des St. Gotthard, mit wenig oder 
gar nicht gefärbtem, dünnblättrigem Glimmer nennt Fournet „micachistes 
nacres“?). Sie sind jünger als der normale Glimmerschiefer und bilden 
Übergänge in Chlorit-, Quarz-, Thonschiefer; sie lehren, dafs sie zu einer 
Zeit entstanden, wo die Tendenz zur Krystallisation und der Einflufs der 
hohen Temperatur sich sehr vermindert, der des Wassers sehr zuge- 
nommen hatte, so dafs die Rolle des letzteren der ähnlich wurde, die 
es seitdem in den sekundären und tertiären Bildungen spielt ®). 

Gewisse Melaphyre und ähnliche Gesteine hält Fournet für meta- 
morphische Bildungen, endo- und exomorpher Entstehung, gebildet aus 
dem Nebeneinander von Quarzporphyren und Syeniten einerseits, siluri- 
schen und cambrischen Thonschiefern andererseits ?). 

Den normalen Metamorphismus hält Fournet für eine beschränkte 
Erscheinung, die mit allen Wirkungen des Contaktes complicirt ist®). 

Virlet betrachtet (Bull. geol. 8. 306. 1837 und ähnlich in früheren 
Mittheilungen ?) den Granit als erste Erstarrungsrinde; auf diese schlu- 


1) 1.c. 185—189. „epanchements plutoniques.* cf. 369 und Bull. geol. (2) 16. 
256. 1359. 

2), 1uc. 371. 3) =]. c. 69. 66. 5) beanldiE 

ya Nlilk 

SyFalesalkib. 

”) 1.e. 369 cf. Bull. geol. (2) 16. 246. 1859. 

s) ib. 256. 


”) Bull. geol. 6. 320. Er führt 1. ec. 316. elektrochemische Thätigkeit, vielleicht 
durch hohe Temperatur entstanden, als Agens der Transmutation auf, welche in dem 
festen Gestein thätig wird. 


190 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus 


gen sich dann Sedimente nieder, welche durch das Centralfeuer in kry- 
stallinische Schiefer, Quarzit u. s. w. oder bei dem höchsten Grade der 
Umänderung in gewisse Granit- und Porphyrvarietäten, in Pegmatit, Pro- 
togin, Euphotid, Diorit, Amphibolit und andere sogenannte plutonische Ge- 
steine umgeändert wurden. Aufserdem findet sich in der Nähe oder im 
OContakt der feurigtlüssigen Gesteine eine Umänderung, entweder einfach be- 
ddingt durch die hohe Temperatur oder, wie gewöhnlich in der Nähe hoher 
Bergketten, verbunden mit längerer oder kürzerer Einwirkung chemischer 
Agentien wie Entwicklung von Gasen und flüchtigen Stoffen. Er bemerkt, 
dafs die Überlagerung durch spätere mächtige Schichtensysteme Steigerung 
der Temperatur in den ältesten Absätzen bewirken mulste. Später lälst er 
den Quarz gasförmig oder geschmolzen hervortreten (Bull. acol. (2) 1. 746. 
1844) und fügt (l. ec. 829) hinzu, dafs der Grad der Metamorphose desto 
stärker wird je mehr Gänge aller Art an Zahl zunehmen. Noch später 
kommt Virlet!) zu der Ansicht, dals die Dauer oder die Stärke der Me- 
tamorphose die Umbildung der Sedimente zu Gneils oder Granit bedingt 
und dafs überhaupt keine primitiven Gesteine auf der Erdoberfläche 
vorhanden sein können d.h. keine, die nicht entweder chemische oder 
molekulare Umbildung seit der Erstarrung der Erdkruste erfahren haben. 
Diese Umänderungen gehen nicht nothwendig bei hoher Temperatur vor 
sich, es findet keine Erweichung statt, aber das Wasser spielt dabei eine 
grolse Rolle.?) Er nimmt an®), dals alle Quarzlinsen oder Quarzmandeln 
in Gmeils, Glimmer- und Thonschiefer späteren Injektionen ihren Ur- 
sprung verdanken, ähnlich wie schon (1845) Fournet angenommen hatte 
und Elie de Beaumont t) wenigstens für einen Theil der Quarzlinsen 
der Glimmerschiefer für wahrschemlich hält. 

Joh. Nep. Fuchs), welcher annimmt, dafs dem krystallinischen 
Zustand immer der amorphe vorausgehen muls, stellt sich der Urzustand 
der Erde, zu dem es jedenfalls gekommen sein mulste, bevor die Gebirgs- 


bildung beginnen konnte, folgender Maalsen vor. Während Kalk und 


1) Bull. geol. (2) & 500 un. fg. 1847. 
2) ib. (2) 15. 122—127. 1858. 

>) ib. (2) 1. S33. 1844. und 3. 15. 1846. 

t) Bull, geol. (2) 4 1307. 1847. 

5) Gelehrte Anzeigen der Akad. d. Wissensch. in München. 1833. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 191 


der gröfste Theil der Magnesia mit Kohlensäure verbunden (Kalkreihe) 
die Hauptmasse des aufgelöseten Theiles der Gebirge bildeten, bildete die 
Kieselreihe (Kieselsäure theils für sich als gelatinöse Substanz, theils mit 
den Basen verbunden) die unauflösliche Masse der Gebirge im amorphen 
und festweichen Zustande. Der Beginn der Krystallisation, durch die Er- 
scheinung des Lichtes bezeichnet !), machte Wärme frei, die bis zur Glut 
steigen konnte, und so entstanden aus dem amorphen Festweichen die 
Gebirgsarten, hier Granit und Porphyr, dort Glimmerschiefer und Quarz- 
fels u. s.w. Die älteren und gemensten, in einander verlaufenden Glieder 
der Kieselreihe sind nur Varietäten Einer Formation. Da das Gewässer 
bald ruhig bald bewegt war, so entstanden deutlich und undeutlich ge- 
schichtete Gebirgsarten. Als das Gewässer, nicht mehr durch die fest- 
weiche Masse gefesselt, sondern frei geworden, unruhig und stürmisch 
ward, konnten sich die späteren Glieder der Kieselreihe nicht mehr so 
vollkommen und deutlich ausbilden. Diese Unvollkommenheit beginnt 
beim Thonschiefer, der nichts ist als ein Granit mit sehr kleinen und 
undeutlichen Gemengtheilen. Was man sekundäre Gebilde nennt (Sand, 
Sandstein und Thon) ist gröfseren Theils auf ähnliche Weise wie die 
älteren Gebirge der Kieselreihe entstanden und eine Fortsetzung derselben. 
(Juarzsand, Sandstein und Thon, in der Regel mit einander gemengt vor- 
kommend, stehen oft in solchem Verhältnifs zu einander, dals sie bei 
günstigeren Umständen wahrscheinlich den schönsten Granit gegeben 
hätten, in den man sie zuweilen übergehen sieht. Die sogenannten Kry- 
stallkeller des Granitgebirges und die (Quarzkrystalle in den Mandelsteinen 
entstanden aus gallertartiger Kieselerde, daher sind die Einschlüsse im 
Bergkrystalle möglich. 

Berzelius bezeichnet diese Theorie als eine Dichtung, welche nur 
der Geschichte der Geologie angehören kann. (Jahresber. für 1838. 744.) 
Es ist die Theorie des nassen Breies, welche geologisch in den heutigen 
Laven, im Öontaktmetamorphismus, in den Gängen u. s. w. ihre Wider- 


lesung findet. 


') „Die Erde war also damals ein selbstleuchtender Körper.* 


192 Rorm über die Lehre vom Metamorphismus 


Der Metamorphismus bei Fuchs bezieht sich nur auf die Struktur, 
nicht auf die chemische Beschaffenheit, und der geologische Gesichtspunkt 
tritt hinter den chemischen vollständig zurück. 

Als ein sehr merkwürdiger Versuch die Erscheinungen des Meta- 
morphismus zu erklären ist Leopold von Buch’s Profil durch die „be- 
rühmten Westgothländischen, festungsartigen Berge,“ die Kinnekulle, den 
Billingen, Mösse-, Hunne- und Halleberg zu erwähnen. Er schreibt am 
I. März 1842 darüber an v. Leonhard (Jahrb. Min. 1842. 282.). „Ich 
war auf Halle- und Hunneberg, auf der Kinnekulle bei Lindkjöping und 
sah vor mir die vielen Basaltbedeckten westgothischen Berge und die 
Transitionsschichten unverändert darunter, und immer nur wo der Basalt 
sie bekrönt. Der Gneifs aber berührt diese Transitionsschichten nie, son- 
dern bleibt überall mit deutlichem Rande in der Entfernung zurück. 
Jeder Basaltberg aber, das wissen wir jetzt, denke ich, ziemlich gewils, 
ist das Ausgehende eines Ganges, eines Stockes, einer grolsen Masse, 
welche unter den bedeckenden Schichten sich ausdehnt. Sollte wohl 
dieser unter der Oberfläche sich fortziehende Basalt die silurischen Schich- 
ten vor dem überall weit umherwirkenden Metamorphismus beschützt und 
sie später unverändert zu Tage erhoben haben? Gewils ist das eher zu 
glauben, als an eine Weeführung einst zusammenhängender Schichten zu 
denken, welche uns doch keine Erklärung geben würde, warum denn eben 
der Basalt nur auf dem Gipfel solcher Schichten ruhen könne, warum 
niemals auf Gneils.*“ Den Grund, welshalb der Granit nicht auch die 
von basaltischen Formationen (Trapp) bedeckten Transitionsgebirgsarten 
in Gmeils umgeändert hat, findet L. v. Buch in der sogleich zu erwäh- 
nenden Abhandlung in Folgendem: „Die basaltischen Formationen, welche 
sich sogar weit unter dem Granit ausdehnen können, verhindern die ver- 
ändernden Stoffe, mit welchen der Granit hervortritt, auch auf die den 
Basalt bedeckenden Transitionsgebirgsarten zu wirken. Sie können daher 
nur dort aus den Transitionsschiefern Gneils bilden, wo der Basalt in der 
Tiefe aufhört und nicht mehr das Hervorbrechen des Granites hindert. 
Gmeilsgewölbe können also sich da erst wieder erheben, wo der Basalt 
in der Tiefe verschwunden ist und dem Granit Platz gemacht hat.“ 

Die am 15. December 1842 in dieser Akademie gelesene, 1844 
gedruckte Abhandlung „Über Granit und Gneufs“ wiederholt dieselben 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 193 


Anschauungen über diese Berge. Sie enthält (S. 7) die Worte: „dafs 
nämlich aller Gneufs, so weit er sich auch ausdehnen mag und wenn er 
auch, wie im Norden, grolse Länderstrecken einnimmt, dafs dieser Gneuls 
durch Einwirkung des hebenden Granites und der mit seiner Erhebung 
verbundenen Stoffe aus Schiefern entstanden sei, welche durch Ein- 
dringung der verändernden Stoffe umgewandelt worden sind ohne doch 
im Ganzen ihre schiefrige Forın zu verlieren, das ist jetzt eine allen Geo- 
gnosten so geläufige und von den Meisten als glücklich durchgeführte 
Hypothese angesehene Meinung, dals sie als völlig bekannt vorausgesetzt 
werden kann. Der Gneufs der kleinen Blasen und Hügel in Finnland 
würde hiernach vom Eismeer bis zum nördlichen Ufer des Finnischen 
Meerbusens aus silurischen Schichten der Transitionsformation entstanden 
und umgewandelt worden sein.“ 

L. v. Buch sieht bei Gothenburg und Stockholm den Oligoklas 
auftreten „in Gängen und Stöcken durch Gneufs und Granit und durch 
alle Gänge des Letzteren, welche in Gmneufs aufsetzen.“ Man sieht bei 
Ytterby „deutlich sein Erheben aus dem Boden herauf, man sieht das 
Aufwerfen des darüber liegenden Gneufses und das Eindringen der leicht- 
beweglichen Masse in alle Spalten, Klüfte, Schiefern und Risse des er- 
hobenen Gesteins. In der Mitte des mehr als 80 Fufs tiefen Bruches 
hängt noch jetzt eine wohl 20 Fufs hohe Masse von Gneuls, gänzlich 
von den darauf liegenden Gneufsschichten getrennt, und von allen 
Seiten vom weilsen Oligoklas umschlossen. Die Schiefer dieses Gneuls- 
blockes sind von unten herauf, wie dıe Blätter eines Buches, in Fächer- 
form von einander gerissen, und die Zwischenräume erfüllt, trennend und 
spaltend, das weilse Gestein. Oben hängen die Schiefer noch dicht an- 
einander und werden durch keinen Oligoklas von einander geschieden. 
So ungefähr hat man sich die Veränderung vorzustellen, welche aus silu- 
rischen Schichten Gmneufs gebildet hat. Wie hier der Oligoklas, so 
dringt der Feldspath aus dem Innern zwischen den Blättern 
der Schiefer und wird von der durch hohe Temperatur zu Glimmer 
veränderten Masse der Schiefer umwickelt.* Da diese ganze Oligoklas- 


Phys. Kl. 1871. 35 


194 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus 


gebirgsart später als der Granit erschienen ist. so hat sie keinen Antheil 
an der Bildung des Gmeilses. !) 

Im Silur sind also die zur Bildung des Glimmers nöthigen Ele- 
mente und der Quarz als soleher vorhanden; damit Gmeifs entstehe, mufs 
der Feldspath herbeigeschaft werden. Er dringt also aus dem Innern 
auf. verliert dabei seine Continuität, zertheilt sich in einzelne Partien 
und wird umwickelt von dem zu Glimmer veränderten Silur. In dem Be- 
weisstück schiebt er sich freilich als eontinuirliche Lage in den Gneils 
hinein. ohne sich zu zertheilen. Und wie diese Einschiebung des Feld- 
spathes von unten her bei söhlig liegenden Gneilsschichten mit der söh- 
liveen Lage der Schieferung zu vereinen sein möchte, ist schwer ein- 
zusehen. 

Dasselbe gilt auch für „die verändernden Stoffe“. mit denen der 
Granit hervortritt. um das Silur in Gneifs umzuwandeln. Auch sie bilden 
den Feldspath immer der Schieferung parallel, nie bezeichnen sie den 
Weg, den sie genommen, durch die Bildung desselben. 

Gesteine von demselben Masnesiagehalt wie Trapp und Augitpor- 
phyr üben an verschiedenen Stellen ganz entgegengesetzte Wirkung aus. 
In den Alpen bewirken sie die Hebung und Dolomitisirung der Kalke; 
in Westgothland. wo sie so lange mit dem Silur in Berührung sind, 
dals sie es gegen die Granitemanationen schützen, heben sie nicht, sie 
lassen auch noch den Orthoceren-Kalkstein vollständig ungeändert, ob- 
wohl sie ihn durchbrechen. Der Schutz, den ein Eruptivgestein gegen 
des anderen Wirkung gewährt, ist wohl nie wieder in Anspruch ge- 
nommen worden, und er ist das Bezeiechnende ın diesem Aufsatz, der die 
Verbreitung metamorphischer Ansichten um das Jahr 1842 so ausdrück- 
lieh eonstatirt. 

J. D. Dana?), Anhänger der Theorie der gegenwärtig wirkenden 
Ursachen, sieht zwar in der Schieferung der Gneifse und Glimmerschiefer 
keinen Beweis für ihre sedimentäre Entstehung, schreibt jedoch gewilsen 
nicht schiefrigen Graniten sedimentären Ursprung zu und hält bei dem 


) Mer mz19. 
2) Sill. Am. J. 45. 104—129. 1848. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 195 


Metamorphismus nicht für das Wirksame hohe Temperatur, sondern 
heifses Wasser !). 

Manche Gneifse und Glimmerschiefer, so wie gewisse Granite sind 
nach ihm metamorphisch, da thonige Sedimente bei erhöhter Temperatur 
Glimmer, Glimmerschiefer, Gneils liefern können. Wo Metamorphismus 
eintritt, wirkt die hohe Temperatur vermittelst des Wassers, das, durch 
die Eruption selbst erhitzt, als leicht beweglich weithin Wirkungen aus- 
üben kann, denn die Wärmeleitung der Gesteine ist viel zu gering als 
dafs eine etwas mächtige Schicht durch hohe Temperatur allein verändert 
werden könnte, man muls erhitztes Wasser zu Hülfe nehmen. Durch 
dieses entstehen aus den erdigen die körnigen Kalke, durch Magnesia- 
haltiges heifses Wasser die Dolomite und Serpentinlager, durch Wasser 
mit Magnesia- und Kieselsäuregehalt talkige und chloritische Gesteine; 
diese alle sind hydrometamorphischen Ursprungs. 

Von den in den ältesten Zeiten hervorgetretenen Eruptivgesteinen 
(Granit, Syenit u. s. w.) wurde durch das Wasser Sand abgespült und rund 
um die Eruptionscentren ausgestreut; das Wasser, durch dieselbe oder 
spätere Eruptionen erhitzt, änderte vermöge seines Gehaltes an Magnesia, 
Kieselsäure und anderen Substanzen diese Sande zu krystallinischen 
Massen um. 

Hier tritt die heilse Salzlösung zum ersten Mal als Hauptagens 
des Metamorphismus auf; von nun an wird sie häufig als wesentlich in 
die Lehre eingeführt. 

In dem Manual of Geology 18632) sind Granit, Gneifls, Glimmer- 
schiefer, Thonschiefer, Chlorit- und Hornblendeschiefer, Syenit, Hyperit, 
Diabas, Feldspathporphyr, Hornblendeporphyr, Euphotid metamorph, aber 
Feldspathtrapp, Porphyr, Melaphyr, Diorit und die jüngeren Eruptiv- 
gesteine sind „ıyneous rocks“ (p. 86); die azoischen Gesteine (krystallini- 
sche Schiefer zunächst) entstanden aus älteren azoischen Sedimenten, 
ursprünglich horizontal im Meere abgelagerten Trümmern der ältesten 
Erstarrungsrinde. „Diese ist jetzt zwischen den später krystallisirten, 


!) Nach Angabe von Dana hatte schon früher Silliman in der Americanischen 
Ausgabe von Bakewell’s Geology auf diese Wirkungsweise Rücksicht genommen. 
?) Das sehr merkwürdige Capitel über Cosmogony beginnt p. 741. 
In 
zo) 


196 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus 


den jetzigen azoischen Sedimenten so versteckt (disguised) oder so tief 
unter ihnen begraben, dafs man sie nicht erkennen kann“ (p. 143). „Der 
Ausdruck azoisch schliefst Abwesenheit von Organismen ein, aber nicht 
nothwendig der des niedersten Grades.“ Beweise dafür sind nach Dana 
die Kalke, der Graphit u. s. w.; „wahrscheinlich entstanden Pflanzen 
früher als Thiere“ (p. 146). Ursache des Metamorphismus ist unterirdi- 
sche Hitze und Wassergehalt, gewöhnlich, wenn nicht immer, verbunden 
mit Druck. „Feuchtigkeit ist wesentlich, weil trocknes Gestein ein Nicht- 
leiter der Wärme ist (wie die Ziegelsteine lehren) und auch wegen ihrer 
chemischen Wirkung bei höherer Temperatur“ (p. 707). Bei der Meta- 
morphose braucht Schmelzung nicht einzutreten, meist ist sogar nur eine 
verhältnifsmälsig niedere Temperatur nöthig, 300—1200° F., aber lange 
Dauer derselben erforderlich“ (p. 707). 

Nach Forchhammer!) ist der gröfsere Theil der skandinavi- 
schen Gmeilse offenbar so entstanden, dals eruptive Granitmassen Natron- 
und Kalidämpfe mit sich führten, welche die umgebenden erhitzten sedi- 
mentären Schiefer durchdrangen. So entstanden Alkalisilikate, welche bei 
hinreichend hoher Temperatur krystallisirten und je nach der Höhe derselben 
Granit oder Gneifs bildeten. Weiter entfernt von der Quelle der alkalischen 
Dämpte wird sich sehr wenig Feldspath bilden, da alles Kalı zu Glimmer 
sich umsetzt, welcher häufig weils ist, während das Eisen mit Thon- und 
Kieselerde zu Granat zusammengeht, der im Glimmerschiefer den Feld- 
spath des Gneilses vertritt. Noch weiter ab vom Granit wird nicht ein- 
mal mehr Glimmerschiefer sich bilden. da es an Alkalı fehlt, und das 
letzte Glied der Metamorphose wird ein glimmeriger, verhärteter Thon- 
schiefer sein. Forchhammer läfst auf diese Weise aus dem Alaunschiefer 
bei Bugten, Christiania, Gneils entstehen, dessen Kiese den Ursprung aus 
kiesigem Thonschiefer nachweisen. 

Die nächste Frage bei Annahme dieser Theorie würde die sein, 
weshalb nicht überall und stets der immer mit demselben Habitus auftre- 
tende Granit seine Umgebung mit Alkalisilikaten erfüllt, wefshalb gerade 
nur der skandinavische Granit reich gewesen sein soll an Alkalidämpfen. 
Aber selbst wenn man diese Ausnahmestellung für den dortigen Granit 


!) Rep. Brit. Assoc. for 1844. 166. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 197 


zugiebt, wozu nur in der Theorie, nicht in der Wirklichkeit ein Grund 
vorliegt, so bleibt noch als sehr gewichtiger Einwurf die Thatsache übrig, 
dals der skandinavische Granit selbst keine Spuren der Entwickelung von 
Gasen und Dämpfen aufweiset, er ist dort ein ebenso compaktes Gestein 
wie überall. Die Ansicht, dafs der Granit, etwa wie geschmolzenes Glas, 
durch in der Hitze abgebenes Alkali die Metamorphose bewirkt habe, ist 
nicht haltbar, da er dann überall Umänderungen hervorgebracht haben 
mülste und diesem Verhalten entsprechend auch die ganze Reihe der an 
Alkalı reichen jüngeren Eruptivgesteine dieselbe Wirkung geübt haben 
müfste, wofür keine einzige Thatsache vorliegt. 

Nach Durocher!) findet sich der Metamorphismus vorzugsweise 
da, wo Sedimente und plutonische Gesteine einander nahe treten. Im 
Allgemeinen ist dabei die Temperatur nicht hoch gewesen, Halbschmel- 
zung oder Erweichung kommt nicht vor, in den festen (Gesteinen fand 
Molekularbewegung statt, ähnlich wie bei der Cementation des Eisens. 
Aber die Umänderung traf nicht alle Schichten einer Gegend gleichmälsig, 
wenig veränderte Schichten wechsellagern mit stark veränderten.?) Den 
einfachsten Fall bildet einfache Änderung der Textur, ein Blättrig- oder 
Körnigwerden, es entstehen keine neuen Mineralien. Oder die im Sedi- 
ment pulverig vertheilten Mineralien (wie Feldspath und Glimmer) zogen 
sich an und bildeten Krystalle, so dafs sich Feldspath- oder Glimmerhal- 
tige Gesteine entwickelten. Bei dem dritten verwickeltsten Fall entstan- 
den neue chemische Combinationen, entweder aus den im Sediment vor- 
handenen chemischen Elementen (so bilden sich Chiastolithe, Staurolithe, 
Öouzeranit, Dipyr) oder das metamorphosirende Gestein lieferte die fehlen- 
den Elemente selbst, wie z. B. Granit die zur Feldspathbildung nöthigen 
Alkalien #). Als nothwendige Bedingung ist zu betrachten lange Dauer 
der Erwärmung und des Druckes, wobei das Eindringen von Dämpfen 
nur conjekturalen Werth hat, aber die Mitwirkung thermo - elektrischer 
Ströme angenommen werden muls. Ist also der Metamorphismus die 


1) Bull. geol. (2) 3. 546—657. 1846. 

2), 1 e. 643. 

3) 1. c. 625. On eomprend que tr&s souvent, dans la formation du gneiss, le gra- 
nit aura dü ceder la matiere alcaline necessaire & la regeneration du feldspath. 


198 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus 


Wirkung langsamer Aktionen, so scheint doch höhere Temperatur nöthig, 
welehe Keilhau mit Unrecht ausschliefst. 

Sieht man die Thonschiefer und die feinkörnigen Grauwacken in 
der Nähe grofser Granitmassen allmählich. Glanz und blättrige Struktur 
annehmen bis endlich die Blättehen alle Charaktere des Glimmers, Talkes 
oder Chlorites zeigen, ohne dafs jedoch die Schichtung verloren geht, so mufs 
ınan schlielsen, dafs höchst wahrscheinlich die krystallinischen Schiefer meta- 
morphosirte Sedimente sind.t) Die Wechsellagerung und Übergänge von 
Gneils in Glimmerschiefer, die in beiden vorhandenen Kalke, Quarzite und 
Graphite zeigen, dals beide auf dieselbe Weise entstanden sind; das gilt 
wenigstens für einen Theil der Gneifse, nämlich soweit sie nicht schiefrige 
(ranite enthalten. 

Die Granitinseln mancher Gneils- und Glimmerschiefer sind zu 
unbedeutend, um ihnen die Umwandlung zuschreiben zu können; man 
ınufs also annehmen, sie sei bewirkt durch ein in der Tiefe liegendes 
(ranitbad (bamn de granıte?), welchem auch die vorhandenen Granitgänge 
entstammen. Es gibt also aufser dem lateralen Metamorphismus, dessen 
Produkte als Zone die sichtbaren plutonischen Massen umgeben, dessen 
Wirkung ausstrahlt von den plutonischen Massen, einen unterirdischen, 
von unten nach oben wirkenden vertikalen Metamorphismus, dessen 
Grund die hohe Temperatur des Erdinnern ist.) Die Wirkungszone 
der Granite, welche lateralen Metamorphismus hervorrufen, hat im Mit- 
tel in Norwegen 1200 Meter Breite, in den Pyrenäen erreicht sie eine 
Breite von 4000 Meter.*) 

„Wahrscheinlich ist der skandinavische Gneils das älteste Sediment, 
das aus der dünnen, wenig festen, granitischen Erstarrungsrinde entstand; 
daher senkten sich die Gmeilsschichten in die unterliegenden heilsflüssigen 
Massen ein, zerbrachen, falteten sich und wurden aufgerichtet, während 
der Granit sich überall injieirte. Es giebt in Skandinavien keinerlei Über- 
sang zwischen der Gmneilsformation und dem Silur, beide sind schnei- 


Danlzcs2oll. 
2) 1. c. 612. 622 
3) lac648. 
4) 1urcaı6A6: 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 199 


dend durch petrographische Beschaffenheit und discordante Lagerung ge- 
schieden, und wenn auch der Granit das Silur modifieirt hat. nie wird 
es dem Gneifs ähnlich.!) 

In Norwegen und Finnland liegt zwischen Gneifs und Silur die 
sogenannte Urthonschiefer-Formation, welche Thonschiefer. oft Glimmer- 
und Hornblendeschiefer, selbst Gneifs, aufserdem Grauwacke, Öonglome- 
rate (poudingues), Quarzite und Kalke einschliefst. Bald lagert sie con- 
eordant mit dem Urgneifs, welcher bisweilen Thonschiefer, Glimmerschie- 
fer und Quarzit enthält, bald lagert sie mit dem Urgneils discordant. 
Eine scharfe petrographische Trennung zwischen der Gneifsformation und 
dem nächst jüngeren Sediment ist daher nicht ausführbar; ein weiterer 
Beweis für den sedimentären und metamorphischen Ursprung des Gnei- 
fses.?) Bei dem Thonschiefer, welcher aus stärker zermahlenem und zer- 
setztem Detritus entstand als der Gneifs und seltner Granit aufweiset als 
dieser, ist daher der geringere Grad der Metamorphose erklärlich. 

Die Gneifse in Schweden und Finnland verdanken ihren Ursprung 
wohl den Granitgesteinen, „welche die Gneilsformation gebadet und sich 
nach alien Richtungen in dieselbe ergossen haben“; für die norwegischen 
Gneilse dagegen und die der Berggegend, welche Norwegen und Schwe- 
den trennt, mufs man, da in ihnen nur seltene und geringere Granitmassen 
zu Tage treten, den Einflufs unterirdischer Ursachen annehmen. Gadoli- 
nit, Orthit u. s. w. gehören nicht dem Gmeifs an, sondern den Gängen 
und Adern von grobkörnigem Granit. ?) 

Bei dem ÜOontakt eines massigen oder pyrogenen Gesteins mit 
einem geschichteten Gesten kann ein Theil der Elemente des ersteren 


!) 1. e. 620 u. 646. Nach Bayle (l. c. 538) führt der schwedische Gneils an 
manchen Punkten Spuren von organischen Stoffen und wird von Elie de Beaumont 
als stark metamorphosirtes Sediment betrachtet. 

Axel Erdmann hält (J. Min. 1864. 643) den von ihm Protogingneifs genann- 
ten Gneils der Provinz Dalsland für metamorphosirten Grauwackenschiefer. 

„Wenn wir grofse Strecken des sogenannten Terrain primitif mit regelmäfsigen 
Kalklagern erfüllt sehen, so ist das ein Beweis, dafs diese Strecken nicht primitiv sind.“ 
Kjerulf Geol. des südl. Norwegens 1857. 33. cf. 109. 

a)e 172621 

®) 1. ce. 623. 


200 Rorm über die Lehre vom Metamorphrsmus 


sich in die letzteren einführen; nicht blos alkalische oder kieselige, sondern 
auch fertig gebildete metallische Substanzen !), wie Eisenglanz und Mag- 
neteisen, gelangen durch „Diffusion oder Transsudation“ in die geschich- 
teten Massen, wobei sie sich oft der Schichtung conform ablagern. 
Risenglanz, Magneteisen, Granat u. s. w. brauchen nicht Gasgestalt anzu- 
nehmen um die benachbarten Gangwände zu durchtränken. Manche 
Gmeilse in der Nähe der Granite entstanden wahrscheinlich durch Trans- 
fusion des Feldspathes in die schiefrigen Gesteine; ähnlich können, we- 
nigstens in einigen Fällen, Topas, Smaragd, Turmalin und andere Mine- 
valien, welche oft Nester in den Schiefern bilden, durch eine Transfusions- 
erscheinung entstanden sein Ihr Auftreten sieht eher nach einem Mole- 
eulartransport aus als nach einer Injektion. ?) 

Magnesiahaltige Emanationen scheinen seit den ältesten und bis in 
die neuesten Zeiten stattgefunden zu haben. In der Nähe der Eruptiv- 
sesteine, noch der Basalte der Auvergne und Südfrankreichs, sind die 
Kalke in Dolomite umgeändert. Wie die Magnesia in die Kalke einge- 
führt wurde, ist eine untergeordnete Frage, denn Cementation kann ent- 
stehen bei Contakt mit festen oder gasigen Cementen. Die scharfsinnige 
Hypothese des Eindringens der dampfförmigen Magnesia quer durch die Ge- 
steinsspalten hat nur den Vortheil, die Umänderung grolser Massen schnell 
vor sich gehen zu lassen.®) Die Ersetzung eines Theils des Kalkes durch 
Masnesia bleibt ein chemisches Problem, ein Räthsel.*) Die letzte, mit den 
Ursachen des Metamorphismus verbundene Erscheinung ist das Auftreten 
der Thermen, „die Thermalität der Quellen scheint mit der Zeit zu er- 
löschen; die nur in den ältesten Epochen gehobenen Gegenden, wie Skan- 
dinavien, Nord- und Westfrankreich, haben keine Thermen.“ °) 

An die Stelle plötzlicher und grofser Temperaturerhöhung setzt 


Durocher „die sekuläre Erwärmung, welche vielleicht nie die Dun- 


1) „Les substanees metalliques ont chemine A travers les roches, sans que celles-ci 
aient eu besoin d’entrer en fusion. 1. c. 636. 
ce. 639641. 
e. 879580. 
ce. 644. 
ec. 641. 


a). 
)ı 
SE 

x 


h 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 201 


kelrothgluth erreicht hat,“!) und erklärt die Umwandlung durch Öementa- 
tion in festem, nicht erweichtem Gestein, durch Ersatz von Molekul zu 
Molekul, betrachtet sie jedoch wesentlich als eine Oontakterscheinung. 
Wo der Contakt nicht sichtbar ist, wird eine unterirdische Berührung, 
ein „Granitbad“ angenommen, denn „der Granit ist es vorzugsweise, der 
in den geschichteten Sedimenten neue Mineralien hervorbringt.”) 
Durocher spricht an vielen Stellen aus, dafs man die Thatsachen 
annehmen müsse, wenn auch die vollständige Erklärung fehle. An vielen 
Punkten, wo sie Durocher vermilst,?) läfst sie sich wohl durch die 
Wirkung der Lösungen liefern, welche aus der Verwitterung und Zer- 
setzung hervorgehen, so z. B. bei der Verkiesung und Verkieselung der 
organischen Reste, an anderen Stellen durch den Satz, dafs dieselbe Wir- 
kung von mehr als nur Einer Ursache herrührt, wenn auch vollständige 
Erklärung bis jetzt nicht überall zu geben ist. Wie alle Metamorphiker 
bleibt auch Durocher betreffs der Entstehung der krystallinischen Schie- 
fer den Beweis schuldig, warum diese nothwendig metamorphisch sein 
müssen. Und wieder müssen die Versteinerungen führenden Quarzite der 
Bretagne, welche mit nicht veränderten Thonbänken (bancs d’argile) 
wechsellagern, metamorphe Sandsteine sein; freilich fügt Durocher vor- 
sichtig hinzu: „Es scheint, dafs, wenn der Metamorphismus, der diese 
Gesteine hervorbrachte, unter Wirkung der Hitze sich entwickelte, die 
Erhöhung der Temperatur eine sehr geringe war.“*) Durocher selbst 
ist weit entfernt davon, seine Theorie als alle Erscheinungen erklärend 
zu betrachten. Die Verschiedenheit der Einwirkungen der Granite in 
verschiedenen Gegenden entgeht ihm nicht, die Ursache derselben er- 
scheint ıhm geheimnilsvoll.®) Während in Norwegen der postsilurische, 
verhältnifsmälsig kieselsäurearme Granit zunächst Kieselsäure an die Schie- 
fer abgiebt, bringt der postsilurische Granit der Bretagne in den Schie- 
fern Glimmer und Chiastolithe hervor; in den Alpen veranlalst der Granit 


1) 1. ec. 643. „flux de chaleur seculaire.“ 
2) 1. ce. 629. 
3) 1. ce. 644. 
+) 1. e. 604. 
5), 12.0.2028; 


IV 
> 


Phys. Kl. 1871. 


902 Rorm über die Lehre vom Metamorphismus 


weithin Bildung von Gneifs, Glimmerschiefer und talkigen Gesteinen, aber 
weder Verkieselung noch Chiastolithbildung. Wenn der norwegische Gra- 
nit Quarz abgegeben hätte, so mülste entfernter von den veränderten Schie- 
fern sein Quarzgehalt zunehmen, aber das ist nicht der Fall. Ähnliches 
gilt nach Durocher, wenn auch nicht so schlagend, für die übrigen 
plutonischen Gesteine.!) 

Durocher nimmt nicht an, dafs das Flülsigwerden des Granites 
durch seine geringe, weniger als 4 0 betragende Menge Wasser erleich- 
tert werden konnte.?) Aber ihm sind doch die eruptiven Gesteine feurig- 
flüssig aufgestiegen, er giebt sie nirgend für metamorphosirte Sedimente 
aus. Seine Theorie der Transfusion und Transsudation, den Erscheinun- 
sen der Öementation entnommen, erscheint zur Erklärung der Metamor- 
phose grofser Gebirgsmassen als eine sehr kühne Hypothese und ist unzu- 
länglich bewiesen. Man kann z. B. nicht die Feldspathe oder die Glimmer 
der Granite als Quelle der Alkalien für die Feldspathbildung in den Gneifsen 
in Anspruch nehmen, da die Analysen in ihnen keinen Mangel an Alkalien 
nachweisen, so lange man unverwitterte, frische Mineralien untersucht. 
Die zahlreichen Beobachtungen Durocher’s behalten trotzdem grofsen 
Werth. 

Den weitesten Umweg zur Erklärung der Bildung der krystallini- 
schen Schiefer schlägt G. Bischof in seinem Lehrbuch der chemischen 
und physikalischen Geologie (ed. I 1847 —1854; ed. 11. 3. Bd. 1863— 
1866) ein. Der Verfasser der „Wärmelehre des Innern unsers Erdkörpers“ 
(1837) nimmt den feurigflüssigen als den Anfangszustand der Erde an. 
Es ergiebt sich ihm, dafs „aus der angenommenen Existenz eines primä- 
ren Feldspathgesteins die Bildung aller Gesteine, welche man zu den Ur- 
gesteinen zählt, abgeleitet werden kann. Durch Metamorphosen gingen 
aus diesem Muttergestein massige granitische Gesteine hervor, durch Ero- 
sion wurde aus demselben dem Meere das Material zur Bildung der Ur- 


schiefer zugeführt.“3) „Der Granit kann nur auf hydrochemischem Wege 


1) ]. c. 629. 
2) Bull. geol. (2) 4. 1033. 1847. Ausgesprochen im Gegensatz zu Scheerer's S. 205 
angeführten Ansichten. 


3) Ed. U. Bd. 3. 269. 


und die Entstehung der krystallimschen Schiefer. 203 


entstehen“!); „auf dem Meeresboden kann keine Stelle gedacht werden, 
wo noch das ursprüngliche Gestein, welches vor allen sedimentären Bil- 
dungen existirt haben muls, zu finden wäre.“?) „Nur zwei Mineralien, 
Leueit und Augit, sind es, die auf plutonischem Wege gebildet werden 
können); die krystallinischen Gemengtheile der krystallinischen Gesteine 
sind ausschliefslich auf nassem Wege gebildet.“*) Sogar in den Laven 
wird der bei der Erstarrung etwa unkrystallisirt gebliebene Theil „durch 
die Durchdringung mit Meteorwassern krystallinisch. Es ist sogar denk- 
bar, dafs Krystalle, welche in der erstarrenden Lava unvollkommen aus- 
gebildet wurden, durch die später auf nassem Wege fortschreitende Kry- 
stallisation zur vollständigen Ausbildung kamen.“°) Wenn in Sedimen- 
ten in Folge der eingetretenen Krystallisation „ein Reinigungsprocels* 
stattfindet, d.h. „das ausgeschieden wird, was die Krystalle nicht brau- 
chen können,“ so wird das Ausgeschiedene, sofern es löslich ist, von den 
Gewässern fortgeführt. Was zur Bildung krystallisirter Mineralien fehlt, 
ergänzen die Gewässer.6)* Auf diese Weise wird es begreiflich, „wie 
an die Stelle der kohlensauren Kalkerde die Hauptgemengtheile des Gnei- 
(ses treten können“?) und „aus einem Kalkstein kann daher ein Granit 
oder Gneils werden.“ ®) 

Bischof’s ultraneptunische Ansicht, fast das genaue Gegenstück 
der ultraplutonischen Hutton’s, will nach Naumann’s Ausdruck „eine 
Hysterokrystallisation auf hydrochemischem Wege“: „lang dauernde Durch- 
wässerung der Gesteine (wobei das Wasser alles etwa Fehlende zuführt) 
bewirkt substanzielle Veränderung und Umkrystallisirung“, und zwar bei 
gewöhnlicher Temperatur. Folgerecht gehört es für Bischof „zu den 
unbegreiflichen Dingen, wie die Hypothese einer plutonischen Metamor- 


1) ib. 270. 

2) ib. 274. 

3)» ib. 254. 

4) ib. 262. 

5) ib. 2. 304. ef. 107 u. Ed. I. Bd. 2. 2197: Für die Sanidine im Arsostrome, 

Ischia, würde sich eine Bildungsdauer von mehr als 500 Jahren ergeben. 

6) ed. II. Bd. 3. 243. 

7), »ib.88. 

3) ib. 34. 


26* 


204 Roru über die Lehre vom Metamorphismus 


phose ganzer Gebirge in der Geologie Platz greifen konnte.) Die mei- 
sten der sogenannten Oontaktwirkungen rühren unzweifelhaft davon her, 
dafs da, wo sich zwei verschiedene Gesteine berühren, der Zutritt der 
Gewässer erleichtert ist.“ ?) 

Man darf als den Ausgangspunkt der Ansichten Bischof’s die 
Pseudomorphosen bezeichnen, welche der neptunischen Betrachtung geo- 
logischer Vorgänge so ausgezeichneten Vorschub leisten. Der Chemiker 
Bischof räumt jedoch der Erörterung der geologischen Thatsachen ®) 
einen viel zu kleinen Theil ein und gar keinen, wenn Widersprüche für 
seine Ansichten daraus folgen. Als die bedeutsamste Erscheinung tritt 
der Umweg zur Bildung der krystallinischen Schiefer hervor, der erst ein 
amorphes oder doch nur ähnlich wie die Lava mikrokrystallinisches Feld- 
spathgestein, dann dessen Umbildung zu Granit, dann eine Verwitterung des 
Granites fordert und endlich aus dem neu entstandenen Sediment die 
krystallinischen Schiefer ableitet. Dafs sich die Bildung derselben in spä- 
teren Epochen nicht wiederholt, schreibt Bischof dem Mangel an Alka- 
lien in den späteren Absätzen zu.*) Er läfst aus Thonschiefer Gneifs 
entstehen; wenn dann der gebildete Feldspath in Quarz und Glimmer zer- 
legt wird, entsteht Glimmerschiefer:; dieser kann daher aus Gneifs hervor- 
gehen, aber nicht umgekehrt. Wird 'Thonschiefer in Gneifs oder in 
Glimmerschiefer umgewandelt, so scheidet sich Kieselsäure aus, aber in 
letzterem Falle mehr als in ersterem, daher mehr Quarz im Glimmer- 
schiefer als im Gneils.?) Die mit beiden wechsellagernden Hornblende- 
schiefer entstehen so, dafs die ursprünglichen 'Thonschiefer vorzugsweise 


Kalk, Magnesia und Eisenoxydul enthielten. ®) 


1) Bd. 3. 189. 

2) ib. 188. 

>») Bd. 2. 736. „Wir können keinen einzigen volleültiven Beweis für die Entstehung 

x - {e} > 
auch nur eines einzigen Glimmerblättchens auf pyrogenem Weg finden.“ Und der Glimmer 
der Vesuvlaven? Uber Olivin vergl. Bd. 3. 286. 
5 
HABT. 8. 271: 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 205 


Besteht Bischof’s grofses unbestreitbares Verdienst in dem Nach- 
druck, den er auf chemische Prozesse, besonders der Verwitterung und 
Zersetzung lest, so hat er diesen eine ungebührliche Ausdehnung gegeben, 
so weit, dafs er Ursache und Wirkung häufig umkehrt. 

Scheerer!), der die schon 1825 von Poulett Serope?) aufge- 
stellte Ansicht eines feurigwässrigen Flusses der Lava für Granit wieder- 
aufnimmt, läfst bei dem langsamen Erkalten endlich das Wasser mit sehr 
hoher Temperatur, aber doch flüssig, und unter sehr hohem Druck aus 
dem Granit hervortreten, beladen namentlich mit Kieselsäure und ande- 
ren gelöseten Substanzen. Diese Lösungen erklären z. Th. den Contakt- 
metamorphismus. Sieht man die Thonschiefer durch eindringenden Gra- 
nit wohl gefaltet, aber nicht zerbrochen, so spricht das für eine gewisse 
Plastieität in Folge ihres Wassergehaltes; sind sie durch Granit in Gneils 
und granitische Gesteine umgewandelt, so spricht das für Umänderung 
bei Gegenwart von Wasser, hoher Temperatur und entsprechendem 
Druck. 

Scheerer nimmt an, dafs die primitiven krystallinischen Schiefer 
unter Wasser und starkem Druck geschmolzen sind. „Die plutonische 
Theorie vermag mit Hilfe des polymeren Isomorphismus und des Para- 
morphismus ein Bild von der Entstehung der krystallinischen Urgebirgs- 
arten zu entwerfen, welches genauer mit den in der Natur angetroffenen 
geognostischen und petrographischen Verhältnissen übereinstimmt als dies 
bis jetzt von irgend einer anderen geologischen Theorie hat erreicht wer- 
den können.“?) „Man kann in Skandinavien eine Thonschiefer- und 
Kalksteinbildung von ihrem ersten Absatze an bis dahin verfolgen, wo 
sie als Gneils und krystallinischer Kalk mit mancherlei fremdartigen Mi- 


1) Bull. geol. (2) 4. 494—495. 1847. 

?) Considerations on voleanos p. 110: „aqueous vapour — which lava contains and 
to which alone its liquidity is owing.* 

Auch Elie de Beaumont nimmt für Granit nicht einen feurigen Fluls an. Bull. 

geol. (2) 4. 1311. 1847. Zu demselben Schlufs gelangt Sorby (Jahrb. Min. 18561. 
771) und Gruner (Bull. geol. (2) 23. 110. 1866) hält Granit, Quarzporphyr, Trapp „für 
hydropyrogene Gesteine, in denen überhitztes Wasser als energisches Lösungsmittel oder 
mächtiges Flufsmittel wirkte.* 


3) Der Paramorphismus. Braunschweig 1854. 69. 


206 Rorn über die Lehre vom Metamorphrismus 


neraleinsehlüssen auftritt. Diese — uns nun nicht mehr als accessorisch, 
sondern als genetisch bedingt erscheinenden — Mineralien entwickeln sich 
aus Bestandtheilen, welche in der Kalk-Thonschiefermasse theils ursprüng- 
lich vorhanden waren, theils erst später hinzugekommen sind. Wärme 
ist jedenfalls, daneben Wasser bei der Metamorphose von Thonschiefer 
und Kalkstein zu Gmneils und Marmor thätig gewesen.“1) Scheerer ist 
jedoch geneigt einem Theil des skandinavischen Gneilses das Privilegium 
der Aboriginität zu wahren. 

Den grauen erzgebirgischen Gneils hält Scheerer 1853?) für ein 
an Ort und Stelle metamorphosirtes Gebilde, während der rothe, noch 
an den Granit sich anschlielsende Gneifs bei seiner Metamorphose zugleich 
mehr oder weniger eruptiv wurde. 

Die Entscheidung, ob die krystallinischen Schiefergesteine (Gneils, 
Glimmerschiefer), welche in den westlichen Alpen die Granite und Syenite 
zunächst umgeben, nur metamorphische oder zum Theil Urschiefer sind, 
hält Scheerer 1858 für schwierig.3) Später (1862) *) weiset Scheerer 
für die erzgebirgischen Gneilse die metamorphische Entstehung ab. „Sie 
bildeten eine vollkommen homogene, plutonisch flüssige Masse, die mög- 
licher Weise mehr Wasser enthielt als jetzt. Chemische und physische 
Wirkung von Wasser, hoher Temperatur und Druck sind die Hauptagen- 
tien, welche die chemische Masse dieser Gesteine in der Weise bearbei- 
teten, dafs dieselbe dadurch den Charakter des Gneilses annahm.“ 

In dem Aufsatz „über die chemische Constitution der Plutonite* 
1866 rechnet Scheerer die Gneilse zu den Plutoniten, welche mit den 
Metamorphiten „als Übergangsstufen aus den wässrig sedimentären Gebil- 
den (Neptuniten) in die feurig eruptiven (Vulcanite) fungiren.* Plutonite 
und Vuleanite zusammen umfassen „sämmtliche ursprünglich geschmolzene 
und später zum Theil eruptiv gewordene Silikatgebilde.* „Selbst die 


Laven können nicht als rein vulkanische - feurige-Gebilde angesehen wer- 


1) Zs. geol. Ges. 4. 45. 1852. et. Karsten und von Dechen Archiv 16. 134. 1342 
und Paramorphismus p. 115. 

2) Jahrb. Min. 1554. 44. 

®) Berichte d. Kgl. Sächsischen Ges. d. Wissenschaften. 10. 91 u. fig. 

*) Zs. geol. Ges. 14. 119—120. 1862. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 207 


den. Auch sie, als geschmolzene Massen, entstiegen dem Krater in einem 
wasserhaltigen Zustande; nur pflesten die Umstände nicht der Art zu 
sein, dals dieser Wassergehalt bei der Erstarrung der Laven als ein che- 
mischer Bestandtheil in ihnen zurückgehalten wurde.“ Die Plutonite, in 
dieser Beziehung genetisch von den Vulkaniten nicht trennbar, befanden 
sich, obgleich ursprünglich als geschmolzene Massen auftretend, hierbei 
unter der gleichzeitigen Mitwirkung des Wassers, welches noch gegen- 
wärtig als chemischer Bestandtheil in ihnen angetroffen wird. Scheerer 
hält also den wässrigfeurigen Flufs für alle plutonischen und vulkanischen 
Gesteine fest und bedingt den Unterschied zwischen ihnen durch die Art 
ihrer Erstarrung. Nachdem Scheerer seine 9 chemischen Gesteinstypen 
so gebildet hat, dafs er den dritten Theil des Sauerstoffs vom Wasser 
zum Sauerstoff der Basen RO addirt, weil 3 Atome Wasser in der che- 
mischen Rolle von 1 Atom MgO, FeO, MnO, CaO auftreten, gelangt er 
dahin, die Gneuse, Granite, Bunsen’s Normaltrachyt u. s. w. zu den 
Plutoniten zu rechnen, dagegen Augitporphyr, Bunsen’s Normalpyroxen- 
gestein, Gabbro-Hypersthenit, Diorit, Dolerit, Basalt u. s. w. als Vulcanite 
aufzufassen. Läfst sich geognostisch gegen diese Trennung sehr Gewich- 
tiges einwenden, so ändert sich auch, wenn man den Wasserstoff als Vertre- 
ter der einwerthigen Elemente (Kalium, Natrium u. s. w.) in manchen der 
früher als wasserhaltig betrachteten Mineralien auffalst, in anderen die 
Aufnahme des Wassers als Wirkung der Verwitterung anerkennt, das 
chemische Bild sehr bedeutend. 

Nach B. Cotta!) kann dichter Kalkstein oft durch Wärme stär- 
ker erweicht werden als die ihn einschliefsenden Gesteine und dann in 
diesem erweichten Zustande, der Form nach eruptiv, in die Umgebung 
eingeprelst werden, so dafs er aufser regelmäfsigen Lagern Gänge, Ver- 
ästelungen und stockförmige Massen zu bilden vermag. Damit ist kry- 
stallinisch körnige Erstarrung und die bekannte Contaktbildung verbun- 
den. Cotta hält es für möglich, dafs Thonschiefer und Schieferthon mit 
seinen Kalksteinen in glimmerhaltigen körnigen Kalk, welcher parallel der 
Schieferung liegt, umgewandelt wird. (Zaunhaus in Sachsen, Wunsiedel.) 


1) Zs. geol. Ges. 4. 47. 1852 und schon früher seit 1834. (Jahrb. Min. 37 u. 329.) 


208 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus 


Wo den thonigen Sedimentgebilden Kalk fein eingemengt war, entsteht 
Hornblendeschiefer. !) 

„Die krystallinischen Schiefer mit Ausschluls manchen Gneilses 
(schiefrigen Granites) sind das letzte Resultat jenes sehr allgemeinen Um- 
wandlungsprocesses, der alle diejenigen Sedimentablagerungen betroffen 
hat und noch fortwährend betrifft, welche durch neuere Ablagerungen 
mehr oder weniger stark bedeckt wurden. — Dadurch wurden die be- 
deekten Schichten nicht nur erhöhtem Druck, sondern auch erhöhter 
Temperatur ausgesetzt.“ — Druck und Wärme, vielleicht auch noch in 
Verbindung mit Wasser, bewirken die Umwandlung. Wo also krystalli- 
nische Schiefer die Erdoberfläche bilden, sind sie erst wieder gehoben 
und ihrer Bedeckung beraubt. In den Alpen sind nicht nur die alten 
Sedimente verändert, sondern auch noch Juragesteine z. Th. zu krystal- 
linischen Schiefern geworden und später durch sehr energische Hebungen 
blosgelegt. In den Alpen erscheint überhaupt die Skala der Umwandlun- 
gen gleichsam etwas höher heraufgerückt.?) „Die krystallinischen Schie- 
fer sind nicht durch erste Erstarrung der Erdmasse gebildet, so viel ist 
sicher. * ®) 

Die ersten Arbeiten über Metamorphismus von Delesse sind vom 
Jahre 1851.) Ich entnehme das Folgende seinen schon angeführten 
Etudes sur le metamorphisme des roches 1861. Er hält die krystallinischen 
Schiefer für metamorph; ihr Eisenglanz ist nicht durch Infiltration oder 
Dämpfe eingeführt, das Eisenoxyd des Sedimentes krystallisirte im Augen- 
blick des Metamorphismus, wobei die Blättchen sich nach der Schieferung 
orientirten. Ihr Magneteisen rührt von dem Eisenoxyd her, das nicht in 
die Masnesia-Eisensilikate einging, sondern reducirt und krystallinisch 
wurde.°) Aller Graphit stammt von organischer oder bituminöser Sub- 
stanz. Ihre KRalke sind ebenfalls metamorph und der Grad der Krystallini- 


tät hängt ab von dem Grade des Metamorphismus der sie einschlielsenden 


I) Jahrb. Min. 1851. 572. 

*) Jahrb. Min. 1562. 674. 

>) ib. 678. 

%) Sur l’origine des caleaires erystallins et notamment du calcaire du gneiss. Bull. 
&sol. (2) 9. 138. 


5) Btudes p. $S u. 9. 


und die Entstehung der krystallimschen. Schiefer. 209 


Gesteine.!) Da Delesse die Ausstolsung gewilser Substanzen und die 
Zufuhr aus nächst gelegenen Gesteinen im Augenblick des Metamorphis- 
mus für möglich hält (ohne freilich das Wie anzugeben), so wandern die 
Mineralien in einem Gestein oder in das nächste mit Leichtigkeit.?) 

Aus Magnesia haltigem Thon wird Talkschiefer; enthält er noch 
Eisen, Chloritschiefer; aus Thon mit Kalk, Magnesia und Alkalı wird Horn- 
blendeschiefer. _Amorpher thoniger Schiefer liefert Glimmerschiefer, bei 
Überschufs von Kieselsäure quarzreichen Glimmerschiefer; war reichlich 
Alkalı vorhanden oder wurde es zugeführt, so entstand Gmeils. Dieser, 
ein Zwittergestein zwischen geschichteten und eruptiven Gesteinen, mulste 
im Moment, wo er krystallisirte, mehr oder weniger plastisch werden und 
konnte daher als Eruptivgestein auftreten.?) Schliefslich sind nach De- 
lesse alle plutonischen Gesteine metamorphischen Ursprungs und auf 
Kosten der metamorphischen Gesteine entstanden, in welche sie Übergänge 
bilden. Diese gehen aus den Sedimenten hervor und werden zu plutoni- 
schen Gesteinen, wenn der Metamorphismus den höchsten Grad erreicht. *) 
Ein entsprechendes Sediment wird Hornblendeschiefer und dieser wird 
eruptiver Diorit, oder ein Sediment wird Gneifs und dieser wird erupti- 
ver Granit. 

Da es seit den ältesten Zeiten vulkanische Gesteine (wie Trachyt 
und Dolerit) gegeben haben muls, so erklärt Delesse ihr Fehlen oder 
ihre Seltenheit in den älteren Sedimenten durch den allgemeinen Meta- 
morphismus, der sie in die entsprechenden plutonischen Gesteine unter Ver- 
lust der zelligen Textur und des Glasglanzes ihrer Mineralien umgewan- 
delt hat.) So wurde aus Trachyt Granit, gerade umgekehrt wie L. von 
Buch aus Granit Trachyt entstehen liefs. Die plutonischen Gesteine entgehen 
dem allgemeinen Metamorphismus keineswegs, sie krystallisiren von neuem 
(ebenso wie die von ihnen durchbrochenen Gesteine), ändern ihre Struk- 


tur im Grofsen und Kleinen, es entstehen neue Mineralien, während an- 


I), SL ICT AT. 
2) l. ec. 56. 
3) 1.202,80: 
a kelke 
SIT 1.C. 27 


WD 
| 


Phys. Kl. 1871. 


2310 Rorm über die Lehre vom Metamorphismus 


dere verschwinden. Da sich die plutonischen Gesteine mit denselben 
Charakteren in allen metamorphischen Terrains wiederfinden, müssen sich 
die letzteren in allen geologischen Epochen gebildet haben.) 

„Sonach ergibt sich, die plutonischen Gesteine sind nicht 
die Ursache, sondern eine Wirkung des Metamorphismus,?) 
aber sie üben selbst wieder einen örtlich beschränkten Contaktmetamor- 
phismus auf ihre Umgebung aus.“ 

„Bei Annahme feurigflüssiger Entstehung der Erde muls die erste 
Erstarrungsrinde vulkanisch sein. Sie wurde zum Theil durch die heftige 
Einwirkung des econdensirten, ursprünglich dampfförmigen Wassers zer- 
stört und lheferte Sedimente von sehr grofser Mächtigkeit. Diese begrei- 
fen den ganzen unseren Untersuchungen zugängigen Theil der Erdrinde, 
wie sie auch alle Elemente zu den eruptiven und vulkanischen Gesteinen 
enthalten. In diesen ersten Sedimenten bildeten sich durch Wirkung des 
Wassers, Druckes, der Hitze und Molekularbewesungen die Mineralien, und 
je nachdem die krystallinische Struktur sich mehr oder minder entwickelte, 
war das entstehende Gestein Gneils oder Granit.“®) Als normale d. h. 
nicht metamorphosirte Gesteine gibt es also für Delesse nur Sedimente. 
Sie können z. Th. krystallinisch sein wie Anhydrit, Gyps, Kalk, Dolomit, 
Quarz; z. Th. amorph wie Thon, Mergel, Schieferthon, Thonschiefer, 
Eisenoxydhydrat. Aber alle Gemenge aus krystallinischen Silikaten, aller 
Kalk mit Silikaten, aller krystallinische Anhydrit, Gyps, Kalk soweit er 
in metamorphischen Gesteinen eingeschlossen ist, die Quarzschiefer, der 
Jaspis sind metamorphisch, mögen die ersteren als krystallinische Schie- 
fer, als eruptive oder als vulkanische Gesteine auftreten. 

Daneben ist noch die Ansicht von Delesse zu erwähnen, dafs 
Wasser schmelzbare und unschmelzbare Gesteine plastisch macht.*) „Un- 
ter Druck und Wasser kann im Innern der Erde Quarz erweicht und 
selbst plastisch werden.“5) „Damit sich die Mineralien des Granites ent- 


Dr 21176.728. 
EC. 
De 


4) Bull. geol. (2) 15. 732. 1858. 
5) Etudes. 52. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 211 


wickeln konnten, ist nur ein wenigplastisches Magma nöthig. Wasser, 
unterstützt durch den Druck und sekundär durch nicht übermäfsig hohe, 
sicher unter der Rothglühhitze liegende Temperatur, hat diese Plasticität 
bewirkt.“ 1) 

Auch bei Delesse bilden die Sedimente den Ausgangspunkt trotz 
der Annahme einer feurigflüssigen Erstarrungsrinde. 

Daubree?) hält für wahrschemlich, dafs die erste, aus feurigem 
Fluls erstarrte, ohne Mithülfe flüssigen Wassers entstandene Erdkruste 
von dem bei Erniedrigung der Temperatur flüssig gewordenen Wasser, 
„dem Wasser des Uroceans“ (de cet ocean primitif) durchdrungen wurde, 
so dafs sich ihre Beschaffenheit durch metamorphische Thätigkeit änderte 
und krystallisirte Mineralien entstanden, ähnlich wie bei Daubree’s be- 
kannten Versuchen in den Röhren.?) „Der nasse Weg und der trockne 
Weg gingen also unter diesen extremen Bedingungen neben einander her, 
Lösung und Neubildungen wechselten, und so entstanden massige Gebires- 


arten — Granite — und Gebirgsarten mit Anzeichen von Sedimentirung 
— krystallinische Schiefer — welche im engsten Verband mit einander 


stehen. Ausschliefslich auf trockenem Wege entstandene Gesteine darf 
man auf der Erde nirgend zu finden hoffen. Die ersten Absätze blieben 
lange in einem weichen Zustande, sehr günstig zur Entstehung der Schie- 
ferung, welche vielleicht seitlichem Druck ihre Entstehung verdankt. 
Zweifellos geben die vorsilurischen krystallinischen Schiefer Kunde von 
der einstigen hohen Temperatur der Erdoberfläche und der später ertolg- 
ten Temperaturabnahme. Der Actualismus reicht nicht aus ihre Entste- 
hung zu erklären, sie sind ein Beweis gegen ihn.“ 

Sind also nach Daubre&e die krystallinischen Schiefer metamor- 
phischer Entstehung, zeigen sie sogar den Metamorphismus in seiner stärk- 
sten Wirkung, so sind sie ihm doch nicht umgewandeltes Silur. Ihre 
Umwandlung war vor dem Absatz des Silur vollendet. Der Weg Dau- 


1) Bull. geol. (2) 15. 776. 1858. 

2) 1. c. Etudes 1860. 121. Ebenso im Rapport sur les progres de la geologie ex- 
perimentale. 1567. 

3) 1. e. 121. „de m&me que dans nos tubes.* Über Daubree’s Versuche s. Ann. 
min. (5) 12. 1857 und Bull. geol. (2) 15. 93. 1858. 


6 
1 


2312 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus 


bree’s ist kürzer als der von Bischof, aber das Gelingen seiner Ver- 
suche, bei denen wasserfreie Silikate neben wasserhaltigen auf nassem 
Wege bei hohem Druck dargestellt wurden, verleitet ihn, dieselbe Ent- 
stehungsweise den krystallinischen Schiefern zuzuschreiben. Es ist eben 
so sicher, dafs bei hoher Temperatur ohne Gegenwart jeden Wassers kry- 
stallisirte Mineralien entstehen können, als dafs Gase und Dämpfe bei dem 
Erstarren der krystallinischen Schiefer (und des Granites) gegenwärtig 
waren; eine freilich ungeheuer geringe Menge von Gasen und Flüssig- 
keiten ist eingeschlossen in den Mineralien derselben. Aber daraus folgt 
nicht, dafs die krystallinischen Schiefer in der von Daubre&e angenom- 
menen Weise entstanden. Wenn Chloritschiefer mit Turmalın dafür spre- 
chen sollen, so bleibt die Möglichkeit oder richtiger die Wahrscheinlich- 
keit, dafs der Chlorit späterer Verwitterung seine Entstehung verdankt. 
Die hohe Temperatur, bei welcher er das Wasser abgibt, ist kein Beweis 
für das Gegentheil, da der sicher als Verwitterungsprodukt auftretende 
Speckstein dasselbe Verhalten zeigt. Wenn auch Augit auf nassem Wege 
bei hohem Druck sich bildet, so folgt daraus nicht, dafs aller Augit (Py- 
roxen!) auf diese oder auf ähnliche Weise entstanden ist.?) 

Daubrde nimmt an, dals grofse aus Sedimenten bestehende Mas- 
sen, in denen keine Eruptivgesteine auftreten, metamorphosirt sein kön- 
nen. Wenn silurische und devonische Thongesteine schiefrig werden, 
Chlorit führen oder Feldspath, Quarzadern zeigen, wenn die Sandsteine zu 
Quarziten werden, so sind sie metamorph, „denn sie können ursprünglich 
diese mineralogische Beschaffenheit nicht gehabt haben.“ 3) Noch stärker 
tritt die Metamorphose in den talkigen, grünen und Hornblendeschiefern, 
im Talkgneils, Quarzit und den glimmerigen Kalken der Alpen hervor. Sie 
und ähnliche krystallinische Gesteine sind metamorph, weil, ähnlich wie 
dem Contaktmetamorphismus, 

1) die untergeordneten Gesteine in sicher sedimentären Gebirgsar- 
ten analoge Zusammensetzung zeigen wie die in den krystalli- 
nischen Massen: so Kalk, Dolomit, Gyps, Quarzit, Talk- und 


1) Rammelsberg, Zs. geol. Ges. 20. 34. 1868. 
2) Daubree l. c. 110. 
3) 71.202260. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 213 


Chloritschiefer. Ferner ist, wie Bischof gezeigt hat, die che- 
mische Zusammensetzung gewisser Übergangsthonschiefer nahe 
dieselbe wie bei Gmeils und Granit. 

2) weil unbezweifelte allmähliche Übergänge vorhanden sind zwi- 
schen krystallinischen und geschichteten, Versteinerungen füh- 
renden Gesteinen. Besonders in den Alpen, wo in wenig ver- 
änderte Sedimente krystallinische Gesteine eingeschaltet sind. 

3) weil bei der Contaktmetamorphose die Krystallisation nicht im- 
mer die Spuren der organischen Reste verwischt hat. (Granat, 
Hornblende, Epidot, Dipyr, Chiastolith, Axinit.) Die bekann- 
ten Silikatblöcke der Somma zeigen die Möglichkeit der Umän- 
derung. 

4) weil man in sehr krystallinischen Feldspath- und Glimmerge- 
steinen Pflanzenreste findet. So in den feldspathhaltigen Grau- 
wacken von Thann, den Schiefern von Bussang, Vogesen, der 
„pierre carıde* der Loire.!) 


Gegen den ersten Grund ist der Satz anzuführen, dafs viele Mine- 
ralien auf nassem und trocknem Wege entstehen können. (Quarz, Epidot, 
Magneteisen, Flulsspath, Schwerspath sind Beispiele dafür. 

Gegen Bischof’s These ist zu erinnern, dafs die chemische Iden- 
tität oder fast vollständige chemische Identität eines Gemenges von Quarz 
und Thon mit einem Gestein aus Quarz und Feldspath doch nichts weiter 
beweiset, als dafs der verwitterte Feldspath wenig Alkalı und keine Thon- 
erde abgegeben hat. Aber diese chemische Identität ist sicher kein Be- 
weis für die physikalische und genetische. 

Wenn beı dem zweiten Grunde die Lagerungsverhältnisse unzwei- 
felhaft gleichzeitige und gleichgeartete Ablagerung beweisen, wenn nicht 
etwa spätere Einschiebung und Dislokation statt fand, so würde dort die 
Frage, ob Metamorphose vorliege noch zu erörtern sein. Immer bliebe 
dann noch zu entscheiden, ob das dort Gefundene auch für die grofse, 
überall gleichmäfsig und reich entwickelte Formation der krystallinischen 
Schiefer nothwendig Geltung haben mufs. 


314 Rorm über die Lehre vom Metamorphismus 


Gegen den dritten Grund ist zu sagen, dafs, wenn in Sedimentge- 
steinen die genannten Mineralien bei der Contaktmetamorphose entstehen, 
damit ein Beweis für diese Entstehungsart geliefert ist. Aber der Schluls, 
dals Mineralgemenge, in denen jene Mineralien vorkommen, darum umge- 
ändert sein müssen, läfst für dieselbe Wirkung stets eine und dieselbe 
Ursache voraussetzen. Die Metamorphose kann erst dann als vorhanden 
angenommen werden, wenn die Möglichkeit der ursprünglichen Bildung, 
als der einfachste Fall, durch geologische und chemische Gründe ausge- 
schlossen ist. 

Der vierte Satz zeigt wiederum, dafs Mineralien, die oft auf feu- 
rigflüssigem Wege entstehen, auch auf nassem Wege entstehen können. 
Ob nicht Einsehlüsse für gleichzeitige Bildungen genommen wurden, könnte 
nur die genaueste Untersuchung jedes einzelnen Falles lehren. 

Hohe Temperatur allein kann nach Daubr&e so mächtige Ablage- 
rungen nicht verändert haben, schon die Gleichmäfsigkeit der ausgeübten 
Wirkung spricht dagegen; Gase und Dämpfe (Chlor-, Fluor-, Borverbin- 
dungen u.s.w.!), Druck und vor Allem überhitztes Wasser haben mitgewirkt. 

Daubree hat durch Behandlung von Klingenberger Thon mit 
Wasser von Plombieres bei hoher Temperatur und Druck perlmutterglän- 
zende, weilse, hexagonale, doppeltbrechende Blättchen dargestellt, die wie 
Glimmer aussehen. Sie sind schmelzbar, werden durch Salzsäure ange- 
griffen, welche Thonerde auszieht; zur quantitativen Analyse war jedoch 
die Menge zu gering. Es erscheint ihm sehr wahrscheinlich, dafs die 
Substanz ein „einaxiger Glimmer oder ein Chlorit ist.“?) Daubree 
drückt sich so vorsichtig aus, dafs man nach seinen Angaben nicht be- 
haupten kann, er habe wirklich Glimmer oder Chlorit dargestellt. Nach 
seinen Versuchen verliert sibirischer Kaliglimmer, behandelt wie der Thon, 
kaum seine Durchsichtigkeit. Daubree geht gewils zu weit, wenn er 
allen Quarz, den der eruptiven und der metamorphischen Gesteine, der 
Gänge, auf nassem Wege entstehen läfst,3) weil er ihn auf diese Weise 


1) Vel.In C.R. 29. 227. 1849 u. Ann. min. (4) 16. 129—156. 1849, C. R. 32. 625. 
1851 u. ©. R. 39. 153. 1854 die von Daubre&e angestellten Versuche zur künstlichen 
Nachbildung von Mineralien. 

)alatcE 93: 

3) 1. c. 105. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 215 


erzeugt hat. Die Quarze der Liparitlaven sind ein schlagender Beweis 
gegen diese Behauptung. Ebenso wenig beweiset die Gegenwart wasser- 
haltiger Silikate, Zeolithe u. s. w. in Basalt und Phonolith eine Mitwir- 
kung des Wassers bei Entstehung des Gesteines; die mikroskopischen Un- 
tersuchungen haben vielmehr mit Sicherheit gelehrt, dafs die Zeolithe 
Produkte späterer Veränderung sind. 

Wenn Daubree das Wasser bei den feurigflüssigen Eruptivgestei- 
nen „eine Art wässriger Schmelzung, die bisweilen durch den Druck blei- 
bend wurde,“!) bewirken läfst, wenn er sogar der Volumenvermehrung 
durch den Einflufs des Wassers eine Wirkung auf die Eruption der Pho- 
nolithe und Basalte zuschreibt,?) oder vom Constitutionswasser der Eruptiv- 
gesteine redet, so darf man diese Ansichten sicher als übertrieben und 
nicht in der Natur begründet bezeichnen. Dafs bisweilen Wasserdämpfe 
die Ausbrüche der älteren Eruptivgesteine begleiteten, während sie in den 
Vulkanen die gewöhnliche Erscheinung sind, läfst sich durch manche Er- 
scheinungen belegen (Predazzo u. s. w.), aber die hydroplutonischen Con- 
taktwirkungen der älteren Zeiten sind viel weniger zahlreich als die rein 
plutonischen.?) 

Wenn wie in gewissen Theilen der Alpen (Graubünden) die obe- 
ven Gebirgspartien metamorphosirt sind und die darunter liegenden nicht, 


1) 1.c. 109 „sorte de fusion aqueuse rendue quelque fois persistante par la pression“. 

2ytalike. N: 

3) Das Vorkommen granatführenden Opals in der Nähe der Granitgrenze im west- 
lichen Theile von Elba bezeichnet vom Rath (Zs. geol. Ges. 22. 644) als „überzeugend 


für die hydroplutonische Contaktwirkung des Granites“. Der schwarze Opal verdankt 
seine Färbung der Einmengung einer rothbraunen Substanz (Nisenoxydbydrat). Eng mit 
diesem Vorkommen verbunden ist das Auftreten von Scrpentin (der grünen Schiefer) und 


Granatgestein. Der Serpentin führt „lichtgelbe Flecke, wahrscheinlich von zersetztem 
Granat herrührend.* Da Serpentin zu Opal verwittert, so erscheint die Herleitung d 
Opals aus verwittertem Serpentin [Studer (Bull. geol. (1) 12. 299. 1841) spricht dieselbe 
Ansicht aus] viel wahrscheinlicher als die aus einer hydroplutonischen Contaktwirkung de 
Granites. Aus dem analogen bekannten Vorkommen bei Meronitz, wo neben granatfüh- 
rendem Halbopal von Reuss noch „halb aufgelöseter, schmutzig olivengrüner Serpentin 
mit Pyrop und Talk* aufgeführt wird, ergiebt sich derselbe Schlufs, den überdies die 
Analysen von Wertheim (s. Rammelsberg Handb. der Mineralchemie. p. 134) bestätigen. 
Auch Reuss (Karsten u. v. Dechen Archiv 11. 308. 1835) „scheint bei Meronitz der 
Serpentin das Muttergestein der Pyrope zu sein.* 


216 Rorm über die Lehre vom Metamorphismus 


so schreibt Daubrede diesen Unterschied der Verschiedenheit der Tem- 
peratur zu.  „Wasserfreie Silikate erzeugen sich im Wasser leicht nur bei 
bestimmten Temperaturen; bei anderen werden sie zerstört, “1) 

In den Zecherches geologiques dans les parties de la Savore, du 
Piemont et de la Sursse vorsines du Mont-Blane, Paris 1867, Bd, 3. p. 317 
schliefst sich Alphonse Favre bezüglich der Entstehung der krystallini- 
schen Schiefer vollständig den Ideen Daubree's an, „Alle krystallini- 
schen Gesteine sind unter dem Bintluls des Wassers auf Kosten der Lava 
gebildet, welche das erste feurigtlüssige Gestein war und ist (la seule roche 
ignde), Sie bildete die erste Hülle um den noch flüssigen Erdkern, sie 
hätte man immer als primitiv bezeichnen sollen.“?) Nach Favre's An- 
sicht hat man in den Savoyer Alpen die Rolle der geheimnilsvollen, Me- 
tamorphismus genannten Kraft, der man oft die Bildung der Krystallini- 
schen Schiefer zuschreibt, sehr übertrieben ,®) und mit Unrecht schreibt 
man dem Metamorphismus alle die Wirkungen zu, von denen man sich 
keine Rechenschaft geben kann.*) Kr findet jedoch Eozoon in den ser- 
pentinischen Kalken, welche dem Gneils im Mattenbach und den Abfällen 
der Jungfrau angehören, und nimmt daher an, da ferner Graphit stets 
und Kalk fast stets organischen Ursprungs ist und beide Mineralien in 
den krystallinischen Schiefern sich finden, dals diese jüngeren Ursprungs 
sind als man gewöhnlich annimmt. ®) 

T. Sterry Hunt®) nimmt den Metamorphismus im Sinne von Hut- 
ton und Boues alle keystallinischen schiefrigen Gesteine sind durch Um- 
änderung chemischer und mechanischer Sedimente entstanden, welche der 
Hauptsache nach aus Sandsteinen, Schieferthonen und Kalksteinen beste- 
hen. Auch alle eruptiven (intrusiven) Gesteine sind nach Hunt verän- 
derte und vom Platz gerückte (displaced) Sedimente und stammen her 


S) Lo 328 wm 329, La confusion qui a souvent et faite entre los grös houillors 


ot les roches ditos primitives a encore vomplique la question du mötamorphisme. 


ı) 10 880, 
N) ı o& 997, 
8) Goologieal Survey of Canada 1857. 476 Ag, namentlich in Geology of Canada 


1S68 und an anderen Orten. (Journal of Geol, Soc, of Dublin 1864) 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer, 217 


von den unteren Partien der geschichteten Erdrinde, nicht unterhalb der- 
selben.!) Manche, wahrscheinlich alle bis jetzt als eruptiv betrachteten 
Gesteine (wie Granit, Gabbro, Serpentin, Hyperit, Diorit u. s. w.) sind 
nichts als an Ort und Stelle veränderte Sedimente, welche, zur Zeit ihrer 
Umbildung mit Wasser imprägnirt, durch dieses und unter Beihtilfe einer 
erhöhten Temperatur plastisch wurden, die überliegenden Schichten durch- 
brachen und die Form von intrusiven Gesteinen annahmen. Weil sie 
unter hinreichendem Druck erstarrten, behielten sie ihren ursprünglichen 
mineralogischen Charakter, im Gegensatz zu solchen Gesteinen, welche, 
wie die Laven, nahe der Oberfläche und unter schwachem Druck fest 
wurden.) Der Metamorphismus geht durch Wasser und hohe Tempera- 
tur vor sich, welche letztere, dem Erdinnern angehörig, tief begrabene 
Sedimente trifft.?) Der Metamorphismus ist, wofern er regional auftritt, 
nicht an die Nähe eruptiver Gesteine gebunden; er kann alle Sedimente, 
die tertiären eingeschlossen, *) treffen und erzeugt je nach ihrer Zusam- 
mensetzung und des im Wasser Gelöseten verschiedene Gesteine?)  Intru- 
sive Gesteine rufen als örtliche Quellen hoher Temperatur lokalen Meta- 
morphismus hervor.®) 

Die Hauptrolle bei dem Metamorphismus, der Umwandlung der 
mechanisch im Sediment vertheilten Silikate zu krystallisirten Mineralien, 
denn gewisse chemische Kräfte waren früher in höherem Mafse thätig als 
jetzt,?) spielt im Wasser gelösetes Alkali-Carbonat, welches bekanntlich Kie- 
selsäure (auch die in Form von (Juarz auftretende) als Alkalısilikat in Lö- 
sung bringt. Die Lösung wirkt auf die erhitzten Gesteine ein, wird von 
den Oarbonaten der Erden zerlegt und bildet aus diesen Silikate der Er- 
den. Das wieder hergestellte Alkalicarbonat löset aufs Neue Kieselsäure 
und dieser Procefs wiederholt sich fortdauernd, so dafs wenig Alkalı- 


earbonat grolse Massen von Erdcarbonaten umwandeln kann. So entstehen 


1) Sill. Amer. J. (2) 36. 218. 1863. 
?) Geology of Canada 643. 
3) ], c. 580 u. 585. 


“) ]. 6, 869 
6) 1. c. 580 
6) 1. c. 583. 


?) Journal geol. Soc. of Dublin. t. 10. p. 2. 85. 1864. 
Phys. Kl. 1871. 28 


218 Rorn über die Lehre vom Metamorphismus 


Augit, Hornblende, Olivin, Wollastonit und, wenn Thonerdesilikat in hin- 
reichendem Maafse zugegen ist, Feldspath, Glimmer, Labrador, Granat, 
Chlorit. In ähnlicher Weise bilden sich alle krystallmischen Mineralien, 
welche die geschichteten und ungeschichteten Gesteine zusammensetzen. 
„Das Problem, wie aus Sand, Thon und Erdearbonaten in den Sedimen- 
ten die verschiedenen Silikate entstehen, welche die krystallmischen Ge- 
steine zusammensetzen, ist also gelöset.“1) 

„Die grofse Laurentische Formation, die ältesten bekannten Ge- 
steine der Erdrinde enthaltend, ist nirgend in unverändertem Zustand ge- 
funden. Sie bedeckt in Canada ungefähr 200,000 Quadratmiles?) und 
besteht in ihrem unteren Theile aus Orthoklasgneifs mit Quarziten und Kal- 
ken, in ihrem oberen ungleichförmig aufgelagerten Theile hauptsächlich 
aus Anorthositgesteinen, Glimmer-, Hornblende-, Grünsteinschiefer, Serpen- 
tin, Syenitgneils und Syenit, auch Magneteisenlager fehlen nicht. Alle diese 
Gesteine sind evident veränderte Sedimente. Den indirekten Beweis dafür 
liefern die Lager von Graphit, Magneteisen, Eisenoxyd, Metallsulfureten 
und Apatit. In Europa kennt man als Äquivalent der grofsen Laurenti- 
schen Formation nur den primitiven skandinavischen Gneifs und Murchi- 
son’s schottischen Fundamentalgneifs; vielleicht gehören hierher auch die 
krystallinischen Gesteine Grönlands.“ ®) 

Hunt denkt sich die etwa wie Dolerit zusammengesetzte Erstar- 
rungsrinde der Erde durch heifse saure Regen in (relösetes zersetzt, das 
sich im Meer angesammelt hat, und in thonigkieselige Sedimente. Der 
Kern der Erde ist fest, darüber folgt plastisches sedimentäres Material 
und über diesem liegen die uns bekannten Sedimente. Durch feurig-wäls- 
ige Schmelzung wird das plastische untere Sediment in Eruptivgesteine 
und Lava umgeändert, welche die oberen Sedimente durchbrechen. Die 
gesammten vulkanischen Erscheinungen gehen also in dem unteren plasti- 
schen Sediment vor sich.*) 

Die Arbeiten von Dana und Bischof bilden die Grundlagen der 


1) Quart. J. geol. Soc. 15. 489. 1859. 

2) Geology of Canada p. 47. 

3) Geology of Canada 586 u. fig. cf. 22—49. 
4) Sill. Amer. J. 1861. (2) 31. 412. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 219 


Ansichten Hunt’s, welcher die Erstarrungsrinde vollständiger Zersetzung 
überliefert, um dann die Sedimente zu metamorphosiren und zwar durch 
heifse Salzlösungen und erhöhte Temperatur, durch hydroplutonische 
Processe. 

H.0. Sorby!) gelangt durch die mikroskopische Untersuchung von 
Glimmerschiefern zu der Annahme, dafs sie früher Thonschiefer gewesen 
seien, welche bei Anwesenheit von Wasser und höchst wahrscheinlich bei 
erhöhter Temperatur durch einen Krystallisationsprocels umgewandelt 
wurden. 

Aus der von ihm „rippledrift“ genannten Erscheinung folgert Sorby 
1563?) den mechanischen Absatz aus Wasser. Da er sie in Glimmer- 
schiefer findet, so mufs der Glimmerschiefer ein Sediment sein. Diese 
enthielt ursprünglich Sandkörner und war wahrscheinlich ein Absatz von 
mehr oder weniger unreinem Sand und Thon. Die krystallinische Struk- 
tur wurde erst nach dem Absatz gebildet, in manchen Fällen nachdem 
mechanische Bewegungen die Schieferung (slaty cleavage) hervorgebracht 
hatten. 

J. Geikie?) betrachtet die metamorphischen untersilurischen Ge- 
steine von Öarrick, Ayrshire, als gebildet durch hydrothermale Wirkung 
und leitet ihre mineralogische Verschiedenheit hauptsächlich ab von ur- 
sprünglicher chemischer Verschiedenheit, nicht von Infiltration fremder 
Substanzen zur Zeit des Metamorphismus. 

Bekanntlich treten manche Arten mehrerer Hauptabtheilungen des 
Thierreichs plötzlich in den ältesten bekannten, Versteinerungen führenden 
Schichten auf. Da Darwin) nach seiner Theorie der natürlichen Züch- 
tung durch Auslese (natural selection) „für zweifellos hält, dafs alle Arten 
derselben Thiergruppe von Einem Stammindividuum (progenitor) abstam- 
men, z.B. alle Silurtrilobiten von einem Kruster, der lange vor der Silur- 


1) Edinburgh new phil. J. (2) 1856. 4. 339. 

2) Quart. J. geol. Soc. 19. 461. 1863. 

3) ib. 22. 534. 1866. 

*) On the origin of species by means of natural selection (ed. I. 1859. 306—309, 
ed. V. 1869. 373—383). cf. ed. V p. 572: „I believe that animals are descended from at 
most only four or five progenitors and plants from an equal or lesser number.“ 

YA 


220 Roru über die Lehre vom Metamorphismus 


zeit lebte und wahrscheinlich von jedem bekannten Thier verschieden war, 
so muls vor dem Absatz der ältesten silurischen oder eambrischen Schich- 
ten eine lange, lange Zeit verflossen sein, während welcher schon Orga- 
nismen die Erde erfüllten.“ Er kann keine hinreichende Antwort auf die 
Frage geben, warum wir aus diesen von ihm angenommenen ältesten Zei- 
ten an Versteinerungen reiche Ablagerungen nicht finden. „Man kennt 
zwar nenerlichst monocotyle Pflanzen und einige andere organische Reste 
aus den untercambrischen Schichten; Phosphorsäure haltige Knauer und 
bituminöse Substanzen verrathen das organische Leben jener Zeiten; das 
Kozoon in den Laurentischen Schichten ist ein wichtiger Beweis dafür, 
aber dennoch bleibt die Schwierigkeit grofs. Es erscheint nämlich nicht 
wahrscheinlich, dafs die ältesten Ablagerungen gänzlich weggeschwemmt 
wurden (worn away by denudation) oder dals ihre Versteinerungen durch 
Metamorphismus ganz unkenntlich geworden seien, denn dann hätte man 
von den zunächst im Alter folgenden Bildungen nur geringe Überbleibsel 
gefunden und zwar in theilweise metamorphosirtem Zustand. Aber das 
russische und nordamerikanische Silur lehren, dafs nicht nothwendig der 
Grad der Denudation und des Metamorphismus mit dem Alter zunimmt.“ 
Dennoch kommt Darwin endlich zu dem Schlufs, „dafs die vorsilurischen 
Ablagerungen vollständig metamorphirt in den nackten, so grofse Land- 
striche bedeckenden, metamorphischen Gesteinen erhalten sind“ 1) oder 
„dafs sie noch im Meer begraben liegen.“?) Er spricht von den wenigen 
Geologen, welche in den metamorphischen Schiefern und plutonischen 
Gesteinen den ursprünglichen Erdkern sehen ,?) nimmt mit Lyell an, 
dals der Metamorphismus im Meer bei hoher Temperatur und unter gro- 
(sem Druck vor sieh ging, und rechnet zu den metamorphischen Gestei- 
nen aufser den krystallinischen Schiefern auch Granit, Diorit u. s. w.*) 
Die Theorie der Progenitors, so folgerecht sie erscheinen mag, 
zwingt Darwin seme Zuflucht zu nehmen entweder zum Metamorphis- 


mus oder zu einem im Meer verborgenen Unbekannten. Selbst wenn sie 


1.0.8383. 

3 l. c. 419. 
l. ec. 360 „primordial nucleus of the globe.* 
I 


. 0.860 u. 383. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 221 


richtig ist, verkleinert sie das Räthsel der Entstehung der organischen 
Welt nur der Zahl nach, sie löset es nicht, aber der maafsvolle Ton der 
nicht dahin, sondern nur auf die historische Continuität der organischen 
Welt gerichteten Darstellung berührt überall höchst wohlthätig.  Gäbe 
man selbst den Metamorphismus der krystallinischen Schiefer und das 
Vorhandensein der Progenitors in denselben zu, so würden diese Gesteine 
eine Unterlage, das Meer einen Boden voraussetzen, welche beide ohne 
Organismen wären, und die Entstehung der Progenitors nach dieser azoi- 
schen Zeit bliebe ein ebenso grofses Problem als das Aufhören des Me- 
tamorphismus vor dem Silur. 

Edw. Hiteheock!) bemühte sich 1861 zu zeigen, dafs gewisse 
Conglomerate durch Verlängerung, Abplattung und Metamorphose der 
Geschiebe und ihres Bindemittels in Talk-, Glimmerschiefer und Gmneils 
verwandelt werden. Mechanische Gewalt, Druck, hohe Temperatur oder 
eine andere die Schichten erweichende Ursache verbunden mit chemischer 
Einwirkung sollen diese Wirkung hervorbringen. 

Schon Rogers?) hat die Unwahrscheinlichkeit dieser Ansicht durch 
schlagende Gründe nachgewiesen. 

Nach Zirkel?) zeigt sich das vorzugsweise silurische Übergangsge- 
birge der Pyrenäen an den Granitmassivgrenzen oft mit sekundären Mi- 
neralien beladen oder vollständig zu Thonglimmerschiefer, Glimmerschie- 
fer, auch wohl Gmeifs metamorphosirt; die spärlichen Kalksteine sind kry- 
stallinisch körnig geworden. Weil krystallinische Schiefer nur da auftre- 
ten, wo Granite erscheinen, so ergiebt sich die Beziehung beider, aber an 
manchen Contaktlinien ist keine krystallinische Metamorphose erfolgt, 
an den Granit grenzt bisweilen Schiefergebirge mit echt sedimentärem 
Habitus. Unter den krystallinischen Gebilden waltet Glimmerschiefer 
weitaus vor, Talk- und Chloritschiefer fehlen fast ganz, Gneils ist spar- 
sam, Hornblendeschiefer wird erwähnt.*) Der metamorphische Ursprung 


mancher Glimmerschiefer wird durch Einlagerungen von (uarzsand und 


1) Sill. Amer. J. 1861. 31. 372. 
2) ib. 440. 
3) Zs. geol. Ges. 19. 175. 1867. 
4) ib...182. 


222 Rorm über die Lehre vom Metamorphismus 


Kieselschiefer bewiesen.!) Die grölste Breite der Umänderungen beträgt 
11 Kilometer; freilich sind in dieser Zone 12 bis 15 kleine Granitstöcke 
vorhanden, welche vermuthlich die Umwandlung weiter ausgedehnt haben 
als es das grofse, 13 Kilometer im Durchmesser haltende Granitmassiv 
vermocht hätte. An der Süd-, Ost und Südwestseite desselben erscheint 
keine Umwandlung. 

„In der Nähe des Granites enthält der Glimmerschiefer häufig 
zahlreiche oneilsartige, selbst granitartige Partien. An und für sich kann 
es, wenn man von dem Granit die umwandelnde Kraft ausgehen lälst, 
nicht auffallen, dafs dieselbe mnerhalb einer dazu fähigen Masse Produkte 
erzeugte, die ihm selbst ähnlich sind.“ ?) 

In seinem Lehrbuch der Petrographie (1866 Bd. 2. 508) lälst Zir- 
kel neben metamorphischen Gneifsen ursprüngliche Gneilse zu. „In allen 
Fällen, auch bei den ursprünglichen Gmneifsen, dürfte es wahrscheinlich 
das Wasser gewesen sein, welches sowohl die Ausbildung der Gneilsmi- 
neralien aus einem plastischen, vielleicht hydatopyrogenen Magma als ihre 
Umbildung aus klastischen Gesteinselementen bewirkt hat.“ (l. e. 509.) 
Für weitaus die meisten Glimmerschiefer und noch mehr für die Thon- 
glimmerschiefer nimmt Zirkel metamorphische Entstehung an, für die 
Hornblendeschiefer läfst er es unentschieden, die Chlorit- und Talkschie- 
fer scheinen ihm nur Sedimente oder umgewandelte Sedimente sein zu 
können. (l. e. 513.) 

Die Architektur der grofsen Schieferformation, die Wechsellage- 
rung, die überall constanten Zwischengesteine, untergeordneten Gemeng- 
theile und Übergänge lassen diese Auffassung als kaum zulässig erschei- 
nen, mindestens für die Hornblende-, Talk- und Chloritschiefer 

In dem „Westöstlichen Durchschnitt durch das nördliche Schott- 
land“ (Geol. Skizzen von der Westküste Schottlands) scheint Zirkel 
der Augenblick für ein endgültiges Urtheil über die genetischen Ver- 
hältnisse des dortigen Fundamentalgneilses noch nicht gekommen. Nur 


1) vgl. auch Nogues: Note sur les sediments inferieurs et les terrains ceristallins des 
Pyrendes-Orientales. Bull. geol. (2) 20. 719. 1865. Nach Nogues sind auch die dorti- 
gen Melaphyre metamorph. 

2 E90: 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 223 


Ein Grund gibt nach Zirkel Anlafs, auch hier umgewandelte Sedimente zu 
sehen: die Einschaltung eines Lagers von körnigem Kalk. Dagegen macht 
der Titanitgehalt der Gneifse und die Thatsache, dafs die etwaige Metamor- 
phose schon vor Beginn der Cambrischen Periode beendigt gewesen sein 
muls, ihm die Umwandlung zweifelhaft.!) 

Soweit das Argument für die Metamorphose vom Kalk herrührt, 
ist schon früher seine geringe Tragweite erörtert. Der Titanitgehalt läfst 
sich als Beweis gegen die Metamorphose nicht gebrauchen, so lange alle 
Chloritschiefer für metamorphisch gelten, denn diese führen (s. Zirkel 
Petrographie I. 311) in den Salzburger Alpen und am Gotthard Titanit. 
Auch die sogleich zu erörternde Nothwendigkeit, zwei durch die Cam- 
brische Zeit getrennte Metamorphosen anzunehmen, könnte für einen Me- 
tamorphiker kaum in Betracht kommen. 

Nach Osten hin folgen über den steilen Schichten des Gneilses- 
von ihm getrennt durch nahezu horizontal gelagerte cambrische Conglo- 
merate und darüber discordant gelagerte untersilurische Quarzite und 
Kalksteine- quarzige und glimmerige Thonschiefer, welche je weiter man 
nach Osten vorschreitet, desto mehr unversehens krystallinisch slimmer- 
schieferartig werden. Darüber ruht discordant das Devon. Diese centralen 
gefalteten krystallinischen Schiefer hält Zirkel für die metamorphosirte 
hangende Partie des Untersilurs. „Keinesweges folgen allemal die kry- 
stallinischen Schiefer unmittelbar auf Quarzit und Kalkstein, sondern oft- 
mals stellen sich zunächst concordant gelagerte, gewöhnliche klastische 
Thonschiefer ein, welche, allmählich gegen Osten glimmerig werdend, in 
die Glimmerschiefer oscilliren; in letzteren kommen auch noch Schichten 
von ganz sedimentärem Habitus vor.?)“ Wie diese Umwandlung beschaf- 
fen war, vor Absatz des alleruntersten Devons mufste sie vollendet sein, 
denn die im Osten überlagernden devonischen Grundconglomerate enthal- 
ten Glimmerschiefer in seinem heutigen Zustand.>) 

„Die Metamorphose, welche sich sonderbarerweise im westlichen 
Theil nur auf einzelne Schichten erstreckte, hat weiter gegen Osten das 


I) Zs. geol. Ges. 23. 193. 1871. 
a), oc. 121. 
3) .]. c. 122. 


224 Rom über die Lehre vom Metamorphismus 


ganze Schieferterrain erfalst.1) Da das unterste Untersilur (Quarzit und 
Kalkstein) und die eambrischen Schichten vom Metamorphismus unver- 
sehrt gelassen sind, so schliefst Zirkel, die Metamorphose sei von Ost 
nach West vor sich gegangen ?); sie hat auch nach Zirkel mit Eruptiv- 
gesteinen keine Verbindung. 

Sieht man in Jona Thonschiefer (mit dolomitischem, Serpentin 
führendem Kalk) an den Fundamentalgneifs sich lehnen und dann jen- 
seit des Sundes in Mull dieselben Glimmerschiefer auftreten wie in den 
centralen Hochlanden (wo sie nach Zirkel aus Untersilur metamorpho- 
sirt sind), so kann man sich kaum des Gedankens erwehren, dafs man 
trotz aller Faltungen ein einfaches Profil vor sich habe: Glimmerschie- 
fer, Thonschiefer (mit Kalk) und die dazu gehörigen Hornblendegneilse 
und Hornblendeschiefer (wie gewöhnlich mit Kalk), denn der sogenannte 
Fundamentalgneifs ist überall reich an Hornblende und oft arm an Feld- 
spath. Dafs ein Theil der Thonschiefer und der „halben Glimmerschie- 
fer“ sedimentär sein mag, erscheint höchst wahrscheinlich. Vielleicht 
würde eine Vergleichung mit den Gesteinen von Donegal, Nordwestirland, 
wo nach Haugshton Glimmerschiefer mit Quarziten, Kalken und Titanit 
enthaltenden Gesteinen auftreten, und mit Norwegen, wo ganz ähnliche 
(resteine vorliegen, weiteren Anhalt gewähren. 

Nach ©. W. ©. Fuchs?) liest in den Pyrenäen zwischen Granit 
und den alten Sedimenten an vielen Orten ein schmaler bis breiter Saum 
von metamorphischen Schiefern. Die Umwandlung, deren Ursache unbe- 
stritten der Granit war,?) ist an der Granitgrenze am stärksten, nimmt jedoch 
nicht constant ab; weniger stark und stärker veränderte Schichten wech- 
seln oft mit einander ab, und die ersteren sind dem Granit oft näher 
als die letzteren. Die Produkte der Umwandlung sind Andalusit- und 
Chiastolithschiefer und Gneilse; die letzteren bilden zahlreiche Übergänge 
in Granit. Die Metamorphose bestand zunächst in Molekularumlagerung, 
die dann durch chemischen Stoffwechsel unterstützt wurde (Zufuhr von 
Kieselsäure und Alkalı durch Wasser von mälsig erhöhter Temperatur). 


3) J. Min. 1870. 878. a) ce. 878, 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 225 


Die Metamorphose der dichten grauen Kalke zu weilsen körnigen ergreift 
entweder das ganze Gestein gleichmäfsig oder geht nur von einzelnen 
Stellen aus. Diese Umänderung ist nicht durch molekulare Umlage- 
rung zu erklären, sondern durch Imprägnation mit kohlensäurehaltigem 
Wasser.!) 

In diesem letzteren Falle hätte wenigstens der Granit nicht viel 
mit der Metamorphose zu thun. Nach Fuchs ist der Granit selbst aus 
den am stärksten metamorphosirten Schichten hervorgegangen, da allmäh- 
licher Wechsel zwischen Gneils und Granit sich vielfach wiederholt; der 
Granit ist das Centrum der Umwandelung. 

Dies ist die Vereinigung der Theorien von Durocher und von Bi- 
schof, Molekularumlagerung und lange Durchtränkung mit Wasser, wel- 
ches alles Fehlende herbeiführt. Die Annahme, dafs „die Metamorphose 
sich nur in einer Tiefe des Erdinnern vollziehen kann, in welcher schon 
an und für sich die Temperatur eine mälsig erhöhte ist,“?) weicht ab 
von Bischof und weiset auf die älteren Hypothesen zurück. Von 
Contaktmetamorphose in dem Sinne, dafs hohe Temperatur des Eruptiv- 
gesteins die Umwandlung bedingt, kann nach Fuchs hier nicht die Rede 
sein, da der Granit der Pyrenäen (und des Harzes) nicht eruptiv ist. 

C. Lossen®) hält die krystallinischen Schiefer des Taunus für 
Sedimente, welche, aufgerichtet durch die gebirgsbildende Ursache des Rhei- 
nischen Schiefergebirges, auf wässerigem Wege umkrystallisirt wurden, 
wahrscheinlich unter gleichzeitiger Einwirkung zahlreicher heifser, Kiesel- 
säure und Basen zuführender Quellen. Er möchte es „als allgemeines Ge- 
setz aussprechen, dafs die meisten echten krystallinischen Schiefer — 
also nicht die schiefrig entwickelten Massengesteine — theils im Contakte 
mit Eruptivgesteinen, theils ohne solchen, immer aber in Folge der all- 
gemeinen dynamischen gebirgsbildenden Processe auf nassem Wege um- 
krystallisirte Sedimente seien.“ Im Gmeifs, nicht im Thonschiefer, scheint 
ihm die Grenze zwischen Sediment und Eruptivgestein zu liegen, aber 


oeoeben. 


doch die Möglichkeit einer Erstarrungsrinde aus feurigem Flufs ges 


Dr 1207808. 

2) 1 c. 87% 

3) Zs. geol. Ges. 19. 697—699. 1867. 

Phys. Kl. 1871. 29 


226 Roru über die Lehre vom Metamorphismus 


Die Rinde zählt ihrer Bildung nach zum Granit, dessen schiefrige Form 
eben so Gneils genannt wird wie der feldspathhaltige Glimmerschiefer ; 
der Glimmerschiefer ist der Architypus der krystallinischen geschichteten 
Gesteine. Die Umwandlung hält gleichen Schritt mit der Grölse der 
Umwälzungskatastrophen der betreffenden Schichtensysteme. Das Alter 
der Sedimente kommt dabei nicht in Betracht, da die Umwandlungen in 
der Schweiz bis in die Ablagerungen der mittleren Tertiärzeit reichen. 
In dem Aufsatz „Metamorphische Schichten aus der paläozoischen Schich- 
tenfolge des Ostharzes“ (Zs. geol. Ges. 21. 321. 1869) bezeichnet Los- 
sen es „als eine festbegründete Wahrheit, dafs dieselben Gesteine, welche 
als krystallinische Oontaktschiefer an Eruptivgesteinen beobachtet werden, 
auch in den ausgedehnten, unabhängigen, krystallinischen Schiefergestei- 
nen vorkommen.“ „Die letzte Ursache dieser (nicht aller) Contaktmeta- 
morphosen war eine rein mechanische, welche sogleich oder späterhin 
von chemischen Folgen begleitet wurde.“1) „Das mechanische Eindrin- 
gen der Eruptivmasse hat einseitig einen chemischen Krystallisations- 
procefs in den durchbrochenen Sedimentschichten hervorgerufen oder 
eingeleitet.“ ?) 

E.Kayser?) findet „die Annahme der sogenannten hydatopyrogenen 
Bildungsweise der Diabase ganz geeignet, die Contaktmetamorphosen im 
Harz zu erklären.“ „Drangen aus dem durchwässerten Magma heilse, 
mit mannichfachen Stoffen, besonders mit Natronsilikat beladene Wasser 
unter hohem Druck in die angrenzenden, wahrscheinlich noch plastischen 
Sedimente ein, so scheinen alle Bedingungen selbst zu viel tiefgreifende- 
ren Veränderungen gegeben zu sein, als sie in den Harzer Diabascontakt- 
gesteinen vorliegen. Quellthätigkeit in Begleitung und als Nachspiel der 
Diabaseruption hat vielleicht durch lange Zeiträume hindurch gewirkt.“ 

Kayser nimmt an*), dafs die verschiedene Ausbildung der Con- 
taktgesteine des nördlichen und südlichen Zuges von körnigem Diabas im 
Harze vor Aufrichtung der Schichten erfolgte, d. h. als die Trennung in 


2) ib. 324. 
3) Zs. geol. Ges. 22. 161. 1870. 
ı Lie 12. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 227 


eine Nord- und in eine Südhälfte noch nicht geschehen war. Diese Dif- 
ferenz wird erklärlicher, „wenn nach Aufrichtung der Schichten und Aus- 
bildung der Centralaxe — vielleicht in Folge des Auftretens des Grani- 
tes — noch bedeutende metamorphische Vorgänge allgemeiner Art statt 
hatten, die aber nur einseitig im Norden der Axe thätig waren.“ 

Das ist die Verbindung der Theorien von Scheerer, Daubree, 
Hunt. Die jetzigen Vorgänge in Island, wo heilse Quellen mit Gehalt 
an Kieselsäure und Natron mit Thon zusammentreffen, wo aber niemals 
in Folge dieses Zusammentreffens Feldspath, Chlorit, Glimmer entsteht, 
liefern keine Stützen für die von Kayser ausgesprochene Ansicht, frei- 
lich fehlt hier „der hohe Druck“! 

Die Theorie Kayser’s, aufgestellt zum Behuf der Erklärung eines 
einzelnen Falles, kann zunächst nicht einmal auf alle körnigen Diabase 
ausgedehnt werden. Weitere Untersuchungen müssen zeigen, ob nicht 
eine andere, weniger verwickelte und allgemein gültigere Erklärungsweise 
auch für die Harzer Vorkommnisse zulässig ist. 

Nach H. Credner!) liegen in der huronischen Formation der 
Oberen Halbinsel von Michigan zwischen 2 Diabaslagern, von denen das 
obere etwa 2300 Fuls mächtig und in seiner Westnordweststreichungs- 
richtung über 6 Meilen verfolgbar ist, etwa 300 Fufs mächtige Schiefer- 
porphyroide, Feldspathparagonitschiefer, Paragonitschiefer und Chlorit- 
schiefer. „Die Grenze dieser petrographisch so durchaus verschiedenen 
Gesteine fällt überall mit einer Schichtenfläche zusammen.“?) „Aus der 
Wechsellagerung und der Schichtung der Schieferporphyroide ergiebt sich 
der Schlufs auf sedimentäre Entstehung von selbst“,3) aber die Hypothese 
eines allgemeinen Durchwässerungsmetamorphismus erscheint darnach un- 
wahrscheinlich. „Zur Deutung devonischer und silurischer Schieferpor- 
phyroide darf man vielleicht die Einwirkung von Mineralquellen auf lockere 
noch schlammartige Meeresniederschläge annehmen.“*) Die (analysirten) 
Gesteine bestehen wesentlich „aus Orthoklas, Quarz und Natronglimmer.“ 


1) Jahrb. Min. 1370. 972. 
2), 12.02.9831. 
3) 120.998 
2) 21:0:0:984. 


228 Rorm über die Lehre vom Metamorphismus 


Letzterer enthält freilich auf 7,2 & Kalk und 1,2 $ Magnesia nur 3,0 8 
Natron, 0,3 2 Kalı und 1,5 9 Wasser, ferner nur 8,6 & Thonerde und 
2,6 9 Eisenoxyd, zeigt also sehr geringe Übereinstimmung mit den bis- 
her untersuchten Natronglimmern. 

Ob sieh die so ungeheuer mächtigen Diabaslager, über deren Erup- 
tivität keine Beweise beigebracht werden, und „die Schieferporphyroide*“ 
nicht einfacher als Faltung der unterlagernden krystallinischen Schiefer 
auffassen lassen; etwa als Glieder der Anorthositformation des Laurentian ? 
Die Wechsellagerung verschiedenartiger Gesteine und die Schichtung spre- 
chen mehr dafür als dagegen. 

Die jüngste allgemeine Theorie des Metamorphismus von C. Mon- 
tagna!) schreibt der dynamischen Elektrieität?) «dem Blektromagnetismus 
und Blektrochemismus alle metamorphischen Erscheinungen zu. „Etwa 
5 der Granite und Granitgesteine sind neptunischen Ursprungs und ge- 
schichtet, der Rest ist das Produkt aus alten metamorphosirten Laven; 
die organischen Reste im Granit sind um so deutlicher als die Gemeng- 
theile kleiner werden.“ „Die Zeichnung der Oberflächen von Sagenaria 
findet sich auf dem Glimmer des alpinen Gneilses; Gmeils, Glimmer und 
Thonschiefer zeigen auf Quarz, Feldspath, Glimmer Spuren von Pfllanzen- 
vosten, welche sich fast immer auf Lepidodendron beziehen lassen. Das- 
selbe gilt für Syenit, Porphyr, Serpentin, Diorit, Turmalinfels, für die 
Granaten der Gneilse u. s. w.“ Die Gänge von Granit?) u. s. w. ent- 
stehen so, dals, in Folge dynamischer Störungen in der Lagerung, zwei 
verschiedene Sedimente in einander eindringen, etwa in Spalten, und dann 
zu verschiedenen Gesteinen umgeändert werden, eins etwa in Granit, eins 


etwa nur zu Gmeils, Glimmerschiefer oder Serpentinschiefer. 


1) Nouvelle Theorie du metamorphisme des roches fondee sur les phenomenes de 
tossilisation des animaux et des plantes de tous les Äges geologiques. Naples 1869, 

?) p. 100, „Un geologue qui regarderait un depöt de grös ou de psammite trampe 
par la matiöre organique de milliards d’individus y venfermös, comme une assemblage 
d’un grand nombre de piles söches d'un nouveau ordre, ne pourrait &tre taxd de poöte, 
p. 102, cf p. 64. 74. 785, 88, 100. 107. 

®) p. 80, 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 229 


Montagna’s Abbildungen zeigen, dafs er in den Erscheinungen, 
welche die Oberflächen verwitternder Mineralien bieten, Pflanzenreste ge- 
sehen hat. Dieser Theil seiner Theorie möchte sich am leichtesten er- 


ledigen. 


Wirft man über die Geschichte des Metamorphismus einen Ge- 
sammtblick, so sieht man ihn von Schottland ausgehen und durch Leo- 
pold von Buch und Boud nach Deutschland gelangen, während etw: 
gleichzeitig Keilhau in Norwegen ähnliche Ansichten aufstellt. In der 
Alpengeologie, in welche den Metamorphismus schon L. v. Buch einge- 
führt hat, gelangt er sodann durch Elie de Beaumont und Studer zu 
hervorragender Geltung, wie die Namen Rozet, Sismonda, Uredner, 
Stur, Pichler, Volger bezeugen; in Deutschland wendet sich Fr. 
Hoffmann der Lehre zu. Wenn L. v. Buch sie um 1842 als fast allge- 
ınein angenommen bezeichnet, so sind bis dahin und auch später vorzugs- 
weise englische, amerikanische und französische Geologen ihre Vertreter: 
Lyell, Fournet, Virlet, Dana, Durocher, Daubree, Delesse, A. 
Favre, Sterry Hunt, Darwin, Hitchcock. Erst mit G. Bischof, 
Scheerer und Ootta um 1847 beginnt sie in Deutschland Boden zu 
fassen und scheint sich seitdem dort auszubreiten. Ist der Ausgangs- 
punkt bei Hutton die teleologische Betrachtung, so heftet sie sich spä- 
ter vorzugsweise an höhere Gebirge mit verwickeltem Bau: Schottland, 
Skandinavien, Alpen, Italien, Pyrenäen, wo die Ungeduld den Beobachter, 
der aus Mineralogie, Chemie und Physik nicht schnell genug die Erklä- 
rung aller Thatsachen ableiten kann, zu der kühnen Theorie des Meta- 
morphismus treibt. Oder schwer zu deutende Beobachtungen in ein- 
zelnen Gegenden führen dahin wie bei Keilhau, Forchhammer, Zir- 
kel, ©. W. C. Fuchs, Lossen, Kayser, H. Credner. Nur Lyell 
als Actualist, Darwin als Vertreter der Evolutionstheorie der Organis- 
men und J. N. Fuchs als Vertreter des Amorphismus gehen von allge- 
meineren Standpunkten aus. Fast überall sieht man den Verband des 


Granites und der krystallinischen Schiefer (oder den Contakt von Erup- 


230 Roru über die Lehre vom Metamorphismus 


tivgesteinen mit Sedimenten) als die Folie der Theorie durehschimmern, 
so dafs sich die Ansicht über die Anfänge der Erde und das Auftreten 
der Eruptivgesteine überhaupt fast überall als Hintergrund wiederfindet. 
Von diesem Gesichtspunkt aus erscheint eine Erörterung des allgemeinen 
Verhaltens der krystallinischen Schiefer der nächste Schritt sein zu müs- 


sen um die Frage zu erhellen. 


und die Entstehung der krystallinischen Schiefer. 


Inhalt. 


Begriff des Metamorphismus bei Durocher, Studer, Delesse, Naumann, 
Daubree 


Fournet Endo- und Tiomiorpiiieknen LEERE rn . 2 

Normaler und abnormer er Haughton Hydro- a Pyromera 
morphismus h BR ohlindr. Mr ih 

Hutton 1795 (Pl aylair 1602) Uraplutonismns; Corkraltäuek: De 
Actualismus. ee) 


Heim 1506. Gase nd Dämpfe, ändern Kalke in Dolomite um. 
L. v. Buch 1322. Dolomitbildung und Hebungstheorie. 


Breislak 1818. Schieferung kein Grund gegen plutonischen an der 
krystallinischen Schiefer. Gasströme helfen die Schichtenstellung bedingen, 


Bou& 1822. Die krystallinischen Schiefer sind Sedimente, Bpachmoleen durch 
hohe Temperatur und Gasströme des Erdinnern. IR Erna 5 

Keilhau 1523—50. Geheimnilsvolle Transmutation in starren ee eine 
Mitwirkung erhöhter Temperatur oder von Gasen. ES ET. 

Keferstein 1829—34. Umbildung vermittelst innerer Thätigkeit der Erde. . 

Elie de Beaumont 1826—56. Sedimente jeden Alters 

Studer 1326—56. | werden in den Alpen zu 
(Rozet, Sismonda, Credner, Stur, Kalter krystallinischen Schie- 
Volger). fern umgebildet. 

Fr. Hoffmann 1830—35. Krystallinische Schiefer sind umgewandelte Sedi- 
mente. Der unversehrt Be EBeDe zwischen Gneiss steckende Thonschiefer 
des Fichtelgebirges. : aha) wur isst. Harah Hauch; 

Lyell 1855—71. Rückkehr zu Hakton) Metamorphische Gesteine — verän- 
derte geschiehtete Gesteine. Actualismus. . ha Mer, # 

E. Hitcheock 1833. Erstarrungsrinde aus Granit. Krystallinische Schiefer 
sind durch hohe Temperatur umgeänderte Sedimente. Antiactualist. 

Sedgwick und Murchison 1842. (C. F. Roemer, Dumont, Sandberger, 
List.) Taunusschiefer sind metamorph. RO EIER? 

Fournet 1333—59. Erstarrungsrinde aus Glimmerschiefer. Gneiss ist exo- 
morpher Glimmerschiefer. Ausgangspunkt die Cupellirung. Jar 

Virlet 1836—58. Erstarrungsrinde aus Granit. Eleetrochemische Thätigkeit 
bei der Transmutation. a ee 

J. N. Fuchs 1838. Amorphismus. Kırystallisation des nassen Breies. 

L. v. Buch 1542. Aus Silur wird Gneiss; Aufdringen des Feldspathes aus 
dem Innern. Basalt der Tiefe schützt gegen Umänderung durch Granit. . 


231 


Seite 


150— 152 
152 


176— 175 


179 
150 
157 
155 
138 


159 
190 


232 Roru über die Lehre vom Metamorphismus etc. 


J. D. Dana 1843—63. Heilse Salzlösung ist Hauptagens. Granit, Gneiss 


u. s. w. sind metamorph. . » .».. . ER OR: 
Forchhammer 1344. NE des Granie wandeln in Skandinavien 
Sedimente in Gneiss um. . . Sie © er ler et OBERE. 


Durocher 1846 (Bayle, Axel niünem Kjerulf). Comrentktiin in nicht er- 
weichtem Gestein bei säcularer Erwärmung und Druck. Das Granitbad. 
Transfusion des Feldspathes. . ». 2.2... s Same RS 

G. Bischof 1847—66. Feurigflüssiger Kifenrernsthnl Fiystarokryatallice- 
tion auf hydrochemischem Wege bei gewöhnlicher Temperatur. Das 
‚Wasser (liefert, das ORehlende.urs aus ee sr > 

Scheerer 1847—66 (Sorby, Gruner). Feurigwässriger Fluls der Vulkanite 
und Plutonite. Nicht alle Gneisse sind metamorph. Wasser, hohe Tem- 


peraton, Druck, nu yes ae ve nn 
B. Cotta 1847—62. Die krystallinischen Schiefer sind Remo. Drake 
Wärme, vielleicht auch Wasser. . . .» RR r \ 


Delesse 1851—61. Die krystallinischen Schiefer und ale utonischen Ge 
steine sind metamorph. Wasser macht plastisch. . © 2 2 222... 
Daubr&e 1857—67 (vom Rath). Die krystallinischen Schiefer sind meta- 
morph, aber nicht aus Silur. Metamorphose bewirkt durch überhitztes Was- 
ser, Gase und Dämpfe. Antiactualist. 5 im. en era lenge 
Alphonse Favre 1367. Anschluls an Daubree. Die Erstarrungsrinde Lava. 
In den Alpen Rolle des Metamorphismus übertrieben. . . 2. 2... 
T. Sterry Hunt 1857—63. Ausgangspunkt die Sedimente. Heilse Salzlö- 
sung Hauptagens des Metamorphismus. . 2 2 2 nn. 
Sorby 1856. Glimmerschiefer ist metamorph. . . . . - 8 
Geikie 1863. Untersilur von Carrick auf hydrothermalen ı We ege N 
Darwin 1859—69. Die Progenitors führen zur Lehre des Metamorphismus 
für. das. Vorsllurseter 0 0 0 DR RE a er 
E. Hitchcock 1861. Conglomerate liefern durch Metamorphose, Abplattung 
u. s. w. Talkschiefer, Glimmerschiefer und Gneiss. . 2 2 2 202002. 
Zirkel 1866—67. Metamorphose zu krystallinischen Schiefern in den Pyre 
näen durch Granit bedingt. In Nordschottland werden zwei Metamorpho- 
sen nöthikiens suhlaner Saint Hohe VER Ee BRENNT Re Er 
C. W. C. Fuchs 1870. Metamorphose zu krystallinischen Schiefern in den 
Pyrenäen durch Granit bedingt, der Granit selbst metamorph., . x... 
Lossen 1867—69. Die Taunusschiefer sind Sedimente, welche auf wässri- 
gem Wege umkrystallisirt wurden. Die nn paläozoischen 
Schichten des Ostharzes. » = 2 2 22.0. Ser: BERNER Tr 
Kayser 1870. Die hydatopyrogene Bildungsweise de Dinkase erklärt die 
betreffenden Contaktmetamorphosen des Harzes. . . IH. Kir 
H. Credner 1870. Das Huron der oberen Halbinsel von Michigan entstand 
aus.Sedimentens znark:, eulisl meist a Ann alte rd 
Montagna 1869. Organische Reste in Granit, Porphyr, Gneihs UN BIW. 


Nachtrag 


zur 


Übersicht der organischen Atmosphärilien. 


Von 


ee 
H”" EHRENBERG. 


[Vorgetragen am 19. Juni in der Sitzung der phys.-math. Klasse, durch Zusätze 
erweitert am 27. Nov. 1871.] 


l. Systematische und geographische Studien über die 
Arcellinen. 


ca die Meinungen über den thierischen Character der Bacilla- 
rien, der scharfen Characteristik ihres Ernährungssystems und der aus 
Mündungen ihrer Schalen hervorragenden einziehbaren Bewegungsorgane 
ungeachtet, immer von Neuem sich theilen, sind die Arcellinen des atmo- 
sphärischen Staubes und aller Oberflächen -Verhältnisse der Erde als un- 
zweifelhaft thierische, vielfach complieirte Organismen mit Übereinstim- 
mung der Beobachter im Thierreiche befestigt. Ich habe schon 1838 in 
dem Werke „die Infusionsthierchen“ ausgesprochen, dals der erste Beob- 
achter einer Form der Arcellinen, Leon Leelere, 1815 eine richtige An- 
sicht der systematischen Stellung dieser Formenart bei den Infusorien 
auszusprechen nicht verfehlte und dafs, wie es so oft geschieht, nur erst 
besonders diejenigen späteren Systematiker, welche ohne oder ohne reich- 
haltige eigene Beobachtung urtheilten, über die systematische Stellung 
dieser Formen in Uneinigkeit geriethen. Die Difflugien wurden zu den 
Anneliden (Richard), den Bryozoen (Lamarck), den Räderthieren (Oken 
bei Melicerta) und neuerlich zu den Foraminiferen gestellt. So sind bis 
in die neueste Zeit von einigen systematisirenden Schriftstellern die For- 
men der Arcellinen theils unter die Polythalamien als Foraminiferen, theils 
unter die Polygastern als Rhizopoden vertheilt worden, wie es besonders 
bei Claparede geschehen, während bei Pritchard nach M. Schultze 


Phys. Kl. 1871. 30 


934 EHRENBERG: 


die kalkschaligen Cornuspiren, welche den Mangel von kalkschaligen Poly- 
thalamien im Sülswasser verwischen würden, bei den Arcellinen auf- 
geführt sind. 

Aulser der Difflugia von Leclere 1815 wurden schon in den 
Jahren 1820 bis 1825 von mir neue Materialien auch für diese Familie 
der Organismen in Afvıka gesammelt, welche aber viel später erst mit 
verzeichnet sind. Im Jahre 1829 wurde auf der sibirischen Reise mit 
Alex. v. Humboldt in Tobolsk Difflugia proteiformis Leclere und Ar- 
cella vulgaris in Tobolsk und Catharinenburg Sibiriens beobachtet und 
1830 als erste asiatische Formen mit den beiden europäischen Formen 
Arcella dentata und A. aculeata in den Abhandlungen der Akademie ver- 
zeichnet. Hierauf hat ein sehr fleilsiger Beobachter in Paris, Felix Du- 
jardin, im Jahre 1836 und 1837 in den Annales des Sciences natur. die 
neue Difflugia globulosa‘) Duj. und eine neue Gattung Trinema?) ver- 
zeichnet. Letzteres dürfte jedoch kaum von Arcella hyalina abweichend 
sein, wie bereits in den Abhandlungen von 1841 p. 444 von mir ange- 
deutet worden. Auch die Arten der Gattung Gromia Duj. des Sülswassers 
mögen den Arcellen angehören, da ihr Ernährungsapparat nicht erläu- 
tert Ist. 

Im Jahre 1838 wurden in dem Buche „die Infusionsthierchen als 
vollendete Organismen“ 9 bis 10 Arten der Arcellinen von mir beschrie- 
ben und abgebildet, die Ernährungsorgane bei allen Arten von Arcella 
übereinstimmend mit dem polygastrischen Typus ihrer Organisation dar- 
gestellt und die Anwesenheit einer contractilen Blase angezeigt. 

Im Jahre 1840 habe ich in den Monatsberichten mitgetheilt, dafs 
der glückliche und reichhaltige mikroskopische Beobachter jener Zeit, 
Werneck, bei Salzburg eine Difflugra Ampulla in seinem Briefe an mich 
unter dem Namen Ampullaria als neues Genus angedeutet und mir durch 
Zusendung lebender Formen im Sumpfwasser Gelegenheit gegeben, die 
Charactere bis auf den Speiseinhalt selbst zu betrachten, was mich ver- 
anlalste, sie 1840 a. a. OÖ. p. 199 nicht als besonderes Genus, wohl aber 
als besondere Species anzuzeigen und auch die bei Berlin von mir auf- 


1) Annales des Seiences 1837 Serie II. Taf. 9. Fig. 1. 


2) Annales des Sciences 1836 Serie 11. Taf. 9. Fig. A. 


Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilen. 235 


gefundene Drfjlugia spiralis fester zu begründen. In dem Vortrage über 
die Süd- und Nordamerikanischen kleinsten Formen !) sind noch andere 
neue Arcellen und Difflugien von mir namhaft gemacht worden. Unter 
16 amerikanischen Arten, 9 Arcellae und 7 Difflugiae waren neue Arten: 
Arcella americana, A. constriela, A. ecorns, A. disphaera, A. huınata, A. 
Nidus pendulus und A. Pileus; Difflugia areolata, D. acantophora, D. denti- 
eulata, D. Lagena, D. laevigata und D. striolata. 

Im Jahre 1841 hat Dujardin in der Suite de Buffon „Infusoires“ 
9 Arten Arcellinen, sämmtlich aus Europa, verzeichnet, darunter auch die 
Gattung Euglypha specieller festgestellt. 

Von Neuem besonders anregend wurden im Jahre 18452) die 
Beobachtungen Schlumberger’s, welcher 7 Arten der Arcellinen aus den 
Wässern des Jura und der Vogesen beschrieben, von denen er zwei zur 
Gattung Difflugia, 1 zur Gattung Gromia und 4 in vier neue Genera 
vertheilt hat. Die beiden Difflugien, D. depressa und D. gigantea haben 
angeblich zahnlose Mündungen, aber sgetäfelte Schalen. Es bleibt im 
Zweifel, ob die Zähnchen an der Mundöffnung im frischen Zustande viel- 
leicht wegen Durchsichtigkeit und Schleimumhüllung übersehen wurden, 
da sie im abgetrockneten Zustande oft deutlicher hervorzutreten pflegen 
Die Erfüllung mit vegetabilischen Speisetheilchen ist bei D. depressa an- 
gezeigt. Gromia hyalina scheint die von mir 1838, Infusorienwerk Taf. IX 
Fig. VI, als Arcella hyalına abgebildete Form. Die vier neuen Genera 
Schlumberser’s sind: 

1. Lecquereusia jurassica, durch kleine, in die Schale verwebte 
Bacillarien characterisirt, sonst der Difflugia proterformis bis auf einen 
verdünnten und gekrümmten Hals ähnlich. Da aber bei Arcella aculeata 
‘xemplare mit und ohne eingewebte Bacillarien vorkommen, so ist die 
Sicherheit des Gattungs-Characters zweifelhaft und die Form würde zu der 
Abtheilung Cortieella gehören. Auch hier sind verschluckte Bacillarien 


und Pflanzentheilchen im Innern beobachtet. 


!) Abhandlungen der Akademie 1341. 
?) Annales des Sciences nat. 1845 T. III Ser. III p. 254. 


50% 


236 EHRENBRRE: 


2, Ovphodena marganitacea Schl. Die kleinen Perlreihen der Schale 
dieser Form erinnem einzeln an Assula umdonata. Sie würde in die Ab- 
theilung Zuglypha (edentata) gehören, wenn man nicht aus den perlarti- 
gen Kunötchen noch eine besondere Gattung festzustellen geneigt ist, Die 
von mir Cyphrdiem aureolum genannte, ebenfalls gelbe Form scheint von 
dieser verschieden zu sein, Eine Abbildung von Uyphoderia margaritacea 
ist von Schlumberger nicht, aber 1856 von Fresenius!) gegeben, 
welche eine Frankfurter Form betrifft, die er mit der aus den Vogesen 
für einerlei hält, Die Gestalt dieser Art schlieist sich sehr nahe an die 
von mir beobachtete und 1856 verzeichnete Diflugia uneinata aus Texas 
an, deren Zellseulptur der Oberfläche zwar bei stärkerer Vergrölserung 
nicht deutlich sechseckige Zellen zeigt, aber unter günstigeren Verhältnissen 
sich vielleicht doch als gleich gebildet ergiebt. 

3, Dreudodiiiluna graecilis ist eine mit sandartigen Theilen durch- 
webte Schale mit runder ungezahnter Öffnung. Diese Form gehört zur 
Abtheilung Corticella. 

4 Sphenodena lenta ist neben reihenweis getäfelter Oberfläche 
durch eine kammartig zusammengedrückte Mundöffnung characterisirt, wie 
sie bei Difklugta Carpro und D. binodis von mir beobachtet worden ist, die 
aber beide nicht reihenweise sondern netzartige Täfelchen, eine mit, die 
andere ohne Zähnchen am Munde zeigen. Aus dieser Verschiedenheit der 
Steuetur geht hervor, dals der zusammengedrückte Mund nicht wohl der 
Character einer besonderen Gattung sein kann, zumal es bei fast allen 
gezahnten Formen sehr schwer ist eine Aufsicht des Mundes zu erlangen, 
wodurch der Mangel einer vollen Rundung oft annehmbar wird. Sphe- 
noderia lenta gehört zu Zuglypha. 

Im Jahre 1845 wurde von Weilse im Bull. d. St. Petersd. T. IV 
Arcella uneimata und dieselbe Form gleichzeitig von mir im Monatsber. 
1845 verzeichnet. 

Im Jahre 1847?) (1844—1849) wurden von mir 4 Arcellae und 


2 Dirflugiae, darunter die fragliche neue Form A. costata im Passatstaub 


verzeichnet. Im Jahre darauf 1848 habe ich aus dem niederen Luft- 


1) Abhandl. der Senkenb. nat Gesellsch. Bd 2 Taf, NH Fig. 3— 36. 
2) Abhandl, der Akad, 1S47, 


Nachtrag zur Übersicht der organischen Amosphärilien. 237 


staube von Europa, dem Libanon und Venezuela 18 verschiedene Arcel- 
linen, 11 Difflugien, 7 Arcellen, angeführt, darunter als neue Arten: Ar- 
cella comdieieola, A. constrieta, A. granulata, Diffluyia Bructeri, D. can- 
cellata, D. cilata, D. collarıs, D. Dryas, D. retieulota, D. squamata. 

Im Jahre 1849) ist eine Reihe hierher gehöriger Untersuchungen 
von Perty publieirt worden, welche die in der Schweiz bis in die Hoch- 
gebirge und in Öberitalien vorkommenden etwa 11 Arcellinen betreffen, 
neue Namen waren: Difflugia acaulis?), D. pyriformis, D. Bocillariaorum, 
Arcella stellaris, A. wirıdis, Euglypha loevis und E, setigera. In dem Aus- 
zuge?) aus seinem 1852 publieirten Werk: „Zur Kenntnifs mikroskopischer 
Lebensformen u. #. w.* Bern 1852, sind noch als weitere neue Arten der 
Schweiz von ihm hinzugefügt: Arcella hemisphoerica, A. Okenn, Difflugio 
curvata und D. minime, 

Im Jahre 1852 %) haben Felix Dujardin in Paris und ihm zufolge 
Boulengey in Rennes verschiedene Difflugien, Arcellen und Euglyphen 
in feuchten Moosen am Fufse der Bäume, also wohl aus dem niederen 
Luftstaube, in Frankreich beobachtet, welche die von mir 18487) aus 
Venezuela, Berlin und vom Libanon angezeigten ähnlichen Erfahrungen 
weiter bestätigen und speciell auch auf die Arcellinen hindeuten, 

1853 habe ich in den Monatsberichten aus den Alpen der Schweiz 
und Baierns 15 meist bekannte Arten Arcellinen, 7 Arcellen, 8 Diffiugien, 
verzeichnet. In demselben Jahre theilte Ferd. Cohn®) seine Beobach- 
tung der Oopulation zweier Schalen mit der Mundöffnung bei der neuen 
Difflugia Heliv Cohn mit, während Schneider 18547) eine Knospung 
bei Difflugia Enchelys zu erkennen glaubte. 

Im Jahre 1854 wurde die Mierogeologie publicirt, in welcher von 
mir 48 Arcellinen, 23 Arcellen, 25 Difflugien, aus Asien, Afrika, Amerika 


!) Naturf, Gesellsch. zu Bern 1849. 

2) Der Name „ocaulis“ ist nicht glücklich gewählt, da von einem Stengel bei Arcel- 
linen überhaupt keine Rede sein kann. 

#) Mittheil. d. naturf. Gesellsch. in Bern 1852 p. 60. 

#) Annales d. Sciences nat. Vol. XVIII 1852 p. 240, 

5) Monatsb. d. Berl. Akad. 1848. 

€) Siebold u. Kölliker’s Zeitschr. Bd. 4. 1853 p. 261. 

7) Müller’s Archiv 1854 p. 205. 


238 EHRENBERG: 


und Australien verzeichnet und 21 Formen, 10 Arcellen, 11 Difilugien, 
abgebildet wurden, 

In dem nämlichen Jahre 18541) hat Max Schultze bei Gelegen- 
heit der interessanten Beobachtung der von ihm Zagynis baltiea (I. e. Taf. I 
Fig. 7. $) genannten Meeresform von Greifswalde eine neue Familie der 
Lagynıda unter den Monothalamien der Rhizopoden p. 56 beschrieben, 
wozu er eine grölsere Anzahl anderer schon bekannter Genera gezogen 
hat. In diese Familie rechnet er auch kalkschalige Formen, wie seine 
neue Gattung Squamulıra, Ovulina D’Orbigny und ähnliche. Es hat aber 
dieses Verfahren die Schwierigkeit, dafs hierdurch kalkschalige mit kiesel- 
schaligen und häutigen Formen in ein und dieselbe Familie vereinigt werden, 
wodurch die Gestaltungen der Meeres-Polythalamien (Foraminiferen) auch 
eine Stelle in den Sülswasserbildungen, von denen sie bis dahin durch 
ihren Mangel in der Schreibkreide u. s. w. ausgeschlossen waren, erlangen 
würden. Im sleichen Jahre 1854 habe ich versucht im den Monatsbe- 
richten und 1855 in den Abhandlungen der Akademie bei Gelegenheit 
der Erläuterung der Grünsande über den Organismus der Polythalamien 
im Gegensatz zu den Polygastern meine Erfahrungen mit mir noch jetzt 
berechtigt erscheinenden Gründen unterstützt auszusprechen, welche in 
den Abhandlungen 1852 p. 216 ausführlich zusammengefalst sind. Ziehe 
ich aber die blos chitinhäutigen und kieselschaligen Formen der Arcelli- 
nen ab, so bleibt auch die Gattung ZLagynıs so nahe bei Difilugia der 
Arcellinen stehen, dafs ich Bedenken trage sie davon zu entfernen. Sehr 
leicht und ohne Zwang reiht sich auch diese Zagynıs baltica dureh structur- 
lose Haut und zahnlosen Mund an die Abtheilung Zrassula an und ihr 
Vereinigen mit Schlumberger’s Üyphoderia durch Stein und Frese- 
nius ist behindert durch den Mangel einer Structur der Schale. 

Im Jahre 1856?) hat Carter, damals Assistenzarzt in Bombay, 
eine gröfsere Reihe sehr verdienstvoller Untersuchungen über die west- 
asiatischen mikroskopischen Organismen veröffentlicht, in denen beson- 
ders die Amöbeen und Arcellinen intensiv beobachtet sind. Diffluga in- 
euspis Carter, 1. ec. Tab. VO Fig. SO, hält Fresenius für D. oblonga 


1) Max Schultze, über den Organismus der Polythalamien. Leipzig 1854. 
2) Annals and Mag. of nat. hist. Tome XVII 1856 p. 221. 


Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphänrilen. 239 


Ehrb., was ich nicht unbedingt anzunehmen veranlafst bin, da ich eine 
dreilappige Mundöffnung, welche nicht glücklich dreispitzig (trieuspis) ge- 
nannt worden ist, bei D. oblonga nicht erkannt habe und welshalb die 
asiatische, auch in der Gestalt eisenthümliche Form vielleicht doch eine 
besondere ist. Was Kuglypha alveolata Carter anlangt, so erscheint mir 
auch diese Form, deren innere aber noch unklare Organisation von Carter 
reichhaltiger dargestellt ist, l. c. Tab. V Fig. 25—36, defshalb von der 
europäischen wesentlich verschieden, weil die Täfelung nur am Halse in 
vielen Zeichnungen angegeben ist und am Körper fehlt. Besonders wichtig 
wäre seine Beobachtung einer angeblichen, noch zu bestätigenden, vielleicht 
doch nur scheinbaren Copulation. 

In demselben Jahre 1856 hat Bailey!) die ersten zwei oceani- 
schen Formen dieser Familie an den nordamerikanischen Küsten ver- 
zeichnet, Diffugia marima Bailey und Cadium marınum Bailey. Letz- 
teres ist hier als Difflugia (Lirella) Baileyi nach meinen eigenen 1861?) 
veröffentlichten Untersuchungen aus der Davisstralse aufgenommen und 
auch die Zahl der oceanischen Formen durch die Difflugia membranacea 
daselbst von mir vermehrt worden. 

Im Jahre 1857 hat Professor Stein in den Sitzungsberichten der 
Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften neue Beobachtungen über die 
Sülswasser-Rhizopoden veröffentlicht, welche er in Gymnica, Monocyphia 
und Arcellina abtheilt. Zu den ungepanzerten Gymnicıs rechnet er als 
Amöbeen Amoeba und ÜUhaetoproteus und als Actinophryna Actinophrys und 
Actinosphaerium. Zu den Monocyphien als Coryeinen Corycia Duj. und 
als besondere Abtheilungen der Difflugien: Gromia D uj., Difflugia Leelere, 
Euglypha Duj., Sphenoderia Schlumb., Hyalosphenta Stein et Grunow, 
Uyphoderia Schlumb. Zu den Arcellinen rechnet Stein Trinema Duj., 
Arcella Ehrb. und Centropyzis Stein. Die noch wenig beobachtete, aus 
Lebermoosen 1852 entwickelte Gattung Coryeia Duj. ist vielleicht als Pam- 
phagus von Bailey in dem Americ. Journ. Vol. XV. Serie Il 1853 ausführ- 
licher dargestellt, und gehört zu den schalenlosen Amöbeen. Lieberkühnta 
Ölap. u. Lachm. 1859, vielleicht auch Pelobrius Greef 18703) scheinen 


1) Amer. Journ, of Sc. and Arts. Serie 2. Tome XXII p. 3. Taf. I Fig. 2. 7. 
2) Monatsbericht der Berl. Akademie 1861 p. 280. 
3) Sitzungsb. niederrh. Ges. 


240 EHRENBERG: 


sich als amöbenartige grofse Formen hieran anzuschliefsen. Die Einrei- 
hung der Gattungen Gromia und Uyphoderia (Lagynis) zeigen an, dals 
der Verfasser die zu den Foraminiferen gestellten Formen richtiger in der 
Nähe der Difflugien stehend sich vorstellt und durch die Gattung Aya- 
losphenia vermehrt er diesen Kreis verwandter Formen. Was seine Ab- 
theilung Arcellina anlangt (ich übergehe das Übrige), so ist es schwer 
einen wichtigen Unterschied aufzufinden, welcher die Vorstellung dieser 
Abtheilung als wesentlich von Monocyphia verschieden begründet. Auch 
hier hat der Verfasser einen eigenen generischen Namen für die von mir 
aufgestellte Arcella aculeata als Centropyxis eingeführt, während die Rand- 
stacheln dieser Form zuweilen sehr zahlreich und wieder bei einzelnen 
Exemplaren sehr unregelmäfsig in Gestalt, Länge und Zahl sind, ja nicht 
selten als ganz fehlend (Arcella ecornis?) sich zu erkennen geben. 

Im Jahre 1858 wurden von mir in den Abhandlungen der Aka- 
demie p. 426 bis zu den höchsten Pässen des Himalaya (bis 20,000 Fuls 
Höhe) 7 Arten Arcellinen beobachtet, 3 Arcellen, 4 Diflugien, darunter 
als neue Art Difjlugia alpieola. 

In demselben Jahre 1858 haben Claparede und Lachmann neue 
Studien über diesen Gegenstand veröffentlicht. Die Arcellinen sind von 
ihnen als mit einer Schale versehene Amöbeen meinen frühesten Vor- 
stellungen gleich aufgefalst worden, allein sehr abweichend von meinen 
Auffassungen sind die Polythalamien und Polyeystinen mit den Polygastern 
als Rhizopoden zusammengefafst und die Bacillarien ausgeschlossen wor- 
den. Beide Beobachter stimmen darin mit meinen Darstellungen überein, 
dafs an Einfachheit der Substanz dieser so oft Sarcode genannten Thier- 
körper nicht zu denken sei, vielmehr die von mir in Steinkernen der 
Polythalamien-Kalke und im Grünsande der Vorwelt 1839 und 1846 be- 
sonders 1847 in den Monatsberichten nachgewiesene, sehr zusammenge- 
setzte, auch von Carter zum Theil berichtete Structur anzuerkennen sei 
(Etudes sur les Infusoires p. 420). 

Die Arcellinen theilen die obigen Verfasser als Abtheilung der 
Amöbeen der Rhizopoden in 3 Genera: Arcella, Echinopyxıs und Difflugra. 
Unter Arcella verzeichnen sie 2 Arten, Arcella vulgaris und A. patens, 
letztere als neue Art. Die Zerspaltung der Arcella vulgarıs durch Perty 
in mehrere Arten, sowie die beiden neuen Arten von Perty, A. hemi- 


Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. 241 


sphaerica und A. viridis und auch A. uneinata von Weilse werden von 
ihnen als Varietäten der Arcella vulgaris besprochen und zu diesen Varie- 
täten auch die 1838 als A. dentata von mir abgebildete Form gerechnet. 
Die besondere Gattung Cyphridium aureolum ist von ihnen unbeachtet ge- 
blieben. Was die Kehinopyxis aculeata der Verfasser anlangt, so ist diese 
schon vor ihnen von Stein Üentropyxis genannt worden. Ich selbst halte 
beide Namen für generisch ungerechtfertigt, weil die Randstacheln meist 
sehr unregelmälsig an Grölse, Gestalt, Abstand von einander und an Zahl 
niemals übereinstimmen, oft abgebrochen, daher geöffnet, zuweilen nur 
als geringe Knötchen vorhanden sind, sowie sie auch ganz zu fehlen schei- 
nen, wo dann nur die Unregelmäfsigkeit der Gestalt sammt der Structur 
der Schale diese Art von A. vulgarıs verschieden erscheinen läfst. 

Was die von mir 1838 (Infusionsthiere) beschriebene und abge- 
bildete Arcella hyalina anlangt, so sind öfter die Vorstellungen von neue- 
ren Beobachtern, auch die von Fresenius, auf die von mir umständlich 
beobachtete Form, wo sie abweichen, in keiner Weise anwendbar, und 
diese Besonderheiten von Lokalformen mögen vielmehr Verwechslungen 
mit der Gattung Gromia hervorbringen. Dagegen ist eine einflufsreiche 
Beobachtung von Claparede und Lachmann mit besonderer Theil- 
nahme festzuhalten, zufolge welcher die Arcella vulgaris ihre Schale 
wechseln soll, wodurch sie die grofse Variation dieser Art erläutern. Es 
mag dies eine jener Oysten-Umbildungen sein, deren weitere Beobachtung 
die Systematik der Arcellen und Diftlugien, wenn sie stattfindet, noch 
sehr wesentlich umändern kann, mir aber nicht vorgekommen ist. 

Von Difflugien erwähnen die Verfasser aufser den von mir aufge- 
führten D. proterformis Leel., D. acuminata, D. oblonga, D. spiralis, D. 
Ampulla, D. Enchelys und D. Lagena noch D. pyriformıs Perty, D. Ba- 
cillariarum Perty, D. Heliw Cohn, D. depressa und D. gigantea Schlum- 
berger. Aulser den nach ihnen bei Berlin häufigen D. proteiformis, D. 
acumanata und D. pyriformis haben die Verfasser keine der Formen selbst 
beobachtet und halten D. oblonga wohl mit Unrecht für eine ihrer Schlamm- 
hülle beraubte D. pyriformis. Der Charakter der Gattung Difjlugia wird 
in der constanten Bedeckung der Schale mit Schlamm erkannt. Eine grofse 
Zahl von nahe verwandten Formen wird unter dem Namen Zuglypha in 
der ganz anderen Abtheilung der Schalen führenden Actinophrynen ver- 


Phys. Kl. 1871. öl 


949 EHRENBERG: 


zeichnet, von denen Claparede nur die eine Art Euglypha tuberculata 
Duj. 1841!) gesehen hat. Einige von Claparede und Lachmann zur 
Familie der Actinophrynen gestellte Formen sind Pleurophrys und Trı- 
nema. Trinema Acinus Duj. 1836 wird für einerlei gehalten mit der von 
mir 1838 beschriebenen und abgebildeten, 1835 beobachteten Difflugia 
Enchelys. Die mir etwas zu spät bekannt gewordene Gattung Trinema 
wülste ich auch jetzt von jener Difflugia Enchelys, die aber später doch 
durch seitliche Öffnung den Charakter und Namen einer Arcella erhalten 
hat, nicht zu unterscheiden. Eine Bemerkung der beiden Verfasser, dafs 
Trinema Acinus Duj. = Difflugia Enchelys Ehrbg. im Jugendzustande die 
Öffnung vorn und im Alter seitlich habe (pag. 456), enthält eine für die 
Systematik wichtige, aber noch nicht weiter bestätigte Ansicht. 

Die im Jahre 1863 erschienene Systematik in Carus und Ger- 
stäcker’s Handbuche der Zoologie verzeichnet die Arcellinen bei den 
Amöbeen der Infusorien und enthält nur die Formen der früheren Beob- 
achter, hat aber die Gattung Cyphidium wie seine Vorgänger ganz weg- 
gelassen. Die Einreihung der Lagynis bei den Foraminiferen als Rhizo- 
poden und deren weite Entfernung von den Difflugien schliefst sich an 
die Vorstellungen von Clapar&de und van der Hoeven an. 

Bei den grolsen Schwierigkeiten der verschiedenen Beobachtungs- 
methoden und besonders der verschiedenen Ansichten über die einfache 
Grundsubstanz oder grolse Organisation der hier in Betracht kommen- 
den Naturgegenstände, habe ich für nützlich gehalten zur geographi- 
schen Übersicht und zur Erläuterung des von der Atmosphäre getragenen 
organischen Lebens von allen den Zerwürfnissen der Systematiker Ab- 
stand zu nehmen und vielmehr in der Abhandlung vom Februar genaue, 
von mir selbst in früheren Jahren gezeichnete Abbildungen der zu beur- 
theilenden Formen mitzutheilen und allesammt unter den einfacheren Na- 
men Difflugia und Arcella zusammenzustellen. Auf der beigehenden Tafel 
ist diese Charakteristik anschaulich gemacht. 

Die neuesten Fortentwicklungen der sich immer zusammengesetzter 
gestaltenden und auffällig zierlich gewebten Struetur der für einfach ge- 


haltenen Bacillarien-Schalen durch Otto Müller, wie es im Sitzungsber. 


1) Dujardin, Suite de Bufon Infusoires p. 251 Pl. 2 fig. 7. S. 


Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. 245 


der Berliner naturf. Gesellschaft vom Oktober d. J. dargestellt ist, zeigt 
deutlich an, dafs eine grolse Berechtigung vorliegt, in allen diesen mikro- 
skopischen Formen die Grenzen der Organisation ihrer Substanzen einer 
noch immer tiefer gehenden Forschung zu empfehlen. 

Nach den historischen, so viel als mir möglich war, vervollstän- 
disten Bemühungen vieler Beobachter ist das folgende, die gegebenen und 
mir bekannt gewordenen Specialnamen zusammenstellende Verzeichnifs der 
sämmtlichen, auf der ganzen Erdoberfläche in Erfahrung gebrachten For- 
men-Arten der Arcellinen in Übersicht gebracht worden. Eine einge- 
hendere Kritik der Synonymie für Europa mufs ich späterer Bemühung 
überlassen, da die Beobachter sich bis jetzt noch nicht über die Stärke 
der anzuwendenden Vergröfserungen oder auch des anwendbaren Organi- 
sations-Typus geeinigt haben. Nur die von mir selbst stets bei 300 mali- 
ger Diameter-Vergröfserung betrachteten und durch Präparate zur wieder- 
holten Prüfung festgehaltenen und benannten Formen erlauben bisher 
eine gesicherte Vergleichung, wenigstens der Schalen der in verschiedenen 
Erdgegenden und in der Atmosphäre vorhandenen Arten. 

Die bisherigen systematischen Anordnungen der Arcellinen leiden 
an dem Mangel einer physiologischen Einsicht in den Bau des Organis- 
mus ihrer Weichtheile. Es soll dies kein Vorwurf für mühsame Beob- 
achter sein, da auch ich selbst eine nur erst theilweise Erkenntnifs 
erlangen konnte, vielmehr mag es auf die noch vorliegenden Schwierig- 
keiten bei Schalthieren hindeuten, welche eben eine befriedigende Syste- 
matik noch nicht erlauben. Hauptsächlich fehlt noch meist der Nach- 
weis, ob das Ernährungssystem sich dem vielzelligen Bau der Polygastern 
oder dem einfachen schlauchartigen Bau der Polythalamien anschlielst, 
was bei lebenden, durch Farbenahrung am sichersten allgemeiner festzu- 
stellen sein wird. Erst nach Feststellung dieses am wenigsten schwieri- 
gen und feinen Organsystems werden sich die schon hier und da erkann- 
ten, aber noch unklaren vielen Complicationen ordnen lassen, welche 
auch Schultze bei Lagynis, Carter bei Euglypha alveolata u. A. an- 
gezeigt und abgebildet haben. Ob die vier bandartigen Organe im Grunde 
bei Lagynıs mit den vier Spiralbändern bei Diflugia spirigera des bairi- 
schen Hochgebirges gleiche Functionen haben, ist weiter zu ermitteln. 
Das oft behauptete Ineinanderfliefsen der Pseudopodien gleich einer haut- 


31” 


244 EHRENBERG: 


losen Flüssigkeit hat mir auch in der neueren Zeit, ungeachtet der Strö- 
mungsanzeigen, nur stets den Eindruck einer optischen Schwierigkeit ge- 
macht, welche durch das erfolgende Entwirren und Zurückziehen der 
einzelnen Theile mir stets unzweifelhaft wurde. 


Versuch einer systematischen Anordnung der Arcellinen 
nach eigenen Beobachtungen. 


I. Arcella (Kapselthierchen). 


Loricae apertura laterali aut media, infera, pseudopodio simplici 


aut multiplici plano aut tıliformı. 


1. 4A. Homoeochlamys. 
Loriea inermis suborbieularis aut oblonga, laevis aut subtiliter sine 
ordine punetata, aut nebuloso-maculata, interdum costata. 


a. orbiculares. b. oblongae. 
A. Homoeochlamys angulosa A. Homoeochlamys americana 
== —— dentata — = constricta 
—— —_ discoides — — costata 
-- En ecornis _ — Disphaera 
— _ Globulus — — Einchelys 
— — hyalına 1838 = — — gramulata 
Gromia hyalina Schl.; an Gromia — — lunata 
oviformis Duj., Gr. Jhumatılis Duj., — — patens 
Gr. Dijardın! Schultze, Trinema — _ rostrata 
Acinus Duj.)? En — uncinata. 


2. 4. Sticholepis. 
Lorica inermis orbieularıs aut oblonga, areolarum aut assularum 


seriebus ornata. 


a. orbieulares. b. oblongae. 
A. Sticholepis Prleus A. Sticholepis caudicreola 
— — stellarıs _ _ Megastoma — Eugly- 
— —_ vulgaris pha pleurostoma? Carter 


— —- Nidus pendulus 
— — retreulata. 


— — serlata 


LO 
ng 
og 


Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärtlien. 


3. 4A. Centropyzis Stein 1857. 
Lorica varıa aculeata aut setosa. 
A. Centropyxis aculeata = Echinopywis Clap. 1859 
_— — cirrhosa 
— — Diadema. 


4. 4A. Heterocosmia. 


Lorica inermis, superficie areolis sine ordine caelata, suborbieularis 
aut oblonga. 


a. orbiculares. b. oblongae. 
A. Heterocosmia cellulosa A. Heterocosmia Arctiscon 
— — Mierostoma _ — guatimalensis 
— = peristieta — _ Nigritarım 
— — stellata? (imcerta) — — Pyrum. 


5. 4A. Oyphidium. 
Lorica inermis non areolata, tuberculis obsita, pseudopodio sim- 
plice dilatato nee filiformi. 


A. Cyphrdium aureolum = Arcella aureola Griffith. 


II. Difflugia (Schmelzthierchen). 


Lorica varia urceolari aut lageniformi, interdum curvata et unci- 
nata, non numquam limo incrustata, apertura frontali, pseudopodio sım- 
plice aut multiplice attenuato, filiformi aut ramoso. 


1. D. Exassula. 
Lorica inermi oblonga, ovata aut subglobosa, varia, superficie laevi 
simplice aut irregulariter punctata, apertura dentata aut edentata. 


a. edentatae. Lagynis. b. dentatae. Ürossopyxis. 
D. Exassula Aretiscon D. Exassula azorica 
—  —  baltiea(LagynisSchultze) — — Zattloggi 
— —  globulosa — — dentieulata 


== —  granulata — — fallax 


R Ba = # BER: 17,2 
Bi. en 


D. Exassula hyalina BT 
— 0 —  lamıs 


ae 


— — _ lrostoma _ N ü 
— ..—  membranacen — .—  prorolepta u‘ 
i — — oblonga — — Pirurson 
— .—  paocifica — .—  Sehwartzü 3 
i 5 — — Phiala 
— —  Roraimae | 
r — 0 pingera dot PoR 
— .—  tmeuspis 


2%. .D. Assulina, 


Loriea inermi oblonga ovata aut subglobosa, varia, apertura laevi 
aut dentata, superficie areolarum aut assularum seriebus ornata. 


@  odentatao, Hologlypka. d. dentatae. Zuglypha. 
D. Assulina adunca D. Assulina alpicola 
— 0 — alabamensis — — alveolatalarternecDuj. 
— .—  Ampulla — .— Amphora 
— —  assulata — .—  antarchea 
— .—  carolinensis — .—  reolata — Eugl. ale. 
— — Öyrtocora Duj. ex parte 
— — depressa — ..—  capensis 
— .—  Dryas — —  Qteurbitula 
— — Harman — —  eylindırea 
— —  lenta (Sphenodera — —  @üe. 
Schlumb. 1845) — —  Floridae 

— —  Lepteolepis — .—  moluccensis 
— —  Tieata — —  0Oligeodon 
— —  Maerolenis — —  rectangularıs 
— .—  margarltacea (= Üy — — Robert Müller 

- phoderia Schlumb) — —  Seelandica 
— .—  manıma — .—  Semimulum 
— .—. squamala — 0 — tessellata. 
— — wnemnata — .—  tubereulata Duj- 


Nachtrag 


3. D. Setigerella. 


zur Übersicht der orgamischen Atmosphärihen. 


247 


Loriea setosa aut aculeata, oblonga ovata aut suhglobosa, super- 


ficie varia, 


dine assulis areolıs aut cellulis retieulata. 


D. 


Species notae omnes dentatae. 


Setigerella acantophora 
_ eihiata 
_ prlosa 
—_ sehgera 


— strigosa. 


4. D. Reticella. 


— KEuglypha alveolata Duj. ex parte 


— Kngl. setigera? Perty 


Lorica inermis oblonga, ovata aut subglobosa, superfieie sine or- 


dr 


edentatae,  Allodietya. 


D. Reticella asterophora? 


annlata 
Bructeri 
Carpio 
cellulosa 
collaris 
Lagena 
las 


missouriensis 


5. D. Cortieella, 


b. 


dentatae, Odontodietya. 


D. Retieella binodis 


cancellata 


globularis 


hispaniea 


longieollis 
Pıla 


reheulata, 


Lorica inermis oblonga, ovata aut subglohosa, simplex aut spiralis, 


erusta aliena mutabili obducta. 


D, 


da. 


edentatae. Leequereusia, 


Cortieella acıminata 


gigantea 


gracilis ( Pseudodifflu- 


ga Schlumb.) 


Jurassica (Leequereusva 


Schlumb. D. curvata Perty) 


proteiformis 
pyriformis 
spiralis 


b. 


dentatae, 


D. Corticella caucasiea, 


248 EHRENBERG: 
6. D. Lirella. 
Lorica inermis oblonga, superficies Iiris longitudinalibus ornata. 


a. edentatae. (adium. b. dentatae. Fucadium. 


Cadium D. Lirella serrata 


marınum AN 
N - striolata 
— b. atlantıc «| Bailey 


D. Lirella Barleyı a. polarts 


Diagnostik der bisher noch nicht speciell characterisirten 
Arcellinen. 


1. Difjlugea adunca. Lorica lageniformis, anteriore parte curvata 
attenuata, apertura terminali obliqua edentata, postica parte turgida 


parum umbonata. Assularum minimarum seriebus angustis in diametro 


maximo transverso 19—24 conspieuis. Long. z5” lat. 15". Icon in 
Tab. Il ı Fig. 8.9. E Tscharbuhur Su Caucasi, cefr. Mierog. p. 108. 

Diffl. aduncae in Oası Hammonis libyca frequentis Icon in Tab. II 
Februario mense D. Lagenae nomine designata est. D. Lagena vera nus- 
quam nisi in Nova Fundlandia Americae borealis reperta est. D. adunca, 
praeter Libyam in Caucaso, Kurdistania et in Himalayae montibus frequens 
oceurrit. Caucasica forma fig. $ hujus tab. exarata est et lineamen- 
tum speeiminis ex Himalayae montibus in eadem Tab. Fig. 9 addı- 
tum est. 

2. D. alabamensis. Lorica ovato-oblonga, utrinque subaequaliter 
attenuata, antica parte truncata, ibique apertura lata edentata insignis. 
Superficies subtiliter seulpta punetorum, an squamularum, subquadrata- 
rum subtilium seriebus obliquis longitudinaliter ornata. Series fere 20. 
Longit. z", lat. 25". Icon in Tab. Ill ı Fig. 10. In Alabamae Settilliby 
Creek, limo, efr. Mieros. Il 1856 p. 18. 

3. D. Amphora. Lorica oblonga, media parum turgida, postica 
parte rotundata, fronte parum contracta truncata, apertura lata dentata. 
Superficies seriebus longitudinalibus et transversis im quincuncem positis 
subtiliter tessellata. Seriebus longitudinalibus 14 conspieuis. Dentes 
in ambitu oris 14. Longit. 745”, latit. 4". Icon in Tab. IH ı Fig. 17. 


Ex Insulae Celebes Moluecensis humo. 


Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. 249 


4. D. anmulata. Lorica ovata pyriformis, anteriore parte m col- 
lum breve, plicis transversis 6—7 annulatum producta, frontis apertura 
late truncata edentata, corpore extra collum subgloboso. Superficies 
laxe et irregulariter retieulata. Long. 5" lat. 5". In insulae Porto- 
rico filicum humo semel cum D. /awa frequentiore observata. Icon in 
Tab. Il ı Fig. 19. Ofr. Mierog. p. 355. 

5. D. antarctica. Lorica elliptico oblonga, postico fine rotundato, 
ostio antico late truncato, dentium obtusorum serie numero 8 conspicuo- 
rum (16?) ornato. Superficies dense areolata, seriebus quineuncialibus. 
Long. 51." latit. 745". In longitudine 15 numerantur series. Habitat in 
terra humida Americae Australis Cap Horn. Icon in Tab. II Fig. 11. 

6. D. Arctiscon. Lorica majore oblonga areis irregularıbus saepe 
turgidis aegre conspicuis Jaxe reticulata, postica parte late rotundata, an- 
tica parte late aperta lacera, dentibus 4 latis irregularıbus magnis lobata. 
Long. 15" lat. 4" 
Icon in Tab. IH ı Fig. 2. Incerta species, cfr. Microg. p. 108. 


. Ex Himalayae Asiae regione superiore 6—8000' alta. 


7. D. assulata. Lorica pyriformis, postica parte late rotundata, 
frontem truncatam versus sensim attenuata, apertura frontalı edentata. 
Superticies late assulata, seriebus fere 5 longitudinalibus et fere 13 trans- 
versis prope aperturam angustioribus. Longit. Z" latit. 47". E monte 
Libano in Polytrıcho ad pagum Bischerre. Icon in Tab. II Fig. 4. 

Ejusdem Tabulae figuram 5 ad eandem speciem cujus assulae fron- 
tales valde differunt, revisa D. carolinensi referre non haesito. Difflugiam 
carolinensem a libanotica altera parum recedere certum est hine eam ad 
D. carolinensem nune adlegavi. Ufr. Microg. p. 49. 331. 

8. D.? asterophora. Lorica urceolaris parum altıor quam lata, 
apertura maxima frontali margine edentato suberenulato. Superficies laevis. 
Fundus internus corpusculis stellatis globosis plurimis faretus. Long. 514" 
latit. 75”. Ex insula Trinidad Antillarum. Icon in Tab. Il ı Fig. 18. 

Incertae speciei 3 specimina vidi. Lorica cum corpuseulis luce 
polarisata non colorantur. Cf. Microg. p. 355. 

9. D. azorıca. Lorica ovata, altero fine rotundato, altero fron- 
tali truncato. Superficies irregulariter et subtiliter punctata, ostio frontali 
lato edentato. Longit. „," latit. 25". Ex insula San Michael Azorica. 
Icon Tab. II Fig. 29. Ofr. Microg. 1854 p. 278. 

Phys. Kl. 1871. 32 


m 
. 


250 EHRENBERG: 


10. D. Badleyi. Loriea ovata, altero fine rotundato, frontali fine 
brevi collo intlexo uneinato, apertura rotunda laevi terminali subimfera 
parva. Superficies liris longitudinalibus angustis fere 12 (24). Longit. zu" 
latit. 345”. E maris Groenlandiei fundo Davisstralse vocato, Monatsber. 
1861 p. 280. Icon in Tab. Il ı Fig. 29. 

Hane speciem Bailey detexit et Cadır marin! nomine et icone illu- 
stravit (Americ. Journ. 1856 p. 3 Tab. I Fig. 2). Eodem 12 (24) lirarum 
numero instructam e Kamtschatiko 900—2700 fath. (5400 —16,200 ped.) 
alto fundo. Similem formam in atlantici maris (Golfstrom) fundo 24 (48?) 
lineis angustioribus instructam notavit. Equidem in maris Groenlandiei 
(Davisstralse) fundo 6000—9240' alto 5 specimina eum Kamtschatieis bene 
convenientia observavi. Hine duae formae ejusdem speciei in memoria 
tenendae sunt, quarum una varietas a. polarıs in Groenlandico et Kam- 
tschatico mari, altera b. atlantica in mari ad Floridam? desit. 

11. D. Battloggi. Lorica elliptico-ovata, utrinque aequaliter ro- 
tundata, laevis, apertura frontalis lata, dentieulis raris cire. 4 conspieuis 
insignis. Longit. 34”, latit. 44”. Ex insula St. Paul Oceani Australis. 
Icon in Tab’ II Fig. 17. Cr. Monatsber. 1861 p. 1102. 

12. D. binodis. Lorica elongata lageniformis, postica parte rotun- 
data turgida, antica parte attenuata recta, colli lateribus utrinque nodulo 
insignibus, apertura compressa edentata. Superficies inaequaliter distinete 
reticulata, areolis in direetione transversa media eire. 11. Longit. Zu”, 
latit. „15 — 715”. E Guiana angliea Americae meridionalis. Icon in Tab. II 
Fig. 22.25. Cfr. Mierog. 1854 p. 331. 

13. D. capensıs. Loriea gracilis lageniformis, postica parte rotun- 
data, collo longo sensim valde attenuato truncato. Apertura frontalis denti- 
eulis eonspieuis 3 (an igitur 6). Superficies in seriebus obliquis eleganter 
assulata, assulis prope aperturam minoribus, series assularum utrinque in 
longitudine 14, in maxima latitudine obliqua 6. Longit. 54" latit. 24". 
Icon in Tab. II Fig. 33. In humo Sclerrae ex Afrika australi capensi. 

13. D. carolinensis. Lorica pyriformis oblonga, frontem versus 
attenuata truncata, postica parte turgida late rotundata, frontis apertura 
medioeri edentata. Superficies assularum quadratarum seriebus longitu- 
dinalibus 3—5 ornata, in transversa directione 11 series numerantur, fron- 


tem versus parum angustiores. Longit. „,” latit. „JL”. Icon in Tab. IH ı 


Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. 251 


Fig. 14. E Carolinae australioris (Americae borealis) humo. Öf. Mierog. II 
1856 p. 69. 

Haec forma cum asiatica Libani, D. asswlatae varietate, Tab. II 
Fig. 5 adeo convenit ut conjungendae videantur. D. assulata Libani colli 
assulis multo tenuioribus specie differre nunc censeo. Elongatus habitus 
americanae formae levioris momenti videtur. 

14. D. Carpio. Lorica ovata plus minus turgida, ad aperturam 
breviter attenuata ostiolo compresso inermi. Superficies irregulariter reti- 
culata, areolis utrinque in Z" fere 5—8. Long. 4, — 25" latit. ,— 4". 
Icon in Tab. II Fig. 27. 21. Habitat fig. 27 in Canara Indiae orientalis 
(efr. Microgeologia p. 119 et 121 —= Diff. Lagena B Carpio) et fig. 21 
in Nilgherri Indiae orientalis humo (ef. Mierog. p. 117 D. Lagena B steno- 
stoma = D. Lagena 3 Carpio) in enumeratione generali ibid. p. 121. 

15. D. caucasica. Lorica ovato-pyriformis, fronte in collum breve 
producta late truncata, aperturae dentibus 6 conspieuis, postico fine late 
rotundato. Corporis tota superficie particulis irregularibus arenaceis an- 
gulosis obsessa. Semel observata forma ex Tscharbuhur Su, Turkestaniae. 
Longit. Z5" latit. 45". Icon in Tab. IIl ı Fig. 28. 

16. D. cellulosa. Lorica subrotunda, apertura parva subeonstrieta 
edentata. Superficies cellulis amplis irregulariter areolata, lineis singula- 
riter erenulatis. Longit. 7/5" latit. 5”, 6 cellulis in longitudine, 5 in 
latitudine. Ex pulvere atmosphaerico silesiaco 1848. Of. Abhandl. 1847. 
Icon 1847 Abh. Tab. VI ım Fig. 70, Mierogeologie 1854 Tab. XXXIX u 
Fig. 26. 

17. D. Oueurbitula. Lorica fusiformis, media turgida utrinque ob- 
tuse attenuata, apertura frontali dentieulis 6 conspieuis insigni. Super- 
ficies ubique laevis. Longit. 54" latit. 71,”. Ex alpe Altaica Prochodnoi 
prope Riddersk in Swertiae a me ipso collectae humo cum 5 aliis Dif- 
Jlugus Berolini observata. fr. Mierogeologie 1854 p. 94. Icon 1871 
Tab. II Fig. 8. 

18. D. eylindrica. Lorica eylindrica utrinque subtruncata, aper- 
turae frontalis eoaretatae denticulis conspieuis 7. Superficies areolarum 
seriebus angustis longitudinalibus et obliquis instructa, areolae longitudi- 


nales conspieuae 10. Longit. Z;" latit. 5”. Ex insula Catschull, maris 


997% 


I) 


352 EHRENBERG: 


Nieobariei Indiae. Chr. Mierogeologie p. 172 et 241. Icon 1871 Tab. II 
Fig. 18. 

19. D. Oyrtocora. Loriea elongata, erassitie subaequali, fronte in- 
eurvata obtusa, apertura ampla inflexa sublaterali, dentieuli nulli. Super- 
fieies irregulariter areolata, areolae conspieuae in 15” fere 6. Long. 35" 
latit. 915”. Habitat in Guiana anglica ad fuvium Barımam. lcon in 
Mierogeologie 1854 Tab. NXXIV v Fig. 7. fr. Mierog. 1854 p. 331. 

Arcellae habitum prae se fert sed apertura frontalis obliqua reetius 
diei videtur quam infera, 

20. Difplugia fallax. Lorica ovata urceolaris postico fine sub- 
aeuto, fronte late truncata, aperturae latae 6 (12?) dentieuli eonspieui 
acuti. Superficies laevis. Long. 45” lat. 515”. Icon in Tab. II Fig. 19. 
Cfr. Mierog. 1854 p. 172. 

D. Cueurbituelae alpestri aftınis forma ex insula Nicobarica Cat- 
schull Indiae aequatorialis. 

21. D. Floridae. Loriea oblonga urceolaris parva subeylindrica, 
postica parte rotundata, fronte truncata, dentieulis 6 conspieuis acutıs. 
Superticies subtiliter areolata, in seriebus conspieuis 8 longitudinalibus, 
areolae 6 in quavis longissima serie. Long. 54” lat. 515”. Icon in Miero- 
geologie 1854 Tab. NXAIV vı Fig. 3. Cfr. Monatsb. 1853 p. 266. Ha- 
bitat in Florida Americae septentrionalis. 

22. D. Frauenfeld. Loriea lageniformis amplior adunca, collo eur- 
yato tereti valde attenuato, apertura truncata orbieulari edentata. Super- 


leon mn Tab. II 1871 


m 


fieies laevis plicatilis.  Longit. 515” latit. bh 
Fig. 12—14. 

Collum aduneum interdum hamiforme, color loricae flavus, collo 
fusco nigricante. Habitat in insula St. Paul oceani australis (cfr. Mo- 
natsbericht 1861 p. 1102). 

23. D, Gillo. Loriea ampla lageniformis, ventre subgloboso, collo 
erasso eylindrico truncato, apertura ampla edentata. Superficies obsolete 
assulata, assularum seriebus latis aegre conspieuis in collo aperturam 
versus distinetioribus obliquis, in longitudine 17, in direetione transversa 5. 
Longit. 1y” latit. 715”. Icon in Tab. II Fig. 1. Habitat in Americae 


centralis Costa Rica, efr. Mierog. 1854 p. 36. 


Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärtlien. 253 


24. D. globularıs. Lorica ovato-globularis, apertura frontali lata 
dentata, dentieulis 4.. Superfieies tenuiter in seriebus transversis tabel- 
lata praeter primas aegre conspieuis. Conspieuae in serie transversa fere 
4—5 numerantur. Longit. „4 latit. 45". Icon in Tab. II ı Fig. 24. 
Cfr. Mierog. 1854 p. 339. 

D. Pila Tab. Il Fig. 6. 7 libanotica areolis distinetis et dentium 
numero majore dilfert. 

25. D. granulata, Lorica amplissima ovata, postica parte latissime 
rotundata, frontalı breviter attenuata truncata, apertura eireuları edentata 
lata. Superfiecies dense et irregulariter subtilissime punctato-granulata. 
Longit. 15" latit. 51”. E Norwegia. Similes formae ex Armeniae mon- 
tosis a me in Micrologia 1854 p. 26 indicatae sunt. 

26. D. Hartmann. Lorica elongata pyriformis, aperturam versus 
sensim attenuata, ostiolo constricto, aspero? non dentato. Superficies assu- 
larum aegre conspieuarum seriebus longitudinalibus et obliquis ita notata, 
ut series obliquae tamquam dentieulatae appareant. Assulae longiores 
quam latae parum distinetae superficiem eleganter vestiunt. Haee forma 
inter characteristicas Africae notabilis est. Longit. „1,", latit. maxıma 
posterior 15", ostioli 545". Unieum speeimen. Haec diagnosis priori 
praeferenda est Zleisebericht des Baron v. Barnim, Berlin 1863, Anhang 
p. 79. Icon in Tab. II 1871 Fig. 34. 

D. Helix Cohn a D. spirali spirae ambitu quadrupliei differre legitur. 

27. D. hermitana. Lorica ampullacea parte posteriore subglobosa, 
frontem versus in collum longius attenuata, fronte truncata apertura lata 
inermi.  Superficies irregulariter et subtiliter granulata.  Longit. 54" 
latit. 35". D. gramulatae affınis. Icon in Tab. II 1871 Fig. 10. Habitat 
in Americae australis promontorio Cap Horn vocato, cfr. Mierogeologie 
pag. 288. 

28. D. hyalina. Lorica oblonga utringue rotundata, apertura 
parva in fronte media rotunda edentata. Superfieies laevis. Longit. 5," 
latit. 55”. Icon in Tab. IlLı Fig. 3. Habitat in Venezuela (Monatsb. 1848 
p. 215). Similis forma ex Australiae insulis Sandwich (Mierog. p. 10). 

29. D. laevıs. Lorica linearis, gracilis, leviter elavata, postica parte 


rotundata sensim in frontem truncatam attenuata, apertura terminali 


254 EHRENBERG: 


laevi edentata. Superficies tota laevis. Longit. Z" latit. 15". E Te- 
nesse ad Mississipi fluvium Americae borealis, cf. Miron og. p. 12. 33. 

D. Lagena Libyae Ehrb. cf. D. adunca. 

30. D. laxa. Lorica ampullacea pyriformis, media turgida, parte 
postica rotundato -attenuata, frontem versus sensim constrieta, ore trun- 
cato edentato. Superficies laxe et irregulariter cellulosa, cellulis angu- 
losis in media transversa linea fere 14. Longit. 5", latit. „4. Fre- 
quens in Hemionitidis humo in Portorico. 9 specimina observata. D. an- 
nulatae , en rotunda etiam, valde affınis esse videtur. Icon in 
Tab. III ı Fig. 22. 

31. D. Leptolepis. Lorica ovata, frontem versus attenuata trun- 


cata, apertura laevi. Superficies assularum minorum, seriebus obliquis 


ım Al DR 


eleganter sculpta, in „15 5—6 assulae quadratae, laeves. Longit. 
latit. „]/”. E Canara Indiae et ex Roraimae Guianae Americae esimlke 
humo. Utraque forma in Microgeologia 1854 p.121. D. tessellatae B no- 
mine notata est, de quo ulteriores observationes decident. 

32. D. lineata. Lorica ovata parva D. Ohgodontis habitu, aper- 
tura frontali obliqua edentata. Superficies lineis obliquis subtiliter assu- 
lata, assulae quadratae, in zona media distinctiores, in reliqua parte ob- 
soletae (muco involutae?), in directione transversa recta fere 7. Longi- 
tudo 15”, latit. 745". Unicum servatum speeimen. Ex insula St. Paul 
Oceani australis, efr. Monatsb. 1861 p. 1002 Tabelle. 

53. D. Liostoma. Lorica oblonga non ventricosa, fronte Ran 
apertura frontis latitudine. Superficies laevis. Longit. „4, latit. 15" 
Cfr. Mierog. 1854 p. 233. Icon in Microg. Tab. XXXVII xxı Fig. 3. 

Cfr. Diffl. hyalinam apertura parva differentem, a Diffl. laevi ha- 
bitu differt. 

34. D. longreollis. Lorica elongata clavata frontem versus sensim 
in eollum longius attenuata, fronte truncata, denticulis rotundatis 6 con- 
spieuis. Ostii areolae lineares 6 in totidem dentes An a 
areolis amplis irregularibus diffusis notata. Longit. „-", latit. 514”. Icon 
1871 in Tab. II Venezuela Fig. 530. Habitat in Venezuela Re australiai 
cfr. Mierog. 1854 p. 33 

35. D. Macrolepis. Lorica ovata suborbicularis parva, frontis trun- 
catae apertura lata edentata. Superficies areolis paucis magnis, in longi- 


Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. 255 


tudine et in latitudine 3 ornata. Longit. 15" latit. -45”. Habitat sub 
muscis in humo Terrae del Fuego Americae. Icon in Tab. III ı Fig. 12. 
Cfr. Microgeologie 1854 p. 289. 

36. D. missouriensis. Lorica amplior oblonga, fronte uncinata, 
apertura suborbiculari edentata terminali, sed ob curvaturam lateralı. 
Superficies irregulariter cellulosa, cellulis magnis forma varia, in 514" 
fere 6. Longit. „4" latit 75". Icon in Tab. II Fig. 20. 

Habitat in America septemtrionali ad fluvium Missouri prope St. Louis 
in Myriophyllo, ef. Mierog. 1856 Bd. II p. 51. In medio speeimine pieto 
assulae nonnullae dilapsae sunt. Haec species cum D. Frauenfeldü, D. 
Baileyi, D. Cyrtocora aliisque Arcellae characterem mentitur. 

D. oblonga Novae Fundlandiae in Abhandlungen 1841 enumerata 
ad D. collarem referenda est, de qua iconem in hac tab. UI r fig. 21 Na- 
viculis repletam offero. 

37. D. pacrfica. Lorica amplissima ampullacea, postica parte tur- 
gida rotundata, collo longo latoque in frontem truncatam abeunte, apertura 
latissima laevi. Superficies ubique laevis. Valde pellueida luce permeante 
flavicans. Longit. „4 latit. Z-". Ex insulis Chonos Americae australis in 
mari pacifico. Icon in Tab. Il ı Fig. 7. Cum D. Arctisco omnium cogni- 
tarum specierum longissima forma. Üf. Microg. 1854 p. 294. 

38. Diffl.? paradoxa. Incerta ulteriori examini subducta species 
hine delendum nomen. Üfr. Microg. 1854 p. 355. 

39. D. Phriala. Lorica ampla subglobosa, collo subito constrieto 
amplo tamquam stipitata, fronte truncata, apertura lata terminali eden- 
tata. Superficies ventris dense irregulariter granulosa, collo laevi. Lon- 
gitudo Z5", latit. Z", longit. colli „". Icon 1871 in Tab. I Fig. 9. 

Habitat in humo Americae antarctici Cap Horn vocati promon- 
torii. Cfr. Mierog. 1854 p. 288. 

In uno specimine granula superficiei majora oblonga et minus 
crebra erant. 

40. D. Pila. Lorica globosa parva, apertura frontali ampla acute 
dentata, dentibus in toto ambitu I—10. Superficies areolata, areolis 
diseretis rotundis in series 5 transversas dispositis. In quavis serie media 
cellulae 5. Longit. et latit. 35”. Icon in Tab. II 1871 Fig. 6.7. Ha- 
bitat in monte Libano ad Harissam, cfr. Mierog. p. 41. Haec species 


256 EHRENBERG: 


propter frontem non productam ad Arcellas proxime accedit sed ostio 
dentieulato et eellulis Difflugus affınior est. 

Huie similis species americana D. globularıs nomine enumerata et 
pieta est. 

41. D. pilosa. Lorica oblonga frontem versus sensim leviter atte- 
nuata, fronte truncata, aperturae latae dentibus 6 (12) acutis. Super- 
fieies eleganter assulata, assulis oblongis quadratis in series longitudi- 
nales 8 (16) et transversas reetas 9 dispositis. Ommnes assulae umbilico 
parvo medio insignes sunt, pars lorieae postica late rotundata, setis in- 
aequalibus eiliata. Long. zZ” latit. 245”. Icon in Tab. II Fig. 28. 

Habitat prope St. Antonio insularum promontorü viridis, Capverden 
vocati Africae, Ufr. Mierog. 1854 p. 278. 

42. D. prorolepta. Lorica elongata stiliformis, postica parte rotun- 
data, antieca parte sensim levissime attenuata, fronte truncata, aperturae 
dentibus 4 (8). Superficies laevis.  Longit. 4” latit. 45". Icon in 
Microg. Tab. NXXIV vu Fig. 3. Ex Japonia, efr. Mierog. p. 152. Tria 
speeimina, forma congruunt. 

43. D. purpurescens. Lorica ampla ovata, frontem versus sensim 
attenuata truncata, apertura lata edentata. Superficies eolore purpures- 
eens, subtilissime granulato-nebulosa. Longit. 5" latit. 4". Icon 1871 
in Tab. II Fig. 24. 

Habitat in America australi ad Roraimam fluvium Guianae anglicae, 
ef. Microg. 1854 p. 331. 

D. pyriformis Perty 1852 (Zur Kenntnils ete. p. 187 ob. Abth. 
Fig. 9). Si revera D. oblonga inerustatione detersa ex D. pyriformi ori- 
retur, quod Claparöde et Lachmann affırmant, D. pyriformis nomen 
delendum esset. 

44. D. reetangularıs. Lorica ovato-oblonga, postica parte rotun- 
data, fronte late truncata, aperturae latae, dentes 9 conspieul. Super- 
fieies areolarum seriebus angustis longitudinalibus 18, areolis in quincun- 
cem dispositis. Longit. 75" latit. 715”. Ex Americae centralis Costa 
Rica et Veragua in /ilicum humo. Icon in Tab. II ı Fig. 16. Cf. Mierog. 
1854 p. 365. 

45. D. Robert! Müller. Lorica ovata subglobosa, frontem versus 


attenuata truncata, apertura lata, dentibus 5—6 (10—12) insignis. Super- 


Nachtrag zur Übersicht der orgamischen Atmosphärtlien. 257 


fieies in seriebus curvis eleganter tessellata, assulis rhomboidibus, seriebus 
eurvis 12—13. Longit. 715" latit. 74". Icon 1871 in Tab. II Fig. 16. 
Habitat in insula St. Paul maris anta.tetiei, ef. Monatb. 1861 p- 1102. 

46. D. Roraimae. Lorica permagna clavato-lageniformis, ventre 
oblongo sensim in collum longum abeunte, frontis truncatae apertura 
ampla edentata. Superficies simplieiter nebulosa. Longit. 1; latit. 44". 
Icon 1871 in Tab. II Fig. 25. 

Habitat in America meridionali ad Roraimam Guyanae, cf. Mierog. 
1854 p. 321. 

47. D. Schwartzü. Lorica urceolaris ovata brevis, fronte late trun- 
cata, aperturae marginae aspero edentato. Superficies subtilissime nebu- 
losa et rugulosa. Longit. 745" latit. zZ". Icon 1871 in Tab. I Fig. 15. 

Habitat in insula St. Paul maris antaretiei, ef. Monatsber. 1861 
p- 1102. In uno specimine devorata Naweula observabatur. 

48. D. Semen. A D. Seminulo alpium aperturae dentium defeetu 
differre visa est. Semel observata. Dentium observationis diffieultate in- 
certa species. Sub graminibus in Americae australis Terra del Fuego, 
efr. Mierogeologie 1854 p. 289. 

49. D. seriata. Lorica obtusa elongata, postica parte rotundata, 
fronte late truncata, aperturae dentibus in ostii ambitu 15. Superficies 
lineis angustis 18 in series longitudinales exarata, septis transversis non 
eonspieuis. Long. 1," lat. 51". Valde affınis est D. striolatae. E Libano 
Syriae ad Haddet in museis, efr. Microg. p. 42. Icon in Tab. II ı Fig. 30. 

50. D. setigera. Lorica subeylindrica, postico fine rotundato, ibi- 
que setis crassis inaequalibus flexuosis (5) insigni, frontis truncatae aper- 
tura lata subobliqua, dentieulis 11 subacutis. Superficies eleganter areo- 
lata, assulis subquadratis umbonatis tamquam granorum, seriebus obli- 
quis reetisque longitudinalibus ornata. Series longitudinales 9, series 
obliquae 11. Longit. 54," latit. 215". Icon 1871 in Tab. II Fig. 30. 

Habitat in Pondichery Indiae, ef. Microg. 1854 p. 121. Cum 
areolae parum distinete sint non distingui potuit utrum setae ex mediis 
assulis an ex interstitis assularum originem ducant. 

D. striata = D. striolata. 

51. D. strigosa. Lorica ovato-urceolaris, frontem versus sensim 
attenuata, frontis truncatae apertura lata dentata. Superficies setis ap- 


Phys. Kl. 1871. 33 


958 EHurENBERG: 


pressis ubique sine ordine strigosa, setae reetae subaequales diseretae 
acutae in latitudine maxima fere 19. Longit. 515" latit. 5. Icon 1871 
in Tab. II Fig. 31. 

Habitat in Novae Hollandiae Plantagenet, ef. Mierog. 1854 p. 12. 

52. D. tessellata. Loriea ovato-pyriformis, frontem versus sensim 
attenuata, apertura frontis truncatae lata, assularum termimalium angulis 
dentieulata, dentieulis 5 (10). Superficies elegantissime tessellata, tes- 
sellae seu assulae majores quadratae et in seriebus omnibus longitudinali- 
bus et transversis subobliquis, laeves. Series longitudinales 17—18, in 
serie transversa maxima 10.  Longit. 74", latit. 34”. Icon 1871 in 
Tab. II Fig. 32. Ex Africae Cap. bonae spei in Prieaudli humo, ef. Miero- 
seologie p. 253. 

Difjlugiae asswlatae Montis Libanı affınis species, aperturae den- 
tibus differens. Quae in Mierogeologia nominata est Indiae Diff. tessel- 
lata ß praeter dentium defeetum assularum minore magnitudine et majore 
numero differt, hie peeuliari D. Leptolepidis nomine designata est. 

53. D. uneinata, Loriea ovata eurvata utrinque attenuata, postico 
{ine attenuato obtuso, antico in eollum eurvatum abeunte subuneinato. 
Prontis truneatae apertura rotunda edentata, Superfieies subtiliter in se- 
riebus obliquis angustis areolata, areolis quadratis, areolarum seriebus 11 
in nl”.  Longit. ty" latit. 41”. Ad Friedrichsberg Status Texas Ame- 
ricae borealis in humaik leon in Tab. Ill ı Fig. 18. 

54. Arcella Aretiscon. Loriea erassa oblonga, utrinque late rotun- 
data, apertura ampla sub fronte posita ovali integra. Superficies laxe et 
irregulariter retieulata in 51” 3—4 cellulae retis. Longit. 5L" latit, 14". 
E Comorta insula Nieobariea, ef. Mierog. 1854 p. we; 17 1. Eadem in 
Himalaya obvenisse videtur. Icon in Tab. Ill ı Fig. 

55. A. cellwlosa. Lorieca orbieularis, apertura nn rotunda pa- 
rum extra mediam sita, tertiam diametri partem aequans. Superficies laxe 
et irregulariter Re cellulis amplis. Diam. „1. Nilgherri Indiae. 
Icon in Tab. Il ur Fig. 

56. A. a = en eonico-ovata, apertura sub fronte late 
truncata transverse ovalı, integra. Superficies irregulariter cellulosa dense 
{imbriata eirrhosa. Longit. et latit. „1. Ex Oasis Siwanae Libycae 
Confervis, ch. Microg. p. 199. Icon in Tab. Il u Fig. 9 


oO 


Nachtrag zur Übersicht der onganischen Atmosphänllien. 259 


57. A. costata. Lorica oblonga turgida prope aperturam con- 
strieta, apertura ampla edentata sub fronte infera, margine tumidulo. 
Superficies laevis costis duabus (4?) longitudinalibus in ventre. Longi- 
tudo 5” latit. 41”. E pulvere atmosphaerico rubro 1803, Abhandlungen 
1847 in conspeetu et Tab. Ir Fig. 52 

58. A. Diadema. Loriea suborbieularis complanata, margine den- 
tibus inaequalibus obtusis irregulariter ornato, apertura excentrica rotunda, 
integra. Superficies laxe et irregulariter cellulosa. Diameter 14," (sine 
dentibus). Ex insula Borneo. Icon in Tab. II ıı Fig. 7. 8. Specimina 
edentata simul observata sunt, forma suborbiculari eonvenientia, quae ad 
Arcellam ecornem eui affınia sunt adlegari possent, efr. Fig. 8. 

59. A. discordes. Lorica diaphana orbieularis amplior, apertur: 
media dimidium diametrum subaequante eirculari simpliei.  Superficies 
integerrima laevis, eibo Bacrllarias multas offerente intus repleta. Dia- 
meter 5". Uanning River, Novae Hollandiae, ef. Monatsb. 1843 p. 139. 
Icon in Tab. III ur Fig. 

60. A. galeata e Oapite bonae spei Afrieae in Mierog. p. 288, A. 
rostratae affınis, ulterius examinarı non potuit. 

61. A. guatimalensıs. Lorica ovata frontem versus attenuata, aper- 
tura sub fronte ampla sub-semilunari integra. Superficies irregulariter 
laxe retieulata. Longit. "5" latit. 715". E Costa Rica et Veragua Ame- 
ricae centralis, cf. Mierog. 1854 p. 364. Icon in Tab. III ır Fig. 16. 

62. A. lunata. Lorica oblonga, aut ehbElobosn utrinque late ro- 
tundata, apertura sub fronte semilunari ampla integra. Superficies nebu- 
losa aut irregulariter laxe retieulata. Longit. ZI," latit. u”.  E Nova 
Fundlandia Americae borealis. Icon in Tab. II u Fig. 3. 4. Diagnosis 1841 
Abhandl. p. 410 publieata novis observationibus parumper mutata est. 

63. A. Macrostoma. Inter animaleula mieroscopica cum Proteo 
(Hypochthon Laurent!) in caveis Oarinthiacis viventia incerti characteris 
Arcella 1859 Monatsbericht p. 772 enumerata est. Haee forma ulseriori 
examini se subduxit. 

64. A. Megastoma. Lorica oblonga hyalina, Arcellae Enchelydis ha- 
bitu, apertura sub fronte ampla quartam fere longitudinis partem aequante 
rotunda inermi. Superficies assularum obsoletarum seriebus obliquis (7) 

33* 


I60 EHRENBERG: 


insignis. Ab ore ad finem posteriorem assulae singulae in 515".  Longit. 
745” latit. 915”. leon in Microg. Tab. XXAIV van Fig. 1. 
E 


y terris Japoniae, ef. Mierog. p. 241. 


65. A. Mierostoma. Lorica orbicularis turgidula, apertura media 
quartam fere diametri partem aequante rotunda. Superficies irregulariter 
eellulosa, eellulis 15 wi hr diametro, diameter 715". leon in Microgeol. 
Tab. XXXVIII xxı Fig, 

EB pulvere Bin. insulae St. Vincent 1. Mai 1812, cf. Miero- 
seologie p. 361. 

A. mierostoma e Kerguelensi insula antarctica apertura sextam ad 
oetavam usque partem diametri aequante et superficie fHlava non cellulosa 
adeo differt, ut Arcella Kerguelensis pro alıa specie haberi possit. 

66. A. Niyritarım. Lorica orbieularis, apertura media ampla hya- 
lina, tertiam diametri partem aequante. Superficies subtiliter cellulosa, 
eellulis diseretis, maculis nebulosis in toto margine pieta. Diameter 5". 
Cf. Monatsbericht 1856 p. 333 fig. 5. E lacu Tschad centralis Libyae. 

Ab Arcella Microstoma apertura majore et superficiei cellulis differt. 

67. A. peristieta. Lorica orbieularis fusca subtilissime irregula- 
yiter punetata, apertura media suborbieulari diametri quartam partem 
referente, poris 12—15 simplice ordine eireumdata. Diameter 5". In 
Roraimae Guianensis humo 5 specimina obvenerunt, quorum tria pro 
A. vulgar! habebantur. Iterato examine haec etiam ad A. peristietam per- 
tinent. Of. Mierog. p. 331. Icon in hujus Tab. Il n Fig. 11. 12. 

68. A. Pyrum.  Loriea parva ovato-pyriformis, frontem versus 
attenuata, apertura sub fronte subtriquetra lunata. Superficies subtiliter 
punetata nee retieulata, A. guatimalenst affınis. Longit. 4" latit. 4". 
BE limo Nili Aegypti, prope Gerf Hussein, cfr. Mierog. p. 192. Icon in 
Tab. Il u Fig. 15. 

69. A. reticulata. Lorica oblonga a A. Enchelidis habitu, apertura 
rotunda medioert sub {ronte. Superficies cellulis magnis sine ordine reti- 
eulata, cellulae 5 


in Tab. Ill ır Fie. 5 


Id. 


6 in linea transversa. Longit. 51” latit. 15”. Icon 


Habitat ad Auviam Avon River Novae Hollandiae, cf. Mierog. p. 6. 
Arcella reticulata in Mierologiae Tab. AXAIV ı 3 Fig. 1 ad Difflu- 
giam reteulatam pertinet. 


Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärtlien. 261 


70. A. scabra e limo lacus Tschad centralis Africae. Denuo exa- 
minando dubia forma. Cf. Monatsbericht 1860 p. 157 in conspeetu 3. 

71. A. seriata. Loriea oblonga, apertura sub fronte longitudi- 
naliter ovata, superficiei areolae in series obliquas dispositae. Long. 41" 
latit. 7". Icon in Tab. Il u Fig. 6. 

Habitat ad Port Jackson Australiae, ef. Mierog. p. 12. Fragmen- 
tum ejusdem in insulis Mariannis a me repertum. 

72. A. squamata —= Difflugra sguamata. 

73. A. stellata. Lorica orbieularis depressa eleganter stellata, mar- 
ginis dentibus et costis levibus 8 aequalibus. Apertura media eireularis 
ampla fere 4 diametri. Superficies irregulariter granulata undulata. Dia- 
meter cum dentibus 515". Icon in Tab. Il ı Fig. 10. E lacu Birket el 
Kerum provinciae Fajum Aegypti, ef. Mierog. p. 192. 

A. stellaris Perty Helvetiae ad A. dentatam Berolinensem pertinere 
videtur. 

74. A. uncinata. Lorica eurvata fronte subuneinata hanc ab A. 
Enchelide distinguit. A. Enchelys apertura sub frontis margine laterali et 


forma reeta cognoseitur. A. Enchelys (= D. Enchelys 1838) = A. hya- 
Ina —= Trinema Acinus? Duy. 


An diese, eine Übereinstimmung und Kürze im Ausdruck bezweckende, 
daher lateinische Diagnostik der Arten sind noch folgende Betrachtungen 
anzuschliefsen. Die gröfseren getäfelten Formen der Arcellinen zeigen im 
todten Zustande öfter Verletzungen ihres Panzers, welche bemerkbar 
machen, dafs dıe Täfelchen einzeln sich abtrennen können. Da nun der- 
gleichen mikroskopische Körperchen theils im Passatstaube, theils in den 
Pflanzenerden nicht selten erkannt werden und von mir schon vielfach 
unter den Phytolitharien, zuerst 1847 (Abhandlungen) als Kieseltheile unter 
dem Namen Assula laevis nnd A. umbonata oder auch A. aspera, A. hewa- 
gona verzeichnet worden sind, so scheint es zweckmälsig, dieser Formen 
hier zu erwähnen. Es sind von mir bisher 14 Arten solcher Körper- 
chen mit Namen unterschieden worden, von denen wohl die Mehrzahl 
auf bestimmte Arten von Arcellinen zurückzuführen sein könnte. Die 
Namen sind folgende: 


262 EHRENBERG: 


1) Assula aspera umbonata Mikr. 1854; 2) aspera B umbili- 
cata ibid.; 3) Clypeolus ibid.; 4) heptagona ibid.; 5) hexagona um- 
bonata Abh. 1847; 6) laevis lobata 1854; T) laevis umbonata Abh. 
1871; 8) Zacera Monatsb. 1861 p. 452; 9) lacintata 1854; 10) lobata 
Monatsb. 1861; 11) mucronata; 12) peltata Monatsb. 1861; 13) Poly- 
stigma 1854; 14) Turbo Monatsb. 1861. 

Noch ist es nicht rathsam, diese Assulas auf Grundformen zurück- 
zuführen, dagegen dürfte es wohlgethan sein, sie auch späterhin nicht 
zu vernachlässigen. Assıla Polystigma würde eine sehr grofse unbekannte 
alpine Form der Arcellinen verrathen. Die von mir gegebenen Namen 
mögen als kurze Diagnosen vorläufig hinreichen, da direete Beziehungen 
durch das Gröfsenverhältnifs der betreffenden Formen noch Schwierig- 
keiten bilden. Die gesperrt gedruckten 9 Formen der Assulae sind in 
der Mikrogeologie und in den Abhandl. 1847, 1858 und 1871 abgebildet. 
Die Gröfse der 1858 vorgelegten Assula Polystigma erweckte die Vorstel- 
lung, dafs dieselbe wohl eine kieselerdige Pflanzenoberhaut sein könnte. 

Die sich hier anschliefsende geographische und literarische Über- 
sicht aller mir bekannt gewordenen Namen giebt nur im Allgemeinen die 
betreffenden Welttheile und die Atmosphärilien dieser Abtheilung an. Eine 
noch speciellere geographische Bezeichnung nach den Breiten und Län- 
gen, den Polen, den Alpen und dem Tiefgrunde der Meere sind Gesichts- 
punkte, welche in der hier befolgten Methode der Mittheilung ihre Be- 
rücksichtigung auch schon gefunden haben und der späteren Forschung 
leicht zugänglich gemacht sind. Nur folgende Angaben mögen einen Blick 
in die noch specielleren Verhältnisse werfen lassen. — Die Arcellinen sind 
bisher von den systematisirenden Schriftstellern von den die Atmosphäre 
am reichhaltigsten erfüllenden Bacillarien weit abgesondert und letztere 
oft in ein anderes Reich der Organismen, das Pflanzenreich, verwiesen 
worden. Mögen die hier reichhaltig mitgetheilten vergleichbaren An- 
schauungen der Gesammtheit dieser Formen der Erde erkennen lassen, 
dafs diese Kluft zwischen Arcellinen und Bacillarien als Thieren und Pflan- 
zen fehlt und dafs sie sich in auffälligster Weise durch die mannigfach 
ähnliche, sehr künstlich getäfelte Structur kieselhaltiger Schalen überaus 
nahe stehen, so dafs mehr die subjectiven, oft höchst complieirten Vor- 
stellungen der Schriftsteller als die objectiven Verhältnisse diese Natur- 


Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. 265 


körper scheiden. In ganzer Zahl sind hier 148 Formen verzeichnet wor- 
den, diese sind in folgender Weise auf die Welttheile vertheilt: 
Australien. Asien. Afrika. Amerika. Europa. Atmosphäre. 
24. 53. 32. 78. 60. 192; 

Die grofse Mehrzahl dieser Formen ist von mir selbst beobachtet, 
nur in Europa sind von den 60 Arten etwa 24 von Anderen benannt. 
In Amerika waren 3 Formen von Bailey, in Asien 3 von Oarter an- 
geführt worden. Nur wenige der von mir benannten Arten sind durch 
zufälliges Verlorengehen der aufbewahrten Speeimina ohne Abbildung und 
Diagnose geblieben, somit gründen sich die hier gegebenen Darstellungen 
nicht auf vorübergegangene Eindrücke, vielmehr auf seit langen Jahren 
aufbewahrte Specimina. Nur 5 Formen gehören dem Meere an, Drfflugia 
Baileyı a. polaris b. atlantica, D. marına Bailey, D. membranacea Ehrbg. 
und Lagynıs baltıca Schultze und sind nach Bailey aus bis 16,000 Fufs 
Tiefe, nach meinen Untersuchungen aus 6000— 9240 Fuls, nur Lagynıs 
baltica ist von der Küste. Die entferntesten Polarformen sind die der 
Falklandsinseln, des Cap Horn, der Chonos-Inseln, sowie von den Kergue- 
lens-Inseln und St. Paul gegen den Südpol und die von Grönland und Kamt- 
schatka gegen den Nordpol. Rücksichtlich der verticalen Erhebung sind 
die Formen des Himalaya bis zu 18,000 Fufs Alpenhöhe zu bemerken. 

Unterscheidet man noch solche Formen, welche gleichartig in allen 
Welttheilen vorkommen, so sind deren 10, nur in 4 Welttheilen 5, nur 
in 3 Welttheilen 12, so dafs 122 Formen mehr vereinzelt sind. Solche 
Formen, die nur in einem Welttheile aufgefunden sind und somit den 
Welttheil bis jetzt characterisiren, sind folgende: 

Australien: Drfflugia Battloggi, D. Frauenfeldü, D. lineata, D. 
Roberti Müller, D. Schwartzü, D. Seelandica, D. strigosa; Arcella dis- 
cordes, A. seriata. 

Asien: D. alpieola, D. alveolata Carter, D. Amphora, D.? caucasica, 
D.Cueurbitula, D. fallax, D. moluecensis, D. prorolepta, D. seriata, D. trieuspis; 
Arcella Arctiscon, A. cellulosa, A. Diadema, A. pleurostoma, A. rostrata. 

Afrika: D. azorica, D. capensis, D. Hartmanni, D. pilosa; A. cir- 
rhosa, A. Enchelys B vulgaris, A. Nigritarum, A. Pyrum A. scabra, A. stellata. 

Amerika: D. alabamensis, D. annulata, D. antarctica, D.? astero- 
phora, D. Baileyi a. polaris, b. atlantica, D. binodis, D. Cyrtocora, D. 


964 EHRENBERG: 


dentieulata, D. Dryas, D. Floridae, D. Gillo, D. hermitana, D. lawa, D. longı- 
colis, D. Macrolepis, D. marina, D. membranacea, D. missouriensis, D. pacı- 
fica, D? paradowa, D. Phiala, D. purpurescens, D. rectangularıs, D. Roraimae, 
D. uneinata; Arcella americana, A. caudieicola, A. Disphaera, A. galeata, 
A. quatimalensis, A. Nidus pendulus, A. peristieta. 

Europa: D. acaulıs, D. Ampulla, D. Bacillariarum, D. (Lag.) baltica, 
D. Bructeri, D. eurvata, D. depressa, D. gigantea, D. globulosa, D. (Pseudo- 
hf.) gracilis, D. Helix, D. hispanıca, D. (Lecqu.) jurassica, D. (Bugl.) laevıs, 
D. (Sphenod.) lenta, D. margaritacea, D. minima, D. Proteus, D. pyrıformas, 
D. (Eugl.) setigera, D. spirigera, D. (Eugl.) tuberculata; Arcella angulosa, 
A. hemisphaerica, A. Maerostoma, A. Okenxi, A. patens, A. stellaris, A. vindıs, 
Uyphrdium aureolum. 


ll. Historische und analytische Zusätze. 


A. Über einen dreitägigen starken Staubnebel bei Semipalatinsk in Sibirien. 

Da historische mehrtägige Verdunklungen der Atmosphäre, welche 
das Sonnenlicht schwächen oder verdecken, stets eine grölsere Geltung 
für kosmische Einflüsse gewonnen haben, indem sie durch ihre Dauer die 
Vorstellung von Sonnenfinsternissen ausschlossen, wie es auch im Kosmos 
dargestellt ist. so halte ich für nützlich den Staubnebel von Semipalatinsk 
zu erwähnen, welcher im Jahre 1856 vom 16. bis 18. Februar stattge- 
funden hat. Besonders günstige Verhältnisse haben damals einen kennt- 
nilsreichen und zu umsichtiger Auffassung geeigneten Beobachter der Er- 
scheinung in dem russischen Lehrer Herrn Abramof gefunden, welcher 
in der „Wesnik“ genannten geographischen Zeitschrift in Petersburg 1857 
Abth. I p. 5 in russischer Sprache eine ganz ausführliche Mittheilung über 
die verschiedenen Nebenumstände publieirt hat. Besonders erhöht und 
völlig befriedigend werden diese günstigen Verhältnisse durch den Um- 
stand, dals mir eine von demselben gesammelte Probe der Substanz des 
damals gefallenen Staubes übersandt worden ist. So gebe ich denn im 
Auszug diesen Nachtrag zu weiterer Beurtheilung 

Bei Semipalatinsk am Irtisch zeigte am 15. Februar um 6 Uhr 
Morgens das Thermometer — 20,5 Grad, bis Mittag war es wolkig, aber 


die Sonne schien. Um 2 Uhr Nachmittags hob sich bei südlichem Winde 


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ıng der Abkürzungen. 
Ab.: Abhandlungen der Berliner Akademie der Wi 
Mg.: Ehrenberg, Microgeologie 1854. 
A. d. Se.: Schlumberger, Annales des Sciences natur. S 
Carter: Annals of nat. history. Vol. NVIIL 
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Fresenius: Senkenb. nat. Gesellsch. Ahh. 
Bailey: Americ. Journ. of Science and urts 1856 Vol xx 
Schultze: Über den Organismus der Polythalamien 1854 


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Dann. 78.| Mg. T. XXXVIII vor F. 3. Difflugia prorglepladFhrb. 1854 Ihe® ale Ab. 1871 p. 256. 
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Eualyph Se | a 2 —  Proteus Perty 1849 (= D. 
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—_ vella acul, Ehrb. — Centro- 83.| Ab. 171 7.11 Fr. 16 z e.. Melle I: A eg 
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3.| 1. 1838 T.IX F. IT, - Be Ehre 1838 I -[ ef] el.) 0» [Bem p4. 84. | Ab. 1871 T.IT F. 26 Venezuela. —  retieulata Ehrb. 1848 R BERIEE Mb, nr N D 
m u; gewsstege I: 1. |+| +] . [1 1saupamm 85.| Ab. 1871 T. II F. 16. —  Roberti Müller Ehrb. 1561 | + : Er nse. 
ee SR an ale Ma a u a a PT 86.| Ab. 1871 T. IL F. 25. —  Roraimae Ehrb. 1854 : + Kos EDS: 
8.| Ab. 1858 T. m F. IV. = ee a . e: . | a= - [| Ab. 1800 p. 248. 87.| Ab. 1871 T. II F. 15. —  Schwartzül Ehrb. 1861 ra E« Ab. ee 5 er 
oh. ET u. -| | 2) > Jan. 16 p460. | 8%] AB. 1869 To I0o Fr. 23. —  Serlandica Ehrb. 1869 = 5 nee ee 
& em 2 1841 | | Dj. 1841 p. 2Ö1. 89. | Mg. T.XXXV ZB An R.l.  hrb. 1848 35) N re an a P- an 
4 = D. acan- . 379. 
7.| Carter 1866 tophora | | [ —  (Semen Ehrb. 1854 — D. 8e- 23 
«| Carter TV R.2—36. aloeolaie G) | minulum) E 
8.| Ab. 1871 T. 01 R. 17. Er 2 2) + [Coriert866 p. 243. || 90.| Ab. 1871 T. Utz F. 30, — erfata Ehrh. 1854 A ELBA, 
9.| Ab. 1871 T. IITı FR. 11. —  Ampulla Werneck 1840 ; ae b | 5 «| Ab. 18207p. 248. 91.| Ab. 1871 T. IT F. 30. —  setigera Ehrb. 1854 ar + AED: 
N ee En 7 92, 23 r | Ab. 1871 p. 257. 
BR 71 DIE R. 19. —  anmulata Ehrb. 1854 + Ab, R. En setigera (Buylypha) Perty1849 | 
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12.| Av. 1871 5 EN Ei en 4 F “| > Jan ıup2a. || 99] Ab. 87a 2.07 8.29 Venezueh. —  sguamata Ehrb. 1848 Aha Mi Bera1 BA0fENIUE- 
18.| Ab. 1841 Erholen Erbe Big || | = [au ı0rpaa. || 9| As. 1871 7. 00 FR. 25-27. — _ spiralis Ehe. 1840 cfr. Spi- An. Te2Sinanlz- 
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1. ; 18 p. 413. en. rich, Mb. 1853 p. 526, 
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15. A. 1 mu Ra q A + y) 96.| Ab. 1871 T. II F. 31. —  strigosa Ehrb He. 5 ae 
16.| Ab. 1871 7. IR. ı8. anein.es 3 Kt - [an 1870 p.240. || 97.) Me. T.XXxIv av s. |  —  striolata Ehrb. 1841 2 las } EB SST: 
17.| Ab. 1871 T. IT R. 29. ESS N- Ka ea a 2 BE ee UST 7 71,7 98.| Ab. 1871 T. IL F. 32. > TR ++ +[ + [Av 1841 p.43. 
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18. en: jee3 |. 1#+| | | - [a0 160m BD, Bi a rt | Ab. 1871 p. 208. 
19.| Bailey 1856 DT F. 2. a BT PELSALENE || 2 [#1 > [Dem Minimar, 99.| Carter 1856 T. VIL F. 80. | -  Arieuspie @.. a ? 
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21.| Schulze T.1 RT. 8. beatlanticafrimmBaileyl » | | | + | | - lerI8öß p. 3. || 101.| Av. 1571 T. m 8. 13. Be: -: Be KEuglypkaeDugs 17 1 EEE Duj. 1841 p. 251. 
39.| Ab. 1871 Tr F.ı7 —  baltica(Lägynis)Schultzelssd| » | » | - | =) + | - [Schuizep 56. jnata Ehrb. 1856 EA IRRE Be I Ab. 1871 p. 258 
ab |/Ab, 1871 TI Fi 99.99. 7 Beeegge Elırb. 1861 ea alle 5 |» [Ab. 1870 p. 250. 
94.| Ab. 1871 T. IL F. 20. a = ae | Er Ab. 10250 Ancnurap 47 
36.| Ab. 187ı .ır mW. 3. -_ 'ructeri Ehrb. 1848 . . =} Mb. 1848 p. 379. 102.| 1. 1838 T.IX F.V 4 ; E 
36.| Ab. 1871 TIL R. 33. ee Et 2848 Ale |er Mb. 144B/p. 970. ern Ya Be ei 1000 
97.| Av. 1871 TIER. 1. capensis Ehrb. 1854 re Ab. 1891,p.250. || 103.| Av. 1841 T. Im F. 100. = Bu Si 108 1. 1838 p. 133 
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28.| Av. 1871 7. Ir 8.21.97 = jensis Ehrb. 1856 . - | Ab. 18710 p. 250. 104, een u Ab. 1841 p. 410, 
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29.| Ab. 1971 7. I R. 28. 105.| Ab. 1871 7. 7 } H r - 
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32.| Av. ı871 T. 11 F. 87. = a En 200 ae E 2 + | Iam.1@s p.320.||.106.| Ab. 18721 7.17 F.31 Yenezusin | — N EhrbateBR 
33. | An. 1971 T. 10 8.8. u ne als a I EL ee —  cellutosa Ehr MbASA8 p.2 
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35.| Ab. 1871 LIT R. 18. Yevala: Jurassica Schlumb.) D . 0 le » | Bern 1552 p. 60. 110.| Ab. 1847 T. Iı F. 39, = ea Eh: Ab. 1871 p. 258. 
36.| Mg. I. XXXIV vB. 7 —  eylindrica Ehrb. 1854 = “ Ab. 1871 p. 251. u1.|r2 mıX Fvo —  costata Ehrb. Ab. 1841 p. 410, 
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30. | Av. 1871 7.118,98 Venen. —  depressa Schlumb. 1845 |.» | + | +» [A.a.se1s45p.254, || 119. | Ad. 1871 7. 10 Fr. 1. es 1. 1838 p. 134. 
1. 1898 D.IX RL IV. —" Dryas Ehrb. 1848 let e| - [n.1848 page, || 114 | An. 1841 TVo er. 12 = Ab. 1871 p. 259. 
—  Enchelye Ehrb. 1898 = Ar- len... Er Düphaera Ei Ab. 1871 p. 259. 
40.| Au. 1871 T.10 8. 10. 4 Fear | ea |; 1. 1838 p. 132. 116. | Mg. T. XXXIX an F.4 Be... Be 1 Ab. 1841 p. 410. 
“ BEN nr. S. —  Floridae Ehrb. 1858 + BE nn Enehelye El UN: 
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45.| Ab. ı871 T. IItı F. 24. — Tobut ei Fr :E a Er Ab. 1871 p. 252. 120. = x Be «188 
40.| Dyj. 1837 7.8 r. 1. ee HR er K Ab. 1871 p. 259. 121. de hs. m 
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! Duj. 1837 p.3 192. | Mg. I. XXX r i 
— _ gracilia(Pseudodiff.) Schlamb. | "ü 123 et a gaulus Ehrög 
1845 | F ) 
AB. | Ab. N: I +] » [Ardse.1845p 134. | Av. ısrı T #- —  granulata Khrl Y - 
A| au am mu #6, —  granulata Klırb. 1854 [+2 » BE ang 116 2:200. | ass = 177 S.nR- 16. —  guatimalensis BARS SE. 
1 Ab. 1871 T. IT FM. —  Hartanmt Khrb,. 1089 SE TI p. 253, 125. h i Mb. 1848 p. F 
0. a . 117 * | = [Abe 1871 p. 258. 126. | 1. 1838 T. IX F.vit. ee er Ab. 1871 p. 259 
a Ab. 1671 DIE R.10, = VER K%£ +] » |Siebw.K.Bd.4p.261. 
“| Ab. 1871 T, Ita E98 en = 2 "| » JAbIBTı p. 258, 
53. 7 E —  Aispanica Ehrb, 1871 -I-.| |» e AUPR RL 
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Sale 3 > eh = I lakelaata Birk 10dı lea | 39 A.d.S4.1845 p.255. || 130. | Mg. T. XXNVII 4 xsı FR 11. = ER ma Ei Ab. 1871’ p. 
NR. Ba en N ae || © Ab I8t1 p. 418. Ab. 1871 T. IE R. 19. j Ab. 1871 p. 250. 
—  lavis (Euglypho) Perty 1849 "A 1 n280, || 131.| A. 18a 1.00 mas. —  Nidus Pendulu Ab. 1871 p. 260 
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57. | Ad sa nv r.n. FU rn gr BE ..10  nutans Khrb. MR ». 1841 p. 410. 
| 58.| Ab. 1871 T. I ı R.22. ‚agena Ehrb. 1841 let > ara 12 er: Ab. 1871 p. 260. 
Fr —  fazar Ehe, 1854 Aral se 1 p. 418. || 128. —  Okenii Perty 1 
h | e Yen (Sphendeni) en . Ab 181 p- 254, in ©. L. 1859 T. XXI F. 7. paima C. 1. I 
«o.| av. ısrı 7. , EZ 4 |] 185. | Ab. a8rı Ton Ron. 12. —  peristicta Ehrd Bea - 
| ur FR. 18. _ ni Ehe, 1871 = D. +| » [Ardisc 1345 p-26. || 136.| Ab. 1841 T. Tr FR. 47. 5 ee 3 ei. + [C.L.1869v.Ip-448. 
'ata B 1864 137. Al. 1871 60. 
el. — _ finenta Ehrb. 1861 +. I#+1.) .[Abasrı p. 254. Ar ‚or 
A 5 TONXNVIN ae HR. 5, —  Liostoma Ehrb. 1854 EN ea ER Ab. 1871 p. 254, 138 1871 T. Ifu F. 16 lee 
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©. | Fromalas TIL. —  Macrolepis Khrb, 1854 a ag 254 || 00. | An aarı Ton a9. 3. —  metrata Ehrb " “| » | [Ab. 1871 p. 260. 
ka - nargeritaea (Oyphoderia) -I#| .| . [Aw asrı p 254. 141. scabra Ehrb. N “| [+] + [Ab. 1871 p. 260, 
88. | Bailey 1856 T. 1 F.7. Bann AlbeıNe, 2 es ars] > —  seriata Ehrb, Ü Ab. 1871 p. 272. 
67.| Ab. 18071 Tea Rn. Fe zu Ser Ein Ars * Fnaitey a 556 74 —  quamata Ehrb- Ab. 1871 p. 261. 
R® membranacen Ehrb. 1861 Di“ en wamatd . 26 
6.| An ı = 211 21 2 jw-uı 2.295. |F ass. Be Ab. 1871 p. 261. 
" sm T.I 9.20. = stellaris Perty 
Pe Ab. 1869 T. Im F. 12. a a Zeile Re 2053 p- 60. lata Ehrb- 
As3$ T.IX FL IL. — h Ah. " 144. | Ab. 1871 T. IITu F. 10. stellata Ehrb 
| TR Amer. ı. = aller le, 146. | Mg. T. XXXIV m F. 2. —  uacinata Ehrb Bern 1849 p. 126. 
| As a nun er. = . p- 181. Weiter 184 Ab. 1871 p. 261 
x 7] Us + [Mb us p. 287 e 
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= % Aa p- 258. garis Ehırb, Mb. 1845 p. 361. 
pe Ei: [Asa 25. | aer.|ı 1008 21x r.v. — vulgaris Ehrb- 
I+ E h 1 Be Li Bern 1849 p. 167. 
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1 p- 256. 1. 1835 T. IX F. IX. Cypkidium aureofum EB 
1. 1838 p. 193. 


1. 1838 p. 195. 


p- 132. 


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Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilen. 265 


das Thermometer bis — 5,0%. Darauf fing ein Südostwind an, der all- 
mälig stärker wurde, und die Luft sättigte sich so zu sagen mit Dämpfen 
(parani pressyltschalssja wosduch). Darauf zeigten sich mehr und mehr 
Wolken. Gegen Abend bedeckte sich der Himmel mit geschichteten 
grauen Wolken und von Südosten jenseits des Irtisch aus der Kirgisen- 
steppe zog langsam eine dunkle Wolke heran. Der Wind blieb südöstlich, 
war aber schwach, und der Himmel überzog sich mit einer einförmig 
zusammenhängenden Trübung. Die Farbe der Luft war gelblich und 
nicht durchsichtig, so dals es schwer war auf 20 Ssaschehn Contouren 
zu unterscheiden und auf 50 überhaupt nichts sichtbar war. Das Thermo- 
ıneter zeigte am 16. Febr. 6 Uhr Morgens — 8°, um 2 Uhr Nachmittags 
— 2° und um 10 Uhr Abends — 5°. Die Dichtigkeit, Schwere und der 
Druck der Luft nahmen allmälig zu, daher beständiges Schwanken des 
Barometers. 


Um 9 Uhr Morgens 579,50"" bei + 13,0° Correctur 579,34 


3 vNachmitt: 581.00 and I 580,05 
„10 „ Abends 581,00 „ +135 „580,98. 
Am 17. zeigte das Thermometer 6 Uhr Morgens — 7,5° 

2 „ Nachmitt. + 0,7 
10 „ Abends —-2,0 
Am 18. zeigte das Thermometer 6 Uhr Morgens — 3,5° 
2 „ Nachmitt. + 2,7 
108.22. Abends —-.055 


Da die Landschaft mit Schnee bedeckt war, so färbte ein herabfallender 
grau gelblicher (siaro djoltowataja) Staub den Schnee und gab demselben, 
wo er häufiger war, eine schwärzliche Farbe. Der Umfang dieser Er- 
scheinung war oberhalb und unterhalb von Semipalatinsk zu beiden Seiten 
des Irtisch bekannt, nach Nordosten 70 Werst und nach Südosten über 
160 Werst. Die Sonne stand am graugelben Himmel sichtbar, strahlenlos, 
gleich bleichem, hinter Nebel verborgenen Monde. — 

Die mir zugesandte Staubprobe von graugelblicher Farbe ergab 
kein Brausen mit Salzsäure, war mithin ohne kohlensauren Kalkgehalt. 
Der feine Staub ergab bei der mikroskopischen Untersuchung vorherr- 
schend feine unorganische Sandtheilchen, während etwa -!; der Masse als 


Phys. Kl. 1871. 34 


266 EHRENBERG: 


Beimischung feiner organischer Theilchen sichtbar wurde und folgende 
Bestimmung erlaubte. In 20 Analysen 4 Cubiklinie grofser Mengen fanden 
sich 13 Polygastern, 31 Phytolitharien und 6 weiche Pflanzentheile, was 
mit 6 unorganischen Theilchen die Summe von 56 namhaften Mischungs- 
Elementen ergab. 


Polygastern 13. Lithostylidium dentieulatum 
Arcella Mierostoma —_ Fusiforme 
— lt — laeve 
Erumotia amphioxys — obliquum 
— Dianae e— ovatım 
— gıbba - oblongum 
—  Librile — quadratum 
—  rostrata _ Serra 
—  zebrina - sinuosum 
— 2? (singularıs dubia forma) — Trabecula 
Pinnularia borealis _ ventricosum 
— Legumen — unidentatum 
— viridhs — ? 
Surirella Cratieula Spongilithis acieularıs 
Phytolitharien 31: — aspera 
Lithodontium Aculeus — canalicularıs 
_ Bursa weiche Pflanzentheile 6. 
_ Furcatum Parenchyma plant. 
— nasıutıum Pilus laevıs simplex 
— Platyodon — yezir base Bulbosus 
— rostratum — —  hispidus 
— Scorprus — —  Ormithorrhamphus 
Lithosphaeridium vürregulare — —  faseieulatus 
Lithostylidium Amphrodon Unorganisches 6. 
— angulatum Glimmer 
_ Bidens Säulen-Crystalle grün 
— clavatum _ _ braun 
—_ erenulatum = — weils 
— eurvatum Strahlendruse kuglich 


—_ decurrens Quarzsand. 


Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. 267 


Aus diesem Verzeichnils geht hervor, dafs der Staub sich an die 
sogenannten Passatstaubarten nicht unmittelbar anschliefst, indem die 
Gallionellen sowohl, als der reichere Eisenstaubgehalt fehlen. Von den 
Polygastern sind Eunotia amphioxys und E. rostrata sehr zahlreich, alle 
übrigen Formen selten. Von Phytolitharien sind Lithostylidien überwie- 
gend, Spongolithen selten, kein L. Olepsammidium. Alle sind Sülswasser- 
formen. Kein Bimsteinfragment. 

Obwohl die Characterformen des Passatstaubes diesem lange dauern- 
den und massenhaften Staubnebel fehlen, so ist doch andererseits nicht 
zu übersehen, dals eine auffallende Übereinstimmung massenhafter orga- 
nicher Elemente ihn an die Passatstaubarten anschliefst. Man kann sich 
nun wohl vorstellen, dafs die ostasiatische Erdoberfläche sehr überein- 
stimmend mit den Bacillarien und Phytolitharien des westlichen Europas 
sei, ja man kann die hier gegebene Analyse geradehin als ersten spe- 
ciellen Beweis für solche Übereinstimmung ansehen, allein der auffällige 
Mangel von asiatischen localen Character-Formen, wie sie von mir für 
viele Erdgegenden nachgewiesen worden sind, setzt dieser scheinbaren 
Übereinstimmung eine andere Schwierigkeit entgegen, zumal es bekannt 
ist, dals die östliche Kirgisensteppe im Monat Februar und wohl auch der 
Südosten eine Schneedecke trägt. 

Abramof hält die Erscheinung für einen in den fernen östlichen 
Kirgisensteppen durch Sturm aufgewühlten Oberflächenstaub, dessen feinste 
Theile so weit fortgetragen sind. Ob die Jahreszeit und die nach ihm 
selbst mit Schnee bedeckte Oberfläche nieht in südlicher sondern in süd- 
östlicher Richtung in jener Gegend eine solche Vorstellung erlaube, mufs 
dortigen Reisenden zur Beurtheilung vorgelegt werden. Die von mir ge- 
fundenen Elemente des Staubes würden kein wesentliches Hindernils sein, 
obschon der Staub unverkennbar viele mit dem Passatstaub übereinstim- 
mende Elemente hat. Die von der Kaiserlichen Akademie der Wissen- 
schaften für die centralasiatischen Länder im Jahre 1866 meinem Wun- 
sche gemäfs der weiteren Theilnahme empfohlenen Nachforschungen haben 
in der Behandlung des Gegenstandes durch Abramof ein so glück- 
liches Vorbild erhalten, dafs ähnliche Mitwirkungen für Oentral-Asien 
weitere Aufschlüsse in schneller Folge erwarten lassen. Ob die durch 
gewaltsame Stürme verrufenen Gegenden der Gobi-Wüste, des Lop Noor 


34* 


2368 EHRENBERG: 


Bogdo Oola oder des westlichen, ebenso stürmischen Bolor Dagh diesen 
Staubnebel von seinem eigentlichen Ursprunge abgelenkt haben, welche 
Möglichkeit schon 1847 in der Abhandlung über den Passatstaub p. 388 
angedeutet worden, ist hier nicht weiter auszuführen. Bereits im Jahre 
1854 wurden in der Mikrogeolosie 80 Polygastern, 19 Phytolitharien und 
| weicher Pfilanzentheil aus dem östlichen Sibirien verzeichnet und auch 
aus den atmosphärischen Verhältnissen wurden im Monatsbericht 1851 
p- 317, und darnach in den Abhandlungen 1871 33 Polygastern, 39 Phy- 
tolitharien und 8 weiche Pflanzentheile verzeichnet, welche hierbei in Ver- 
gleichung zu nehmen sind. 

Auffällig und erwähnenswerth ist noch der schnelle grofse Tem- 
peraturwechsel beim Eintritt des Staubfalles in Semipalatinsk. Da es dort 
im Februar an einer libyschen Sahara unzweifelhaft fehlt, aus welcher die 
Wärme des Staubsturmes abgeleitet werden könnte und da bis auf sehr 
weite Entfernungen hin der Steppenboden mit Schnee dicht bedeckt ge- 
wesen sein mag, so dient diese Erscheinung wohl dazu, die Wärme nicht 
den dortigen trocknen und wenig eulturfähigen Landstrichen, als vielmehr 
den Staubmassen selbst durch Frietion bei der Fortbewegung, oder an- 
deren Einwirkungen zuzuschreiben. Um so mehr ist die umständliche 


Beobachtung des Herrn Abramof dankbar anzuerkennen. 
fe} 


B. Uber einen Staubfall im Indischen Ocean bei den Malediven. 


Ich habe bereits im Jahre 1857 in den Monatsberichten p. 403 
über einen besonderen Staubfall auf ein amerikanisches Schiff zwischen 
Ceylon und den Malediven-Inseln in 4° 40’ nördl. Br. und 93° östl. L. 
eine kurze Anzeige gemacht. Nach Capitain Maury’s Mittheilung hatte 
der amerikanische Schittscapitain F. A. Bursley vom Schiffe Alact unter 
dem 27. Februar 1856 folgende Nachricht gegeben: „Ich habe heute eine 
Probe eines weilsen Staubes gesammelt, welcher während des Nachmittags 
auf mem Deck fiel. Er fiel aus der Luft gleich Schneetlocken hernieder, 
und habe ich Derartiges niemals vorher gesehen.“ — 

Die mir von Maury zugesandte Probe war ein feiner weilslicher 
Luttstaub, welcher mit Salzsäure berührt ein wenig brauste und fol- 
sende mikroskopische Elemente in 20 Analysen von je 4 Cubiklinie der 


Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärihen. 269 


Masse erkennen liefs: Pinnularıa wiridis, Lithostyhdlum angulatım, L. denti- 
culatum, L. rude, Spongolithis acieularıs Fragment, Dietyolithis?, Litho- 
sphaeridium?, Pflanzenparenchym, Faserzellen, Spiralgefäfse, dicotylischer 
Pflanzentheil, dieotyle Strahlenzellen, Spaltöffnung einer Epidermis, ein- 
faches Pflanzenhaar, Mäusehaar?, blaues Wollhaar, Glimmer, langzellige 
Bimsteintheilchen, Schaumsteinsplitter, rauchfarbiger Crystall, smaragderüne 
Orystallsplitter. — Die Hauptmischung war deutlich ein feiner Sand, aus 
kurzzelligen, Schaumstein- und oft auch langzelligen Bimstem -Splittern 
bestehend, mit vielen eingestreuten Glımmerblättchen von goldselber Farbe, 
oft in sechsseitigen Täfelehen. Viele Sandkörnehen erschienen als einfach 
liehtbrechende, scharfkantige Tafeln von unregelmäfsisem Umrils. 

Es geht aus diesen Mischungs-Elementen unzweifelhaft hervor, dafs 
dieser weilsliche Staub ein vorherrschend vulkanischer Bimsteinstaub ist. 
Die übrigen sandigen unregelmäfsigen Theilchen, welche glasartig durch- 
sichtig sind, zeigen bei polarisirtem Lichte vorherrschend prismatische 
Farben. Diese sind mithin keine Obsidian- oder Glassplitter sondern Quarz- 
theilchen. Zwischen dieselben eingestreut sind noch viel schwarze, als 
Magneteisen erscheinende Sandkörnchen. Die beisemengten organischen 
Theilchen sind in sehr gerinsfüsiger Zahl vereinzelt und können als zu- 
fällig bei der Fortbewegung der Masse über das Festland hinzugetretene 
Elemente angesehen werden. Sehr entschieden bestärkt wird diese Vor- 
stellung durch das beigemischte Mausehaar und die blau gefärbte Woll- 
faser. Letztere beiden Elemente könnten auch vom Schiffe selbst beim 
Einsammeln hinzugekommen sein. 


©. Über den am 30. August 1870 auf dem St. Gotthardt gefallenen Salzhagel, 


Da sich in der Schweiz eine grofse Theilnahme gewichtiger Aucto- 
ritäten an einem Hagel von Steinsalz und erystallisirtem Kochsalz gezeigt 
hat und derselbe wieder auf afrikanischen Ursprung zurückgeführt worden 
ist, so möge dieser Gegenstand sich hier zu weiterer Erläuterung kurz 
anschliefsen. Es ist zuerst von Professor Kenngott in der Züricher 
Zeitung vom 25. Sept. 1870 eines bei lebhaftem Nordwind (Bise) in der 
Nähe des Gotthardt Hospiz bei bewölktem Himmel gefallenen Salzhagels 
Erwähnung geschehen. Die Beobachter waren der Fourgon-Condueteur 


970 EHRENBERG: 


Pedrina aus Airolo und mehrere seiner Begleiter. Das erregte Interesse 
hat auch Professor Escher von der Linth veranlafst, weitere Nachfor- 
schungen bei dem Fürsprech Müller in Airolo zu machen. Die Resul- 
tate sind in der Vierteljahrsschrift der Naturforsch. Gesellsch. in Zürich 
Jahrg. 15. 1870 p. 377 niedergelegt. Daselbst heilst es p. 379: „Die dem 
ersten Schreiben des Herrn Müller an mich beigegebenen Stücke, von 
denen das eine $ Gramm wiegt, sind Chlornatrium oder Steinsalz, wie es 
in Nord-Afrika als sogenanntes Wüsten- oder Steppensalz vorkommt. Es 
sind hexaödrische weilse Crystalle oder Bruchstücke solcher Urystalle. 
Einzelne Crystalle sind an den Ecken und Kanten abgerundet, an ein- 
zelnen sind die Kanten und Eeken ziemlich scharf, auch zeigt sich zum 
Theil treppenförmige Bildung. Kein Crystall ist rundum ausgebildet, son- 
dern man sieht deutlich, dafs sie von einer Fundstätte herkommen, wo 
sie aufgewachsen waren, doch sind fremde Mineraltheile nicht zu bemer- 
ken. was auch bei einem Salz nicht zu erwarten ist, welches auf einer 
Bodenoberfläche als lockerer Überzug vorkommt, als so lockerer, dals die 
einzelnen Individuen durch starken Sturm aufgehoben und fortgetragen 
werden können.“ — 

Rücksichtlich dieser auffälligen Nachrichten finde ich mehrere grolse 
Schwierigkeiten, deren Erwähnung bei Besprechung des Passatstaubes an 
ihrer Stelle ist. Eine dieser Schwierigkeiten besteht darin, dafs ungeachtet 
meiner eigenen vielfachen Kenntnifs der Sahara-Wüste in den sechs von 
mir in ihr und neben ihr mit Dr. Hemprich zugebrachten Jahren bei 
vielen Stürmen und erlebten Typhonen niemals ein Salzhagel oder Salz- 
staub, auch niemals eine mit Chlornatrium -Crystallen bedeckte Oberfläche 
in Erfahrung gebracht worden ist. Auch sind die vielseitigen, aus zahlreichen 
Schriftstellern als Reisenden von mir im Jahre 1868 in der Abhandlung 
„über die rothen Erden als Speise der Guinea-Neger“ in Übersicht gebrach- 
ten Nachrichten ohne jede Spur von Salz-Crystallen als Oberfläche der 
Wüstenebenen geblieben. Zwar giebt es im Westen der Sahara Steinsalz- 
lager (Kochsalz) mit Tagebau, aber auch diese haben durch Wirbelstürme 
bisher nicht einmal ihre Existenz erkennen lassen, aber am Küstensaume 
giebt es Seesalz-Fabricationen. 

Das seit ältester Zeit schon Plinius bekannte und als Nitrum lapt- 
descens zu vielfachem Seifen- und Waschgebrauch verwendete Wüstensalz 


Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. 271 


der Sahara ist kein Kochsalz (Chlornatrium) sondern das natürliche strah- 
lige Natron (Soda), welches Klaproth (Beiträge z. chem. Kenntn. d. Mi- 
neralkörper 1802) p. 81 nach den vom schwedischen Consul Bagge aus 
Tripolis mitgebrachten Proben der Oase Fezzan specieller analysirt hat. 
Die von mir selbst vielgekannten weifsen Überzüge der ausgetrockneten 
Sumpferden in den Oasen waren immer nur staubige oder dendritisch 
wollige Effloreseirungen solchen Natrons mit stumpfem Salz-Geschmack, das 
nicht selten, wie im Thale der Natronseen und auch in Fezzan, zu jenen 
zolldieken strahligen Krusten erhärtet, welche die Ägyptier als Naschwerk 
kauen und deren Bruchstücke eine grofse Ausfuhr von Fezzan nach Tri- 
polis bilden. Über die Salzerden von Fezzan habe ich in der Mikrogeologie 
1854 p. 198 kurze Mittheilungen gemacht und ihre organischen feinen Ele- 
mente, deren mehrere auch im Passatstaube gefunden sind, verzeichnet. 
Diese Erden sind von Farbe lichtgrau oder gelblich grau, gehören nur 
den localen ausgetrockneten Sümpfen der Oasen an und würden, vom 
Winde bewegt, niemals einen Blutregen oder rothen Schnee veranlassen 
können, so wie auch ıhr Massenverhältnifs ein kleineres ist. Eine andere 
Schwierigkeit für den obigen Hagel wird auch immer bleiben, dafs der- 
gleichen grobe Theile als Oberflächensand der Sahara nicht, dem unfühl- 
baren feinen Staube gleich, durch geringe Bewegungskraft des gewöhn- 
lichen Luftzuges fortgetragen werden könnten, sondern stets eines starken 
und andauernden Sturmes bedürften, um nicht rasch zu Boden zu sinken, 
auch würden solche Sande nothwendig Quarzsand, Kalksand und andere 
sröbere Stoffe beigemischt enthalten. 

Betrachte ich diese Gründe meiner Vorstellungen, so würde ich 
weit wahrscheinlicher finden, dafs der aus Norden kommende Sturm (Bise) 
aus irgend einem Salzdepot in der Schweiz durch einen plötzlichen star- 
ken Wirbel das reine aufgehäufte Salz fortgeführt haben möge, zumal 
die grofsen Steinsalz- und Salzgebirgs-Lager im Osten und Westen der 
Schweiz nicht fehlen, wie sie nach Charpentier durch Heer 1865 in 
der „Urwelt der Schweiz“ p. 40 u. s. f. übersichtlich geschildert worden 
sind. Dasselbe Buch wird auch die früher in der Schweiz für afrikanısch 
gehaltenen Gypstheile des Schweizer Sciroceo-Staubes nicht als afrika- 
nisch sondern durch den Umstand, dafs der Gyps als Dungmittel auf die 


272 EHRENBERG: 


Culturflächen häufig in der Schweiz verbreitet wird, als Local -Erschei- 
nungen, (s. p. 60) erläutern. 

Mögen diese objeetiven Betrachtungen die so verdienstlichen Be- 
mühungen localer Naturforschung nicht zu schmälern scheinen, vielmehr 
anschaulich machen, dafs noch immer die vielseitigste Beachtung des Sci- 
rocco und jeder ähnlichen Erscheinung, welche sich näher oder ferner 
auf kosmische Verhältnisse beziehen könnten, weiterer intensiver Pflege 
bedürftig und werth sind. 


D. Nachtrag zur Diagnostik. 


1. Difflugia hrspantca. Lorica ovata, frontem truncatam versus 
breviter attenuata. Aperturae frontis dentes conspieu 4 (8?) acuti. 
Superticies irregulariter reticulata, cellulis diseretis in linea transversa 
media fere 9. Longit. „5 latit. 2;". Ex Hispaniae Sierra Nevada. In 
Alsa Nostochinea a Boissier sub aqua lecta. Kuntze Lipsiensis Algam 
sieccam mihi misit, in qua hanc speciem nidulantem inveni. Icon in 
Tab. II ı Fig. 23. 

2. Arcella rostrata. Lorica oblonga in rostrum acutum frontale 
prolongata. Apertura sub fronte cucullari retracta subtriquetra. Super- 
ficies laevis. Longit. „4 latit. -4", rostrum fere 4 totius. E Nilgherry 
Indiae. Icon in Tab. III ır Fig. 2. 


Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. 273 


Erklärung der Abbildungen. 


(Vergröfserung 300 Mal im Durchmesser, Maafsstab nach Paris. Linien, wie auf Taf. I.) 


Diese Tafel betrifft die Ergänzung der auf Taf. II im Januar in Über- 
sicht gebrachten Arcellinen und stellt alle besonders in der Mikrogeologie zahl- 
reich genannten Gestalten zu weiterer Vergleichung dar. Zu den 40 neueren 
Abbildungen auf Taf. II kommen hier noch 47 Arten hinzu, wodurch, sammt den 
in der Mikrogeologie, in den Abhandlungen und Monatsberichten gegebenen (wie 
es auf der geographischen Tabelle ausführlich verzeichnet ist) auch das bis jetzt 
vorhandene Material der über die Erdoberfläche aller Zonen verbreiteten Formen 
erschöpft ist. 

Mehrere der Abbildungen auf Taf. III sind in früherer Zeit von mir selbst, 
viele neuerlich unter meiner Leitung nach aufbewahrten, oft schon 30 Jahre alten, 
gut erhaltenen Präparaten gefertigt und mithin weiterer Vergleichung zugänglich. 
Die Abbildung der lebenden Difflugia spiralis ist bereits im Jahre 1840 gefertigt 
und zeigt die Verästelung und mannigfache Veränderung der Pseudopodien. 

Auf Taf. II des ersten Vortrages wurden die Abbildungen meist nach dem 
geographischen Zusammenleben neben einander gehalten. Auf dieser Tafel ist die 
systematische Verwandtschaft in den Vordergrund gestellt. Selbstverständlich ist 
auf diese Systematik, als eine stets mit neuem Material veränderliche, kein Ton 
gelegt. Da aus einer der vorn mitgetheilten Abtheilungen (Setigerella der Dif- 
flugien) kein neuer Repräsentant vorgefunden worden, so ist diese Abtheilung 
deshalb hier übergangen. f 

Das am Schlusse zugefügte Cyrtidium antediluvianum aus Bacillarien - 
Kieselguhr unter der Blätterkohle von Pfannenschoppen im Siebengebirge (Mo- 
natsbericht 1846 p. 170 Tabelle) gehört nicht sicher zu den Arcellinen, allein sein 
Fragment Fig. 18 wird leicht irgend einen Beobachter veranlassen, diese Form zu 
Lirella zu ziehen. 

Der bei jedem Namen stehende Welttheil bezieht sich auf den Fundort 
des abgebildeten Exemplares. 


Phys. Kl. 1871. 35 


274 


> 


SR 


b. 


D. 


EHRENBERG: 


Il. Difflugia. 


Exassula. 
odentatae.  Lagynis. 
membranacea. Davisstralse. 
Asien. 
Stid-Amerika. 
spönigera. Buropa. 
Nord-Amerika. 


Europa. 
Süd-Amerika. 


Arctiscon. 
hyalina. 


laevis. 
granulata. 
pacifiea. 


Assulina. 
Hologlypha. 


odentatne, 
adunca. Asien. 

adunca (im Umrisse). Ilimalaya. 
alabamensis. Nord-Amerika. 
Ampulla. Wuropa. 
Sitd-Amerika. 
Nord-Amerika. 
Nord-Amerika. 


Süd-Amerika. 


Macrolepis. 
uncinata. 
carolinensis. 
Leptolepis. 
dentatao. ‚Euglypha. 
rectangularis. Central-Amerika. 


Amphora. Asien. 


Homoeochlamys. 


orbioulares. 


discordes. Australien. 
oblongae. 
rostrata. Asien. 
lunata.  Nord-Amerika. 
Sticholepis. 
oblongae. 
retteulate. Australien. 
serrata. Australien. 


Centropywis. 


Diadema. Asien. 
Diadema? (A. ecornis?) Asien. 
eirrhosa . A {rika. 


Reticella. 
edentatae.  Allodietya. 
18. D.? asterophora. Süd-Amerika. 
19. — annulata. Central-Amerika. 
20. — Bructeri. Juropa. 
21. — collaris. Nord-Amerika. 
22. — lawa. Oentral-Amerika. 
dentatae.  Odontodietya. 
23. — hispanica. Buropa. 
24. — globularis. Süd-Amerika. 
Corticella. 
odentatne.  Lecquereusia. 
25—27. .D. spüralis. Europa. 
dentatae. 
28. D. caucasica. Asien. 
Lirella. 
edentatae.  Cadium. 
29. — Baileyi. Davisstrafse. 
dentatae. Kucadium. 
30. — seriata. Asien. 
Arcella. 
Ileterocosmia. 
orbiculares. 
10. 4A. stellata. Afvıka. 
11.12. A. peristieta. Süd-Amerika. 
13. — mierostoma. Australien. 
14. cellulosa. Asien. 
oblongae. 
ikay Pyrum. Afrika. 
16. guatimalensis. Süd-Amerika. 
17. — Arctiscon. Asien. 


18— 20. Oyrtidium antediluvianum. Eu- 


ropa. 
Fig. 19. 20 


(Fig. 18 Fragment, 


ganze Formen.) 


Nachtrag zur Übersicht der organischen Atmosphärilien. 275 


Die Abbildungen dieser nachträglichen dritten Tafel sowohl als sämmt- 
licher Arcellinen, wie sie in ihrer Verbreitung über die ganze Erdoberfläche nun 
vorgelegt sind, lassen erkennen, dafs weder eine Selbsttheilung der Schalen, wie 
sie bei Bacillarien gewöhnlich ist, noch auch eine Knospenbildung oder Ver- 
schmelzung anschaulich geworden ist. Dagegen ist die schon 1838 („Infusions- 
thierchen“ p. 130) als wahrscheinlich angedeutete Selbsttheilung der inneren 
weichen Körper, wie sie bei den panzerführenden Vorticellinen, Vaginicola, 
Ophrydium u. A., erwiesen worden und bei den panzerlosen Amöbeen erkannt ist, 
höchst wahrscheinlich. Wirklich beobachtet ist sie noch nicht. 

Die Frage ob die Arcellinen wohl ein Jugendzustand der Difflugien sind 
und ob es eine nachweisliche Umwandlung der Formen irgend einer Art giebt, 
scheint durch die vorliegende Menge und Vielartigkeit constanter Grestaltungen 
negativ erledigt. Spirillina vivipara Abh. 1841 p. 412 Taf. III vu Fig. 41 zeigt 
innere Junge. 

Auffällig bleibt, dafs die Gestalten so sehr übereinstimmend überall in 
ausgewachsenen Gröfsen entgegengetreten sind, so dafs die kleinen Jugendzu- 
stände vermilst werden. Dieser Umstand läfst fast nothwendig erscheinen anzu- 
nehmen, dafs die Vermehrung vorherrschend durch Selbsttheilung und also der 
inneren Weichtheile vor sich gehe, deren schalenloser Zwischenzustand durch 
seine leichte Zerstörbarkeit sich der Nachforschung bisher entzog. 

Durch die zerstreuten Bacillarien im Innern mehrerer der abgebildeten 
Arten als aufgenommene Nahrung (wie Taf. III m Fig. 1 aus Australien) läfst 
sich der Mangel eines schlauchartigen Nahrungs-Canales und mithin die An- 
wesenheit des polygastrischen Baues auch im todten Zustande selbst aus anderen 
Welttheilen erkennen. 

Dafs aufser dem fraglichen Cyrtidium der Tertiärzeit unter den vielen 
Bacillarien - Lagern der Urwelt keine fossile ähnliche Gestaltung bisher vorge- 
kommen, dürfte der Bemerkung werth sein. 

Auf diese beseelten, aus dem Humus der Oberflächen und den Nebeln 
der Atmosphäre der Erde hervortretenden selbstständigen Lebensfunken wird die 
Naturforschung ihr Auge zu richten künftig immer mehr Veranlassung haben. 
Die Mikrogeologie hat seit 1854 der ruhigen Forschung noch mannigfache ähn- 
liche Übersichten schon vorbereitet. 


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1.Difflugia. 


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1-7. Exassula, 8-17. Assulina. 18-24. Reticella. 25-28. Corlieella. 2330. Lirella. 


U. 


1-4. HHomoeochlamvs.5 6. Sticholepis. 7-9. Centropwsiis. 1017. Heterovosmia, 
e 27/2 


(vrtidium antediluwianuım. 


Gustechm » CE.Wiben 


RE Den 


MATHEMATISCHE 


ABHANDLUNGEN 


DER 


KÖNIGLICHEN 


AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 


ZU BERLIN. 


AUS DEM JAHRE 
1571. 


)UL'D af 
BERLIN. 
BUCHDRUCKEREI DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
(G. VOGT) 
UNIVERSITÄTSSTR. 8. 


1872. 


IS COMMISSION BEI FERD. DÜMMLER’S VERLAGS-BUCHHANDLUNG 


HARRWITZ UND GOSSMANN.) 


HAI ALT 


‚sin 


Inhalt. 


Seite 
HAGEN: Seitendruck der. Erde, u 
Hasen: Über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des strömenden Wassers 
mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert . . . .... 21 


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Seitendruck der Erde. 


Von 
H” HAGEN. 


[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 16. März 1871.] 


D. Bestimmung des Drucks, den eine Sand- oder Erdschüttung gegen 
eine Mauer ausübt, an welche sie sich lehnt, ıst für die Technik von 
srolser Bedeutung, und man findet daher in allen betreffenden Lehr- 
büchern die Lösung dieser Aufgabe. Nichts desto weniger giebt die da- 
bei gewählte Zerlegung der Kräfte zu wesentlichen Bedenken Veranlassung, 
und es ist bisher noch nicht geglückt, durch Experimente nachzuweisen, 
ob die Resultate jener Rechnung richtig oder falsch sind. Eine Reihe 
Versuche dieser Art, die, wie sich im Folgenden ergeben wird, ganz 
besondere Vorsicht erfordern, habe ich in neuster Zeit angestellt. Sie 
zeigen aber, dafs die allgemein übliche Auffassung der Aufgabe nicht 
richtig ist, vielmehr diejenige Änderung eingeführt werden mufs, die ich 
schon im Jahr 1833 empfohlen hatte 1). 

Historisch mag bemerkt werden, dafs die erwähnte Theorie von 
Coulomb herrührt, der sie 1773 der Pariser Akademie vorleste. Eytel- 
wein, wie auch Prony nahmen dieselbe als richtig an, während Letz- 
terer sie in mancher Beziehung erweiterte, und zugleich den betreffenden 
analytischen Ausdrücken, zu denen sie führte, möglichst elegante Formen 
gab. Dasselbe ist auch später und namentlich in der Anwendung auf 
fortificatorische Anlagen durch Poncelet geschehen. 

Indem ich von dem einfachsten Falle ausgehe und annehme, dafs 
die Schüttung horizontal abgeglichen ist und sich gegen eine lothrecht 
stehende, ebene Wand lehnt, so können sich in der Schüttung wegen des 
fehlenden Zusammenhanges der Masse unendlich viele Bruchflächen bilden, 
sobald die Wand dem Drucke nachgiebt. Coulomb nimmt an, dafs die 


1) Poggendorff’s Annalen. Bd. 28. 
Math. Kl. 1871. 1 


>) HAGEn: 


Trennungen in Ebenen erfolgen, also dreiseitige Prismen sich lösen, deren 
untere Kanten in den Fufs der Wand fallen, da nur in diesem Falle der 
stärkste Druck eintritt. 

Die Höhe der Wand bis zur Oberfläche der Schüttung sei h, die 
Breite d, das Gewicht der Raumeinheit der Schüttung y und der Winkel, 
den die Bruchebene gegen die lothrechte Wand bildet $, alsdann ist das 


(rewicht des gelösten Prismas 
Irby.tgto 


Wenn aufserdem der Reibungs-Coefficient der Schüttung CotgY genannt 
wird, so ist der Druck, mit welchem das Prisma herabzugleiten strebt, 


Der gegen die Wand ausgeübte Horizontal-Druck, dem der nöthige 
Widerstand entgegengesetzt werden mufs, würde in einfachster Weise sich 
hieraus ergeben, wenn man diesen Ausdruck mit Sin 9 multiplieirte. Cou- 
lomb wählt dafür aber einen andern Weg. Den sesuchten Horizontal- 
Druck zerlegt er in eine Kraft parallel zur Bruchebene und in eine normal 
gegen diese, er nimmt an, dafs letztere aufs Nene eine gewisse Reibung 
veranlafst, die er von der ersten Kraft abzieht, während er den Rest dem 
schräge abwärts gerichteten Drucke des Prismas gleich setzt. Dieses Ver- 
fahren würde sich ungefähr rechtfertigen, wenn man die Kraft suchte, 
welche das gelöste Prisma auf der Bruchebene aufwärts zu schieben im 
Stande wäre, aber auch in diesem Falle dürfte man die Reibung nicht 
zweimal in Rechnung stellen. 

Nach vorstehender Auffassung findet man den gesuchten Hori- 
zontal - Druck 

H=!bh’y.tet (d—9) tst ® 


Der Winkel X, der die Reibung bezeichnet, läfst sich durch einen leicht 
anzustellenden Versuch bestimmen, man schütte nämlich den Sand oder 
die sonst benutzte Erdart auf und bemühe sich, ihr die möglichst steilste 
Böschung zu geben. Diese steilste Böschung, gegen das Loth gemessen, 
ist der Winkel &, weil für sie das Gleichgewicht zwischen dem schräge 


abwärts gerichteten Druck und der Reibung eintritt. 


Seitendruck der Erde. 3 


Der Winkel $ bestimmt sich aber dadurch, dafs H ein Maximum 
sein muls. Wenn nämlich die Wand stabil genug ist, um dasjenige Prisma 
zurückzuhalten, welches den stärksten Horizontal-Druck ausübt, so wird 
sie auch allen übrigen den nöthigen Widerstand leisten. Dieser Druck 
wird aber am grölsten, wenn die Bruch-Ebene sich unter dem Winkel 
P—=4\ bildet. 

Gegen die vorstehende Behandlung der Aufgabe läfst sich zunächst 
das Bedenken anregen, ob die Trennung wirklich in einer Ebene er- 
folst. Coulomb war hierüber schon zweifelhaft, erklärte aber, es sei 
ıhm nicht geglückt, den Beweis dafür zu geben. Prony stellte bei seiner 
Untersuchung einen solchen Beweis in Aussicht, doch hat er, soviel mir 
bekannt, denselben nicht geliefert. Meines Erachtens rechtfertigt sich die 
Voraussetzung, dafs beim Eintritt der ersten Bewegung, auf welche es 
hier allein ankommt, da nur sie den Druck bedingt, ein in sich zusammen- 
hängender Theil der Masse sich trennen wird. Sollte dieser schon im 
ersten Momente der Bewegung in Unterabtheilungen zerfallen, so würde 
dadurch die Reibung vermehrt oder der Druck gegen die Wand vermin- 
dert werden. Der stärkste Druck bildet sich also nur, wenn die gelöste 
Masse im Zusammenhange bleibt, und da diese in allen Theilen der Tren- 
nungsfläche Unterstützung finden mufs, weil jene Bedingung sonst nicht 
erfüllt würde, so ergiebt sich, dafs die Trennung nur in einer Ebene oder 
in einer eylindrischen Fläche erfolgen kann. Die Entscheidung zwischen 
beiden ist aber wesentlich durch die Art der Befestigung der auswei- 
chenden Wand bedingt. Nimmt diese beim Vorrücken eine geneigte Stel- 
lung an, oder dreht sie sich um eine horizontale Achse, so mufs die ge- 
löste Sandmasse in den verschiedenen Höhen verschiedene Bewegungen 
machen und dieses ist nur beim Herabgleiten von cylindrischen Flächen 
möglich. Entfernt sich dagegen die Wand, ohne ihre Neigung zu ver- 
ändern, so verschwindet diese Ungleichmäfsigkeit und die Trennung ge- 
schieht in einer Ebene. Man darf auch annehmen, dafs im letzten Falle 
die Trennung leichter, als im ersten erfolgt, weil dabei die Neigung und 
sonach auch die Reibung überall dieselbe bleibt, während im ersten Falle 
ein Theil der Masse sich nur in Folge des Impulses, den er von einem 
andern erhält, sich über eine flachere Dossirung fortschieben mülste. Ob- 
wohl unter diesem Gesichtspunkte die Trennung in eylindrischen Flächen 

1* 


4 HAGEN: 


möglich bleibt und auch wahrscheinlich eintritt, sobald die Wand sich 
überneigt, oder auch die Schüttung in mäfsiger Entfernung von der Wand 
partiell stark belastet ist, so ergiebt sich hieraus dennoch, dafs der stärkste 
Seitendruck bei der Trennung in einer Ebene erfolgt, und man sonach in 
der Bestimmung der nöthigen Stabilität der Wand sicher geht, wenn man 
diese voraussetzt. 

Wichtiger ist das andere bereits erwähnte Bedenken, welches sich 
auf die Herleitung des Horizontal-Druckes aus dem schräge abwärts ge- 
richteten bezieht. Unbedingt ist es wohl unstatthaft, aufser der Reibung, 
die das herabgleitende Prisma erfährt, noch vorauszusetzen, dals der ge- 
suchte Horizontaldruck durch eine zweite Reibung in seiner Wirksamkeit 
geschwächt wird. Was aber die Zerlegung des schräge abwärts gerich- 
teten Druckes betrifft, so ist die Richtung der zweiten Kraft, die in Ver- 
bindung mit dem Horizontaldruck das Gleichgewicht darstellen soll, so 
zu wählen, dafs letzterer dadurch nicht verstärkt wird. Dieses mülste 
freilich geschehen, wenn in lothrechter Richtung keine genügende Unter- 
stützung sich finden liefse. Hier ist eme solche aber vollständig vor- 
handen, indem die Schüttung dieselbe bildet, die überall sicher aufliegt. 
Es ist daher kein Grund vorhanden, die zweite Kraft normal gegen die 
Bruchebene zu richten, wobei sie dem gesuchten Horizontaldruck ent- 
gegenwirken und für ihn einen gröfsern Werth bedingen würde, als zur 
Darstellung des Gleichgewichts nöthig wäre. Wenn P den schrägen Druck 
und // den horizontalen bezeichnet, so genügt für den Zustand der Ruhe 


HZ Pr SnG 
wogegen Coulomb annimmt 


met: 

Sin ® 
Aus Vorstehendem ergiebt sich also in beiden Beziehungen für 4 
ein bedeutend gröfserer Werth, als das Gleichgewicht erfordert und es 
muls befremden, dafs diese unrichtige Auffassung nahe ein volles Jahr- 
hundert hindurch als richtig angesehen ist. Ein Zweifel dagegen wurde 
freilich schon im Jahre 1794 durch Woltman angeregt. Als derselbe 
sich mit dieser Aufgabe beschäftigte, fragte er seinen Lehrer Kästner in 
Göttingen, in welcher Weise wohl in diesem Falle die Kräfte zerlegt werden 


Seitendruck der Erde. > 


mülsten. Kästner sprach sich unbedingt für die Form H = P. Sin 
aus, und liefs durch Brandes hiernach die Rechnung ausführen. Woltman 
nahm indessen Anstand, der von Coulomb gegebenen Herleitung, der 
sich auch bereits Prony angeschlossen hatte, entgegenzutreten und bat 
daher noch seinen Freund, den bekannten Niederländischen Ingenieur 
Ö. L. Brünings um dessen Urtheil. Dieser antwortete, dafs Coulomb 
unbedingt Recht habe, und es sei unbegreiflich, wie „der verehrungs- 
würdige Kästner ein Resultat nicht anerkenne, welches in allen stati- 
schen Theorien von Archimedes bis zu de la Grange seine Begrün- 
dung fände.“ 

Woltman versuchte nun durch Messung des Seitendrucks, wel- 
chen Sand, Erde und Getreide ausüben, die Entscheidung herbeizuführen, 
doch auch dieser Weg blieb erfolglos, weil die Resultate der Beobach- 
tungen sowol gegen beide Theorien, also auch unter sich zu grolse Ab- 
weichungen zeigten, doch schlossen sie sich etwas besser an Kästner’s, 
als an Coulomb’s Theorie an. 

Verschiedentlich hat man seitdem in gröfserem Maalsstabe Beob- 
achtungen dieser Art angestellt und m ihnen anscheinend Coulomb’s 
Theorie sehr befriedigend bestätigt gefunden. Abgesehen von manchen 
willkürlichen Auslassungen, wodurch diese Übereinstimmung dargestellt 
wurde, und die sich namentlich in den Wiener Beobachtungen nachweisen 
lassen, liegt der Grund dafür darin, dafs bei höheren oder auch bei an- 
gestampften Schüttungen ein sehr bedeutender Seitendruck aus der 
Compression des Bodens entsteht. Die lockere Masse behält ihre 
ursprüngliche Ablagerung nicht bei, sondern die einzelnen Körnchen drän- 
gen sich unter der stärkeren Belastung, und namentlich wenn Erschütte- 
rungen stattfinden, fester gegen einander und veranlassen hierdurch einen 
sehr starken Seitendruck, den die in Rede stehende Theorie gar nicht 
berücksichtigt. In der so comprimirten Masse tritt sogar eine stärkere 
Reibung ein, der Seitendruck sollte also geringer werden, während er in 
Wirklichkeit sich in hohem Grade vergröfsert, wie ich dieses aus meinen 
Beobachtungen nachweisen werde. Hierin liegt die Erklärung, weshalb 
die Theorie von Coulomb, die für lose Schüttungen einen zu grolsen 
Seitendruck ergiebt, sich an die Beobachtungen mit comprimirten Schüt- 
tungen besser anschliefst, als die richtige Zerlegung der Kräfte, wobei 


6 HAGEN: 


gleichfalls auf die Compression nicht Rücksicht genommen wird. Eine 
Vervollständigung in dieser Beziehung würde für die Technik gewils nütz- 
lich, aber insofern auch sehr schwierig sein, als ein Maafls für die Com- 
pression sich kaum bezeichnen läfst. Die Vergröfserung des specifischen 
(Gewichtes entspricht nicht entfernt der Verstärkung des Seitendruckes. 
Aufserdem würde auch der Erfolg für jede Erdart und für jeden ver- 
schiedenen Wassergehalt in derselben ein anderer sein. Zur Zeit fehlt es 
hierüber noch vollständig an Erfahrungen, doch gewils ist es von Nutzen, 
in solehen eomplieirten Erscheinungen die einzelnen Umstände, die darauf 
!influls haben, von einander zu trennen, und in diesem Sinne habe ich 
die Beobachtungen in der Art anzustellen mich bemüht, dafs darin nur 
diejenigen Kräfte wirksam sind, welche die vorliegenden Theorien berück- 
sichtigen. 

Ich mufs zunächst erwähnen, dafs, wenn man die schon oben er- 
wähnte richtige Zerlegung der Kräfte wählt, und den Horizontaldruck 


H=P.Sin 


oder 
Sin p.tetp. Sin (db —p) 


Sin’ 


H=!bh’y 


setzt, dafs alsdann die Bedingungs-Gleichung für den gröfsten Werth 
von MH sich nicht so einfach, wie im ersten Falle, herausstellt. Die Be- 
dingung 

0 [Sin 9 .tgt $ . Sn P —p)] = 0 
führt nämlich zu einer Gleichung dritten Grades 

0=tatp’ +3. —2.tgtV 
woraus sich ergiebt 

3 3, 
tst ® = Ytgt (45°+ 4 V) — Y Cotg (45° +4) 

Indem man den Winkel W durch directe Messung, wie bereits erwähnt 
worden, finden kann, und daraus $ zu berechnen ist, so hat der Factor 


Sinp.tstp.SinY—d) __ N 
Sin’ Zu: 
für jedes W einen bestimmten Werth. Ich habe diese Werthe A für 


die verschiedenen Y von 0 bis 90° berechnet und in jenem Aufsatze in 


Seitendruck der Erde. 7 


Poggendorff’s Annalen mitgetheilt. Mit Benutzung dieser Tabelle ist 
die Ermittelung des Horizontaldruckes nicht mühsamer als nach Cou- 
lomb’s Methode. 

Indem ich nunmehr zu den von mir angestellten Versuchen über- 
gehe, bemerke ich zunächst, dafs ich zu den Schüttungen feinen Kies 
benutzte, wie die Ostsee solchen an manchen Stellen der Pommerschen 
Küste sehr rein und gleichmäfsig auswirft. Nachdem durch Sieben sowol 
die gröberen, wie die feineren Körnchen daraus entfernt waren, fanden 
auf 1 Zoll Länge nach mehrfachen Messungen 15 derselben Platz, wenn 
sie sich unmittelbar berührten. Der Durchmesser jedes einzelnen beträgt 
also 0,8 Linien. Sie bestanden grofsentheils aus reinem (Quarz und waren 
mehr oder weniger abgerundet, während einzelne auch scharfe Kanten 
und Ecken hatten. Bei möglichst vorsichtiger Schüttung, wie solche bei 
den Versuchen jedesmal ausgeführt wurde, wog der Gubikzoll 1,944 Loth. 
Das specifische Gewicht der Körner fand ich aber gleich 2,626. Es er- 
siebt sich hieraus, dafs die Zwischenräume zwischen den Körnern mehr 
als den dritten Theil des ganzen Raumes einnahmen. 

Um die gegenseitige Reibung der Masse zu bestimmen, mafs ich 
wiederholentlich die steilste Böschung, welche sich bei freier Schüttung 
darstellen liefs. Dieselbe betrug gegen das Loth 54°. Dieses war also die 
Gröfse des Winkels X, und hieraus ergab sich der Reibungs-Coefficient 


Cotg Y = 0,7265 


Die Schüttungen mufsten bei jedem Versuche mit gröfster Vorsicht 
ausgeführt werden, um jedesmal eine gleiche Dichtigkeit der Ablagerung 
und zwar eine möglichst lockere darzustellen, wobei also durch das Zu- 
sammendrängen der Körnchen nicht schon ein merklicher Seitendruck ver- 
anlafst wird. Beim freien Einschütten des Kieses war es unmöglich, über- 
einstimmende Resultate zu erhalten, wenn dieselbe Messung wiederholt 
wurde. Als ich dagegen mit einem kleinen Becher, aus welchem der 
Kies nur etwa 1 Zoll tief herabflofs, den Kasten füllte, war der beob- 
achtete Seitendruck merklich geringer und die Übereinstimmung besser. 
Dabei war jedoch augenscheinlich noch nicht die lockerste Ablagerung 
erreicht, diese liefs sich nur darstellen, wenn die Kieskörnchen einzeln 
und zwar aus sehr geringer Höhe herabfielen. Zu diesem Zweck benutzte 


8 Hasen: 


ich einen Trichter, dessen Ausflufsöffnung 24 Linien im Durchmesser hielt. 
Durch diese trat continuirlich ein feiner Kiesstrahl aus, doch traf der- 
selbe nicht unmittelbar die bereits dargestellte Schüttung, vielmehr eme 
Scheibe von 7 Linien Durchmesser, die mittelst dreier feinen Drähte 
4 Linien tief unter dem Triehter schwebte. Indem der Strahl auf diese 
fiel, vertheilten sich die Körnchen nach allen Seiten und sprangen einzeln 
herab. Indem aber der Trichter stets so niedrig gehalten wurde, dafs 
die Scheibe nur etwa einen halben Zoll von der jedesmaligen Oberfläche 
der Schüttung entfernt war, so wurde der Stofs, den die einzelnen Körn- 
chen ausübten, so geringe, dafs sie die bereits erfolgte Ablagerung nicht 
weiter affıeirten. Dafs die Schüttung immer möglichst horizontal gehalten 
wurde, um das Abstürzen steilerer Böschungen zu vermeiden, darf kaum 
erwähnt werden, ich überzeugte mich aber auch bald, dafs selbst das 
schliefsliche Ausebnen der Oberfläche durch Abstreichen schon eine merk- 
liche Compression veranlafste, und daher unterbleiben mufste. Die Schüt- 
tung mit dem Trichter durfte daher nur so weit fortgesetzt werden, dafs 
sie noch überall unter den Rändern des Kastens blieb. Alsdann wurde 
über die letzteren ein Lineal gehalten und der dazwischen befindliche 
Raum durch sehr geringe Quantitäten Kies mittelst eines kleinen un- 
mittelbar darüber gehaltenen Löffels ausgefüllt und in dieser Weise die 
oanze Oberfläche in der angemessenen Höhe ungefähr ausgeebnet. In 
grolser Schärfe war dieses unmöglich, aber die dabei noch bleibenden 
Abweichungen von etwa 1 Linie Höhe waren vergleichungsweise gegen die 
sonstigen unvermeidlichen Beobachtungsfehler ohne Bedeutung. Es mag 
erwähnt werden, dals der Seitendruck solcher mit aller Vorsicht darge- 
stellten Schüttungen sich durchschnittlich um den dritten Theil geringer 
herausstellte, als früher beobachtet war, während der Kies noch mit 
Bechern eingefüllt und in der Oberfläche abgestrichen wurde. Die Beob- 
achtungen ergaben sogar schon eine merkliche Zunahme des Seitendruckes, 
wenn die Scheibe unter dem Trichter zufällig den Kies berührt hatte. 
Es wurde daher die Schüttung sogleich unterbrochen und beseitigt, wenn 
irgend eine Berührung oder Erschütterung vorgekommen war. 

Woltman hatte die bewegliche Wand an eine horizontale Achse 
befestigt, um welche sie sich drehte, sobald sie durch den Druck der 
Erde zurückgedrängt wurde, da aber, wie bereits erwähnt, in diesem 


Seitendruck der Erde. 9 


Falle das Prisma über eine Bruchfläche nicht herabgleiten kann, ohne 
sich in verschiedene Theile aufzulösen, so stellte ich die Wand auf einen 
leichten Wagen. Ein starker Seidenfaden drückte sie vermöge des ange- 
hängten Gewichtes gegen den Kasten, und indem dieses Gewicht sich 
nach und nach verminderte, so trat endlich der Moment ein, in welchem 
es dem Seitendrucke nicht mehr das Gleichgewicht hielt und der Wagen 
zurückwich. 

Der Druck bestimmte sich durch das alsdann anhängende Gewicht, 
doch mufste dabei noch die Reibung des Wagens berücksichtigt werden. 
Der Faden, der über zwei feste Rollen geführt war, liefs sich sowol mit 
der vorderen, wie mit der hinteren Seite des Wagens verbinden, und so- 
nach liels sich auch mittelst angehängter Gewichte, während die beweg- 
liche Wand dem Druck der Schüttung nicht ausgesetzt war, die Reibung 
des Wagens sowol in der einen, wie in der andern Richtung bestimmen, 
und wenn beide nicht gleich waren, so wurde die Platte, auf welcher 
der Wagen stand, mittelst einer Schraube an einem Ende so lange ge- 
hoben oder gesenkt, bis die Reibung in beiden Richtungen gleichen Werth 
annahm. In dieser Weise fand ich die Reibung gleich 0,47 Loth, und 
zwar konnte ich keine Vergröfserung derselben bemerken, wenn ich auch 
den Wagen etwas und zwar bis nahe mit 1 Pfund belastete. 

Zur Ermittelung dieser Reibung war an den Faden ein leichtes 
(refäfs aus Papier gehängt, in welches ich einen Strahl sehr feinen, trocke- 
nen Sandes einfliefsen liefs. Letzterer fiel aus einem Trichter herab, dessen 
Ausfluls- Öffnung 4 Linie im Durchmesser hielt. Der Strahl, der durch 
dieselbe ausflofs, gab in der Seeunde 0,01 Loth, das Gewicht vergröfserte 
sich also so langsam, dafs es sich sehr genau bestimmen liefs, indem der 
Triehter fortgezogen wurde, sobald der Wagen in Bewegung kam. 

Die Schüttung, deren Seitendruck gemessen wurde, befand sieh in 
einem hölzernen Kasten, dessen eine Seite die bewegliche Wand bildete. 
Dieselbe liefs sich scharf schliefsend gegen beide Seitenwände stellen, in- 
dem der Wagen nicht auf einer Bahn, sondern frei auf der Bodenplatte 
stand. Er wurde während der Füllung des Kastens und bis zum Beginn 
der Beobachtung durch eine Schraube gehalten. Die freie Öffnung des 
Kastens war ungefähr 94 Zoll breit und 43 Zoll hoch. 


Math. Kl. 1871. 9 


10 HAGEN: 


Es ist bereits erwähnt, dafs der Seitendruck der Kies-Schüttung 
dureh die Spannung eines Fadens gemessen wurde, der die bewegliche 
Wand mit dem Wagen gegen den Kasten drückte. Dieser Faden bestand 
aus ecordonnirter Seide und war so leieht, dafs 10 Fufs desselben nur 
0,04 Loth wogen, während er mit Sicherheit 5 Pfund tragen konnte. Sein 
Gewicht durfte daher gar nicht berücksichtigt werdeu. Derselbe trug am 
[reien Ende eine Messing-Scheibe, worauf die gröfsern Gewichte gestellt 
wurden, die jedoch um einige Lothe geringer waren, als der jedesmalige 
Seitendruck. An der untern Fläche der Scheibe befand sich eine Öse 
und hieran wurde ein Triehter gehängt, dessen Mündung 1 Linie im 
Durchmesser hielt. Indem dieser Trichter vor dem Lösen der Schraube 
mit feinem Sande gefüllt wurde, so flofs letzterer ohne irgend eine Er- 
sehütterung zu veranlassen, ab, und zwar ergaben wiederholte Messun- 
ven, dafs in 2 Minuten 3,43 Loth, also in der Secunde nahe 0,03 Loth 
austraten. 

Indem es nur darauf ankam, die erste Bewegung des Wagens zu 
beobachten, so entfernte ich die Schraube jedesmal nur um 14; Linien, 
oder beschränkte auf diesen kurzen Weg die Bewegung des Wagens, so- 
bald aber diese Bewegung eintrat, zog ich mittelst eines Fadens einen 
kleinen Kasten unter den Triehter, der nunmehr den noch weiter aus- 
Hiefsenden Sand aufnahm. Der hier aufgefangene Sand im Verbindung 
mit den aufgestellten Gewichten, sowie mit dem Gewichte der Scheibe 
und des Trichters und der erwähnten Reibung ergab sonach den Seiten- 
druck, den die Schüttung ausgeübt hatte. 

Die Bewegung des Wagens mit der Wand trat indessen so langsam 
ein, dals der Beeinn derselben sich nicht scharf beobachten liels, der 
Druck der Schüttung war also wirklich etwas gröfser, als jene Gewichte. 
Unter Berücksichtigung der in Bewegung gesetzten Massen, der Reibung 
und der Verminderung des Gewichtes ergab sich, dals der Wagen 6,3 Se- 
eunden nach dem Beginn seiner Bewegung den Weg von 14 Linien zurück- 
gelest hatte, es wurden daher jenen Gewichten noch 0,18 Loth zugesetzt. 

Der mit diesem Apparate gemessene Seitendruck der Schüttung ist 
noch von der Reibung derselben gegen die festen Seitenwände abhängig. 
Man hat bei allen Messungen dieser Art hierauf nicht Rücksicht genom- 


men, auch bei den in Osterreich angestellten Beobachtungen ist dieses nicht 


Seitendruck der Erde. 11 


geschehen, wiewohl nach den Zeichnungen, die Martony de Köszegh 
mittheilt, neben den Seitenwänden meist gröfsere Massen zurückgeblieben 
waren, woraus sich also augenscheinlich ergab, dafs an beiden Enden 
das abbrechende Prisma sich nicht in seiner vollständigen Ausdehnung 
löste. Um den Einflufs dieser Reibung aus den Messungen mit Sicher- 
heit herleiten und darnach das Resultat berichtigen zu können, wurden 
Zwischenwände vorbereitet, durch welche ich der Schüttung verschiedene 
Längen geben und dieselbe von 94 auf 6% und 44 Zoll reduciren konnte. 
Aufserdem wurden die Beobachtungen noch insofern verändert, als ich 
in den Kasten noch einen Zwischenboden einleste und die Höhe der 
Schüttung von 43 auf 34, Zoll verminderte. 

Es bleibt fraglich, ob die Schüttung auch gegen die bewegliche 
Wand eine gewisse Reibung ausübt, oder ob solche nicht eintritt. Cou- 
lomb, sowie auch Prony und Eytelwein, haben das Letzte voraus- 
gesetzt, dagegen hat man in neuerer Zeit die Theorie wesentlich dadurch 
zu verbessern gemeint, dafs man diese Reibung berücksichtigte. Gewils 
bleibt es schwierig, sie mit ihrem richtigen Werthe einzuführen, da der 
Sand, sobald die Bewegung eintritt, nicht parallel zur Wand fortrückt. 
Wenn die Schüttung sackt oder angestampft wird, so stützt sie sich 
sewils nicht nur horizontal, sondern auch vertikal gegen die Wand, ein 
Theil ihres Gewichtes überträgt sich daher auf diese, und ohne Zweifel 
tritt alsdann die Reibung ein. Wenn dagegen, wie in meinen Beobach- 
tungen, die Kieskörnchen beim sanften Herabfallen sich nur in horizon- 
taler Richtung gegen die Wand lehnen, so ist wohl nicht anzunehmen, 
dafs das horizontale Fortschieben der Wand, womit die Bewegung beginnt, 
durch Reibung gegen diese Wand gehemmt werden sollte. 

Nachdem eine grofse Anzahl von Beobachtungen gemacht war, die 
nur dazu dienten, die Methode nach und nach zu verbessern und eine 
sröfsere Übereinstimmung der Resultate herbeizuführen, wurden schliefs- 
lich die folgenden Messungen gemacht. 5 bedeutet die Breite, h die Höhe 
der Schüttung, G@ die Summe der auf die Scheibe gestellten Gewichte 
mit Einschlufs des aufgefangenen Sandes und D das arithmetische Mittel 
aus den je drei Gewichten mit Einschlufs der vorerwähnten sonstigen 
Üorrectionen. 


y% 


p 


12 Hagen: 


BLEI. am tue | Bemerkungen 
4,667 9,335 


9299 


23,58 
28,17 
4,667 | 6,675 | 14,32 | 19,20 
14,61 
15,78 
4,667 |4,117 | 5,72 |10,6: 
5,6! 
5,61 
3,500 | 9,333 | 10,69 | 15,32 
10,16 
10,22 
3.500 | 6,675 | 6,40 | 10,99 
5,78 


5,92 


3,500 | 4,117 5,82 6,02 | bei dieser letzten Mes- 


5,55 sung mulste die Scheibe 


5,32 beseitigt werden. 
Dürfte man voraussetzen, dals die Seitenwände keinen Einfluls auf 
den Druck der Schüttung ausüben, so würden die beobachteten Pressun- 
sen D den Breiten b proportional sein. Dieses ist indessen nicht der 
all. Man kann aber mit Sicherheit annehmen, dals bei gleicher Höhe 
der Schüttung jener Binflufs der Seitenwände bei allen Breiten d derselbe 
bleibt. KHliernach rechtfertigt sich der Ausdruck 
D — Dr —s 


wo r den Druck auf die Breite von 1 Zoll und zwar unabhängig 


gig von der 
Wirkung der Seitenwände bezeichnet. Aus den drei ersten Beobachtungen 
ergeben sich die wahrscheinlichsten Werthe 


3,3792 


Y 


und S==.8,3012 
Führt man dieselben in die vorstehende Formel ein, so findet man die 


Pressungen D gleich 
28,24 ... 19,25 ... und 10,61 


Seitendruck der Erde. 13 


Die wahrscheinlichen Fehler sind 


für D gleich 0,0416 
für r gleich 0,0112 
für s gleich 0,0793 


Aus den drei letzten Beobachtungen findet man dagegen die wahrschein- 
lichsten Werthe 
r = 1,1835 
und 
s = 1,1871 
Hieraus ergeben sich die betreffenden D gleich 
15,45 2.107200 , und. 615 


und die wahrscheinlichen Fehler 

für D gleich 0,2203 

für r gleich 0,0597 

für s gleich 0,4203 
Die letzten Beobachtungen sind sonach auffallend weniger genau, als 
die ersten, was vielleicht davon herrührt, dafs der Zwischenboden etwas 
nachgab. 

Zunächst kommt es auf die Untersuchung der Constante 7 an. 

Vergleicht man die beiden vorstehenden Werthe derselben, so bemerkt 
man, dafs sie nahe den @Quadraten der Höhen Ah proportional sind. Die 


r CP : N - ö 
Gröfse ; ist also constant und bezeichnet den Druck, den eine Schüttung 
t 


von 1 Zoll Breite und 1 Zoll Höhe auf die bewegliche Wand ausübt. Da 
indessen der wahrscheinliche Fehler der zweiten Bestimmung ungefähr 5mal 
so grols, als der der ersten ist, so gebe ich der ersten das dreifache Gewicht 


der andern und finde 


Aus den Beobachtungen bestätigt sich aber auch die Annahme, dals, ab- 
sesehen von der Einwirkung der Seitenwände, der Druck dem Produete bh? 
ie} Do ’ 

proportional ist. Für das zur Schüttung benutzte Material ist sonach der 


gesuchte Druck gleich 
0,15275 . bh? 


14 Haıern: 


Vergleicht man dieses Resultat mit dem der obigen Herleitung 


D— 1, inp Beatake Bin Ge) 
a 


Sin 
=4y.bh’.A 
indem man für y den durch direete Messung gefundenen Werth 1,944 Loth 
einführt, so ergiebt sich 
A = 0,1640 
Nach der von mir berechneten Tabelle ist für 


w=5°... 8 =a9 532... A —10,14938 


V = 53° $ = 36° 43}8 A == 0,15655 
L = 54° $ = 37° 29,5 A = 0,16399 
558 $ = 38° 15/6 A = 0,17171 


Aus vorstehendem Werthe von A ergiebt sich also 
P = 36° 47,6 
und 
V = 53° 51 
Die direete Messung des Reibungswinkels hatte ergeben 


V = 54° 


Die Differenz beträgt also nahe 1 Grad, doch darf nicht unbeachtet blei- 
ben, dals die direete Messung niemals mit grolser Schärfe ausgeführt wer- 
den kann, auch in der freien Oberfläche durch die wiederholte Aufbrin- 
sung kleiner Massen eine vollständigere Ausebnung, als im Innern der 
Schüttung erfolgt und sonach die Reibung geringer oder der Winkel X 
oröfser gefunden wird, als er in der Bruchebene wirklich ıst. Hiernach 


dürfte die Übereinstimmung als befriedigend angesehen werden. 
Vergleicht man dagegen das Resultat der Messung mit Coulomb’s 


Aullassung, wonach 
D—=4ybh’tgt4Y? 
so ergiebt sich 
YV —= 42° 14,9 
oder 11:5; Grade kleiner, als nach der direeten Messung. 
Auch der Winkel 9, unter dem der Bruch erfolgt, bietet Gelegen- 
heit zur Vergleichung beider Auflassungen. Obwohl bei dem beschriebe- 


nen Verfahren die Trennung der Oberfläche sich nicht deutlich erkennen 
oO 


Seitendruck der Erde. 15 


liefs, so stellte sich solche doch schärfer dar, wenn die bewegliche Wand 
plötzlich etwas zurückgeschoben wurde. In dieser Art ergab sich $ 
gleich 38 Grad, also um 14 Grad von dem Resultate der Rechnung ver- 
schieden, während nach Coulomb’s Theorie der Winkel um 164 Grad 
kleiner gewesen wäre. 

Die zweite Constante s bezeichnet augenscheinlich die Reibung, 
welche an beiden Enden des sich ablösenden Prismas gegen die festen 
Seitenwände stattfindet. Die Reibung von jeder Seite ist also gleich %s, 
und diese berechnet sich aus dem Druck, den die Schüttung gegen die 
Wand ausübt, da jedoch wegen der schrägen Richtung der Bruchebene 
die Höhen verschieden sind, so mufs man die Pressungen berücksichtigen, 
welche unendlich schmale Vertikalschichten ausüben. Bezeichnet f den 
Reibungs-Üoefficient des Kieses gegen die Wand, so hat man 


ls == EV h tgt { A h her 


Vergleicht man die beiden für die verschiedenen A gefundenen Werthe 
von s mit einander, so bemerkt man, dafs sie annähernd den dritten Po- 
tenzen von Ah proportional sind, wie dieses auch der vorstehende Aus- 
druck fordert. Der wahrscheinliche Fehler der zweiten Bestimmung ist 
an sich so grofs, dafs die Abweichung nicht befremden kann. Aus den 
drei ersten Beobachtungen ergiebt sich f == 0,4086, aus den letzten da- 
gegen f = 0,3483, also ist die Reibung des Kieses gegen die ziemlich 
ebene Wand viel geringer, als im Innern des Kieses. 

Aulser den erwähnten Beobachtungen stellte ich mit demselben 
Apparat noch eine andere Reihe Messungen an, die sich von jenen 
dadurch unterschieden, dafs die Schüttung nicht horizontal abgeglichen 
war, vielmehr von der Wand ab unter dem Winkel von 25 Graden gegen 
den Horizont anstieg. Durch Einfügen von Zwischenwänden liefsen sich 
auch hierbei die Breiten verändern, doch mufs ich bemerken, dafs diese 
Versuche unter einander weniger übereinstimmten, als die frühern, was 
vielleicht davon herrührte, dafs auf der stark geneigten Oberfläche das 
Herabfallen kleinerer Kiesmassen sich nicht immer verhindern liefs, und 
diese geringe Bewegung schon eine festere Ablagerung veranlalste. 

Die Resultate waren, wenn die frühere Bezeichnung beibehal- 
ten wird 


16 HAGEN: 


| h b G | D 

1. 14,667 |8,942 | 33,50 | 38,00 
32,57 

9. |4,667 | 6,333 | 19,39 | 23,68 
18,06 

3..|4,667 |3,833 | 6,08 | 11,07 
6,13 


Indem sich aus der ersten Beobachtungsreihe schon ergiebt, in 
welcher Weise die Gröfsen h und b in die beiden Glieder des Ausdrucks 
für D eintreten, so setze ich 


D=bh’.r—#.s 


wodurch 7 und s eine andere Bedeutung erhalten, als sie früher hatten. 
Es ergiebt sich daraus 
r = 0,24194 
und 
s — 0,09162 
Auch in diesem Falle trennt sich ein dreiseitiges Prisma und gleitet auf 
der Bruchebene herab, die unter dem noch unbekannten Winkel $ gegen 
das Loth geneigt ist. Wenn die Schüttung in ihrer Oberfläche unter dem 
Winkel $ gegen den Horizont ansteigt, so ist der Querschnitt des Prismas 
192 Cos >. Sin $ 
2 Cos(P +7) 
und man findet den Horizontal-Druck, den es gegen die bewegliche 
Wand ausübt, 
Cos S' Sin $p? . Sin (dv — P) 
Cos(p+°).Sin J 


D=}bh:y 


wobei, ebenso wie früher, der Reibungs-Coeffieient durch Cotg W aus- 
gedrückt ist. Setzt man den letzten Factor, der die trigonometrischen 
Funetionen enthält, gleich B, so hat man 


2 2 
D=!bh’y.B 
Unter allen Prismen übt dasjenige den stärksten Druck aus, für welches 


B ein Maximum ist, da aber Y und $ constant sind, so kommt es darauf 
an, dasjenige $ zu bestimmen, für welches 


Seitendruck der Erde. 17 


Sinp?.Sin(b —p) 
Cos (+7) 


den gröfsten Werth annimmt. Dieses geschieht, wenn 

2Cotg  — Otg Y—P)+t +9) = 0 
Der Winkel $ läfst sich hieraus nicht direct berechnen, wenn man aber 
dafür willkürliche Werthe einführt, so sind dieselben leicht zu berichtigen, 
und nach drei oder vier Proben gelingt es immer, diesen Winkel mit hin- 
reichender Genauigkeit zu bestimmen. In dieser Weise fand ich für 


. A sl. = 3803115, 258 BD 012199 


ap & = 39° 31,9 B = 0,2340 
UV = 53° & — 40° 34/2 B = 0,2498 
V = 54° 6, —- 41213816 B = 0,2670 


Der aus den Beobachtungen gefundene Werth r = 0,24194 ist nichts 

anders, als 4y. >, und hieraus ergiebt sich 

B = 0,2484 
woraus man nach vorstehender Tabelle findet 

52507 
und 

Dr 400 .98,7 
Der Winkel V stimmt bis auf 10 Minuten mit demjenigen überein, der 
aus den Beobachtungen mit horizontal abgeglichenen Schüttungen her- 
geleitet wurde, und ist nur um 65 Minuten kleiner, als die direete Mes- 
sung ergeben hatte. Wenn man dagegen in diesem Falle die Kräfte in 
der Art zerlegt, wie Coulomb gethan hat, und in gleicher Weise die 
Reibung zweimal einführt, so findet man Y gleich 47° 16,7, also nahe um 
7 Grade kleiner, als nach der direeten Messung. Dieser Winkel stimmt 
aber auch nicht mit demjenigen überein, der nach gleicher Methode aus 
den Beobachtungen mit horizontalen Schüttungen hergeleitet wurde, son- 
dern ist um 5 Grade gröfser. 

Beide Beobachtungsreihen schliefsen sich also nicht an die von 
Coulomb gewählte und allgemein als richtig angenommene Zerlegung 
der Kräfte an, wohl aber zeigen sie hinreichende Übereinstimmung mit 
derjenigen Auffassung, die zuerst Kästner empfohlen hatte. Das Experi- 
ment hat also gleichfalls für die letzte entschieden. 


Math. Kl. 1871. 


oo 


18 Hacken: 


Bisher war nur von dem Druck gegen vertikale Wände die Rede, 


man giebt den Wänden aber vielfach, und namentlich wenn es hölzerne 
sind, eine gewisse Neigung und zwar so, dals sie auf der innern Seite, 
oder der Schüttung zugekehrt, mehr oder weniger überhängen. Dieses 
geschieht, um den Erddruck zu vermindern, also um die Wand zu sichern. 
Es fragt sich, in wie weit diese Absicht hierdurch erreicht wird. 

Die Neigung der Wand gegen das Loth sei «, während die übrigen 
früher gewählten Bezeichnungen ihre Bedeutung behalten. Der Druck, 
den das abbrechende Prisma normal gegen die Wand ausübt, ist in 
diesem Falle y 

zei) 
2 Cos p. Cos«. Sin 
—= }bh’y.C 
Dieser Druck wird aber ein Maximum, sobald 
2 .tstW . Cos 9° — Sin 29 — tgt (P —a) — 0 

Aus nachstehender Tabelle ergiebt sich, wie sehr die schräge 
Stellung der Wand zur Verminderung des normal gegen sie gerichteten 
Druckes beiträgt. Dabei ist der Reibungswinkel, oder X gleich 53 Grade 
angenommen, weil diese Grölse sich sowol aus den vorstehenden Rech- 
nungen ergiebt, als auch aus manchen Erfahrungen, die an Steinschüttun- 
gen und zwar eben sowol über, wie unter Wasser gemacht sind. Es muls 
aber bemerkt werden, dals die vorliegende Aufgabe besonders beim Hafen- 
bau von grolser Bedeutung ist, wenn eine Steinschüttung, die den Hafen- 


damm bildet, von zwei Pfahlwänden eingeschlossen ist. 


6 
) (6 - 

[03 | d | A 
0° | 36° a3!s | 0,15655 | 1,00000 
5° | 38° 21,8 | 0,12251 | 0,78253 

10° | 399 56.5 | 0,09334 | 0,59620 


15° | 41° 28!1 | 0,06870 | 0,43882 
20° | 42° 57.9 | 0,04830 | 0,30852 
235° | 44° 26,6 | 0,03190 | 0,20378 
30° | 45° 55/2 | 0,01927 | 0,12311 
35° | 47° 23!6 | 0,01016 | 0,06491 
40° | 48° 53’6 | 0,00426 | 0,02718 
45° | 50° 25/7 | 0,00112 | 0,00713 
50° | 52° 0,9 | 0,00007 | 0,00043 


Seitendruck der Erde. 19 


Es ergiebt sich aus der letzten Spalte, dafs allerdings eine sehr 
bedeutende Verminderung des Drucks auf diesem Wege erreicht werden 
kann, wenn zum Beispiel die Wand nur in dem Verhältnifs von 1 zu 12 
geneigt ist, so vermindert sich der Normaldruck gegen dieselbe schon um 
den fünften Theil, und entspricht die Neigung dem Verhältnifs 1:4, was 
ohne Unbequemlichkeit in der Ausführung sich darstellen läfst, so redu- 
eirt sich der Druck schon auf weniger, als auf die Hälfte desjenigen 
Werthes, den er gegen eine vertikale Wand ausübt. 

Schliefslich mag noch eine Erscheinung erwähnt werden, die bei 
oberflächlicher Auffassung der Verhältnisse in hohem Grade überraschend 
ist, und bei Ausführungen im Grolsen vielfach sehr unangenehm sich zu 
erkennen gegeben hat. Wenn nämlich die Rückwand so nahe an der 
vordern oder der beweglichen Wand steht, dafs das dreiseitige Prisma des 
stärksten Druckes sich dazwischen nicht vollständig ausbilden kann, so 
bleibt dennoch der Druck auf die letztere beinahe ebenso grols, als wenn 
beide Wände viel weiter von einander entfernt wären. Nach meinen Beob- 
achtungen betrug der Druck der horizontal abgeglichenen Schüttung bei 
der Höhe von 4,667 Zoll und der Breite von 9,533 Zoll, während die 
Rückwand weit entfernt blieb 28,27 Loth. Sobald ich die beiden Wände 
aber einander bis auf 2,24 Zoll näherte, wobei schon ein bedeutender 
Theil des frühern Prismas fehlte, so blieb der gemessene Druck unver- 
ändert derselbe, er stellte sich sogar zufällig um einige Hunderttheile 
eines Lothes gröfser als früher dar. Verminderte ich die Entfernung der 
Wände auf 0,754 Zoll, so verminderte der Druck sich allerdings um einige 
Lothe, doch nicht entfernt in demselben Verhältnifs, wie das Gewicht des 
Prismas geringer wurde. Er betrug noch 25,19 Loth. Unter der gün- 
stigsten Annahme des Trennungswinkels ® konnte in diesem Falle der 
Seitendruck nur 13,50 Loth sein, falls das gelöste vierseitige Prisma 
noch ebenso, wie früher das dreiseitige, ohne weitere Formveränderung 
der ausweichenden Wand folgte. Diese Bedingung kann aber augenschein- 
lich nicht erfüllt werden, denn beim Abgleiten des Prismas würde zwi- 
schen diesem und der Rückwand ein leerer Raum bleiben, was bei dem 
vorausgesetzten Mangel an Zusammenhang in der Masse der Schüttung 
undenkbar ist. Sobald daher das ganze Prisma der ausweichenden Wand 
folgt, so löst sich davon gleichzeitig ein anderes Prisma ab, welches den 


DE; 
> 


90 Hasen: Seitendruck der Erde. 


Yo 


Horizontal-Druck gegen die Rückwand ausübt. Indem letztere aber als 
absolut fest gedacht wird, so ist die Wirkung dieses Druckes keine andere, 
als dafs die Schüttung von der Rückwand fortgedrängt, oder der Druck 
auf die bewegliche Wand verstärkt wird. Sollte die zweite Bruchebene 
noch nicht die freie Oberfläche der Schüttung, sondern wieder die beweg- 
liche Wand treffen, so löst sich ein drittes Prisma, welches aufs Neue 
diesen Druch verstärkt. In dieser Weise kann es geschehen, dafs die 
Bruchfläche vielfach ım Ziekzack von einer Wand zur andern übergeht, 
bis sie endlich die freie Oberfläche trifft. Der durch diese sämmtlichen 
Prismen veranlafste Druck stellt sich aber, wenn man von der vergrölser- 
ten Reibung gegen die Wände absieht, ebenso grols heraus, als wenn in 
einer weiteren Schüttung das dreiseitige Prisma sich vollständig ausge- 
bildet hätte. Dieser Auffassung liegt die Voraussetzung zum Grunde, dafs 
derselbe Theil der Schüttung in Bezug auf die verschiedenen Prismen, 
denen er angehört, auch ebenso viele verschiedene Pressungen ausüben 
soll. Diese Annahme widerspricht aber nicht den Gesetzen der Mechanik, 
insofern bei jeder dieser Wirkungen eine entsprechende Senkung des 
Schwerpunktes erfolgt. Aus diesem Grunde zeigt sich auch in dem Ver- 
halten der freien Oberfläche eine wesentliche Verschiedenheit von dem- 
jenigen bei breiteren Schüttungen. Während bei letzteren das geringe 
Ausweichen der Wand kaum die Senkung der Oberfläche bemerken liels, 
so sank dieselbe nunmehr um einige Linien herab, wie dieses mit Rück- 


sieht auf die räumlichen Verhältnisse auch nicht anders sein konnte. 


Uber das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des 
strömenden Wassers mit der Entfernung vom 
Boden sich vergröfsert. 


a 
Von 


H" HAGEN. 


[Gelesen in der Klassen-Sitzung am 27. November 1871.) 


I: einer früheren Untersuchung über die Bewegung des Wassers in 
Strömen (mathematische Abhandlungen der Königl. Akademie der Wissen- 
schaften 1868) hatte ich mich bereits bemüht, das Gesetz zu bezeichnen, 
nach welchem in derselben Lothlinie die Geschwindigkeit des Wassers 
von der Oberfläche nach dem Boden sich vermindert. Ich gelangte dabei 
zu einem Ausdruck, der zwar an die aus der Erfahrung hergeleiteten 
Bedingungen sich anschlofs, der jedoch nicht weiter begründet war. Bei 
näherer Untersuchung der Verhältnisse ergab sich aber, dafs dieser Aus- 
druck aus einem allgemein als richtig angenommenen Lehrsatz der ange- 
wandten Hydraulik sich erweisen läfst, auch dafs er durch die zuver- 
lässigsten bekannt gewordenen Geschwindigkeits-Messungen bestätigt wird. 
Die Kenntnils dieses Gesetzes ist für den Wasserbau von grofser Wich- 
tigkeit, da Projeete zu Strom-ÜÖorrectionen und Entsumpfungen von 
Niederungen sich nur aufstellen lassen, wenn man weils, welche Wasser- 
mengen die betreffenden Ströme und Flüsse bei verschiedenen Wasser- 
ständen abführen. Zu diesem Zweck pflegt man in mehreren Lothlinien 
desselben @Querprofils eine grolse Anzahl von Geschwindigkeiten unter 
einander zu messen, und aus diesen die mittlere jeder einzelnen Lothlinie 
zu berechnen, Bei der bekannten Tiefe der letzteren ergiebt sich alsdann 
die durch sie abgeführte Wassermenge. Dieses Verfahren würde sich 
wesentlich erleichtern, wenn das ın Rede stehende Gesetz bekannt wäre, 
und man unter Zugrundelesung desselben vielleicht aus einer einzigen 
Geschwindigkeits - Messung in bestimmter Tiefe die mittlere finden 


könnte. 


22 HaGen über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des 


Trägt man die Geschwindigkeiten und zugehörigen Tiefen als 
ÖOrdinaten und Abseissen auf, so stellen die äulseren Punkte der Ge- 
schwindigkeiten Curven dar, die man in der Technik Geschwindigkeits- 
Scalen nennt. Legt man dabei den Anfangspunkt der mit A bezeichneten 
Abseissen in den Fufspunkt des Perpendikels, also in die Sohle des Flufs- 
bettes, so darf man voraussetzen, dafs die Abnahme der Geschwindigkeit v 
in gröfserer Tiefe durch die Annäherung an die Sohle veranlalst wird, 
also im umgekehrten Verhältnifs zu einer noch unbekannten Potenz des 
Abstandes h steht. Man hat alsdann 

dv k 


dh m 


wo %k einen oleichfalls unbekannten constanten Factor bezeichnet. Ich 
war zu dem Resnltat gelangt, dafs die verschiedenen maafsgebenden Be- 
dingungen am einfachsten erfüllt werden, wenn x = 4 gesetzt wird. 
Hieraus ergiebt sich, dafs die Geschwindigkeits-Scale eine gewöhnliche Pa- 
rabel ist, deren Axe jedoch nicht in diejenige Lothlinie zu fallen braucht, 
von welcher ab die Geschwindigkeiten aufgetragen sind. Die in der Höhe % 


über dem Boden gemessene Geschwindigkeit » wäre also 
v—=C-+yp.yh 


wenn ( die Geschwindigkeit an der Sohle des Flufsbettes und 2p den 
Parameter der Parabel bezeichnet. 

Dieser Ausdruck lälst sich indessen, wie erwähnt, auch aus dem 
bekannten Gesetz über die gleichförmige Bewegung des Wassers in Strö- 
men herleiten, wonach bei gleichem relativen Gefälle, wie solches unbe- 
dinet in allen Tiefen jedes einzelnen Querprofiles und jeder einzelnen 
Lothlinie in demselben stets stattfindet, die mittlere Geschwindigkeit der 
(Juadratwurzel aus der mittleren Tiefe des Flufsbettes an der untersuchten 
Stelle proportional ist. Dieses Gesetz ist seit seiner ersten Aufstellung 
durch den Oldenburgschen Hydroteeten Brahms vor 120 Jahren immer 
als richtig angesehn, bis vor Kurzem ein französischer Ingenieur es dahin 
abzuändern versuchte, dafs er statt der Quadratwurzel die Oubikwurzel 
einführte. Ich habe indessen bereits anderweitig nachgewiesen, dafs 


selbst die zur Begründung dieser neuen Theorie benutzten Beobachtungen 


>) 


er 


bei Vergleichung der Summen der Quadrate der übrig bleibenden Fehler 


strömenden Wassers mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert. 23 


sich besser an denjenigen Ausdruck anschliefsen, der die Quadratwurzel 
enthält, als an den vorgeschlagenen. 

Ist der Strom so breit, dafs die Einwirkung der Seitenwände auf 
die Bewegung des Wassers vergleichungsweise gegen diejenige der Sohle 
als verschwindend klein angesehn, oder der benetzte Umfang des Quer- 
profils mit der Breite desselben verwechselt werden darf, so findet das 
Gesetz, welches für das ganze Querprofil gilt, auch auf jeden durch senk- 
rechte Linien begrenzten Theil desselben und sonach auch auf jede ein- 
zelne Lothlinie Anwendung. 

Die mittlere Geschwindigkeit c aller Wasserfäden, die unter ein- 
ander und zwar in der ganzen Tiefe ? sich befinden, ist nach meiner 
früheren Untersuchung, wenn Rheinländisches Fulsmaafs zum Grunde 
gelegt wird, 


6 
e=433.ye.yt 


wobei « das relative Gefälle des Stroms an dieser Stelle bezeichnet. 

In Bezug auf diesen Ausdruck mufs ich erwähnen, dafs ich später 
noch Gelegenheit hatte, denselben mit andern Beobachtungen zu ver- 
gleichen. Diese wurden im vorigen Jahre an der Elbe unterhalb Arne- 
burg bei drei verschiedenen Wasserständen ausgeführt. Sie zeichnen sich 
vor den meisten übrigen dadurch aus, dafs die Gefälle des Stroms an 
dieser Stelle jedesmal mit Sorgfalt gemessen sind. Aus diesen ergab sich 
bei Einführung verschiedener Potenzen von «, wie auch schon in einigen 
der früher benutzten Beobachtungen sich gezeigt hatte, dafs für die 
Tte Wurzel des Gefälles die Summe der Fehlerquadrate zwar am klein- 
sten wurde, dafs jedoch der Unterschied gegen diejenigen der 6ten Wurzel 
nur sehr geringe blieb. Wenn mit Rücksicht auf andre Messungen die 
sechste Wurzel gewählt wurde, so ergah sich aus diesen Messungen der 


wahrscheinlichste Werth des constanten Factors sehr nahe eben so srols, 


gr 
wie der vorstehend bezeichnete, nämlich 4,314. 

Endlich verglich ich auch noch mehrere an kleinen Entwässerungs- 
Gräben ausgeführte Messungen unter einander. Indem dieselben jedoch 
sehr steile und zum Theil sogar senkrechte Seitenwände hatten, so durfte 
nicht mehr der benetzte Umfang des Querprofils der Breite desselben 
gleich gesetzt werden, vielmehr schien es angemessen, statt der mittleren 


34 Haczn über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des 


Tiefe den Quotient aus der Profil-Fläche dividirt durch den benetzten 
Umfang einzuführen. Auch hier trat die gröfste Übereinstimmung der 
Messungen ein, wenn der Exponent von « zwischen } und 4 war. Der 
constante Factor wurde in diesem Falle aber ansehnlich gröfser als früher, 
und sein wahrscheinlicher Werth stellte sich auf 5,14. Dieses erklärt 
sich wohl dadurch, dafs der benetzte Umfang in den tiefen Kanten zwi- 
schen den Seitenwänden und Sohlflächen nicht in gleichem Maafse die 
Verzögerung des Wassers veranlassen konnte, wie ım Querprofil eines 
Strombettes, wo nur flache Krümmungen vorkommen. Hiernach bestä- 
tigen auch diese neueren Beobachtungen den früher gefundenen Ausdruck 
für die mittlere Geschwindigkeit, und derselbe darf daher mit um so 
gröfserer Sicherheit in der vorliegenden Untersuchung benutzt werden. 

Die mittlere Geschwindigkeit ce der sämmtlichen Wasserfäden in 
einer Lothlinie von der Tiefe t ist eine constante Grölse, so lange man 
allein diese einzelne Geschwindigkeits-Curve betrachtet. Eben so ist in 
diesem Falle auch die an der Sohle des Flufsbettes stattfindende Ge- 
schwindigkeit Ü und folglich auch der Quotient 


ARE 
[4 


constant. Multiplicirt man die vorstehende Gleichung mit ı — ß so 
erhält man 


ce=Ü-+ 43 G—O)ya.yt 


e=C+kyt 


wenn man die Factoren, die für diese Curve constant sind, zusammen- 


oder 


falst und mit %k bezeichnet. 
Die in der Höhe A über dem Boden stattfindende Geschwindigkeit v 
setzt sich zusammen aus Ü und einem von A abhängigen Theile, der 


gleich x sei. Also 

v=Üe+r 
Der mittlere Werth der sämmtlichen zwischen A = o und h=!E vor- 
kommenden Geschwindigkeiten ist sonach 


Sa dh 


ce=C0-+ : 


strömenden Wassers mit der Entfermung vom Boden sich vergröfsert. 25 


Vergleicht man diesen Ausdruck für e mit dem vorstehenden, so ergiebt sich 


adh 
t 


kyi=! 


Wenn man die Differenziation ausführt, wobei das constante f in das 
variable h übergeht, und dh auf beiden Seiten fortfällt, so findet man 
3kyh=& 
folglich 
v=Ü+2kyh 
6 
=(0+65(1— P)ye.yt 
Die im obigen Ausdruck 
v=(C-+yp.Yyt 


mit Yp bezeichnete Constante ist sonach 


Vp = 6555 (: — ) Va 


Bevor dieses Resultat mit den Beobachtungen verglichen und der 
Nachweis geführt wird, dafs dasselbe in diesen seine Bestätigung findet, 
müssen zunächst einige Bedenken beseitigt werden, welche nach manchen 
Erfahrungen dagegen erhoben werden könnten. 

Der Umstand, dafs unmittelbar über der Sohle des Bettes die 
Geschwindigkeit schon eine ansehnliche Gröfse hat, kann nicht befremden, 
da im entgegengesetzten Falle eine Einwirkung des Stromes auf das Bette, 
wie solche fast immer, und oft sogar sehr auffallend sich zu erkennen 
giebt, unerklärlich wäre. Man sieht nämlich, dafs nicht nur Sand, son- 
dern bei heftiger Strömung auch gröbere Kiesel in Bewegung gesetzt 
werden, während bei sehr starkem Gefälle sogar Felsblöcke forttreiben. 
Diese letzte Erscheinung gehört freilich nicht hieher, weil sie nicht allein 
von der Einwirkung der untersten Wasserschichten herrührt. Von der 
ununterbrochenen Bewegung des gröberen Kieses kann man sich aber 
leicht überzeugen, wenn man auf Strömen, die solche führen und grölsere 
Geschwindigkeit haben, das Boot, auf dem man sich befindet, ohne An- 
wendung der Ruder frei treiben läfst. Man hört alsdann deutlich das 
Rollen der kleineren Steine auf dem Grunde. Ich habe dieses namentlich 
auf dem Oberrhein unterhalb Stralsburg bemerkt. 


Math. Kl. 1871. 4 


% Hack über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des 


Bedenklicher könnte es erscheinen, dafs nach vorstehender Ent- 
wieckelung die Geschwindiskeiten mit der weitern Entfernung vom Grunde 
stets zunehmen, und bei unendlich grofser Wassertiefe, in den obern 
Schichten sogar unendlich grofs werden sollen. Hiermit tritt zunächst 
die vielfach gemachte Erfahrung in Widerspruch, dafs die Geschwindigkeit 
im Wasserspiegel selbst und nahe darunter geringer ist, als in gröfserer 
Tiefe. Die Veranlassung dieser Erscheinung beruht indessen allein in 
dem Verfahren bei Anstellung der Beobachtungen, und namentlich in dem 
Umstande, dafs man auf einem vor Anker liegenden Boote in unmittel- 
barer Nähe desselben die Messungen ausführt. Die Oberfläche des Was- 
sers besitzt nämlich, wie sich vielfach und besonders in den sogenannten 
Capillar-Erscheinungen zeigt, nicht die Beweglichkeit der darunter befind- 
lichen Masse, sie bildet vielmehr eine festere Decke, die an allen Gegen- 
ständen, die sie berührt, mit einer gewissen Kraft haftet, und deshalb 
nicht frei sich bewegen kann. Die Verzögerung, die sie erfährt, überträgt 
sich aber auch auf die nächst darunter belegenen Schichten, indem sie 
selbst, und eben so auch das Boot oder der Brückenpfeiler in ähnlicher 
Art, wie das Ufer und die Sohle des Flufsbettes wirkt, und die Geschwin- 
diekeit der nächst vorbeiströmenden Masse vermindert. Brünings, der 
bei seinen vielfachen Messungen, von denen im Folgenden ausführlich die 
Rede sein wird, die Abnahme der Geschwindigkeit in der Nähe der Ober- 
fläche beinahe jedesmal bemerkte, erklärte sie durch die Adhäsion der 
Luft. Dieser Ansicht haben sich in neuerer Zeit auch Humphreys und 
Abbot angeschlossen, wiewohl solche Einwirkung an sich kaum denkbar 
ist, und aufhören mülste, sobald die Richtung des Windes mit derjenigen 
der Strömung zusammenfällt, was nicht geschieht. Aufserdem aber geben 
flache Schwimmer, die auf der Oberfläche treiben, im freien Strome dieses 
nicht zu erkennen, so lange nicht etwa ein stärkerer Gegenwind sie trifft, 
oder sie in der Nähe der Ufer oder neben festliegenden Fahrzeugen sich 
befinden. Auch mufs der Wasserlauf eine gewisse Breite haben (bei 
langsamer Bewegung wohl von etwa 2 Ruthen), weil sonst die Einwirkung 
der beiderseitigen Ufer sich über die ganze Oberfläche ausdehnt, während 
bei frischer Strömung diese schon in geringeren Abständen aufgehoben 
wird. Sehr deutlich kann man in kleinen Canälen, die mit Glaswänden 


versehn und nur wenige Zolle breit sind, die Verzögerung der Oberfläche 


strömenden Wassers mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert, 27 


bemerken, wenn man einen mit Tusche gefüllten Pinsel momentan ein- 
taucht. Es bildet sich alsdann ein gefärbter Wasserfaden, der sich lang- 
sam herabzieht, und sich im Allgemeinen in der Richtung der Strömung 
fortbewegt. Man sieht aber, dafs er bis zur Tiefe von einigen Linien 
der Oberfläche voraneilt, im obern Theile also von dieser zurückgehalten 
wird, während er weiter abwärts die entgegengesetzte Neigung annimmt 
und dadurch zu erkennen giebt, dals die Geschwindigkeit der Wasser- 
schichten bei gröfserer Annäherung an die Sohle sich vermindert. Bei 
gröfserer Breite des Wasserlaufes verschwindet dagegen in einiger Ent- 
fernung von den Ufern die Wirkung derselben vollständig und es ist 
alsdann undenkbar, dafs die obern Schichten nicht wenigstens die Gre- 
schwindigkeit der darunter befindlichen annehmen sollten, auf welchen 
sie aufliegen. Durch Versuche, die ich mit einem zu diesem Zweck be- 
sonders eingerichteten Apparat auf mehreren gröfsern Stömen und Flüssen 
angestellt habe, überzeugte ich mich auch, dafs solche Verzögerung der 
Oberfläche im freien Strome niemals stattfindet. 

Die Vorrichtung bestand in einer dünnen Latte von etwa 3 Fuls 
Länge, welche auf dem Wasser frei schwamm. An ihren beiden Enden 
befanden sich je zwei sich kreuzweise überschneidende hochkantig ge- 
stellte Flächen, die bei jeder Richtung der Latte den Stofs des Wassers 
aufnahmen. Das eine Paar derselben reichte bis zur Oberfläche herauf, 
während das andre beliebig 1 bis 2 Fuls tiefer gestellt werden konnte. 
Augenscheinlich bewegt sich der Apparat mit der mittleren Geschwindigkeit 
derjenigen beiden Wasserschichten, welche die beiden Flächen-Paare treffen, 
die gröfsere Geschwindigkeit treibt ihn voran, während die geringere ihn 
zurüickhält. Aus seiner Richtung lälst sich also sicher entnehmen, welche 
der beiden Geschwindigkeiten die gröfsere ist. Um dieses aber aus wei- 
terer Entfernung, wie etwa vom Ufer aus, sicher wahrnehmen zu können, 
war in der Mitte der Latte noch ein aufrecht stehender dünner Arm an- 
gebracht, der nach demjenigen Ende sich neigte, wo der Stols der obern 
Wasserschichten aufgefangen wurde. Das Resultat war nun, dafs bei 
mälsigen Tiefen, etwa bis zu 12 Fufs, die Geschwindigkeit der Oberfläche 
entschieden die gröfsere blieb. Sobald die Tiefe bedeutender wurde, wo- 
bei nach der obigen Entwickelung die Zunahme der Geschwindigkeit ge- 
ringer wird, übte in Folge der innern Bewegungen bald die obere, bald 


4* 


28 Hacun über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des 


die tiefer belegene Schicht den stärkeren Stofs aus und der Apparat nahm 
eine drehende Bewegung an. Nur beim Vorbeitreiben neben einem fest- 
liegenden Flofs gab er die Verzögerung der Oberfläche zu erkennen und 
dieses war augenschemlich derselbe Fall, der beim Messen der Geschwin- 
diekeiten auf einem vor Anker liegenden Boote sich wiederholt. 

Endlich dürfte es auch zweifelhaft erscheinen, dafs die Geschwin- 
dickeit bei zunehmender Tiefe sich fortwährend vergröfsern, und bei 
unendlicher Tiefe, wenn auch das Gefälle nur mäfsig ist, in den obern 
Schichten sogar unendlich grofs werden soll. Man muls indessen darauf 
Rücksicht nehmen, dafs das in Rede stehende Gesetz sich nur auf die 
sleichförmige Bewegung bezieht, also auf eine solche, wobei das 
Wasser seine Geschwindigkeit nicht ändert, vielmehr nur die dem Gefälle 
entsprechende Beschleunigung so eben durch die Widerstände aufgehoben 
wird. Hiernach wird an der untersuchten Stelle des Stromes keineswegs 
die Geschwindigkeit erzeugt oder vermehrt, sondern nur unverändert er- 
halten. Wenn sie also bei einer Wasser-Tiefe, die in der Wirklichkeit 
niemals vorkommt, schon überaus grofs und selbst unendlich grofs wäre, 
so würde sie, da die störende Einwirkung des Bettes in den höheren 
Schichten immer geringer wird, und endlich ganz aufhört, hier auch eben 
so grofs bleiben, wie sie war. 

Indem es nunmehr darauf ankommt, das entwickelte Gesetz mit 
zuverlässigen Geschwindigkeits-Messungen zu vergleichen, so eignen sich 
hierzu vorzugsweise die zahlreichen Beobachtungen, die in den Jahren 
1789 bis 1792 theils von Brünings selbst, theils unter seiner Leitung 
von andern namhaften Niederländischen Hydrotecten, am Rhein, an der 
Waal, am Leck und an der Yssel angestellt sind. Diese Messungen 
wurden ausgeführt, um ein sicheres Urtheil darüber zu gewinnen, wie 
die Wassermenge des Rheins bei verschiedenen Wasserständen auf die 
benannten Flüsse sich vertheilt. Die Beantwortung dieser Frage war aber 
zur Bestimmung der erforderlichen Höhe und Stärke der betreffenden 
Deiche, so wie auch zur richtigen Behandlung der Flüsse selbst noth- 
wendig, um einen grofsen Theil der Niederlande gegen Inundationen 
sicher zu stellen. Bei der Wichtigkeit dieses Zweckes begründet sich die 
ungewöhnliche Ausdehnung, die man diesen Messungen gab, so wie die 


Sorgfalt, mit der sie angestellt wurden. 


te) 


strömenden Wassers mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert. 29 


An 9 verschiedenen Stellen in den benannten Strömen, so wie 
auch im ungetheilten Rhein wurden bei hohem, bei mittlerem und bei 
niedrigem Wasserstande in 17 Querprofilen die durchfliefsenden Wasser- 
mengen ermittelt. Dieses geschah, indem in jedem dieser Profile in 
Abständen von 2 bis 3 Rnthen Lothlinien ausgewählt, und in jeder der 
letzteren von 6 Zoll unter der Oberfläche bis etwa 1 Fufs über der Sohle 
in Abständen von 6 Zoll die Geschwindigkeiten gemessen wurden. Es 
ergaben sich hieraus 117 Beobachtungs-Reihen, von denen mehrere einige 
vierzig einzelne Messungen enthalten. 

Brünings bediente sich dabei eines von ihm angegebenen Instru- 
mentes, welches er Tachometer nannte, das aber nicht wie der Wolt- 
mansche Flügel unmittelbar die Geschwindigkeiten erkennen liefs, vielmehr 
nur den Druck angab, den eine quadratische Metall-Scheibe von 6 Zoll 
Seite erfuhr, die dem Strom entgegengekehrt war. Die vorhergehende 
Vergleichung der abgelesenen Pressungen mit den Geschwindigkeiten, 
welche Schwimmer in gleichen Tiefen annahmen, dienten zur Aufstellung 


od 


von Tabellen, die für jeden gemessenen Druck die entsprechende Ge- 
schwindigkeit entnehmen liefsen. Nach der Beschreibung des ganzen 
Verfahrens, welche Brünings zugleich mit den sämmtlichen Messungen 
im Jahre 1794 den General-Staaten vorleste, begründet sich kein Zweifel 
gegen die gefundenen Resultate, und dieses um so weniger, als die Ab- 
weichungen und Fehler, die bei diesen Beobachtungen unvermeidlich sind, 
deutlich hervortreten. Man ersieht also hieraus, dafs willkürliche Cor- 
rectionen, wie solche in ähnlichen Fällen zum grofsen Nachtheil der 
Sicherheit nicht selten vorkommen, hier unterblieben sind. Wiebeking 
hat die erwähnte Denkschrift sehr vollständig in seine Wasserbaukunst 
(I. Band, erste Ausgabe 1798. Seite 331 bis 382) aufgenommen, und seine 
Mittheilung liegt der nachstehenden Untersuchung zum Grunde. Wolt- 
man hat gleichfalls einen Theil dieser Messungen veröffentlicht (Theorie 
und Gebrauch des hydrometrischen Flügels. 1790), derselbe konnte in- 
dessen nur die im ersten Jahre angestellten Beobachtungen angeben. 

Die in Rede stehenden 17 Profile befinden sich in der Reihenfolge, 
wie sie gemessen wurden: 


oO 


I. im ungetheilten Rhein, und zwar bei höherem Wasser, In den 
5 Perpendikeln waren die Tiefen 8 bis 15 Fuls. 


30 


Hacan über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des 


Il. in der Yssel. Bei dem höheren Wasser waren die Tiefen der 
3 Perpendikel 104 Fuls. 

III. im Rhein unterhalb der Ysselmündung. Die Tiefen der 4 Per- 
pendikel betrugen bei gleichem Wasserstande 9 bis 14 Fufs. 

IV. im ungetheilten Rhein. 12 Perpendikel bei kleinem Wasser 7 bis 
16 Fuls tief, 

V. in der Waal. 8 Perpendikel bei kleinem Wasser, 63 bis 164 Fuls 
tief. 

VI. im Pannerdenschen Canale. 5 Perpendikel bei kleinem Wasser 
84 bis 10 Fuls tief. 

Vll. an derselben Stelle, wie Profil I. 7 Perpendikel bei kleinem 
Wasser 84 bis 11 Fuls tief. 

VIll. an derselben Stelle, wie Profil 1. 4 Perpendikel bei kleinem 
Wasser 33 bis 44 Fuls tief. 

IN. nahe oberhalb Profil Il, jedoch noch hinter der Ysselmündung. 
6 Perpendikel bei kleinem Wasser 7 bis 9 Fuls tief. 

X. an derselben Stelle, wie Profil IV. 14 Perpendikel bei Mittel- 
Wasser 12 bis 23 Fuls tief. 

Xl. an derselben Stelle, wie Profil V. 10 Perpendikel bei höherem 
Wasserstande 124 bis 204 Fuls tief. 

Xll. im Pannerdenschen Canal, etwas unterhalb Profil VI. Nachdem 
die Messung einiger von den 7 Perpendikeln ausgeführt war, 
sank das Wasser von einem höheren zum mittleren Stande, was 
jedoch auf die einzelnen Beobachtungsreihen keinen störenden 
Kinflufs hatte. Die Tiefen waren 10 bis 14 Fuls. 

XIII. an derselben Stelle, wie Profile I und VIl. 7 Perpendikel bei 
mittlerem Stande 10 bis 134 Fuls tief. 

XIV. im Rhein zwischen den Abzweigungen der Waal und Yssel. 
S Perpendikel bei hohem Wasserstande 15 bis 20 Fuls tief. 

XV. an derselben Stelle, wie die Profile Il und Vlll. Die Tiefen der 
5 Perpendikel waren bei dem höheren Wasserstande 10+ bis 11 Fuls. 

XVI. an gleicher Stelle, wie vorstehendes Profil bei Mittel-Wasser. 
5 Perpendikel von 7 bis 74 Fuls Tiefe, endlich 

XVII. an derselben Stelle, wie Profil IN. 7 Perpendikel bei höherem 
Wasser 104 bis 21 Fuls tief. 


strömenden Wassers mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert. 31 


Zunächst stellte ich diese 117 in den einzelnen Perpendikeln aus- 
geführten Beobachtungsreihen graphisch dar. Einige derselben liefsen 
regelmäfsig gekrümmte Linien deutlich erkennen, die sich parabolischen 
Formen ungefähr anschlossen. In der Nähe der Oberfläche zeigten sich 
jedoch mit wenig Ausnahmen sehr auffallende Abweichungen, indem aus 
dem bereits angeführten Grunde die Geschwindigkeiten sich hier vermin- 
derten. Auch in der Nähe der Sohle wiederholte sich vielfach dieselbe 
Erscheinung, so dafs der Scheitel der Parabel nicht in den Fufs der 
Lothlinie oder in die Sohle des Strombettes zu fallen schien. Brünings 
erwähnt, dafs in den untern Wasserschichten das Sandtreiben zuweilen 
so stark gewesen, dafs man die Messungen in der Tiefe nicht habe aus- 
führen können. Ich mufs bemerken, dafs dieselbe Wahrnehmung auch 
an der Elbe gemacht ist, es erklärt sich aber, dafs der Sand, der in die 
Führung drang, welche den Stiel der Scheibe umfalste, die Beweglichkeit 
der letztern vermindern und sonach zu falschen Resultaten Veranlassung 
geben mulste. 

Die grofse Mehrzahl der Reihen stellte sich in der Zeichnung so 
unregelmäfsig dar, dafs der Versuch, sie an gewisse Ourven anzuschliefsen 
zwecklos erschien, doch ist zu erwähnen, dafs sie ohne Ausnahme er- 
kennen liefsen, wie die Geschwindigkeit im Allgemeinen bei zunehmendem 
Abstande von der Sohle gröfser wird. Abweichungen, denjenigen ähnlich, 
welche die Amerikanischen Messungen mehrfach zeigen, kommen hier 
nicht vor. Das Maals der Zunahme der Geschwindiskeiten, oder der 
Parameter der Parabel, war indessen überaus verschieden, indem die 
zwischen den Beobachtungs-Punkten hindurch gezogenen Mittellinien bald 
steil anstiegen, bald aber in sehr flacher Neigung sich erhoben. Besonders 
auffallend war es, dafs diese Verschiedenheit zuweilen zwischen zwei 
Beobachtungs-Reihen sich zeigte, in welchen sowol die mittleren Ge- 
schwindigkeiten, wie auch die Tiefen nahe dieselben waren. Man dürfte 
vermuthen, dafs die Verschiedenheit des Gefälles dieses veranlafst hätte, 
in diesen sämmtlichen Beobachtungen waren die Gefälle indessen nur 
wenig verschieden, indem sie zwischen 0,0001008 und 0,0001308 fielen. 
Die sechsten Wurzeln derselben verhalten sich also zu einander, wie 22 
zu 23, und dieser geringe Unterschied konnte unmöglich so starke Ab- 


weichungen veranlassen. 


32 Hasen über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des 


Bei der auffallenden Verschiedenheit der Curven in ihrem ganzen 
Zuge darf man auch nicht annehmen, dafs die unvermeidlichen Beobach- 
tungs-Fehler dieses verursacht hätten, obwohl dieselben bei diesen Mes- 
sungen immer so grols zu sein pflegen, dafs man bei Wiederholung der- 
selben Beobachtung meist ein merklich abweichendes Resultat findet. 
Diese Verschiedenheit rührt ohne Zweifel von den stets wechselnden 
innern Bewegungen her. Wenn aber die Neigung der ganzen Curve unter 
scheinbar gleichen Verhältnissen sich wesentlich anders darstellt, so muls 
man den Grund dafür in andern Umständen suchen und dieses sind 
wahrscheinlich die Unregelmäfsigkeiten des Strombettes, welche bald 
grölsere bald kleinere Wassermengen den untern Schichten zuweisen. 
Steigt nämlich das Bette an, so vergrölsert sich die Geschwindigkeit, senkt 
es sich, so erfolgt das Gegentheil. Die Curve wird also aus diesem 
Grunde in beiden Fällen sich ganz verschieden gestalten, indem die plötzlich 
veränderte Geschwindigkeit unmittelbar über dem Boden zunächst den 
untern Schichten sich mittheilt. Es war indessen nicht möglich, diese 
Verhältnisse näher aufzuklären, und die Beobachtungen mulsten benutzt 
werden, wie sie vorlagen. 

Unter diesen in der Zeichnung dargestellten Beobacbtungs-Reihen 
suchte ich diejenigen aus, in welchen die einzelnen Geschwindigkeiten 
sich ziemlich übereinstimmend gruppirten und eine möglichst zusammen- 
hängende und regelmäfsig gekrümmte Linie bildeten. Dieses waren 
24 Reihen, für welche die beiden Constanten Ü und yp, also die Ge- 
schwindigkeiten unmittelbar über dem Boden und die Parameter der 
Parabeln zu bestimmen waren. Von dem Versuche, diese Aufgabe aus 
der Zeichnung zu lösen, mulste ich absehn, weil dieses Verfahren zu 
unsicher, und dabei auch einige Willkühr nicht zu vermeiden war. Auf 
durchsichtiges Papier hatte ich nämlich in demselben Maafsstabe, in wel- 


chem die Beobachtungen aufgetragen waren, verschiedene zu derselben 


Axe gehörige Parabeln gezeichnet, denen die Werthe Yp=?2...2,5... 
3... 0.8 w. bis = 9 zum Grunde lagen. Indem ich dieses Papier über 


die Zeichnungen der Beobachtungs-Reihen legte und es unter Innehaltung 
der Höhe des Scheitelpunktes soweit verschob, bis die Übereinstimmung 
mit einer von diesen Parabeln anscheinend am größten wurde, so lielsen 


sich die Werthe beider Constanten unmittelbar ablesen. Die Unsicherheit 


strömenden Wassers mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert. 33 


war dabei indessen so grofs, dafs ich gewöhnlich zweifelhaft blieb, ob 
der Werth von Yp um eine Einheit vermehrt oder vermindert werden 
solle. Ich entschlofs mich daher, für jede dieser keihen die Oonstanten 
nach der Methode der kleinsten Quadrate zu berechnen. Die wahrschein- 
lichen Fehler blieben dabei freilich noch sehr bedeutend, da beide Gröfsen 
in solcher Beziehung zu einander stehn, dafs für dieselbe Beobachtungs- 
reihe, eine sich zu grofs darstellt, sobald der Werth der andern zu klein 
angenommen wird, doch wurde bei diesem Verfahren wenigstens jede 
Willkühr vermieden. 

In der am Schlusse beigefügten Tabelle A sind neben der in Rhein- 
ländischem Fulsmaafs angegebenen Tiefe t jedes Perpendikels und der in 
Zollen ausgedrückten mittleren Geschwindigkeit ce, die Werthe dieser 
Constanten in den mit C und yp überschriebenen Spalten mitgetheilt, 
wie sich dieselben aus der Rechnung ergaben. Dabei mufs jedoch er- 
wähnt werden, dafs die in die Nähe der Oberfläche fallenden Messungen, 
sobald sie merklich kleinere Geschwindigkeiten, als weiter abwärts ergaben, 
nicht in Rechnung gestellt sind. Eben so sind auch die nahe über der 
Sohle gefundenen Geschwindigkeiten verworfen, wenn sie plötzlich un- 
verhältnifsmäfsig grofs oder klein wurden. Die früher angegebenen Gründe 
dürften Beides rechtfertigen. Die dazwischen liegenden Beobachtungen 
sind jedoch sämmtlich und zwar jedesmal mit gleichem Gewichte in Rech- 
nung gestellt, wenn sie sich auch von den zunächst darunter und darüber 
befindlichen weit entfernten. 

Die mittleren Geschwindigkeiten c, die bei dieser Untersuchung 
von grolser Bedeutung sind, hat Brünings für jede Beobachtungsreihe 
berechnet, doch stimmen die dafür angegebenen Werthe nicht genau mit 
den arithmetischen Mitteln aus den einzelnen Beobachtungen, die bis auf 
Hunderttheile von Zollen mitgetheilt werden, überein. Woher diese Ab- 
weichungen entstanden sind, die mehrfach 0,2 und selbst 0,3 Zoll betra- 
gen, ist nicht ersichtlich, da ich jedoch die einzelnen Beobachtungen, wie 
sie vorliegen, benutzen mufste, so schien es auch angemessen, die aus 
ihnen hergeleiteten Mittelwerthe e in Rechnung zu stellen, und dieses ist 
in der Tabelle geschehn. 

Es war nunmehr zu untersuchen, ob die vorausgesetzten Be- 
ziehungen zwischen den Geschwindigkeiten, den Tiefen und den Gefällen 


Math. Kl. 1871. 5 


34 Hasen über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des 
wirklich stattfinden. Aus der Formel für die gleichförmige Be- 
wegung 
6 
0433. V@. yet 


ergiebt sich, wenn man den Zahlen-Coeffieient auf %* verändert und ihn 
auf Zollmaafs redueirt, während ? im Fufsmaafs ausgedrückt bleibt, 


SEEN & 
vi EEG 
Ve 


Führt man diesen Werth in die Gleichung 


c=ÜC-+ 3Yyp.Yt 


ein, so erhält man 


Ce ge Salt Yp 
Oleh ieh USE. 68 
y« 


Die Tabelle enthält in der mit 8 überschriebenen Spalte die Werthe von 


5 
in der mit 2’ bezeichneten, Spalte die Resultate der Rechnung nach vor- 


stehender Formel angegeben. Dabei zeigen sich freilich sehr bedeutende 


,‚ wie sie sich durch unmittelbare Division ergeben, und daneben sind 


Abweichungen, doch ist in der grofsen Mehrzahl die Übereinstimmung so 
befriedigend, wie man sie bei der Unsicherheit dieser Messungen nur 
erwarten durfte, und unbedingt ergiebt sich hieraus der innige Zusam- 
menhang zwischen den Constanten der Parabeln und der in ganz ver- 
schiedener Weise hergeleiteten Constante der mittleren Geschwindigkeit 
bei gleichförmiger Bewegung. Die wahrscheinliche Abweichung zwischen 
ß und ®' stellt sich auf 0,071 oder auf 10% Procent des mittleren Wer- 
thes von £, der gleich 0,665 ist. Die gröfsten Differenzen, die sämmt- 
lich negativ sind, würden sich etwas kleiner herausstellen, wenn man den 
constanten Factor im Ausdruck für die gleichförmige Bewegung vergröfsern 
könnte. Dieses ist jedoch nicht statthaft, da derselbe nicht nur aus den 
vorliegenden Messungen, sondern auch aus mehreren andern hergeleitet 
wurde, die eben so zuverlässig sind, wie diese. 

Nichts desto weniger schien es wichtig, denjenigen Werth des 
constanten Factors zu kennen, der diesen Beobachtungs-Reihen am meisten 


entspricht. Aus den so eben angeführten Bedingungs-Gleichungen er- 


strömenden Wassers mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert. 835 


giebt sich dieser Factor k, für den bisher der Zahlenwerth 4,33 unter 
Zugrundelegung des Fulsmaalses angenommen war 


k— ii sn 3 yr) 
Unter Benutzung der in der Tabelle A angegebenen Werthe von «a, Ü, t 
und yp erhält man für % diejenigen Zahlen, die in der mit demselben 
Buchstaben überschriebenen Spalte der Tabelle B angegeben sind. Durch- 
schnittlich stellt es sich auf 56,12 und weicht von dem früher gefun- 
denen Factor, der auf Zolle reducirt, gleich 52 ist, um 4,12 oder um 
8 Procent ab. 

Von besonderer Wichtigkeit ist noch die Frage, in welcher Be- 
ziehung die Geschwindigkeiten am Boden zu den Parametern der Para- 
beln, und beide zu den mittleren Geschwindigkeiten stehn. Man darf im 
Allgemeinen annehmen, dals bei Vergröfserung einer derselben auch die 
beiden andern gröfser werden. Durch einfache Zahlen-Verhältnisse lassen 
sich jedoch diese Beziehungen nicht vollständig ausdrücken, da bei grö- 
(serer Tiefe die mittlere Geschwindigkeit zunimmt, wenn auch die beiden 
ersten Gröfsen, nämlich © und yYp gleiche Werthe behalten. Dafs yp 
von den Geschwindigkeiten e und Ü abhängig, oder dals der Parameter 
der Parabel nicht in allen Fällen dieselbe Gröfse hat, bedarf keines wei- 
tern Beweises, weil sonst in tiefen Strömen niemals kleine Geschwindig- 
keiten vorkommen könnten. Solche stellen sich aber wirklich, besonders 
ohnfern der Mündungen in die See, sehr häufig ein, indem die Strömung 
daselbst sogar oft rückläufig wird. In dem Pregel unterhalb Königsberg 
maals ich einst die Geschwindigkeit. Ich fand dieselbe nahe unter der 
Oberfläche gleich 2 Zoll. Diese Gröfse behielt sie aber soweit ich die 
Messung fortsetzen konnte, nämlich bis zur Tiefe von 15 Fufs, während 
die ganze Tiefe 25 Fuls betrug. Hätte sie sich in gleichem Maafse, wie 
sonst, vermindert, so wäre sie bald negativ geworden. 

Aus dem vorstehend entwickelten Gesetz der Curve lälst sich 
die Beziehung zwischen dem Parameter und der Geschwindiskeit am 
Boden nicht herleiten. Weils man, wie grofs die mittlere Geschwin- 
digkeit in einer Lothlinie ist, und kennt man auch die Länge der letz- 
teren oder f, so ist dadurch freilich ein Punkt in der Curve 


I” 


gegeben, 


36 Hagen über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des 


weil die mittlere Geschwindigkeit, wie später gezeigt werden wird, in 
der Höhe 
h=atL 

sich darstellt. Aufserdem trifft auch der Scheitel der Parabel in die 
Sohle des Flufsbettes und ihre Axe ist lothrecht gerichtet. Hierdurch 
ist aber keineswegs die Curve vollständig gegeben, vielmehr kann Ü noch 
jeden beliebigen Werth zwischen Null und der mittleren Geschwindigkeit 
annehmen, wobei sich der Parameter stets passend anschlielsen läfst. 
Letzterer wird gleich Null, oder die Parabel geht in eine gerade Linie 
über, sobald Ü = e wird. 

Die Beziehung zwischen Ü und yYp ist ohne Zweifel durch die 
Einwirkung bedingt, welche die Sohle des Flufsbettes auf die darüber 
befindlichen Wasserschichten ausübt. Es ist mir indessen nicht geglückt, 
hierüber zu einem sichern Resultat zu gelangen. Man darf wohl voraus- 
setzen, dals wenn die Sohle weder ansteigt, noch sich senkt, und über- 
haupt alle Wasserfäden sich parallel zu einander bewegen, dafs alsdann 
bei gleichen Geschwindigkeiten am Grunde auch jene Einwirkungen, also 
die Parameter der Parabeln dieselben bleiben, und von den verschiedenen 
Tiefen ganz unabhängig sein werden. Aufserdem liest die Vermuthung 
nahe, dafs bei der Zunahme von. Ü auch Yp in entsprechender Weise 
sich vergrölsert, und dafs Beide in constantem Verhältnifs zu einander 
stehn. Es schien wichtig zu untersuchen, ob die Beobachtungen solcher 
Voraussetzung widersprechen. 

In der Tabelle Litt. 3 sind die aus jenen 24 Beobachtungs-Reihen 
berechneten Werthe von z zusammengestellt. Sie weichen allerdings 
sehr bedeutend von einander ab und ergeben sich keineswegs als con- 
stant, die Abweichungen vom arithmetischen Mittel, welches sich auf 
0,225 stellt, betragen sogar in ihrem wahrscheinlichen Werthe 0,048, 
also etwa 22 Procent. Der wahrscheinliche Fehler des Mittelwerthes ist 
sehr nahe 0,01. 


17 


Ich untersuchte ferner, ob die gefundenen Quotienten z vielleicht 


von den Tiefen £, oder den mittleren Geschwindigkeiten c abhängig 
wären. Eine Beziehung zu £ gab sich dabei gar nicht zu erkennen, da- 


even schienen die Quotienten bei erölseren ec etwas zu wachsen, und 
folk >) u > ) 


strömenden Wassers mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert. 37 


mit Berücksichtigung dieser unbedeutenden Änderungen ergab sich der 
Ausdruck 


= 0,0393 + 0,00426 . € 

Der wahrscheinliche Fehler blieb indessen noch sehr grofs, nämlich 
0,0432 oder relativ 19 Procent. Diese Verbesserung schien so gering- 
fügig, dals sie keine weitere Beachtung verdient. Die unmittelbar aus 
den berechneten C und Yp hergeleiteten Werthe zeigen ohne Zweifel 
aus dem Grunde so grolse Abweichungen, weil selbst geringe Fehler in 
einzelnen Messungen das Verhältnifs dieser beiden Gröfsen zu einander 
leicht wesentlich ändern. Sobald die eine zu grofs angenommen wird, 
ergiebt sich für die andre ein um so geringerer Werth, und in beiden 
Beziehungen wird der Quotient in gleichem Sinne entstellt. 

Wie wenig indessen diese Vergleichung mit den Beobachtungen 
auch befriedigt, so schliefsen sich dennoch die Folgerungen, die man aus 
vorstehender Untersuchung in Betreff der Eingangs angeresten Frage 
ziehn kann, sehr vollständig und zum Theil sogar in überraschender 
Weise den ausgeführten Messungen an. Der Grund dieser Übereinstim- 
mung beruht in dem Umstande, dafs dabei die vorstehenden, durch un- 
vermeidliche Beobachtungsfehler entstellten Resultate nicht mehr an sich 
betrachtet werden, sondern nur zur Berichtigung derjenigen Geschwindig- 
keiten dienen, welche aus mehreren Messungen hergeleitet sind. 

Die Bestimmung der Wassermenge, welche ein Strom abführt, 
würde wesentlich erleichtert werden, wenn man aus einer einzigen Ge- 
schwindigkeits-Messung in einer Lothlinie, deren Tiefe man kennt, unmit- 
telbar die mittlere Geschwindigkeit in dieser Linie finden könnte. Indem 
die Geschwindigkeit von der Sohle des Flufsbettes bis zum Wasserspiegel 
stätig zunimmt, und die mittlere Geschwindigkeit zwischen beiden Grenzen 
liest, so mufs in irgend einer Tiefe diese sich schon darstellen, so dafs 
sie hier unmittelbar gemessen werden kann. Die Entfernung dieser 
Stelle von der Sohle des Flufsbettes ergiebt sich leicht aus der para- 
bolischen Form der Curven. #4 sei diese gesuchte Höhe, so wird in der 
Gleichung 


v—= (| + vr . yh 


38 Hagen über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des 


die variable Geschwindigkeit v sich in die mittlere c verwandeln, und 
man hat 
C+3yp:Yt=C-+yp.yHR 


woraus sich ergiebt 


"= #t 

Nachdem für jene 24 Beobachtungen die Constanten C und Yp 
gefunden, und dadurch die Parabeln gegeben waren, welche sich den 
einzelnen Beobachtungen am besten anschliefsen, war es leicht, für jedes 
gegebene A das zugehörige » zu berechnen. Indem ich A=#t setzte, 
fand ich die in der Tabell 3 in der mit c’ überschriebenen Spalte ange- 
gebenen Werthe. Vergleicht man diese mit den aus allen Beobachtungen 
jeder Reihe unmittelbar berechneten arithmetischen Mitteln ce, die zur 
leichteren Übersicht in der folgenden Spalte wiederholt sind, so über- 
zeugt man sich, dafs sie mit diesen bis auf Theile eines Zolles überein- 
stimmen. Obgleich die Geschwindigkeiten zwischen 28 und 56 Zoll betra- 
gen, so erreicht die Abweichung doch nur einmal die Gröfse von 1 Zoll. Die 
wahrscheinliche Abweichung (dem wahrscheinlichen Fehler entsprechend) 
beträgt aber nur 0,272 Zoll. 

Ich untersuchte in dieser Beziehung auch die übrigen 93 Beob- 
achtungs-Reihen von Brünings, die so unregelmäfsig ausgefallen waren, 
dals der Zug der ganzen Curve sich daraus nicht sicher erkennen lief, 
doch war es möglich, in der graphischen Darstellung der einzelnen Ge- 
schwindigkeiten, und zwar im mittlern Theile derselben, Linien zu ziehn, 
die nach dem Augenschein sich den zunächst liegenden gemessenen Punk- 
ten ungefähr anschlossen. Die Abweichung der unmittelbar berechneten 
mittleren Geschwindigkeit gegen die in der angegebenen Höhe aus den 
Zeichnungen entnommene betrug in einem Falle nahe 3 Zoll, während 
sie 22mal gröfser als 1 Zoll war. Die wahrscheinliche Abweichung stellte 
sich aber nur auf 0,645 Zoll. 

Endlich prüfte ich in derselben Art auch die im vorigen Jahre an 
der Elbe ausgeführten, bereits oben erwähnten Geschwindigkeits-Messungen. 
Dieselben sind in weiteren Abständen unter einander, nämlich von 1 zu 
1 Fufs, und zum Theil von 2 zu 2 Fufs gemacht, und lassen daher den 
Zug der Mittellinie weniger scharf erkennen. Es waren, abgesehn von 


den in sehr geringen Tiefen angestellten Messungen, 18 Beobachtungs- 


strömenden Wassers mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert. 39 


reihen vorhanden. In denselben betrugen die mittleren Geschwindigkeiten 
einmal 6 und einmal 8 Zoll, im Übrigen stellten sie sich auf 22 bis 
50 Zoll, und die Abweichungen waren dreimal gröfser als 2 Zoll, während 
sie einmal sogar 3 Zoll überschritten. Ihr wahrscheinlicher Werth stellte 
sich aber auf 0,937 Zoll. 

Bei allen diesen Versuchen, die aufgestellte Regel an wirklichen 
Messungen zu prüfen, waren die Abweichungen bald positiv und bald 
negativ, sie erregten also kein Bedenken gegen das Prineip, und hier- 
nach dürfte es sich empfehlen, statt der vielen Beobachtungen, die man 
bisher zur Affindung der mittleren Geschwindigkeit in verschiedenen 
Tiefen auszuführen pflegte, nur eine einzige mit möglichster Sorgfalt in 
der bezeichneten Tiefe anzustellen, diese aber der Sicherheit wegen noch 
einmal zu wiederholen. Dabei würde nicht nur die Operation wesentlich 
erleichtert, sondern auch der Einflufs der Verzögerung in den obern 
Wasserschichten beseitigt, und zugleich diejenigen Fehler vermieden 
werden, welche bei den Messungen in der Nähe des Grundes vor- 
kommen. 

Die Beobachtungen in einer gewissen Tiefe bieten indessen immer 
einige Schwierigkeiten. Zunächst mufs man mit einem dazu geeigneten 
Instrument, also vorzugsweise mit dem Woltmanschen Flügel versehn 
sein, für den man den Werth der Umdrehung sicher bestimmt hat. 
Aufserdem erfordert die Anstellung der Messung auch grofse Vorsicht, 
und das Boot, von dem aus diese ausgeführt wird, mufs nicht nur fest 
verankert, sondern auch gegen das Seitwärts- Treiben gesichert sein. Man 
kann sich dabei freilich auch eines Schwimmers bedienen, an welchem 
in der gehörigen Tiefe ein gröfserer Körper hängt, der den Stofs des 
Wassers in höherem Maafse aufnimmt, als der Schwimmer selbst, doch 
darf dabei der Einflufs des letzteren nicht unberücksichtigt bleiben, viel- 
mehr mufs von diesem noch Rechnung getragen werden. Viel leich- 
ter würde die Bestimmung der mittleren Geschwindigkeit sein, wenn 
man sie aus der an der Oberfläche mittelst eines einfachen Schwim- 
mers zu messenden Geschwindigkeit sicher herleiten könnte. Nach 
den vorstehenden Untersuchungen bietet sich hierzu in der That Ge- 
legenheit. 


40 Hasen über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des 


Die Geschwindigkeit in der Oberfläche sei «, alsdann hat man, 


. I . . . 
wenn die Constante Y? mit a bezeichnet wird, 


C 
u=(1+ay)C 

und die gesuchte mittlere Geschwindigkeit 
c=(i+2ayt)C 

Die Constante © fällt bei der Division fort, und man erhält 


1+ 2a yt 
ek 
l+ayt 


Führt man für « den oben gefundenen mittleren Werth 0,225 ein, so 
ergiebt sich 
1 + 0,15. yt 


ER 


Um diesen Ausdruck an jenen 24 Beobachtungs-Reihen zu prüfen, 
habe ich zunächst für jede derselben unter Zugrundelegung der gefun- 
denen Constanten Ü und yYp die Geschwindigkeiten in der Oberfläche 
berechnet. Diese sind in der mit u überschriebenen Spalte der Tabelle 5 
angegeben. Die folgende mit c" bezeichnete Spalte enthält aber die nach 
vorstehender Gleichung hieraus hergeleiteten mittleren Geschwindigkeiten. 
Diese schliefsen sich wieder sehr befriedigend an die unmittelbar berech- 
neten Werthe von ce an. Aus der Summe der Quadrate der Differenzen 
zwischen beiden ergiebt sich der wahrscheinliche Fehler gleich 0,801 Zoll. 
Diese Übereinstimmung ist um so bemerkenswerther, als in der Ober- 
fläche selbst gar keine Geschwindigkeiten gemessen waren, und die 
nächst darunter gefundenen als unbrauchbar verworfen werden mulsten, 
so dafs die Werthe von vu nur aus dem Zuge der Curve in den tiefer 
belegenen Schichten hergeleitet werden konnten. 

Zur Erleichterung der Rechnung ist die mit Litt. C bezeichnete 
Tabelle beigefügt, woraus für die verschiedenen Tiefen von 1 bis 40 Fuls 
die Zahlenwerthe des Bruches 

1 + 0,15. yt 
10,225... yR 
unmittelbar entnommen werden können. Es ergiebt sich aus derselben, 


dals diese Werthe ziemlich constant sind, wenn die Tiefen sich nicht 
’ 


strömenden Wassers mit der Entferming vom Boden sich vergröfsert. 41 


bedeutend ändern, und hiermit hängt die Erfahrung zusammen, die man 
sowol an der Elbe wie auch am Ober-Rhein gemacht hat, dafs bei den 
dort ausgeführten Messungen die nächst unter der Oberfläche beobachtete 
Geschwindigkeit in constantem Verhältnifs zu der mittleren der ganzen 
Lothlinie steht. Bei unendlich grofser Tiefe würde dieses Verhältnifs sich 
auf 3 zu 2 stellen. 

Über die Anstellung der Geschwindigkeits-Messungen in der Ober- 
fläche wäre noch zu erwähnen, dafs der Schwimmer, dessen man sich 
dabei bedient, möglichst wenig Masse, aber dagegen grofse räumliche 
Ausdehnung haben mufs. Die Kugel, die man gewöhnlich anwendet, ist 
in beiden Beziehungen nicht vortheilhaft, weit mehr eignet sich hierzu 
ein Apparat, der aus zwei etwa 2 Fufs langen und 6 Zoll hohen recht 
dünnen Brettchen besteht. Letztere werden in ihrer Mitte zur Hälfte 
eingeschnitten und in einander geschoben, während ein kreuzweise ein- 
geschnittener Stiel sie umfalst und der Verbindung die nöthige Festigkeit 
giebt. Der Stiel, der über die Ränder der Bretter etwa neun Zoll vor- 
ragt, ist in weiter Entfernung sichtbar und giebt Gelegenheit, den Durch- 
gang des Schwimmers durch die abgesteckten Visirlinien genau zu beob- 
achten. Die vier Arme des Kreuzes, deren jeder eine Fläche von einem 
halben Quadratfuls dem Stofse darbietet, nehmen in jeder Stellung des 
Apparates die Geschwindigkeit des Wassers sehr schnell an, so dafs es 
nicht erforderlich ist, den Schwimmer weit oberhalb der ersten Visirlinie 
auszulegen, man darf ihn vielmehr nahe vor derselben aussetzen, wodurch 
noch der wichtige Vortheil erreicht wird, dafs er diejenige Linie durch- 
läuft, in welcher man die Messung anstellen will. Aufserdem glaubt man 
mehrfach bemerkt zu haben, dafs sowol die Kugel, wie auch der Cabeo- 
sche Stab nicht die wirkliche Geschwindigkeit des Wassers angeben, 
sondern mit einer etwas gröfseren herabtreiben. Bei sehr grofsen schwim- 
menden Massen findet dieses gewils statt. Schiffe, welche ohne Segel 
und Ruder den Strom herabfahren, eilen, wie man bei frischer Strömung 
jedesmal bemerken kann, dem Wasser etwas voran, und folgen daher 
auch in gleicher Art dem Steuer, als wenn sie durch Wind, oder in 
andrer Weise getrieben würden. Die Veranlassung zu dieser Erscheinung 
liegt ohne Zweifel in den innern Bewegungen des Wassers, die einen 
Theil der aus dem Gefälle entspringenden Beschleunigung aufheben. 


Math. Kl. 1871. 6 


42 HAGEN über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des 


Betrachtet man eine Wassermasse, die in ihrer Form und räumlichen 
Ausdehnung dem eintauchenden Theile des Schiffes gleich ist, so zerstört 
sich in dieser durch die innern Bewegungen ein Theil der Beschleunigung, 
während im Schiffe dieses nicht geschieht, woher letzteres eine gröfsere 
Geschwindigkeit annimmt, die ihre Grenze findet, sobald der Widerstand 
den es in Folge der schnelleren Bewegung erfährt, den Überschufs der 
Beschleunigung aufhebt. Wenn in der kleinen Kugel, die gewöhnlich nur 
6 Zoll Durchmesser hat, die aber bemahe vollständig eintaucht, ein sol- 
cher Erfolg sich auch nur in beschränktem Maalse zeigen kann, so wird 
er bei dem beschriebenen Apparate wegen des geringeren Gewichtes und 
der viel grölseren Ausdehnung der Flächen, die dem Stols des Wassers 
ausgesetzt sind, unbedingt noch mehr vermindert. 


strömenden Wassers mit der Entfernung vom Boden sich vergröfsert. 


Tabelle 4. 


43 


| E | c. | @. | (68 | Vp- B= @ ß' 

IVRARS 13 44.52 | 0,000 1030 | 32,10 5,017 0,720 0,703 
Vera 16 40,40 | 0,000 1219 | 23,89 6,285 0,585 0,638 
va ısi 10 39,34 | 0,000 1033 | 28,35 4,969 0,719 0,706 
VI 5 9,5 42,11 26,02 7,536 0,615 0,554 
Ver 11 28,37 | 0,000 1198 | 22,29 2,586 0,784 0,851 
vauß 8,5 32,11 21,90 5,228 0,681 0,698 
VITA 10 37,67 25,83 5,545 0,684 0,680 
VIT@r7 11 38,25 21,82 6,956 0,568 0,598 
VII. 4 4 31,12 | 0,000 1010 | 24,07 5,182 0,769 0,692 
18:72! 8,5 40,78 | 0,000 1198 | 30,29 5,362 0,742 0,690 
IX 7,5 40,03 30,52 5,241 0,758 0,697 
Ro kl7 12 50,23 | 0,000 1136 | 27,14 9,787 0,537 0,430 
Krug 13 48,48 27,30 8,620 0,559 0,498 
XE012 20,5 55,57 31,50 7,985 0,565 0,535 
X. 14 23 55,77 28,74 8,351 0,513 0,513 
X 18 41,39 | 0,000 1308 | 32,59 3,141 0,786 0,821 
XI 2 19 49,12 29,95 6,456 0,608 0,633 
XI 4 20 53,52 31,39 7,377 0,583 0,580 
XI. 6 17 49,04 32,19 6,040 0,654 0,656 
KIT. 077 12 49,70 | 0,000 1100 | 33,49 6,808 0,671 0,601 
XI. 23 12,5 48,14 | 0,000 1253 | 30,06 7,553 0,621 0,567 
XIII. A6 11 45,42 25,32 8,855 0,554 0,493 
ERTIT Br 7 || 210 46,22 32,88 6,396 0,708 0,634 
XVD. 6 a 37,94 | 0,000 1233 | 23,24 4,673 0,968 0,725 


Die 1te Spalte bezeichnet die Nummern der Quer-Profile und der in denselben 
gemessenen Lothlinien, die 2te die Tiefen in Rheinländischen Fufsen, die 3te die mittleren 
Geschwindigkeiten in Zollen, die 4te die relativen Gefälle, die öte und 6te die aus jeder 
Beobachtungs-Reihe berechneten Geschwindigkeiten am Boden und die Wurzeln der halben 
Parameter, die 7te die Quotienten der Geschwindigkeiten am Boden dividirt durch die 
mittleren Geschwindigkeiten, und die $te Spalte dieselben Quotienten, wie sie sich aus 
den Parametern und den relativen Gefällen ergeben. 


[oz] 
E 


44 Hagen über das Gesetz, wonach die Geschwindigkeit des 


Tabelle 2. 


| k. Re | Eile, zLUR Sch ME Ce 
TV@2.08 56,6 0,156 44,16 44,52 50,19 42,71 
Wo 45,6 0,263 40,65 40,40 | 49,03 41,29 
organ 5 Jo,lTs 38,7 39,34 44,06 37,93 
vo 5 | eı | 028 | 4,sı | azı1 | 4995: | 4351 
VIE 38,0 0,116 28,01 | 28,37 30,87 26,48 
vIv2 49,5 0,239 32,06 32,11 | 37,14 32,22 
VIR2 4 534 | 0215 37,52 37,67 43,37 37,35 
VIR‘ 7 505 | 0,319 37,20 38,25 44,89 38,49 
VII. 4 | 71,8 | 0,215 30,97 31,12 34,42 30,85 
IX 6 | WATT || 0A0,TL 40,78 45,92 39,85 
IX%s1 5 659 | 0,172 40,09 40,03 44,87 39,17 
Rum 652 | 0861 ! 49,74 50,23 61,04 52,14 
X. 9 | 605 0,316 48,03 48,48 58,39 | 49,68 
Rue | 55,8 0,253 55,61 55,57 | 67,66 | 56,26 
REESIH I 1585 0,291 | 55,45 55,77 68,80 56,90 
XEra 43,4 0,096 | 41,47 | 41,39 | 45,91 | 38,42 
XI9.,2 49,6 0,216 48,70 49,12 | 58,08 48,49 
RIRAM 53,0 0,235 | 53,38 | 53,52 | 64,38 | 53,64 
AI 6 52,5 0,188 | 48,79 | 49,04 | 57,09 | 47,90 
XI:9:7 || 649 0,208 | 49,21 | 49,70 | 5zor | 48,75 
XIM. 3 605 | 0251 47,37 || 48,14 | 56,78 48,38 
RIM. ‘6 60,5 0,350 44,90 | 4542 | 34 


5 0,194 | 46,37 
‚o 0,127 °10037, 


56,12 0,2257 | | 


| 
| 
| 
| 
| 
| 
| 


Die 2te Spalte enthält den constanten Factor im Ausdruck für die mittlere Ge- 
schwindigkeit bei gleichförmiger Bewegung, wie sich derselbe aus jeder Beobachtungs- 
Reihe ergiebt, die Ste den Quotient aus der Wurzel des halben Parameters dividirt durch 
die Geschwindigkeit am Boden, die 4te die für $ der Tiefe berechneten Geschwindigkeiten. 
In die öte Spalte sind zur bequemeren Vergleichung die aus den einzelnen Messungen 
sich ergebenden mittleren Geschwindigkeiten nochmals aufgenommen, die 6te enthält die 
berechneten Geschwindigkeiten in der Oberfläche und die 7te die aus diesen hergeleiteten 


mittleren Geschwindigkeiten. 


strömenden Wassers mit der Entfernung vom boden sich vergröfsert. 45 


Dabelle ‘GC. 


t | n. t n. 
1 0,939 21 0,831 
2 0,920 22 0,829 
3 0,907 23 0,827 
4 0,896 24 0,825 
5 0,888 25 0,823 
6 0,881 26 0,822 
7 0,876 27 0,820 
8 0,870 28 0,819 
0,866 29 0,817 
10 0,861 30 0,816 
11 | 0,858 31 0,814 
12 0,3854 32 0,813 
13 0,851 33 0,812 
14 0,348 34 0,811 
15 0,845 35 0,810 
16 0,842 36 0,808 
17 0,839 37 0,807 
18 0,837 38 10,806 
19 0,835 39 | 0,805 
20 0,833 40 0,804 


n ist der Factor, womit bei der gemessenen Tiefe t die Geschwindigkeit in der 
Oberfläche zu multiplieiren ist, um die mittlere Geschwindigkeit darzustellen. 


We \LU EEE... 


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Mi LER RU N 
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# PT. (93° Alan a a Min ö 
Hal lee u arten ee 


Benachrichtigung: Die an der Akademie enthalten 
in den Jahrgängen 1852, 1853, 1862, 1864, 1870 keine mathematischen 
Klasssen. 


. 


In 
nalen imma, nayaulianndk a) HULPT nlahılsaaah i Y 
san AUTENIT IA ITAN) u mn Ya EI erringen 

scale in ) Ka van ee 


MWERTEN 


PHILOLOGISCHE UND HISTORISCHE 


ABHANDLUNGEN 


DER 


KÖNIGLICHEN 
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 


ZU BERLIN. 


AUS DEM JAHRE 
1871. 


BERLIN. 


BUCHDRUCKEREI DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
(G. VOGT) 
UNIVERSITÄTSSTR. 8. 


1872. 


IH COMMISSION BEI FERD. DÜMMLER'E VERLAGS-BUCHHANDLUNG. 


(HARRWITZ USD GOBSMASM.) 


nk US 


ara Wit AUA 
‚ITal 


Alle 


ET RUE 


Inhartt. 


Lersius: Über einige Aegyptische Kunstformen und ihre Entwiekelung 
Lersıus: Die Metalle in den Aegyptischen Inschriften. (Mit 2 Tafeln) 


Zweite Abtheilung. 


ScHorE:, Altajische Studien. aan RER 

Kırcnuorr: Nachträgliche Bemerkungen zu der Abhandiune über die Altassunge 

zeit des Herodotischen Geschichtswerkes : 

WEBER: Über ein zum weissen Yajus gehöriges phonetisches Compendiai, ae 
pratijndsütra 


Seite 


47 


69 


PR DEETEN ta Dre er 
te. (nat Em) 'nerti tlg 


ar ulisı tik am N 


Fin 
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IT Dee VE ee a { EITHER em, ı TU SEr IL aluwlellnerft Syroz 
j j ee laaininslE en Has 
als ‚ulm di Aue Ar Pe | Bun; op WulA rein ae ir rl 
u 3 6 x Der a a kabalaihi 


Über 
einige Aegyptische Kunstformen und 


ihre Entwickelung. 


Von 


al PSIUS. 


[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 3. December 1868.] 


D.: Kunst der Griechen, welche für immer den Mittelpunkt und Mals- 
stab für Kunstgeschichte und Kunstbetrachtung abgeben wird, sprang 
nicht fertig und vollkommen, als ihre Zeit gekommen, aus einem dazu 
prädisponirten Volksgeiste hervor, so wenig wie ihre Wissenschaft oder 
irgend ein andrer Theil ihrer Geistesbildung. Ihre Entwicklung würde 
nie in so raschen Schritten sich zu ihrem Gipfelpunkte erhoben haben, 
wenn ihr nicht andre Völker Jahrtausende lang vorgearbeitet und ihr 
die Vorstufen dadurch erspart hätten. Unsere weit fortgeschrittene Kennt- 
nils der alten Völkergeschichten hat in neuerer Zeit auch den Griechen 
einen richtigeren Standpunkt in der erweiterten Weltgeschichte angewiesen. 
Wir können jetzt weit über sie zurückschauen und ihre Verbindung mit 
den früheren und den Nebengliedern in dem Strome der menschlichen 
Volksbildungen deutlicher erkennen. Die alte Welt in ihren frühen Asia- 
tischen Kulturstätten und an den Küsten des Mittelmeeres erweist sich 
schliefslich als ein Ganzes, dessen einzelne Glieder eng unter einander 
verbunden waren, volle gegenseitige Kenntnils von einander besaflsen und 
sich daher auch den gegenseitigen Einwirkungen nicht entziehen konnten, 
soweit ein jedes Volk nach seinem Standpunkte, seinen geschichtlichen 
Bedingungen, und seiner angestammten Eigenart denselben überhaupt zu- 
gänglich war. 


Philos.-histor. Kl. 1871. j 


2 LEPSIUS: 


Die Griechen namentlich, dieses bewegliche, seekundige, wilsbegie- 
vige Volk, hatten lange vor der Blüthezeit ihrer einzelnen Stämme auch 
die südlichen Küstenländer befahren und ihre Vorposten in das Innere 
jener hochgebildeten Staaten gesendet. Herodot fand nicht nur im Delta 
sondern auch in Oberägypten und in den Oasen bereits griechische An- 
siedelungen und auf den altägyptischen Denkmälern der grofsen Theba- 
nischen Dynastieen wird schon der Name der Ionier d.ı. der Griechen, 
häufig genug als der eines wohlbekannten wenn auch noch nicht von 
ihren Nachbarn klar ausgeschiedenen Volkes genannt. 

Wie wäre es daher denkbar, dafs die Griechen nicht auch die 
uralten Kunstschöpfungen der Aesypter gekannt und bewundert haben 
sollten, und, wenn dies der Fall war, dafs sie ihre ersten Kunstversuche 
von dem Einflufse dieser imponirenden Anschauungen hätten frei halten 
können. Dieser Einflufs ist aber auch jetzt noch überall zu erkennen und 
nachzuweisen. Es ist nur nöthig jene Quellen selbst genauer als bisher 
und in ihrem eigenen Organismus kennen zu lernen. Wenn es daher von 
Interesse ist in der ägyptischen Kunst eine Vorstufe der Griechischen Kunst 
wiederzufinden, so hat sie doch einen noch begründeteren Anspruch auf 
nähere Betrachtung, der in ihr selbst, in ihrem eigenen Werthe liest. Denn 
wir besitzen in ihr ein eigenthümliches scharf ausgeprägtes Bild von der 
künstlerischen Entwickelung eines Volkes, welches Jahrtausende hindurch 
an der Spitze der civilisirten Welt stand oder diesen Vorrang doch nur 
mit wenigen Asiatischen Völkern theilte, deren Kultur wir zum Theil 
selbst erst im Spiegel der Aegyptischen Geschichte einigermalsen zu er- 
kennen vermögen. 

Allerdings hatte sich auf den alten Kulturstätten von Babylon und 
Ninive gleichfalls eine Kunst ausgebildet, die den Griechen wohl bekannt 
war und nicht ohne Eimflufs auf sie geblieben ist. Aber das Wenige was 
uns von dieser Kunst übrig ist, zeigt sie auf einem wesentlich niedrigeren 
Standpunkte als die Aegyptische, obgleich sie in den verhältnilsmäfsig 
späten aber glänzenden Zeiten, in welche uns die erhaltenen Reste zurück- 
führen, ohne Zweifel ihre höchste Ausbildung erreicht hatte. 

Denn das ist ein anderer unschätzbarer Vorzug der Aegyptischen 
Kunst, dafs wir ihre Entwickelung weit über die frühesten Spuren aller 
übrigen Civilisationen, mit voller geschichtlicher Sicherheit bis über 3000 


über einige Aegyptische Kunstformen und ihre Entwickehung. 3 


Jahre vor Chr., zurückverfolgen können, in eine Zeit, in welcher das 
Aesyptische Volk, wie räumlich, so auch zeitlich als eine einsame Oase 
in der Weltgeschichte erscheint, ohne Rivalen und ohne Nachbarn, von 
denen uns irgend eine Kunde geblieben wäre, aufser soweit es durch 
die Aesypter selbst geschieht. 

Und zwar bricht der Strom lehrreicher Zeugnisse von der Kunst- 
thätigkeit dieses Volkes gleich von Anfang an, so reich und manigfaltig 
hervor, als ständen wir uicht im Beginn, sondern bereits am Ende einer 
langen Entwickelung, die diesen Zuständen vorausgegangen sein mulste. 
Und so war es in der That. Eine unberechenbar lange Zeit intensiver 
Volksbildung ging ohne Zweifel derjenigen voraus, die wir zuerst in ihren 
Monumenten geschichtlich bestimmen können. Manches Denkmal ist uns 
vielleicht aus noch früheren Zeiten übrig geblieben und mag einst auch 
für uns noch bestimmbar werden. Aber schon die jetzige Grenze unsrer 
Kenntnils setzt es aulser Zweifel, dafs die ägyptische Kunst für immer 
die weitaus älteste bleiben wird, die unserer Forschung zugänglich ist. 
Damit ist nicht gesagt, dals Aegypten die Wiege höherer Geistesbildung 
überhaupt unter allen Ländern gewesen sein müsse. Vielmehr geht schon 
aus der Betrachtung der ägyptischen Sprache mit Sicherheit hervor, dafs 
das ägyptische Volk einem der drei unter sich näher verwandten Sprach- 
kreise angehörte, deren gemeinschaftlicher Ursprung auf Asien zurück- 
weist; und es ist daher anzunehmen, dals das Nilvolk sein ursprüngliches 
Erbtheil einer urgeschichtlichen Kultur bereits aus Asien mitbrachte. Ob 
aber zu diesem Erbtheile schon eine irgend wie organisirte Kunstübung 
gehörte, bleibt ungewils, ja es ist sehr unwahrscheinlich. Die durch- 
gängige Eigenartigkeit der ägyptischen Kunst, die in allen Theilen auf 
das engste mit der besondern Natur des Landes und seines Stromes ver- 
webt ist, würde wenigstens eine gänzliche Umbildung jener mit dem Volks- 
stamme selbst eingewanderten Kunstelemente in dem Nilthale voraus- 
setzen. Auch wird diese Frage nie thatsächlich gelöst werden können. 
weil, wenn je eine solche urasiatische Civilisation sich in Kunstgebilden 
ausgeprägt hätte, doch alle Reste derselben für immer untergegangen sind 
und wegen der klimatischen und andern lokalen Verhältnisse in Asıen 
untergehen mulsten. Nur in Aegypten waren alle äufseren und inneren 
Bedingungen zugleich vorhanden, welche nicht nur zur frühen Entstehung 

1* 


4 Lersıvs: 


und glücklichen Entwickelung der Kunst, sondern auch zu einer fast un- 
vergänglichen Dauer ihrer Schöpfungen die geeignetsten waren. Dazu ge- 
hörte einerseits eine Fülle des manigfaltigsten und vorzüglichsten Mate- 
vials für Denkmäler jeder Art an Stein, Erde, Holz, Papyrus, andrerseits 
(das conservativste Klima, welches irgend ein fruchtbares und bewohntes 
Land auf der Brde besitzen kann, nämlich das einer gänzlich regenlosen 
Zone, in welcher eine völlig trockne Luft und, soweit nicht das Nilwasser 
künstlich verbreitet wird, auch ein eben so trockner Boden alle Stoffe, 
sogar die vegetabilischen geschweige die mineralischen unverändert er- 
hält; denn es ist bekannt, dafs es vor allem die Feuchtigkeit der Luft 
und des Bodens ist, welcher auf die Länge keim Körper zu widerstehen 
vermag. Dazu kam aber eine ursprüngliche innere Befähigung des ägyp- 
tischen Volkes zur Kunst, die aus keinen äufserlichen Verhältnissen ab- 
seleitet werden kann, sondern welche dem Volkstamme als solchem von 
Anlange an innewohnte. 

Von den drei grolsen weltgeschichtlich bevorzugten Völkerstämmen, 
dem Semitischen, Hamitischen und Japhetischen oder Indogermanischen, 
welche vor ihrer Trennung als ein neuer Keim, ja wie eine neue Schöpfung, 
aus dem ältesten breiten aber geschichtslosen Völkerstratum hervorgingen, 
und dureh ein höheres Volksbewulstsein gehoben, den ersten Faden wirk- 
licher Menschengeschichte spannen, den sie nachher abwechselnd in ihren 
Händen hielten, — von diesen drei Völkerstämmen sehen wir den Se- 
mitischen am wenigsten zu höherer Kunstthätigkeit geneigt und ange- 
lest; er giebt sich mehr theils dem praktisch zweckvollen, theils dem ab- 
strakten Gedanken hin. Der Hamitische Stamm, der sich am voll- 
kommensten im Nilthale entfaltete, zeigt daneben, schon in frühester Zeit, 
ein stätiges Bestreben, seine Gedanken und Gefühle in einer entsprechen- 
len äufseren Form auszuprägen und zu vereinigen, was ihn mit innerer 
Nothwendigkeit zu einer frühen Ausbildung der Kunst führte; während 
erst der dritte Stamm, der unsrige, beides zu vereinigen und durch die 
innioste gegenseitige Durchdringung von Idee und Form, durch die volle 
Versinnlichung des Gedankens und Vergeistisung der Form, die Kunst 
zu ihrer höchsten Blüthe zu führen vermochte. 

Es ist nicht zu verkennen, dals im Vergleich mit der Griechischen 


Kunst die Aegyptische eme noch vielfach gebundene war. Sie war ge- 


> 


über einige Aegyptische Kunstformen und ihre Entwickelung. y 


bunden durch die Technik, trotz der hohen Meisterschaft, die sie gerade 
darin erreicht hatte, gebunden durch die Tradition des Bedürfnisses, der 
sich der Einzelne nicht entziehen durfte, gebunden durch die Unterord- 
nung der einzelnen Künste unter einander, welche nicht einer jeden sich 
in voller Selbständigkeit zu entwickeln erlaubte, vor Allem aber gebun- 
den durch die Volksanschauung selbst, welche sich der ganzen Würde 
der Kunst noch nieht bewulst geworden war, welche noch keinen schär- 
feren Werthunterschied machte zwischen Kunst und Handwerk, zwischen 
Nachahmung und Idealisirung der Natur, welche zu Gunsten untergeord- 
neter Prineipien in der Darstellungsweise wesentlichere Forderungen eines 
höheren Kunstgefühls aufopfern konnte, wie z.B. der Verständlichkeit 
die Harmonie der einzelnen Theile; der Symbolik die Naturwahrheit; eine 
Darstellungsweise, die sie auch dann noch im Wesentlichen unverändert 
beibehielt, nachdem sie längst die ersten Stufen der Entwickelung, denen 
jene Art angemessen und Bedürfnifs gewesen war, überschritten hatte. 
Von allen diesen Banden, von diesen Urreminiscenzen die der 
ägyptischen Kunst von ihrer Geburt her noch anklebten, müssen wir ab- 
sehen, wenn wir die Kunststufe richtig würdigen wollen, welche trotzdem 
in Aegypten erreicht wurde. Wie in einem fremden Lande, wenn wir 
seine Sprache zuerst um uns herum sprechen hören, anfangs gewisse unge- 
wohnte Laute und die gleichklingenden Endungen der Worte unser Ohr ge- 
fangen nehmen, so dafs sie die viel wesentlicheren Unterschiede der Wort- 
stämme zu verdunkeln vermögen, so erscheinen dem unerfahrenen Auge, dem 
zum erstenmale Aegyptische Darstellungen begegnen, alle Menschengestalten 
der ägyptischen Kunst gleich seltsam und unbeholfen. Es ist nicht zu 
verwundern, wenn unser gewöhnliches, künstlerisch gar nicht oder höch- 
stens modern gebildetes Publikum, bei der Betrachtung einer ägyptischen 
Statue nichts als kindische Unvollkommenheiten, die steife Haltung, die 
anliegenden Arme, die parallelen Füfse sieht und sich von einem Bas- 
relief oder einer Zeichnung abwendet, wo ihn das langgezogene Auge 
und die breiten Schultern, zwischen denen der Kopf rechtwinklig im 
strengen Profile sitzt, abwendet. Schlimmer ist es, wenn selbst Kunst- 
literaten, die sich zu Führern und Lehrern des Publikums berufen fühlen, 
den ägyptischen Künstler nur zu bemitleiden wissen, der die wahren 


Naturverhältnisse nicht besser sehen und richtiger wiedergeben konnte, 


6 LEePpsıus: 


die Hauptsache aber schweigend übergehen, weil sie eben selbst nichts 
davon sehen. In einem der Leitfaden, dıe an der Thüre des Berliner 
Museums den Eintretenden zu ihrer Belehrung verkauft werden, besinnt 
ein Hauptabschnitt mit den Worten: „Wenn wir das alte Aegypten ver- 
lassen, so haben wir nur den Vorsaal zu überschreiten und wir sind im 
Bereiche des alten Nordens, der skandinavischen Götterlehre. Wir ver- 
tauschen also ein Reich der Häfslichkeit mit dem andern. Nur dafs 
das uralte Aeeypten in der Bildung seiner unförmlichen Gestalten die 
Anciennetät für sich hat.“ Aber auch von den höher und klassischer 
gebildeten Schriftstellern wird nicht viel Richtigeres gesagt. Man stellt 
sich auf den Standpunkt der Griechischen Kunst, und sucht die Klimax 
der Vorstufen nicht nach dem zu bestimmen, was auf diesen erreicht, 
sondern was auf ihnen nicht erreicht wurde, und es ist bemerkenswerth, 
dafs die Kunstgelehrten für das Positive in der Aegyptischen Kunst meist 
noch weniger richtige Auffassung zeigen, als bedeutende Künstler, von 
denen hier nur der feinsinnige und kunsterfahrene Rauch als eine hervor- 
ragende Ausnahme aufgeführt sein mag, der mit vollem Verständnils und 
gröfster Bewunderung die ausgezeichneteren ägyptischen Kunstdenkmäler 
zu beurtheilen pflegte. 

Die Vertreter jener rohen Betrachtungsweise, welche in der Aegyp- 
tischen Kunst nur das Abweichende von unserer Kunstgewöhnung sieht 
und dann das Ganze verurtheilt, würde man vielleicht mit einigem Erfolg 
daran erinnern können, dafs wir auch noch in unsrer Zeit die Unnatur 
in der Darstellung unter Umständen erlaubt, ja gefordert finden. Denn 
woher kommt es, dafs niemand den heraldischen Künstler für einen kennt- 
nifslosen Barbaren hält, der seinem Adler Kopf, Schwanz und Flügel giebt, 
wie sie kein Sterblicher je lebendig gesehen, oder seinen Löwen gegen 
alle Natur auf zwei Beinen einherschreiten läfst? Der einfachste Mann 
ist darüber nicht verwundert, und der Kenner würde im Gegentheil ge- 
rechten Anstofs daran nehmen, wenn der Künstler statt dessen emen 
Adler aus dem zoologischen Garten oder einen Canova’schen Löwen in 
das Wappenschild gesetzt hätte. Er würde einen ungeschickten Rebus, 
kein heraldisches Emblem zu sehen glauben, wenn diese von Alters her 
ererbten Unnatürlichkeiten nicht beibehalten worden wären. Denn auch 
der heraldische Stil hat jetzt seine Berechtigung und ist eine con- 


über einige Aegyptische Kunstformen und ihre Entwickelung. 7 


ventionelle, aber nicht unverständige oder barbarische Auffassung von 
der sich der Einzelne beliebig lossagen dürfte. Auch diesen Stil würde 
der wahre Künstler an der rechten Stelle nicht verschmähen, sondern 
auch ihm vielmehr seinen für den wahren Kenner verständlichen Kunst- 
stempel aufdrücken. Das Conventionelle, wenn auch nicht immer so 
greifbar wie hier, war zu allen Zeiten und ist noch heutzutage ein wich- 
tiges, ja unentbehrliches Element in der Kunst. In der Gegenwart mei- 
stens ganz unerkannt, je ferner um so deutlicher hervortretend, ist es 
doch so wenig unverträglich mit der ächten Kunst, dafs es nicht selten 
zu einer wesentlichen Anregung oder zu einem liebgewordenen Hintergrunde 
für sie geworden ist. Wie wenig oft das künstlerische Auge treuer Natur- 
nachahmung bedarf, und wie selbst in den Naturwidrigkeiten der Dar- 
stellung Gesetz und Regel Platz greifen können, das lehrt uns nicht nur 
die Schaubühne des Theaters, sondern auch der ächte Kunstzweig des 
Basreliefs, das, obgleich körperlich hervortretend, doch in keinem Punkte 
den natürlichen Erhebungsflächen der Körper entspricht und nach unserm 
Kunstgefühl entsprechen darf. 

Ähnlich, aber im ungleich gröfseren Zusammenhange der allge- 
meinen Kunstentwickelung, verhält es sich mit den conventionell festge- 
haltenen Abweichungen von der Natur in der Aegyptischen Zeichnung. 
Sie sind aus der Kindheit der Kunst, wo sie ihre volle unmittelbare Berech- 
tigung hatten, in die späteren immer höheren Entwicklungsphasen mit 
herüber genommen, ohne diese Entwickelung selbst aufzuhalten. 

Wenn der Anfänger im Zeichnen, der schon den Griffel zu führen 
und vorgezeichnete Linien nachzuziehen versteht, sich zum erstenmale der 
lebendigen Natur gegenüber sieht und sie auf der Fläche nachzuahmen 
strebt, wird er zunächst durch die unendliche Manisfaltigkeit und Ver- 
wobenheit der Conturen verwirrt. Um sie für die Reproduktion zu ver- 
einfachen und sie zu beherrschen wendet er sich dem Einzelnen zu und 
sucht jedes Ding in seiner möglichst erkennbaren und charakteristischen 
Lage zu sehen und wiederzugeben. Die meisten Gegenstände, nament- 
lich die Thiere, wird er im Profil nehmen. Bei der menschlichen Figur 
unterscheidet er die einzelnen Glieder. Der Kopf wird natürlich im 
Profil aufgefalst, ebenso Beine und Füfse. Die charakteristische Form 
des Auges aber ist von vorn; ebenso bietet sich die Brust zunächst in 


s LEpsıvus: 


ihrer Breite von vorn dar; ebenso die Hand um die 5 Finger sichtbar 
zu machen. Das ist der Grund warum von den Aegyptern auf die 
Beine im Profil der Oberkörper en face mit beiden Schultern, und 
auf diese wieder der Kopf ım Profil, innerhalb desselben aber das volle 
Auge en face gesetzt wird. Diese für die einzelnen Theile natürlichste, 


in ihrer Verbindung aber unnatürliche Darstellung, welche was na- 
mentlich die Stellung des Auges betrifft — ebenso auf den Münzen, 


Vasen und Basreliefs der ältesten Griechischen Kunst, wie in allen 
übrigen Kunstanfängen wiederkehrt, darf uns daher in der ägyptischen 
Kunst, dieser erstgebornen unter den Künsten des Alterthums, nur inso- 
fern auffallen, als sie, selbst bis in die höchsten Phasen ihrer Entwicke- 
lung, mit unwandelbarer Zähigkeit festgehalten und mit den vollendetsten 
Formen wahrer Kunst zu einem test geregelten und allmählich unauflös- 
lich gewordenen Ganzen verschmolzen wurde. 

Gerade in diesem zähen Festhalten so primitiver Unvollkommen- 
heiten, das weder in der Griechischen noch in irgend einer späteren Kunst 
so auffallend wiederkehrt, müssen wir aber zugleich den stärksten Beweis 
dafür finden, dafs die Aesyptische Kunst allein unter allen eine ursprüng- 
liche, nur aus ihrer eigensten Wurzel hervorgegangene war. Denn nur 
deshalb, weil diese kindliche Anschauung beim ersten Erwachen des Kunst- 
triebes gleichsam selbst noch mitwirkte, blieb sie für alle Zeiten unver- 
tilgbar. Erst die Griechen vermochten sie abzuschütteln, als sie mit 
Überspringung der ersten Entwickelungsstufen ein neues Prineip an die 
Stelle des alten ägyptischen setzten. 

Der Gegensatz dieser beiden Principe läfst sich, zunächst für die 
Zeichnung, die Grundlage der bildenden Künste, am kürzesten vielleicht 
so bezeichnen, dafs es die Aufgabe der Aegyptischen, als der zuerst aus 
dem angeborenen Geistesbedürfnils der Völker aufkeimenden Kunst, war, 
die in ihrer eonereten Überfülle der künstlerischen Nachahmung spottende 
und sie verwirrende Natur der Sonderung und Vereinfachung zu unter- 
werfen. Die Aufgabe der Griechischen, die sich als reiche Erbin 
bewährter Kunstwaffen bald nach ihren ersten Schritten in sicherem Macht- 
besitze der Natur gegenüber fand, die unterworfene wieder zu befreien. 

Der ägyptische Künstler begann damit, dals er jeden Gegenstand, 
dessen er sich für die Darstellung bemächtigen wollte, mit einem Netz 


über einige Aegyptische Kunstformen und ihre Entwickelung. 9 


von Quadraten überzog. Die Durchsehnittspunkte der Haupteonturen 
trug er auf dem gleichen, vor ihm auf die Tafel gezeichneten, Netze ein, 
und gewann so durch eine fliefsende Verbindung dieser Punkte einer 
Durchschnitts-Contur, der ihn sogleich der unendlichen Detaillirung 
überhob, und ihm das einfachste und zugleich charaktertreueste Abbild 
des Gegenstandes verschaffte. Jede Stellung des menschlichen Körpers 
und seiner Theile, jedes Thier bis zu den Insekten und Gewürm herab, 
jede Pflanze oder andrer Gegenstand, erhielt in dieser Weise von den be- 
deutendsten Künstlern ihrer Zeit, seinen besondern in diese (Juadrate ein- 
gezeichneten Kanon der Proportionen. Ebenso wurde jede runde 
Skulptur, Statuen, Thiere, selbst Säulenkapitäle, nach Quadraten gear- 
beitet, von denen uns viele halbfertige Proben noch vorliegen. Wir 
sehen diesen Kanon der Proportionen für die menschliche Gestalt, von 
kleineren Abweichungen abgesehen, im Laufe der ägyptischen Kunst- 
geschichte zweimal erheblich sich verändern, je nach den veränderten An- 
sichten der ihren Zeitgenossen das Gesetz vorschreibenden Künstlerautori- 
täten, einmal im Beginn der zweiten, dann der vierten Kunstblüthe. 
Dieser Kanon, von dem sich nur die ersten Meister ihrer Kunst Ab- 
weichungen erlauben durften, und Portraitkünstler ihrer Aufgabe nach er- 
lauben mufsten, diente doch dem übrigen überaus zahlreichen Künstler- 
trols, der sich kaum über das Handwerk erhob, als Norm und Anhalt. 
Daher die ziemlich durchgängige Correktheit der Zeichnung auch in 
untergeordneten und Dutzend-Arbeiten. Portraitdarstellungen, die 
man früher für eine Erfindung der Griechen hielt, finden wir in Aegypten, 
in Folge ihrer Vorliebe und scharfen Beobachtungsgabe für alles Charak- 
terische in der Natur, in überraschender Vollendung bis in die frühsten 
Zeiten ihrer Geschichte zurück. Man betrachte nur die Reihe der Por- 
traitköpfe alter und ältester Pharaonen und vornehmer Privatleute, die 
unser Museum in Abgüssen, zum Theil auch in Originalen, in gröfserer 
Fülle als irgend ein andres Museum besitzt. 

In dieser früh und viel geübten Kunst des Protraitirens in Zeich- 
nung, Basrelief und runder Skulptur, liegt aber schon allein ein voll- 
wichtiges Zeugnils, dals die Aegypter über die technische und conven- 
tionelle Kunstübung hinaus, einem höheren idealeren Ziele nachzustreben 
suchten und vermochten. Man betrachte die Portraitköpfe des Königs 


Philos.-histor. Kl. 1871. 2 


10 LEPSIUS: 


Chephren, der um 3000 vor Chr. die zweitgrölste Pyramide sich zum 
Grabe erbaute, und die ganze Reihe der Pharaonen aus den mächtigen 
Thebanischen Dynastieen, die Büsten der Amenophns, Tuthmosis, Horus, 
Sethos, Ramses, u. a., die wir in Stein oder Gyps besitzen, und man wird 
abgesehen von der bewunderungswürdigen Technik, anerkennen müssen, 
dafs sie die Werke ächter, hochausgebildeter Kunst sind. Die Züge, in- 
dividuell und lebensvoll, sind über die blofs naturalistische Behandlung 
hinausgerückt und tragen bei aller persönlichen Verschiedenheit nur den 
gemeinschaftlichen Ausdruck wohlthuender Hoheit und Milde. Selbst 
göttlicher Verehrung theilhaftig und in oder vor Tempeln an architekto- 
nisch gewählter Stelle thronend oder aus Pfeilern sei es aus wirklich tra- 
genden, sei es aus losgelösten Rückenpfeilern hervortretend, und meistens 
in übergrofsen Proportionen, trägt ihre Gesichtsbildung mit richtigem Ver- 
ständnifs den Charakter derselben monumentalen Ruhe wie die der Tempel- 
götter selbst, unter denen sie wohnen, ohne dafs gleichwohl ihre mensch- 
liche Individualität mit den allgemeinen typischen Zügen der Götter- 
bildung verwechselt werden könnte. In wie ächt künstlerischer Weise 
die Aegypter individuelle Naturtreue mit dem richtigen Mafs von Ideali- 
sirung zu vereinigen wulsten, dafür bietet eine kleine meisterhaft gear- 
beitete sitzende Statue des Königs Amenophis IV, jenes merkwürdigen zum 
Throne berufenen Sonnenpriesters der die ganze ägyptische Religion auf 
den Sonnenkultus zurückführen wollte und seinen eigenen Namen in 
Chu-en-aten, Diskusverherrlicher, veränderte, einen augenfälligen Beweis. 
Das Original im Louvre ist von ägyptischem Alabaster; und hatte ur- 
sprünglich, aus demselben Blocke gearbeitet, seine Gemahlin neben sich, 
von welcher jetzt nur noch der den Leib des Königs umfassende Arm 
erhalten ist. Die Statue ist ohne Inschrift; vergleicht man aber in unserer 
Gypssammlung den unberührt erhaltenen Kopf derselben mit den ver- 
schiedenen in den Felsengräbern von Tel-el-Amarna abgegossenen Relief- 
portraits des Königs Chu-en-aten, so bedarf es deren nicht, umsogleich 
denselben König wieder zu erkennen, obgleich er in den Darstellungen 
jener Privatgräber durchgängig eine abschreckend häfsliche Kopf- und 
Gresichtsform, wie sie von untergeordneten Künstlern wahrscheinlich 


nur zu realistisch treu der Natur nachgeahmt war, in der Statue aber 


über einige Aegyptische Kunstformen und ihre Entwickehing. 11 


weiche und wohlgefällige, ja geistreich veredelte Züge darbietet, welche gleich- 
wohl unverkennbar von derselben lebenden Person hergenommen wurden. 

Aber nicht blofs auf diesem einzelnen Kunstfelde der Portraitirung 
tritt in der ägyptischen Kunst die Seite hervor, welche sie zur wahren 
Kunst erst macht, nämlich die scharfe Auffassung des Charakteristischen 
in der realen Natur und seine Wiedergabe in idealer Form. Vielmehr 
entwickelten die Aegypter zuerst unter den Völkern in allen Zweigen 
der verschiedenen Künste den Stil im engern und höheren Sinne, dieses 
sicherste Kennzeichen wahrer Kunstentwickelung bei einem Volke, zu 
einer oder zu mehreren Zeiten seiner Geschichte. Sie kannten und be- 
achteten bei ihrer Kunstübung die Eigenthümlichkeiten und Forderungen 
der Stoffe, die sie anwendeten, sie blieben den historisch vorgezeichneten 
Wegen ihrer Kunstentwickelung treuer als vielleicht irgend ein andres 
Volk, und sie wufsten auf den Höhepunkten ihres Kunstlebens eine Ob- 
jeetivität, eine Grofsartigkeit und Würde in der Conception und Ausfüh- 
rung grofser Kunstschöpfungen zu erreichen, welche uns berechtigen ihnen 
eine vorzugsweise stilvolle Kunst im besten Sinne des Wortes zuzu- 
schreiben. 

Je höher sich aber der Genius der wahren Kunst in Aegypten zu 
erheben strebte, um so schwerer trug er an den von ihm selbst geschmie- 
deten erst nothgedrungen dann conventionell der Natur auferlesten und 
nie gelockerten Fesseln, die schliefslich zu seiner eignen Fessel wurden. 
Es war den Griechen vorbehalten, diese zu sprengen und dadurch einen 
neuen Anfang zu gewinnen. Was die Aegypter durch ihre strengen Kunst- 
gesetze sich allmählig in Jahrtausenden mühsam errungen hatten, nahmen 
die Griechen sobald sie sich tüchtig und aufgelegt fühlten aus dem Hand- 
werk herauszutreten, unmittelbar und mühelos von ihnen durch die le- 
bendige Anschauung in ihr Kunstgefühl auf. Die rhythmische Hal- 
tung, der geläuterte Stil gewann in ihnen auch ohne die beschränkende 
Stütze des quadratischen Kanons, unmittelbares Leben. Mit sicherem, 
unverwirrtem Auge konnten sie sich nun von neuem der Natur bis in 
ihre individuellsten Züge zuwenden, und durften es unternehmen, statt 
sie zu fesseln, ihr entgegenzukommen und sie in eine höhere Ordnung 
der Dinge, in das Reich des Idealen, emporzuheben. So entstand mit der 
unentbehrlichen Hülfe, und doch im Gegensatze, zu der beı aller Ent- 

I* 


- 


12 LeErpsıus: 


wickelung noch gebundenen Kunst der Aegypter, die wahrhaft freie 
Kunst der Griechen. 

Von den verschiedenen Künsten ist die Architektur die unab- 
hängigste, die Urkunst gleichsam, an welcher sich die übrigen heranbilden, 
der sie sich unterordnen und von der sie sich in Aegypten niemals zu 
voller Selbständigkeit gelöst haben. Die Skulptur namentlich bildete ur- 
sprünglich gewissermalsen nur einen Theil der Architektur, fand nur in 
Verbindung mit ihr ihre eigentliche Stelle und nahm deshalb von Anfang 
an selbst eine gewisse architektonische Haltung an, die dann auch da wo 
sie etwa getrennt von ihr erschien, nie ganz aufgegeben wurde. Ebenso 
und in noch engerem Verhältnifs standen die Wandbilder zur Architektur. 
Auch in dieser Kunst waren die Aegypter nicht nur Meister und Lehrer 
für alle mit ihnen in Berührung kommenden Völker, sondern wir dürfen 
sie noch bestimmter geradezu ihre Erfinder nennen. Dafür spricht nicht 
allein der äufsere Umstand laut genug, dals wir in Aegypten mächtige 
Architekturwerke und fast schon alle wesentlichen Architekturglieder aus- 
gebildet zu einer Zeit vorfinden die an 2000 Jahre jenseit der ältesten 
Baureste aller andern Völker zurückliegt, sondern es zeugt dafür vornehm- 
lich auch wieder die Art der ägyptischen Architekturentwicklung selbst. 

Denn, während wir in allen andern Architekturen entweder den 
fremden Ursprung im Ganzen erkennen, oder doch im Einzelnen auswär- 
tige Einflüsse und überkommene Elemente vielfach nachweisen können, 
weist in der ägyptischen nichts nach aufserhalb des Landes, und während 
bei allen andern die eigentlichen Anfänge fehlen, und wir durch Umbil- 
dung und Verschmelzung einheimischer und eingewanderter Typen all- 
mählig ein neues Ganzes entstehen sehen, welches erst nach völliger Assi- 
milirung des fremdartigen durch die Macht eines neuen eigenen Prineipes 
zu der Einheit und Vollendung gelangt, deren es fähig ist, sehen wir 
hier von Anfang an eine durchaus einheitliche nationale Entwicklung, die 
an Durchsichtigkeit bis zu den ersten Wurzeln hinab nichts zu wünschen 
übrig lälst. 

Versuchen wir dies durch den Nachweis der genetischen Entwicke- 
lung einiger der wichtigsten Glieder und Formen derAegyptischen Archi- 


tektur in ihren Hauptrichtungen deutlich zu machen. 


über einige Aegyptische Kunstformen und ihre Entwickelung. 13 


Die Stilunterschiede innerhalb der Architektur, wie noch ebenso 
in der griechischen, finden ihren prägnantesten Ausdruck in der Form 
der Säule. 

Bleiben wir bei diesem in vieler Hinsicht wichtigsten Archektur- 
gliede zunächst stehen, so finden wir in Aegypten zwei von einander 
scharf getrennte Säulenordnungen. Diese unterscheiden sich in ihrer 
Anwendung nicht landschaftlich, so dals die eine etwa in Oberägypten, 
die andere in Unterägypten vorgewaltet hätte, ähnlich wie sich die grie- 
chischen Säulenordnungen nach den Volksstämmen unterscheiden. Denn 
beide wurden gleichzeitig in ganz Aegypten gebraucht, und erscheinen 
sogar nicht selten in ein und demselben Tempel. Ihre zu allen Zeiten fest- 
gehaltene Trennung beruht vielmehr in ihrer verschiedenen Genesis. Sie 
gehören zwei gesonderten von Anfang an neben einander herlaufenden 
Bauweisen an, die eine dem Felsenbau, die andere dem Quaderbau; 
die eine hat kanelirten Stamm ohne Schwellung, ohne Kapitäl und ohne 
Bänder, auf keiner oder einer sehr niedrigen Basis stehend, die andere 
ist nie kanelirt, sondern im Gegentheil aus convexen Säulchen zu einem 
Stamme verbunden, der auch glatt sein kann, mit einer Schwellung am 
untern Theile, oben in ein Blüthenkapitäl auslaufend, unter welchem 
5 Bänder um den Stamm laufen, auf einer engen dicken Basis stehend, 
das ganze ein Bündel Papyrusstengel darstellend, das unter den Köpfen 
zusammengebunden ist. 

Sehen wir, wie sich diese durchgängige Verschiedenheit aus der 
beiderseitigen Bauweise erklärt, der diese zwei Säulenordnungen ursprüng- 
lich ganz ausschlielslich angehörten. 

Felsbau ist in Aegypten fast gleichbedeutend mit Gräberbau. 
Die Ausnahmen von Bedeutung sind fünf mächtige Felsentempel, die in 
den Sandfels von. Unternubien eingehauen sind, alle durch Ramses 1. 
Miamun, hergestellt. Daran schliefsen sich noch einige andre geringere 
Ausnahmen, die ich hier nicht aufzuführen brauche. Alle übrigen Fels- 
bauten in Oberägypten, wie in Unterägypten, im Alten wie im Neuen 
Reiche, von der einfachen kleinen Kammer bis zu den unterirdischen ko- 
lossalen Todtenpalästen der Thebanischen Könige und der Millionäre der 
Psametichzeit, und bis zu den mächtigen Katakomben der Apissarkophage 
bei Memphis, gehörten dem Gräberbau an. 


14 Leprsıus: 


Seine einfachsten Formen finden wir im Alten Reiche und seine 
lehrreichsten Beispiele in den Gräberreihen von Benthassan aus der zwölften 
Manethonischen Dynastie. Die Sarkophagkammern der Pyramiden, soweit 
sie uns zugänglich geworden sind, waren in der Regel mit einigen be- 
kannten Ausnahmen, in den Fels gehauen, über dem sich die künstlichen 
Berge des Mauerwerks, erhoben. Ebenso besals fast jedes bedeutendere 
Privatgrab in den ausgedehnten Metropolen von Memphis eine Felsen- 
kammer für den Sarkophag. Sehr häufig waren aber auch die für den 
Todtenkult der nachgelassenen Familie bestimmten, von der Sarkophag- 
kammer getrennten Räume in den Fels gehauen, wurden nicht wie jene 
für immer geschlossen, sondern blieben zugänglich. Sie sind daher meist 
mit Bildern und Inschriften auf den Wänden geschmückt, die der Besitzer 
auf dessen Lebensverhältnisse sie sich bezogen bei seinen Lebzeiten aus- 
führen hiels. Diese Räume waren es auch, für welche allmählig von den 
reicheren Leuten das Bedürfnis nach gröfserer Ausdehnung und dem 
gemäls nach einer reicheren Entfaltung der Architektur empfunden ward. 
Hier können wir diese nun Schritt vor Schritt verfolgen, und in einer 
grolsen Auswahl von den frühesten bis zu den spätesten und unter den 
gleichzeitigen von den einfachsten und ärmlichsten bis zu den durchge- 
bildesten Formen in der lehrreichsten Weise zu einem besondern Bau- 
stile sich entwickeln sehen. 

Den Anfang bildet eine kleine viereckige Kammer, die in eine frei- 
seleste Felswand führt, mit niedrigem Eingange, dessen Thür von innen 
an den die Öffnung oben abschlielsenden runden Thürbalken schlug. An 
der Westwand der Kammer befindet sich eine Blendthüre, welche sym- 
bolisch die Grabesthür vorstellt, und vor welcher, das Gesicht nach 
Westen, in der Richtung der ägyptischen Unterwelt, gerichtet, die Todten- 
opfer gebracht wurden. Der Raum ist oft so klein, dals sich kaum mehr 
als zwei Personen darin bewegen können. Er wird aber gröfßser und 
wächst namentlich, wenn sich mehrere Blendthüren darin befinden, ein 
Zeichen dals auch mehrere Verstorbene darin verehrt werden sollten. 
Wenn ein Raum zu wenig schien, wurde, ‚durch eine Thür verbunden, 
ein zweiter dahinter angelegt, auch ein dritter und mehr. Die Ausdeh- 
nung der einzelnen Räume, die nun auch an Höhe zunahmen, hatte ihr 
Mails zum Theil in der Gefahr, dafs, falls die Qualität des Felsens nicht 


über einige Aegyptische Kunstformen und ihre Entwickehung. 15 


sehr fest und gleichmäfsig war, zu weit gedehnte Decken leichter durch- 
brechen oder sich theilweise ablösen und herabstürzen konnten. Selbst 
in Steinbrüchen läfst man deshalb von Zeit zu Zeit Wände oder Pfeiler 
stehen. Aber nur der vorderste Raum hatte den Vortheil des durch die 
Thür einfallenden Tagesliehts, von dem nur wenig durch die zweite Thür 
in den folgenden Raum nachdringen konnte. Um diesem Nachtheile mög- 
lichst zu begegnen, kam man bald darauf, die Hinterwand mehrmals zu 
durchbrechen und aus der Wand schliefslich eine Pfeilerreihe zu machen, 
welche den Raum noch immer absonderte, wenn dies aus Kultus- oder 
andern Rücksichten erfordert wurde, aber auch als Erweiterung des ersten 
taumes gelten konnte, und seine Beleuchtung theilte, ohne doch der 
Decke ihre Unterstützung zu entziehen; dem Auge aber mulste das Ganze 
nur um so reicher und gefälliger erscheinen durch den Zuwachs der neuen 
Gliederung statt eines grolsen einförmigen Saales. Das Wandstück tiber 
der Thür bis zur Decke, das sich bei jedem neuen Durchbruche wieder- 
holte, blieb stehen, und wurde in seiner Continuität unmittelbar zum 
Architrav, der sich nun in gleicher Höhe über den Pfeilern unter der 
Decke hinzog, in der Dicke der früheren Wand, die dadurch dem am 
Gewohnten gern haftenden Blicke, trotz der Neuerung, völlig erkennbar 
blieb. Zugleich vermehrte der durchgehende Steinbalken die Unterstützung 
der Decke, und bildete endlich für das symmetrische Bedürfnifs des Be- 
schauers die natürlichste Formvermittelung zwischen dem viereckig auf- 
steigenden Pfeiler und der in doppelter Richtung sich ausspannenden Decke, 
deren eine der Richtung des Architravs entspricht. Dafs dies die Ent- 
stehung des Architravs in dieser Felsenarchitektur ist wird dadurch augen- 
fällig bestätigt dafs die Pfeiler ohne jede Ausdehnung oder Einziehung 
unmittelbar und glatt in den Architrav übergehen, so dafs das Ganze 
noch immer wie eine ausgeschnittene Wand aufgefalst werden kann. 

Das Bedürfnifs nach möglichst viel Licht für den Raum hinter den 
Pfeilern führte dann aber weiter zur Abstumpfung der 4 Ecken des Pfei- 
lers. Das ergab die achtseitige Säule, wie sie im ersten Grabe von 
Benihassan erscheint. Auch hier befolgte man aber dasselbe Princip wie 
bei der Durchbrechung der Wand. Man führte die vier hinzukommen- 
den Seiten des veränderten Pfeilers nicht bis zum Architrave fort, sondern 


wahrte den ursprünglichen Charakter desselben dadurch dafs man zu 


16 LEPSıus: 


oberst ein Stück des vierseitigen Pfeilers stehen liefs. Dadurch erhielt 
man wieder, aufser der Reminiszenz, den Vortheil eines durchaus sach- 
gemälsen, daher bedeutungsvollen und zugleich formgefälligen, den Orga- 
nismus bereichernden Verbindungsgliedes, den Abakus. Dieser bleibt 
zum Architrav in demselben Verhältnils wie früher der vierseitige Pfeiler; 
die Vorderseiten gehen glatt in den Architrav über. Dagegen trennt sich 
nun die beginnende Säule als eine neue Form dadurch noch bestimmter 
vom Abakus, dafs unter ihm sämmtliche Flächen leicht eingezogen werden, 
ein Fall der vereinzelt auch beim Pfeiler sich schon findet. 

Der nächste Schritt war die nochmalige Abschneidung der acht 
Ecken, wodurch eine sechszehnseitige Säule entstand, wie sie das zweite 
Grab von Dbenthassan zeigt. 

Schon die technische Schwierigkeit sechszehn Seiten in so stumpfen 
Winkeln mit einander scharf und regelmäfsig zu verbinden, noch mehr 
aber der Wunsch diese feine sechszehnseitige Gliederung des Säulenstammes 
für das Auge schärfer hervorzuheben, und diesem immer bedeutender 
sich gestaltenden Architekturgliede ein lebendigeres Spiel von Licht und 
Schatten zu verleihen, führen nun darauf, die einzelnen Seiten leicht 
auszuhöhlen, sie zu kaneliren, und aus den stumpfen Ecken scharfe Gräten 
zu machen. Die Ähnlichkeit die der Stamm dadureh mit der Dorischen 
Säule erhält, veranlafste Champollion, als ihm diese Form zuerst be- 
gegnete, sie protodorische Säulen zu nennen. 


T 


Die Entstehung aus dem viereckigen Pfeiler blieb aber auch hier 
noch immer, offenbar absichtlich, angedeutet, dadurch dafs man von den 
sechszehn glatten oder ausgehöhlten Seiten stets vier mit den vier Seiten 
des Abakus parallel laufen, nie Kanten auf die Mitten der Abakus Seiten 
stolsen liels, und ferner dadurch, dals man alle vier parallelen Streifen, 
oder die beiden der Vorder- und der Hinter-Seite oder zum wenigsten 
den der Vorderseite, nicht aushöhlte, sondern als gerade Flächen, die als 
solche gleichsam noch ungeänderte Theile des früheren Pfeilers selber 
waren, bestehen liefs. Diese flachen Streifen gewährten zugleich will- 
kommenen Raum für hieroglyphische Inschriftenkolumnen, die mit ihren 
bunten Farben und bedeutsamen Zeichen ein neuer Schmuck der Säulen 
wurden; daher sie auch nicht selten über das ursprüngliche Breitenmals 
der übrigen kaneliren verbreitet wurden. 


über einige Aegyptische Kumstformen und ihre Entwickelung. 17 


Mit der Hervorbildung der Säule aus dem Pfeiler erscheint endlich 
in richtig empfundener Weise zugleich die runde Basis, welche sie mit 
dem Fufsboden vermittelt. Der viereckige Pfeiler bedurfte so wenig wie 
die Wand einer Vermittelung mit dem viereckigen Boden des Zimmers. 
Die für sich bestehende immer feiner gegliederte runde Säule aber er- 
schien nach unten zu kahl wenn sie unvermittelt, und zu sehr einer un- 
vorsichtigen Berührung exponirt ohne Schutz mit ihren zarten leicht ver- 
letzten Kanten der Kaneliren unmittelbar aus dem Fufsboden aufstieg. 
Die ziemlich weit aber niedrig vorspringende am Rande abgeschrägte, 
runde Basis schützte sie zugleich und leitete sie zum Fufsboden über. 
Auch hier war die Bedeutung der Basis als Vermittelungsglied nach beiden 
Seiten hin in ihrer Gestalt ausgedrückt. Ihre wesentlichere Beziehung 
war die zur Säule, von der sie die runde Peripherie annahm. Das Motiv 
der niedrigen Erhebung über den Fulsboden war aber von diesem letz- 
teren hergenommen; denn sie wurde der Höhe der Schwellen gleich- 
gesetzt), welche des Thüranschlags wegen die einzelnen Räume von ein- 
ander schieden. Wie man nämlich die niedrigen Basreliefs der Wände 
von jeher dadurch über die Grundfläche erhob, dafs man die vorher bis 
zu den Höhepunkten der Figuren hervortrende glatte Wand in ihrer 
ganzen Ausdehnung, so weit sie als Fond dienen sollte, abarbeitete und 
in eine tiefere Fläche verwandelte, so höhlte man den ursprünglichen 
Fulsboden, um die Erhebung für die Schwellen und Basen zu gewinnen, 
um so viel aus, als jene an Höhe gewinnen sollten. Von dieser architek- 
tonischen Anschauung aus, waren nicht nur die Schwellen, sondern auch 
die Basen stehen gebliebene Theile des ursprünglichen Fufsbodens, wie 
er in dem gröfsten Theile der einfachen Felskammern erscheint, die noch 
keine Schwellen zeigen. 

Hiermit sind alle einzelnen Momente, die bei der ägyptischen Felsen- 
säule in Betracht kommen, erschöpft. Die Entwickelung ist so durch- 
sichtig und unmifsverständlich, und kann bei jedem Schritt so vollstän- 
dig durch die vorhandenen Beispiele belegt werden, dafs wir an ihr zu- 
gleich einen festen Anhaltspunkt für fernere Vergleichungen finden, und 


!) Denkmäler I, 59, Durchschnitt nach c d. 


Philos.-histor. Kl. 1871. 3 


18 Lersıus: 


z. B. gelegentliches Vermischen mit fremden Elementen mit Leichtigkeit 
erkennen und diese ausscheiden können. 

Wir gehen zu der zweiten complieirteren Säulenordnung über, die 
wir bereits, im Gegensatz zum Felsenbau, dem Quaderbau zugewiesen 
haben. 

Während im Fels- oder Gräberbau die einfachsten mathematischen 
Linien fast allein dominiren, und ihr trockner Ernst nur durch die un- 
melsbaren Abwägungen eines ausgebildeten Sinnes für die Symmetrie in 
der Gliederung gemildert wird, begegnen wir hier in dem freien, über- 
irdischen, dem Leben gewidmeten Quaderbau einer Säulenordnung, welche 
ihre bewegteren, weniger nach dem Richtscheit als nach der freien Ent- 
scheidung des Auges gezogenen Linien dem Wuchs und der Gliederung 
der lebendigen Pflanze entnimmt. 

Sehen wir von den symbolisirten Säulenformen ab, wo Pflanzen- 
schafte Götterköpfe statt der Kelche als Kapitäle tragen, wie auch von 
der grolsen Manigfaltiskeit der Pflanzenkapitäle, die in Ptolemäischer Zeit 
auftreten, so bleiben uns für das ganze Neue Reich nur zwei Pflanzen, 
deren Formen in den Säulen nachgeahmt wurden, die Palme, deren 
Stamm nach oben in eine regelmäfsig geordnete Blätterkrone ausläuft, 
unter welcher sich fünf Bänder finden, aus denen zuweilen aulser 
den genannten Blättern auch flachgehaltene Dattelbüschel hervorquellen, 
und die Papyruspflanze, welche als ein starkes Bündel von Stengeln 
dargestellt wird, deren oberster Theil mit fünf Bändern zusammengebun- 
den ist, über welchen die blüthentragenden Haarköpfe als Kapitäle hervor- 
treten. Die letzteren aus unzähligen feinen Stengelchen bestehend er- 
scheinen dann entweder nochmals besonders eingebunden in Form von 
grofsen Blüthenknospen, oder auseinander gefaltet, als ob sie einen einzi- 
sen grolsen Kelch bildeten. Die geschlossene und die oflene Form wer- 
den nicht unmittelbar mit einander verbunden, aber doch gleichzeitig in 
verschiedenen Räumen ein und desselben Tempels angewendet, die erstere 
sern in geschlofsneren die andre in offneren Räumen. An den Stämmen 
treten entweder die einzelnen Stengel, meist acht an Zahl, aus der Run- 
dung hervor, und ahmen dann auch die eigenthümliche Form der drei- 
kantıgen Papyrusstengel nach, oder sie werden alle in eine einzige glatte 
Säule verbunden gedacht, deren fünf Bänder allein das Bündel verrathen; 


über einige Aegyptische Kumstformen und ihre Entwickelung. 19 


denn die Oberflächen der runden Säulen pflegen mit Darstellungen ver- 
schen zu sein, welche die Stengel auch nicht gemalt sichtbar werden 
lassen, während da, wo die Stengel körperlich heraustreten, nur klirzere 
Inschrifttafeln einen Theil der geschwungenen Flächen bedecken. Der 
untere Theil des Schaftes wird, unmittelbar über der Basis, stark eingezogen, 
so dals dieser im untern Viertel eine starke Schwellung erfährt, und sich 
dann nach oben bis zu den Bändern allmählich verjüngt. An die sich 
ausdehnende unterste Rundung legen sich grofse spitze Blätter an, ein 
Motiv das gleichfalls den lebendigen Pflanzen entnommen ist. 

Aus dem Alten Reiche sind uns überaus wenig Reste von freiste- 
henden Säulen erhalten, weil sich kein einziger Tempel auch nur in an- 
sehnlicheren Bruchstücken aus der Zeit vor dem Einfalle der Hyksos 
erhalten hat. Um so sorgfältiger habe ich einige Fragmente kolossaler 
Säulen untersucht und zeichnen lassen, die sich vor der Labyrinth-Pyra- 
mide des Königs Amenemha IH. im Schutte zerstreut fanden. Ihre Zu- 
sammenstellung ergab die sichere Form einer geschlossenen Papyrussäule 
mit vorspringenden Stengeln, genau so, wie sie im Neuen Reiche erscheint. 
Auch die offene Papyrusform kann ich wenigstens aus einem Wandbilde 
der Felsengräber von Berscheh nachweisen, von wo ich ihren Papierab- 
druck mitgebracht habe. Ebenso ist mir eine Darstellung mit Palmen- 
kapitäl vorgekommen.!) 

Dagegen findet sich im Alten Reiche auch eine im Neuen Reiche 
meines Wissens nicht mehr vorhandene Form, nämlich die Lotussäule. 
Sie erscheint mit Knospenkapitäl aus Stein gehauen in einem der Gräber 
von Bemihassan?) in schlanker überaus gefälliger Form. Unter dem Ka- 
pitäl die fünf bunten Bänder. Der Stamm wird aus vier gekuppelten 
runden Stielen gebildet, die sich durch ihre genau runde Form von den 
mit einer nur abgerundeten Ecke vortretenden Papyrusstengeln unverkenn- 
bar unterscheiden. Sie treten als in beliebiger Länge abgeschnittene Stiele 
der Lotusblume ohne Schwellung, doch nach oben sich verjüngend, aus 
der niedrigen, schon oben beschriebenen Basis heraus. Über dem abge- 
stumpften Knospenkapitäl liegt der wenig übergreifende Abacus. Der 


) Denkm. II, 127. 
?) Denkm. I, 60. 


1 


20 Lersıvs: 


über dieser und zwei andern gleichen, jetzt ausgebrochenen, Säulen hin- 
laufende Architrav ist nach unten geradlinig, nach oben folgt er der 
Decke, die sich dachförmig ein wenig nach der Mitte zu erhebt, so dafs 
der Architrav selbst eine leise ansteigende Giebelform erhält. 

Mit dieser Säule sind andere Beispiele in Wanddarstellungen leich- 
ter aus Holz gezimmerter Gartenarchitektur zusammenzustellen, welche 
das Lotuskapitäl theils wie in Benihassan knospenförmig, auch mit einge- 
bundenen jungen Knöspchen zeigen, theils mit offenem in viele Spitzen 
auslaufendem Lotuskelche, auf deren mittelster Spitze der Abacus aufge- 
setzt ist. Auch hier fehlen die Bänder nicht und der gekuppelten Stiele 
sind wieder 4, von denen aber nur 2 sichtbar werden. 

Es ist ohne Weiteres klar, dafs die Lotussäule von Benthassan der 
Felsarchitektur, der sie hier einverleibt ist, nicht organisch angehört. Sie 
ist einfach aus der Quaderarchitektur herüber genommen; das Grab ist 
in dieser Beziehung wie ein freier Tempelraum behandelt. Eine solche 
Verbindung beider Stile erscheint auch sonst, und zwar begreiflicher 
Weise noch leichter, in dem ebenso weit verbreiteten Quaderbau der Grä- 
ber, der sich einerseits dem den Gräbern eigenthümlichen Felsbau, ande- 
rerseits dem Quaderbau der Tempel anschliefsen konnte. Ebenso finden 
wir aber auch nicht selten die kanelirte Säule des Felsbaus in den Tem- 
peln angewendet, wovon der Grund lediglich das Gefallen an der einmal 
gewonnenen in sich ausgebildeten Form sein konnte, 

Dagegen findet sich nie eine Vermischung der einzelnen in ihrer 
nothwendigen Entwickelung nachgewiesenen verschiedenen Glieder der 
beiden Säulenordnungen. Das Gefühl für die Bedeutung und Genesis des 
hier Zusammengehörigen ging zu keiner Zeit verloren. 

° Anders in Griechenland, wo wir die einzelnen Elemente der 
ägyptischen Säule sämmtlich wiederfinden, Basis, Stamm, Kapitäl, Aba- 
kus; der Stamm $seitig, auch 16seitig; mit 16, auch 20 Kaneliren — 
diese Zahl kommt auch in Aegypten vor — oder endlich ganz rund; 
dazu die Schwellung gewisser Dorischer Säulen, und was besonders be- 
zeichnend ist, selbst die Bänder unter dem Kapitäl kehren wieder, theils 
als annuli am Anfange der Ausladung, theils als Einschnitte am obersten 
Theile des Stammes, in der Anzahl von 3, aber auch, wie in Aegypten, 
von 5. Es kann also nicht zweifelhaft sein, dals wir hier dieselben Ele- 


über einige Aegyptische Kunstformen und ihre Entwickelung. 21 


mente wie in Aegypten vor uns haben, und dafs hier nicht von einer 
neuen zweiten Schöpfung die Rede sein kann, sondern von einer Kennt- 
nils der in Aegypten vorhandenen Formen und Übernahme derselben sei- 
tens der Griechen, wobei nicht zu vergessen ist, dafs die kanelirten Säu- 
len von Benihassan aus dem ten Jahrtausend v. Chr. herrühren. 

Aber in welcher Verbindung treffen wir einzelne dieser Elemente 
in der griechischen Säule. Es ist gerade die kanelirte Dorische Säule, 
welche nicht nur zuweilen die Schwellung zeigt, sondern auch einen Hals 
mit Bändern und einen das Kapitäl vertretenden Wulst. In Aegypten 
war dies unvereinbar. Die Kaneliren gehören ausschliefslich der aus- 
höhlenden, abschneidenden Felsarchitektur an, der Kopf, auf dem der 
Abakus aufliest, ausschliefslich der Pflanzensäule; noch entschiedener die 
Halsbänder, deren Motiv nur in dem unter dem Kelch zusammengeschnür- 
ten Bündel von Stengeln liegt, von dem die griechische Säule nie eine 
Andeutung hat; und ebenso die Schwellung, die nur von der Pflanze, 
nicht vom Pfeiler herrühren kann. 

Ebensowenig zeigen die übrigen griechischen Säulenordnungen eine 
Anordnung der Elemente, wie sie nach ihrem Ursprunge in Aegypten 
(der auch den lonischen Voluten zuzusprechen ist) und nach ihrer dort 
klar vorliegenden genetischen Bedeutung, zu erwarten wäre. Die griechi- 
sche Säule ist eben durchweg ein ganz neues Gebilde geworden, von 
einem eigenen neuen Prinzipe beseelt, welches die Heterogenität der von 
aufsen überkommenen Elemente vollständig überwunden, und zu einer 
neuen Einheit verbunden hat. 

Wenden wir uns nun aber zurück zu der Ordnung der Pflanzen- 
säule auf ihrem heimischen, dem ägyptischen, Boden, um zu sehen, ob 
wir auch diese Form, ähnlich wie die Felsensäule, höher zurück nach 
ihrem Ursprunge verfolgen können, so steht uns hier zunächst der schon 
erwähnte Mangel an erhaltenen Beispielen, die uns in der Felsenarchitek- 
tur so vollständig vorlagen, hindernd entgegen. Doch wird dieser Man- 
gel einigermafsen durch die Wandbilder ersetzt, aus denen wir überhaupt 
auch im Neuen Reiche, eine ganze Seite der ägyptischen Architektur al- 
lein kennen lernen, nämlich die Profanarchitektur. 

Wir besitzen aus dem alten Aegypten, mit Ausnahme einiger 
Grundmauern und Häuserpläne, keine Reste der Profanarchitectur, 


9 LEPSIUS: 


-.- 


selbst nicht von den Palästen der Könige, wenn ich von dem Vorderge- 
bäude des Tempels von Medinet Habu zu 'Theben absehe, das allerdings 
gegen alle sonstige Sitte, zu einer Privatwohnung des Königs eingerichtet 
war. Es ist unrichtig, wenn man so oft von den Tempeln und Palästen 
der ägyptischen Könige redet; Alles was von grolsen massiven Gebäuden 
erhalten ist, war nur zu Wohnungen für die Götter, nicht für die Men- 
schen, bestimmt. 

Und doch hatten die Könige ohne Zweifel ihre Paläste ebenso 
nothwendig, 


Sitte gewesen zu sein, dals nur die Tempel massiv aus Steinquadern auf- 


wie jeder Privatmann sein Haus. Es scheint aber allgemeine 


geführt wurden; die Wohnungen der Menschen waren wesentlich Ziegel- 
und Holz-Bau, dessen Wände, wo Luxus entfaltet werden sollte, mit auf- 
selesten Steinplatten bekleidet und mit reichen Darstellungen versehen 
wurden, so wie uns dies z. B. von dem Palaste des Labyrinthes aus- 
drücklich berichtet wird. Daher der gründliche Untergang dieser Profan- 
architektur. Von der alten Berırsıa zu Memphis, von dem Palaste der 
Dodekarchen, von den gewils kostbaren Wohnungen der Thebanischen 
Könige und ihrer Aristokratie, sind nichts als Schuttberge von Nilziegeln 
noch vorhanden. Die leicht beweglichen Steinplatten wurden weggetra- 
sen, anderwärts verbaut oder zerschlagen; wir finden von ihnen nur 
noch den Abfall, kenntlich an der Manigfaltiskeit und Kostbarkeit der 
Stemarten; das Holzwerk ist verbrannt und verwest. 

Bei der grofsen Ausdehnung und Ausbildung, welche die Profan- 
architektur ohne Zweifel in Aegypten neben der Tempelarchitektur erlangt 
hatte, ist es natürlich anzunehmen, dafs auch die gegenseitige Einwirkung 
eine erolse und durchgängige war; ja sie mulste, wiederum im Gegen- 
satze zur Felsenarchitektur, offenbar einen gemeinschaftlichen Ursprung 
gehabt haben. Erst die verschiedenen Zwecke der Götterhäuser und der 
Menschenhäuser schieden die beiden Architekturen und verlangten z. B. 
verschiedene Dispositionen der Räume. Dies hatte aber auf die Archi- 
tekturformen selber weniger Einfluls. Entscheidender würde in einer ge- 
wissen Zeit der Entwickelung die Verschiedenheit des Materials, welches 
eine verschiedene Technik verlangte, gewesen sein. Aber auch hierbei 


wog die, bei einer ungestörten Entwickelung aus eigenen Elementen, sehr 


über eimge Aegyptische Kunstformen und ihre Entwickelung. 23 


natürliche Neigung zu geschichtlicher Continuität in der Entwickelung der 
einzelnen Architekturtheile entschieden vor. 

In der That lassen sich fast alle einzelnen Architekturformen und 
Vieles in ihrer Verbindung mit Evidenz auf den Holzbau, der dem 
Steinbau auch zeitlich vorausgehen mulfste, zurückführen. Von diesem 
Holzbau mufs man erst eine genauere Kenntnils haben, ehe man die Glie- 
der des Steinbaus in der Bedeutung und den Motiven ihrer Formen rich- 
tig beurtheilen kann. Diese Kenntnils können wir aber sehr vollständig 
theils aus einzelnen direkten Zeugnissen, theils und vornehmlich aus 
Rückschlüssen von der nachahmenden Steinarchitektur, gewinnen. 

Der Holzbau der Privathäuser mufste sich von Anfang an mit dem 
Ziegelbau verbinden. Das Land war zu holzarm, um etwa ganze 
Häuser aus Balken und Bretern zu zimmern. Auch wäre dies in dem 
heifsen Lande durchaus unzweckmälsig gewesen. Die allgemeinen Verhält- 
nisse eines Landes in Bezug auf Klima, Boden, Baumaterial u. dgl. ver- 
ändern sich nicht oder unwesentlich. Dieselben Bedingungen, denen heut- 
zutage der Fellah folgt, wenn er sich seine Hütte oder auch sein grölse- 
res Haus aus getrockneten Nilziegeln mit Schlamm verbunden aufbaut, 
und Thür und Fenster und Decke aus Holz zufügt, hatten sich ebenso 
vor 5000 Jahren geltend gemacht und im Wesentlichen dieselbe Bauart 
hervorgerufen. Vor der regelmälsigen Ziegelformation baute man die 
Wände ohne Zweifel unmittelbar aus dem feuchten zähen Nilschlamm, 
etwa mit eingemischtem Stroh, wie es bei unsern Lehmhäusern ge- 
schieht. 

Aus dieser Urzeit schon scheint die für alle Zeiten festgehaltene 
Sitte zu stammen, die Aulsenwände der Häuser, wie aus den Nekropolen 
und von den Tempelpylonen bekannt ist, nicht senkrecht, sondern nach 
hinten geneigt anzulegen, um ihnen dadurch eine gröfsere Festigkeit zu 
geben. 

Die 4 schiefen Wände des einfachsten Wohnungsraums wurden an 
der Vorderseite durch die Thür unterbrochen, deren Flügel in der Flucht 
der inneren senkrechten Wand lagen. Ihr oberer Anschlag wurde durch 
einen in die Seitenwände gebetteten Palmenstamm gebildet, dessen Ober- 
seite bis zur Höhe der Wände reichte. Dadurch wurde die Oberseite der 
4 Wände wieder vollständig, so dafs die aus Palmstämmen gebildete 


24 LEPsıvs: 


Decke von hinten nach vorn über die schmale Seite der Kammer gelest, 
überall aufliegen konnte, ganz so wie wir die Decken in einigen Felsen- 
gräbern nachgebildet sehen.) Die Decke wurde dann mit Sand und 
Erde bedeckt, auch die Vorderseite der Balkenköpfe gegen die Witterung 
verkleidet. Dadurch erschien die vorspringende Decke von vorn als eine 
rundum laufende Bekrönung, die jedoch auch auf einem mauerbekrönen- 
den Balken aufliegen konnte. Aber auch die unbedeckten runden Bal- 
kenköpfe finden sich gelegentlich als Ornament wieder.?) 

Wollte man dann die Decke im Innern höher haben, ohne die 
Thür unverhältnifsmäfsig und unnöthig hoch zu ziehen, so mufste man 
den Thürsturz von der Mauerbekrönung trennen und die Mauern höher 
führen. 

Hob man das Gebälk noch höher, so konnte man zwischen Thür- 
wulst und Mauerkrönungsbalken noch ein schmales Fenster über der 
Thür, zum Vortheil der Helligkeit im Innern, gewinnen, das wir zuweilen 
in den Blendthüren der Grabkammern angedeutet finden; oder, was der 
gewöhnlichen Bildung der Blendthüren noch näher entspricht, man be- 
hielt die alte Thürbekrönung bei, d. h. den alten Mauerabschlufs durch 
einen Balken über dem Thürwulst, welcher Balken die ursprüngliche Lage 
der Decke anzeigt, und hob nun die Decke um einen ganzen Dachstuhl 
in die Höhe, wodurch man zwischen der Höhe der ursprünglichen und 
und der gehobenen wirklichen Decke einen breiten Fensterraum erhielt, 
welcher dem Thürfelde der Blendthüre entspricht. 

Dies war der Typus des einfachen Zimmerbaues in Ziegel und 
Holz. 

Daneben aber bildete sich ein reiner Holzbau aus, ganz frei und 
ohne Verbindung mit dem Ziegelbau, in Landhäusern und Gärten, wo 
man nur luftige, aber beschattete Räume, Lauben und Veranden suchte. 
Auch diesen Bau lernen wir aus zahlreichen Abbildungen kennen. 

Hierher gehören namentlich leichte Bedachungen, die auf schlan- 
ken Säulen ruhen, und unter welchen die Besitzer auf Stühlen auszuru- 
hen pflegen. Die Säulen tragen z. B. in der Abbildung eines Grabes 


1) Denkm. I, 
2) Denkm. III, 208. 


über ewige ägyptische Kunstformen und ıhre Entwickelung. 25 


von Kafr el Batraän (n. 16. Denkm. II, 52) als Kapitäle offene Lotusblü- 
then und die dünnen Schafte, einfach oder vierfach gekuppelt, ruhen auf 
einem Fulse. Unter dem Kelch liegt ein einfaches Band; auf den Spitzen 
des Kelches ruht der niedrige Abacus; dieser trägt unmittelbar die Decke in 
Gestalt eines flachen Balkens, den man sich zur Fläche fortgesetzt den- 
ken muls. In derselben Darstellung bilden 4, aber verdoppelt zu den- 
kende Säulen eine Art Gartenhaus. Die letzte Abtheilung rechts, in wel- 
cher der Herr desselben, eine Lotusblume in der Hand haltend, sitzt, 
enthält auch eine Andeutung von 3 Wänden (die vierte ist für den Beschauer 
vorn weggenommen) und von der darüber liegenden Deckenfläche. Zwei 
Lotussäulen mit Abacus und verstärktem Fulse tragen aufserdem die Decke. 
Zweı Fenster in der Hinterwand scheinen durch Gitterwerk verschlossen 
zu sein, 

Aus dem hier in einigen Hauptzügen geschilderten Hausbau 
einerseits und Laubenbau andrerseits entwickelte sich nun ohne Zweifel 
der immer weiter fortschreitende Palast- und Tempelbau, sowie der Grä- 
berbau, soweit er im Quaderbau nicht den Stil des Felsbaus annahm. 
Alle bedeutsamen Motive des Quaderbaus finden hier ihre Erklärung. Na- 
mentlich ist die Form der Pflanzensäule ersichtlich aus der leichten, hei- 
tern Holzarchitektur der sich der ländlichen Natur anschmiegenden 
Land- und Gartenhäuser entlehnt, auf welche ihre Symbolik unmittelbar 
hinweist. 

Zu weit aber würde man ohne Zweifel gehen, wenn man nun des- 
halb voraussetzen wollte, dafs ın jenen prototypischen Construktionen 
etwa auch Papyrusstengel, in Bündel vereint, zu Stützen wirklich irgendwo 
angewendet worden wären, die man dann in Holz und Stein nachgebildet 
hätte. Dem würde, wenn es dessen bedürfte, schon die älteste Form 
dieser Säulenbündel, die aus 4 Lotusblumenstengeln gekoppelten Säulen, 
entgegenzuhalten sein, da sich offenbar auch die leichteste Last nicht auf 
Blumenstile stützen konnte. Vielmehr ist die Blumensäule, auch in die- 
ser Beziehung gegensätzlich zur kanelirten Säule, nicht allmählich, son- 
dern gleich als Ganzes ın die architektonische formbelebende und bedeut- 
same Symbolik aufgenommen worden. Nur Basıs und Abakus sind hier 
unverhüllte reine Architekturglieder, zwischen welche die eigentliche Säule 
als nur in der Ausdehnung den Pfeilern analoge, gefällige Naturform ein- 


Phrlos.-histor, Kl. 1871. 4 


26 Lersıus: über einige ägyptische Kunstformen etc. 


geschoben wurde. Hier entschied aufserdem nur noch das symmetrische 
Gefühl. Daher wurde der Blüthenstengel, da seine wirkliche Proportion 
nieht unmittelbar beibehalten werden konnte, vervierfacht oder veracht- 
facht, um ein richtiges Verhältnils der Dicke zur Höhe zu gewinnen. 
Dazu fanden sich dann die das Bündel zusammenhaltenden Bänder von 
selbst. Die Gliederung der Pflanzensäule beruht wesentlich auf dem Ge- 
fühle für architektonische Gliederungs-Verhältnisse überhaupt. welches von 
den Griechen zum eigentlichen Prinzip ihrer Kunstschöpfungen erhoben 
wurde, aber auch bei den Aegyptern bereits hoch ausgebildet war. Dieses 
näher nachzuweisen, würde uns aber in ein anderes weites Grebiet der 
ägytischen Kunstanschauung führen, das wir für diesmal nieht zu be- 
treten vorhaben. 


Die Metalle 


in den Aegyptischen Inschriften. 


Von 


H" LEPSIUS. 


[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 23. Januar und 27. April 1871.] 


D« edeln Metalle und die edeln Steine standen bei den alten Aegyptern 
in grolsem Werth und Ansehn. Die Metallurgie, wie auch die Kunst, 
Edelsteine zu schleifen, zu schneiden und zu den mannigfaltigsten Ver- 
zierungen anzuwenden, war früh ausgebildet und zu einem hohen Grade 
vervollkommnet; ebenso war die Glasbereitung und die Färbung der Glas- 
tlüsse zur Nachahmung der Edelsteine in durchscheinenden oder undurch- 
sichtigen Massen, zur Herstellung aller Art von Glasarbeiten, zu mannig- 
fachem Schmelzwerk und zur Verglasung von Figuren und andern Gegen- 
ständen aus Erde oder aus gewissen dazu geeigneten Steinarten, allgemein 
verbreitet und beliebt. Um sich davon zu überzeugen, bedarf es nur eines 
Blickes auf die Schätze, welche im Tempel von Karnak Thutmosis III 
vor Ammon aufgehäuft hat!), oder auf die Reichthümer an Gold und 
Silber und kostbaren Mineralien aller Art, welche von den Völkern des 
Nordens und des Südens demselben Könige in dem Grabe des Reymara?), 
oder auf die, welche dem späteren Könige Tutänyamun von einer nörd- 
lichen und südlichen Gesandtschaft überbracht werden, beide in thebani- 
schen Gräbern abgebildet?). Die Schätze an Waffen aller Art und kost- 
barem Geräth, welche Aamses III, der reiche Rhampsinit des Herodot, 
in seinen Schatzhäusern verwahrte, sind in grofser Menge in einem Gemach 


?) Von Hoskins, Trav. in Ethiopia p. 328 ff. pl. 46—49. in Farben, von Wil- 
kinson Mann. & Cust. vol. I in Zeichnung wiedergegeben. 
3) Denkmäler der Preufsischen Expedition III, 115—118. 


28 DEPSIUS: 


seines Felsengrabes abgebildet !). Was man in Anfertigung von grolsen 
kunstreichen Vasen von Gold und Silber mit Schmelzwerk ausgelegt in den 
elegantesten Formen, mit Henkeln und Deckeln versehen, mit Menschen- 
und Thierfiguren, mit Blumen und Laubwerk verziert, zu leisten vermochte, 
zeigt die reiche Zusammenstellung, meist in den Originalfarben, bei Ro- 
sellini ?). Einen Besriff von der unermelslichen Kriegsbeute an edeln 
Mineralien, in rohem und in verarbeitetem Zustande, welche unter den 
mächtigen Pharaonen der grofsen Thebanischen Dynastieen von ihren 
Siegeszügen nach Asien und Aethiopien in Aegypten zusammenströmte, 
gewähren die Inschriften, welche auf den Wänden um die vordere ÜCella 
des Tempels von Karnak die Feldzüge Thutmosıs III vom 22. bis 42. Jahre 
seiner Regierung verzeichnen. Aechnliche zum Theil noch erhaltene In- 
schriften aus der Zeit Ramses II wurden nach Tacitus Bericht dem Ger- 
manicus von den Thebanischen Priestern erklärt. „Legebantur“, heilst es 
da, „et indieta gentibus tributa, pondus argenti et auri. numerus armo- 
rum equorumque, et dona templis, ebur, atque odores, quasque copias 
frumenti et omnium utensilium quaeque natıo penderet, haud minus magnı- 
fica, quam nune vi Parthorum aut potentia Romana iubentur.* 

Aber auch aus spätern Zeiten besitzen wir Berichte über reiche 
Beute an edeln Metallen, z. B. auf den äthiopischen Stelen von Berg Barkal: 
und auf den späten Denkmälern der Ptolemäer, und selbst aus Römischer 
Zeit werden uns lange Listen der Orte und Länder aufgeführt, welche 
sewisse Metalle und andre edle Mineralien, nach ihrem Werthe geordnet, 
in die Tempelschätze zu liefern hatten. 

Bei so reichem Stoffe für unsre Kenntnifs der von den Aesyptern 
gekannten und geschätzten Minerale und bei dem grofsen Fortschritt der 
hieroglyphischen Entzifferungen in neuester Zeit ist es auffallend, dafs 
gerade über die Bezeichnung nicht nur der Edelsteine, sondern auch der 
Metalle noch so viel Ungewifsheit bei den Aegyptologen herrscht. 

Die Ungewilsheit ging zunächst von dem Zeichen aus, welches 
Champollion und nach ihm Andre, ich weils nicht aus welchem 
Grunde, für eimen Schmelztiegel hielt. Er kannte die Aussprache des 


!) Champ. Mon. pl. 258—264, Rosellini Mon. Civ. 59. 60. 91. 
2) Mon. Civ. tav. 58—62. 


die Metalle in den Aegyptischen Inschriften. 29 


Zeichens nicht, übersetzte es aber durch Eisen. Jetzt wird es meistens 
ba gelesen und von de Rouge für Eisen oder Stahl gehalten; Birch!) 
liest ba, wood, iron or brass; Chabas?) giebt keine Aussprache, über- 
setzt aber bronze ou fer. Brugsch schwankt gleichfalls zwischen Eisen 
und Zrz®); Dümichen *) giebt die Gruppe 92», wieder durch 
„schwarzes Metall“. 

Dieses Schwanken zwischen zwei so wichtigen Metallen wie Kupfer 
und Eisen hatte hauptsächlich darin seinen Grund, dafs man in den In- 
schriften eine feststehende Reihe fand, in welcher das zweifelhafte ıdeogra- 
phische Zeichen zwischen zwei phonetischen Gruppen stand, von denen die 
ihm nachfolgende taht lautete und folglich dem koptischen raor, plum- 
bum, entsprach, die ihm vorhergehende mafka-t, für welches sich kein 
entsprechendes Wort im Koptischen vorfand. Nahm man nun, wie Cham- 
pollion that, mafka-t für Kupfer, das zweifelhafte Zeichen für Eisen. 
so schien alles in der Ordnung zu sein; man hatte: Kupfer, Eisen, Blei. 
Vom Zinn konnte hier nicht gut die Rede sein. Dieser Ordnung schien 
es dann aber nicht zu entsprechen, dafs mafka das Kupfer, nirgends 
genannt wird, wenn es sich um Vasen, Waffen und Geräthschaften aller 
Art handelt, sondern nur das Zisen, während wir doch aus den Grä- 
bern fast ausschliefslich nur kupferne Geräthschaften kennen, eiserne so 
gut wie gar nicht. Wollte man aber das unbekannte Zeichen D für Kupfer 
nehmen, so fehlte das Eisen in der Reihe gänzlich, und für mafka mulste 
eine andre Bedeutung gesucht werden, die sich schwer ermitteln liefs. 
Allerdings hatte Brugsch ?) aus dem Umstande, dafs der Engländer Mac- 
donald in den Mafka-Minen der Sinai-Halbinsel Türkise in das Gestein 
eingesprengt gefunden und sie förmlich ausgebeutet hatte, geschlossen, 
dafs diese Türkise das eigentliche Ziel der uralten bergmännisehen Kolo- 
nieen der Aegypter auf der Halbinsel gewesen seien, und dafs mafka 
daher nicht das Kupfer, sondern den Türkis bedeute; somit wäre das 
folgende Zeichen D in der Reihe der Minerale für die Bedeutung Kupfer 


1) Bei Bunsen, Egypt., vol. I, 2. ed. p. 555. 
?2) Pap. Harris. 

3)  Wörterb. p. 23. 50. 91. 618. 751. 

&) RecueilIV, 99.96. 97. u.a, Text p.7. 


>) Wanderung nach den Türkis-Minen und der Sinai-Halbinsel. 1866. p. 80 #. 


30 LEPsıvs: 


wieder frei gewesen. Die Vermuthung erschien um so annehmlicher, da 
in der feststehenden Reihe unmittelbar hinter Gold und Silber und vor 
mafka ein Mineral yesbet eingeschoben war, welches gleichfalls nach 
allgemeiner Annahme nicht ein Metall, sondern einen edeln Stein, den 
/apıs lazuli bedeutete. Dennoch fand diese Vermuthung, dafs mafka der 
Türkis sei, die wir weiterhin näher prüfen werden, bei den Aegypto- 
logen wenig Eingang, wird aber von Brugsch in seinem Wörterbuche 
noch festgehalten. 

Es blieben also aus diesen und andern Gründen die Zweifel über 
die Bezeichnungen von Kupfer und Eisen in den hieroglyphischen In- 
schriften bestehen. Da sich nun auch noch andre Gruppen für Metalle, wie 
wir nachweisen werden, nicht selten finden, die bisher allgemein verkannt 
worden zu sein scheinen, und bei der Erklärung der ägyptischen Mineral- 
reihe auch die wichtige Bereitung ihrer Farben eine grofse Rolle spielt, 
so schien es der Mühe werth, alles hierher Eimschlagende einer näheren 
Untersuchung im Zusammenhange zu unterziehen. Diese habe ich vorge- 
nommen, ohne mich zu weit auszudehnen, und lege die Ergebnisse der- 
selben hier vor: zunächst die über die edeln Metalle: Gold, Elektrum 
und Silber. 

Es existirt eine natürliche Reihenfolge der Hauptmetalle, geordnet 
nach ihren Eigenschaften und ihrem nach Seltenheit und Nutzbarkeit be- 
stimmten Werthe, die sich daher schon bei den alten Völkern fast überall 
gleich bleibt. Wir pflegen die Metalle in edle, zu denen Gold und Silber 
gehören, und unedle, wie Kupfer, Eisen, Blei, einzutheilen. Ebenso folg- 
ten sich bei den Griechen und Römern die Metalle, und bei den Hebräern 
kommt dieselbe Ordnung bereits im 4. Buche Mosis vor (31, 22), wo 
auch das Zinn (wenn das Wort bedil so zu übersetzen ist) schon genannt 
wird: Gold, Silber, Erz, Eisen, Zinn und Blei. Nur wird nicht selten 
das Silber vor das Gold gesetzt. 

In einer solchen festen Ordnung erscheinen nun die Metalle, wie 
schon erwähnt, auch in den hieroglyphischen Inschriften, jedoch mit einer 
auffallenden Abweichung. Hinter Gold und Silber nämlich erscheint regel- 
mälsig, und zwar von der alten Zeit bis in die Griechischen und Römi- 
schen Zeiten herab, das Mineral yesbet, oder wie es später meist ge- 
schrieben wird yesteb, und dann die vorläufig schon erwähnten bestrittenen 


die Metalle in den Aegyptischen Inschriften. 31 


beiden Gruppen, welche meist, nach Champollion’s Vorgang, durch Kupfer 
und Eisen erklärt werden, zuletzt das Blei. Aufserdem erscheinen hin 
und wieder noch zwei Gruppen, im asem, und | men, von denen 
die erste das Zeichen des Goldes, die zweite das unbekannte Zeichen o 
zum Determinativ hat, und die sich daher am natürlichsten diesen beiden 
Metallen anschliefsen. 

In dieser Ordnung werden wir nun die einzelnen Gruppen erör- 
tern und beginnen mit dem Golde. 


m, nub, nork, das Gold, xgurcs, aurum. 


Das figürliche Zeichen, welches das Gold bedeutet, wurde von 
Champollion!) für eine Art von creuset gehalten. Richtiger wurde es 
wohl von Rosellini?) erkannt als der längliche Sack oder das zusammen- 
gelegte Tuch mit zwei Zipfeln, in welchem die Goldkörner durch Schwen- 
ken gewaschen wurden. Es ist dies eine der Manipulationen bei den 
Goldarbeiten, welche in Benihassan und in Thebanischen Gräbern abge- 
bildet sind. In Benihassan ?) erscheint das Zeichen noch in seiner ur- 


sprünglichen Gestalt ; aus dem Sack träufelt das Wasser ab: und in 


Theben wird der Sack von zwei Leuten in der Luft geschwenkt #); dar- 
über steht Am „Bereitung des Goldes“. (Quod eflossum est, sagt 
Plinius °) bei der Beschreibung der Goldgewinnung, tunditur, lavatur, 
uritur, molitur in farmam, ac pilis eudunt. Unser Zeichen bedeutet 
also die Goldwäsche. Im neuen Reiche scheint die figürliche Bedeutung 
dieses, wie so manches andern Zeichens, vergessen worden zu sein; denn 
es wird nicht selten wie ein Halsband dargestellt ©). Als Determimativ 
des Zeichens erscheinen in der Regel die drei Körner, welche auch hinter 
Steinen, Erde, Farben und vielen körnigen Gegenständen auch des Pflan- 


zenreichs gebraucht werden. Während aber die Steine statt durch Körner 


1) Diet. hierogl. pag. 410. 

2) Mon. Civ. tom. II, p. 282. 

3) Rosellini, Mon. Civ. tav. 5l, 4. 

4) Ibid.> 51,122: 

5) H. N. 33,4, 69. 

6) De Rouge, Aahmes p. 66 und pl. 11. 


32 LEPSIUS: 


auch durch den Stein determinirt werden, führen die Metalle ausschliefs- 
lich die Körner. In andern Bedeutungen desselben Zeichens mm ohne 
die Körner wird das phonetische Complement durchgelegt oder nach- 
gesetzt =]. wodurch die Aussprache »ub, die sich unverändert ım 
koptischen ıı stov&, erhalten hat, festgestellt ist. Es findet sich gelegent- 
lich die rein phonetische Variante ji: Y). In Römischer Zeit wird die 
- [eo] - 
Kuh mit den Körnern &ne mit der Aussprache neb, nub für das Gold 
gesetzt ?). 

Auffallender sind noch andre Bezeichnungen des Goldes in später 
Zeit, welche auf ganz verschiedene Worte führen, nämlich TINO) saut, 
welches gelegentlich auch das Zeichen des Goldes als Determinativ an- 


1 . NS Seczapı pe? 2 2 6 
nimmt TEN BEN ) und °®), me neb(?) woraus auch 11%) und 
SE R h : = R N 3 

Ion °) verschrieben zu sein scheinen. Vielleicht ist auch die Gruppe 


000 
= an 2 1 ketem, nur eine andere Bezeichnung des 
Goldes ın den Inschriften von Edfu. Man liebte es seit den Ptolemäi- 
schen Zeiten seltene und gesuchte Ausdrücke hervorzuziehen um Gelehr- 
samkeit zu zeigen sowohl ın der Wahl der Worte als der Zeichen, was 
die Erklärung für uns oft schwierig macht. Wir haben es hier offenbar 
nicht mit später allgemein eingeführten Worten zu thun, sondern vielleicht 
mit Beiwörtern, die etwa von alten Poeten gebraucht worden waren. So 
könnte saur wohl auf den Stamm des koptischen cat, case, caıwor pul- 
cher, führen, also „das schöne Metall“. Die zweite Gruppe, deren Aus- 
sprache unsicher ist, bedeutet für gewöhnlich 2, und ist nur in der An- 
wendung auf das Gold unverständlich. 

Das Gold wird in den Abbildungen in verschiedenen Formen dar- 
sestellt, kenntlich durch Beischrift und Farbe. Es wird in Haufen dar- 


!) Aegypt. Zeitschr. 1870 p. 20. 

2) Dümichen, Recueil IV, 75, 2. 

3) Düm., Rec. IV, 69, 2. 71, 2. 73, 2 u.a. Tempelinschr. I, 90, 15. 
4) Düm., Tempelinschr. II, 24, 3. 42, 39. 

5) Düm., Tempelinschr. 73, 2. 

6) Düm., Ree. IV, 66, 2. 

Dr Tbid. IV, 6972. 

») Düm., Kal. Inschr. 119, 4. 

9) Ibid. 111, 12. Rec. IV; 69, 2. 

10) Ibid. 118, 14. 


die Metalle in den Aegyptischen Inschriften. 33 


gestellt!). Das sind ohne Zweifel die rohen Goldstückchen, wie sie in 
den Bergwerken gewonnen wurden. Ferner in Beuteln ?), welche das 
Gold in kleinen Körnern oder in Stückchen, die vom Gestein gesäubert 
waren, enthielten, oder auch das Waschgold, welches in kleinen Schüpp- 
chen aus dem Sande der Bäche ausgewaschen wurde, wie dies noch 
heutzutage von den Negern in Fazoglu am blauen Nile in Federspulen 
gesammelt und Tibber genannt wird. Ferner auch häufig in Platten °), 
Stangen oder Ziegeln®), in welche das Gold zusammengeschmolzen wurde, 
oder endlich in Ringen ?), welches die gewöhnlichste Form ist, namentlich 
beim Abwägen des Goldes. In diesen verschiedenen Formen wurde 
es dann in Kisten von folgender Gestalt oder verpackt und 
im Schatze oder der Silberkammer Ar =), per hat, deponirt. 

Die meisten dieser Formen können wir nun auch in den Inschriften 


nachweisen. 


: er N - N 
Gold in Beuteln heilfst —=D1) nub em äref-u, 
000 x Ill 


000 
ne x, Ben zn Ben, ee, 
= 8) nub äref-u, vn ss, >Dd, =>%?), äref, kopt. wpty, 
A000 x Au u ve 
op&, includere, ceonstrietum tenere. 
rr AR ö £ 
Gold in Ringen IN xpo10), nub em ses-u, was mit 
F = ooo MNDII , 

dem koptischen worwr, aspicere, fenestra, foramen zusammengebracht 
worden ist, dessen Begriff aber vom „Durchsehen“* auszugehen scheint, 
oder auch vom „Oeffnen“, was gleichfalls nicht auf.den „Ring“ führt, 
der doch als das Determinativ zu sesu erscheint. Es wird dann öfters 


noch Gold oder Silber in =, 11), tete-t, erwähnt, wobei man das 


1) Dümichen, Histor. Inschr. Taf. 32. 34. — S. unsre Tafel n. 1. 
2) Ibid. Taf. 32. — Tafel n. 2. 

3) Hoskins, Trav. in Eth. p. 330, Taf. 

#) Champ., Not. p. 508. 

5) Denkm. III, 39, d. 

6) Düm., Histor. Inschr. I, 30. 

7) Ibid. XXXIV. 

8) Denkm. III, 118. 

9) Düm.. Kal. Inschr. 49, b, 3. 

10) Auswahl der wicht. Inschr. XII, 31. 51. Denkm. III, 32, 29. 
11) Denkm. III, 31, a, 11. 30, a, 14. 32, 28, 29. 34. 


Philos.-histor. Kl. 1871. 5 


34 LEPsıvus: 


koptische rwre, fimbria, brachiale, armilla verglichen hat. Indessen palst 
hierzu wenig das Determinativ, welches eher einer niedrigen Tasse mit 
einem schmalen Fufse gleicht; auch folgt in der Regel ein andres Gefäls. 

a x=_1), nub hi set-f?), „Gold mit seinem Gestein“ sind 
die rohen unverhütteten Goldklumpen der Bergwerke, die zu Haufen ge- 
schichtet abgebildet werden. Brugsch ?) übersetzt zwar die Phrase „aus 
seinem Lande“, und ebenso falst es Gensler*); dafs der Beisatz aber 
die Bezeichnung einer bestimmten Form des Metalls ist, geht daraus her- 
vor, dafs er nur bei Metallen vorkommt, und zwar nur bei Gold und 
Kupfer, welche gediegen gebrochen werden; vom Silber ist er mir noch 
nicht vorgekommen. Wenn von der Herkunft eines Minerals aus einem 
bestimmten Lande die Rede ist, so wird nicht ® hi gebraucht, sondern 
ag) U öl NOS 
000, en la 


RN IR „Gold aus der Landschaft oder aus den Bergen von 


NUMO 
a EA R z ve 6 j BE ER N Ex 
Koptos*; NS „Gold von Kus“ 6), u. a. Ueberdies gab es kein 


besonderes Land, worauf man das Gold oder das Kupfer „seines Landes“ 


wm Be aus; z. B. „Gold, Geräth aus diesem Lande“ °); 


beziehen könnte, da beide Metalle, besonders aber das Gold, aus vielen 
verschiedenen Ländern kamen. Dals O4 hier der Fels, das Gestein, heilst, 


1) Düm., Tempelinschr. I, 30. 31. 32. Histor. Inschr. II, 47. 

2) Die Aussprache set für Sn Berg, Fels, Land scheint noch unbekannt zu sein. 
Champollion las xag, das aber mase. ist. Chabas, pap. Harris p. 247: phonet. in- 
connn. Bireh hat es unter seine ideographischen Zeichen nicht aufgenommen. Brugsch, 
Wörterb. p. 1331 giebt = in der Bedeutung „das untere, unten gelegene Land, 
das Grab“ und vergleicht echt, m, pars inferior; p. 154. 1336. 1690 vermuthet er die 


IN ER Na BN= v4 
Lautung an; aus Varianten wie ur a „ Penkm. II, 143, g, St] 


II, 124, 17: mur set-u abt, „Statthalter der Länder des Ostens“ geht Ta ErrtınE SE 
en » x —oa | » “11 
wsetfür Land, Landstrich, deutlich hervor; daher später auch X a I1ı „die Südländer“ 
vorkommt. In ältester Zeit wurde &o42 auch selbst als phonetisch angesehn und konnte 
Be 


Anz FErER 
die Aussprache —— vor sich nehmen; daher wechseln S , NY, N“ Denkm. Il, 3. 
B Y .n U“ “ N‘ on i 
34. In unserem Falle heilst aber I ], set, der Fels, das Gestein; daher die Gruppe 
a = 2 r 5 SE 3 5 
5» set, Fels (Champ., Gr. 98) auch mit dem Stein determinirt wird. 

3) Wörterb. p. 1629. 

+) Zeitschr. 1870. 

5) Auswahl XII, 


6) Chabas, Rev. Arch. 1861, I, 16. 


die Metalle in den Aegyptischen Inschriften. 35 


nicht das Land, geht ferner daraus hervor, dafs man auch N nub 
en set, „Gold des Felsen“, Berggold, allein findet, und zwar im Gegen- 
satz, weil unmittelbar daneben MN x, nub en mu, „Gold des Wassers“, 
d. i. aus dem Flufssande gewaschenes (old, Tibber steht. Es werden näm- 
lich im Tempel Ramses III von Medinet Habu in einem der Zimmer der 
Silberkammer auch 8 grofse Beutel abgebildet, von denen die 7 ersten 


Gold enthielten, und zwar mit folgenden Aufschriften : 


ee nub en Kus, Gold von Aethiopien 
m] nub ten 1000, Gold 1000 ten 
er nub en set, Gold des Berges 


mm mm | mub en mu, ten 1000, Gold des Wassers, 1000 ten 
Ä J um nub en Teb, Gold von Apollinopolis magna (Edfu) 


DE am I, nub en Nubrit, Gold von Ombos 
Er ig nub en Kebt, Gold von Koptos. 


Der letzte Beutel enthält ‚resteb. 

Wahrscheinlich enthielten alle vier ersten Beutel Aethiopisches Gold, 
da in diesem durch seinen Goldreichthum berühmten Lande in der That 
das Gold sowohl aus dem Felsen als aus dem Wasser gewonnen wurde. 
Die drei folgenden Beutel enthielten Gold aus Oberägypten, nämlich aus 
Apollinopolis magna (Edfu), Ombos (Kum Ombo) und Koptos (Quft); 
also im Ganzen von Süden nach Norden geordnet. Natürlich wurde das 
Gold nicht in oder bei diesen Städten selbst gewonnen, sondern in dem 
Arabischen Gebirge in Minen, welche von diesen Orten am nächsten zu- 
gänglich waren. 

Nach Plinius lag die goldreichste Gegend Aethiopiens zwischen 
Napata und dem rothen Meere, eine sehr unbestimmte Angabe, die sich 
aber nur auf die Gegenden des Bega-Landes östlich vom Wege von 
Assuan oder Korusko nach Abu Hammed beziehen kann, wohin von 
Abulfeda die Goldminen von Ollagi gelest werden. Diese wurden nach- 
weislich noch im 10. Jahrhundert und noch später von den Arabern aus- 
gebeutet, endlich aber, weil sie die Kosten nicht mehr lohnten, verlassen 
und vergessen, bis ihre Lage in den Jahren 1831 und 1832 von Linant 


m 


J 


36 Lepsıvs: 


Bey und Bonomi wieder aufgefunden wurde!). Ohne Zweifel bezieht 
sich auf diese Gegend auch der Inhalt der Stele von Auban, welche von 
Birch?) und Chabas®) erklärt worden ist; denn Auban ist, wie bereits 
Prisse, der die Stele entdeckt hat, richtig hervorgehoben hat, der Aus- 
sangspunkt der bedeutendsten Thäler des Etbaye-Distriktes, in welchem 
die Minen liegen. Es wird darin gerühmt, dafs es Aamses II gelungen 
sei, was sein Vater Sethos I vergeblich erstrebt habe, nämlich Wasser- 
brunnen in dem Lande Akrta auf dem Wege durch die Wüste zu den 
Minen herzustellen. 

Dagegen kann ich der Meinung nicht beipflichten, dafs auch die 
Inschriften des Wüstentempels von Redeszeh sich auf das Aethiopische 
Gold bezogen. Ich habe diesen Tempel in den Denkmälern der Preuls. 
Expedition nach Redesteh benannt, weil dies jetzt der nächste Ort am 
Nile ist, von dem aus man den Tempel zu besuchen pflegt, wie man die 
Pyramiden von Gizeh so nennt, weil die Reisenden von Gizeh aus, das 
14 Stunden entfernt am Nile liegt, dahin abgehen. Die alte Stralse zum 
Tempel ging aber von Apollinopolis magna oder östlich vom Flusse von 
Contra Apollonos aus. Diese Stralse führte keineswegs nach den weit 
entfernten Aethiopischen Minen, sondern auf dem kürzesten Wege zum 
Arabischen Gebirge und in der Nähe des Rothen Meeres zum @ebel Ze- 
bara. Man hat hier die alten Smaragdgruben wiederzufinden geglaubt, 
welche nach Plinius #) eruuntur circa Copton oppidum Thebaidis, in col- 
libus, ex cautibus. Das hat sich nicht bestätigt?). Aber der Berg hat 
viele und tiefe meist verschüttete Minengänge, in welchen offenbar ein 
kostbares Mineral gewonnen wurde. Da wir nun in den erwähnten In- 
schriften unter T’hutmosis III ausdrücklich neben dem Aethiopischen und 


1) Die Orte der Goldgruben sind einzeln verzeichnet von Linant auf seiner Carte 
de l’Etbaye ou pays habite par des Arabes Bisharis, comprenant les contrees des mines 
d’or connues des anciens sous le nom d’Olaki, publiee par le depöt de la guerre 1854. 

2) Upon an historical tablet of Ramses 1! relating to the gold mines of Aethiopia 
(from the Archeologia vol. NXXIV pp. 357—391.) Lond. 1852. 

3) Les inseriptions des mines d’or Chalon s. S. Paris 1862. Die Stele befindet 
sich jetzt in dem Schlosse Uriage bei Grenoble, wohin sie der Besitzer Comte St. Ferriol 
transportirt hat. 

4) H.N. 37, 65. 

5) Allgem. Augsb. Zeitung 1844, no. 347 Beilage. 


die Metalle in den Aegyptischen Inschriften. 37 


anderm Aesyptischen Gold auch „Gold von Apollinopolis magna“ 
angeführt finden, und da wir in den Inschriften des Tempels von Rede- 
steh lesen, dafs dieser von Set! I sesründet wurde, weil er auf dieser 
Station des Wüstenwegs zu den Goldminen durch Anlegung eines Brun- 
nens Wasser gefunden hatte, so kann es wohl nicht zweifelhaft sein, dafs 
die hier erwähnten Goldbergwerke wirklich in den Bergen, zu welchen 
die Strafse über den Tempel führte, lagen, also nicht in Aethiopien, son- 
dern auf dem alten Wege nach Gebel Zebära, wenn nicht in diesem viel- 
durchhöhlten Berge selber. 

Ebenso müssen wir die Minen des Goldes von Ombos, welche 
Stadt 8 bis 10 Meilen südlich von Apollinopolis auf dem Ostufer des Nils 
lag, gleichfalls in der Richtung der Strafse suchen, welche von hier ihren 
Anfang nehmend am direktesten in das Arabische Gebirge führte. In der 
That münden bei Ombos die Hauptthäler, welche in wenig südlicher Ab- 
weichung gerade auf Berenike und die über demselben gelegenen Berge 
zuführen. Spuren von alten Stationen dürften sich bei näherer Nach- 
forschung auch auf diesem Wege noch finden. 

Endlich kam auch das Gold von Koptos ohne Zweifel aus dem 
Theile des Arabischen Gebirges, auf welchen die grofse Karavanenstralse 
von Kuft (Koptos) nach Kosser (Leukos hormos), jetzt derb e' Rossafa ge- 
nannt, zuführt. Wir kennen jetzt zwar unmittelbar an dieser Strafse nur 
die alten Steinbrüche von Granit und Breccia bei Hamamaät mit seinen 
zahlreichen Felseninschriften, die bis in die vierte Dynastie unter Yufu 
(Cheops) zurückreichen. Indessen finden sich in jener Gegend noch viele 
Spuren alter tief eindringender Minen, besonders in dem nahe gelegenen 
Wadi Fauayer, deren ursprüngliche Bestimmung noch nicht ermittelt ist, 
und welche sehr wohl Goldminen sein konnten 1). 

Von hohem Interesse ist der Turiner Papyrus, welcher einen Situa- 
tionsplan aus der Zeit Ptamses II, den.ältesten, den wir kennen, enthält, 
und den ich deshalb schon in meiner „Auswahl“ 1842 publicirt habe ?). 


r rk \YY on a r . 

1) Gold von Koptos und zwar u zZ 15 Ja\ „Felsgold von Koptos* wird auch 
in dem Papyrus des Mr. Harris auf Ramses III bezüglich erwähnt neben dem Golde von 
Kus. S. Chabas, Rev. Arch. 1861, I, 16. 

?) 1547. Taf. XXII. Die damit zusammen gefundenen Grundpläne von Königsgräbern 


liefsen mich damals vermuthen, dafs die Situation in den Thebanischen Bergen zu suchen sei. 


38 LEePpsıus: 


Diese mit Farben ausgeführte Zeichnung von Bergen und Wegen, wurde 
von Birch!) als ein Terrain von Goldminen erkannt; später wurden sie 
nochmals publieirt mit den Originalfarben von Chabas?). Auch diese 
Goldminen werden für die Aethiopischen von Gebel Ollaki gehalten. Es 
können aber ebenso gut ägyptische Minen sein, und da wir auf dem Plane 
eine Stele von Sethos I neben einem Wasserbrunnen verzeichnet finden, so 
ist es wahrscheinlicher, dafs es die Minen von Apollinopolis magna waren, 
für welche Sethos schon mit glücklichem Erfolg eine Wasserstation, „Brun- 
nen des Seti* genannt, angelegt und einen Tempel daneben gebaut hatte, 
während der in der Stele von Auban erwähnte Brunnen des Set auf 
dem Wege nach den Aethiopischen Goldbergen ein gleich allen frühe- 
ren Versuchen verfehltes Unternehmen gewesen zu sein scheint, so dafs 
erst seinem Sohne Ramses der Ruhm zufiel, auch dort Wasser geschafft 
zu haben. 

Während nun aber die Aethiopischen Goldminen noch den Arabern 
eine Ausbeute gewährten, müssen die Aegyptischen wohl schon früh er- 
schöpft und verlassen worden sein, was sich, auch bei gleicher Ergiebig- 
keit, gerade aus der gröfsern Nähe Aesyptens erklärt. 


1) Upon an historical tablet of Ramses II p. 26. 

?2) Les inscriptions des mines d’or p. 301. Zu diesen Fragmenten gehören noch 
andre, die von Lieblein in seiner Schrift: Deux papyrus hieratiques du musee de Turin. 
Christiania 1868 pl. V publieirt worden sind. Diese enthalten zwar zu beiden Seiten der 
Wege nur schwarze, keine rothen Berge; aber auch das vereinzelte Fragment bei Chabas 
enthält ei